„She loves me“ am Theater und Konzerthaus Solingen


„She loves me“ – nach der Komödie „Illatszertár“ („Parfümerie“) von Miklós László (1937). Musik: Jerry Bock; Liedtexte: Sheldon Harnick; Buch: Joe Masteroff; Deutsche Fassung: Frank Thannhäuser und Nico Rabenald; Inszenierung: Gil Mehmert; Choreografie: Yara Hassan; Bühne, Kostüme: Britta Tönne; Lichtdesign: Michael Grundner; Musikalische Leitung: Jürgen Grimm. Darsteller: Yasmina Hempel (Amalia Balash, Angestellte in Maraczeks Parfümerie), Louis Dietrich (Georg Nowack, Angestellter in Maraczeks Parfümerie), Maja Lilly Dickmann (Ilona Ritter, Angestellte in Maraczeks Parfümerie), Samuel Ismail Türksoy (Stephan Kodaly, Angestellter in Maraczeks Parfümerie), Tom Zahner (Zoltan Maraczek, Parfümerie-Inhaber), Samuel Franco (Ladislav Sipos, Angestellter in Maraczeks Parfümerie), Felix Alexander Rabas (Arpad Laszlo, Botenjunge in Maraczeks Parfümerie/Paul, Augenoptiker), Gioia Heid, Nils Karsten (Oberkellner im Café Imperial), Susann Ketley, Juri Menke, Kelly Panier, Benedikt Peters (Herr Keller, Privatdetektiv). Uraufführung: 23. April 1963, Eugene O’Neill Theatre, New York City. West End Premiere: 29. April 1964, Lyric Theatre, London. Deutsch­sprachige Erstaufführung: 19. September 1996, Etablissement Ronacher, Wien. Premiere: 24. November 2021, Theater und Konzerthaus Solingen, Pina-Bausch-Saal.



„She loves me“


Liebesbriefe nach Ladenschluss


„She loves me“ von Jerry Bock (Musik), Sheldon Harnick (Liedtexte) und Joe Masteroff (Buch) ist nach der Verfilmung „The Shop Around the Corner“ von Ernst Lubitsch (1940) mit Margaret Sullavan (Klara Novak), James Stewart (Alfred Kralik) und Frank Morgan (Hugo Matuschek) sowie dem Filmmusical „In the Good Old Summertime“ von Robert Z. Leonard (1949) mit Judy Garland (Veronica Fisher), Van Johnson (Andrew Larkin) und S. Z. Sakall (Otto Oberkugen) die dritte Adaption der Komödie „Illatszertár“ („Parfümerie“) von Miklós László (1937). Das Musical wurde am 23. April 1963 am Eugene O’Neill Theatre am Broadway uraufgeführt und bis 11. Januar 1964 in 301 regulären Vorstellungen gezeigt. Allein am Broadway gab es 1993/1994 und 2016 zwei Revival Produktionen. Die Original Broadway Produktion war für fünf Tony Awards nominiert, das Broadway Revival gewann 2016 den Drama Desk Award und den Outer Critics Circle Award als Outstanding Revival of a Musical. Die deutschsprachige Erstaufführung fand am 19. September 1996 unter dem Titel „Sie liebt mich“ in einer Übersetzung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald mit Christine Rothacker (Amalia Balash), René Rumpold (Georg Nowack) und Tamás Ferkay (Zoltan Maraczek) in einer Inszenierung von Peter Heusch im Etablissement Ronacher in Wien statt. Die romantische Komödie „You’ve Got Mail“ von Nora Ephron (1998) mit Tom Hanks (Joe Fox) und Meg Ryan (Kathleen Kelly) griff das Thema abermals auf.

Das Kulturmanagement Solingen wollte das Musical „She loves me“ bereits Anfang Mai 2021 in Kooperation mit dem Studiengang Musical der Folkwang Universität der Künste in einer Inszenierung von Gil Mehmert zeigen, daraus wurde aus bekannten Gründen nichts. Als man die Ersatztermine vom 24. bis 27. November 2021 bekannt gegeben hat, waren sich Experten bereits einig, dass eine vierte Welle unausweichlich ist, lediglich die Vehemenz, mit der die COVID-19-Pandemie das Land erneut in die Knie zwingen wird, war nicht absehbar. Neuerlich ist der Besuch von Veranstaltungen und Einrichtungen im Kultur-, Sport- und Freizeitbereich in Nordrhein-Westfalen nur noch immunisierten Personen gestattet, die vollständig geimpft oder genesen sind. Zusätzlich gilt im Theater und Konzerthaus Solingen ab 16. November 2021 die 2G-Plus-Regel, womit geimpfte oder genesene Besucher zusätzlich einen negativen Corona-Test nachweisen müssen, der nicht älter als 24 Stunden ist, um das Haus betreten zu dürfen. Wenn das keine Einschränkungen sind, was dann? Die Auswirkungen auf die Anzahl der Zuschauer sind unübersehbar: Es sind nicht etwa mehr Zuschauer im Auditorium, da der tagesaktuelle negative Corona-Test vermeintlich mehr Sicherheit bietet, sondern noch weniger als bei einer 3G-Regelung. Wobei die Entscheidung für 2G-Plus bei einer 7-Tage-Inzidenz von 296,5 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen in Solingen durchaus nachvollziehbar ist. Ich möchte an dieser Stelle nicht das Für und Wider der einzelnen Regelungen diskutieren, entweder man akzeptiert die jeweilige Zugangsregelung, oder man bleibt der Veranstaltung fern.

„She loves me“, Theater und Konzerthaus Solingen, Yasmina Hempel (Amalia Balash). Foto: Abiramy Arulrasa

In den 1930er-Jahren treffen wir in Herrn Maraczeks Parfümerie in Budapest auf die beiden Angestellten Amalia Balash und Georg Nowack, die sich meist nicht einig sind. Beide haben auf eine Kontaktanzeige in der Zeitung geantwortet und tauschen nun Liebesbriefe miteinander aus, ohne die Identität ihrer Adressaten zu kennen. Außerdem arbeiten noch Ilona Ritter, Stephan Kodaly und Ladislav Sipos als Verkäufer sowie Arpad Laszlo als Botenjunge für Herrn Maraczek. In der Vorweihnachtszeit haben sich Amalia und Georg zu einem Rendezvous im Café Imperial verabredet, doch Herr Maraczek besteht auf Überstunden, um die Parfümerie zu dekorieren. Es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen Herrn Maraczek und Georg, der verärgert seine Anstellung kündigt. Herr Maraczek hatte Georg im Verdacht, eine Affäre mit seiner Frau zu haben. Aber als herauskommt, dass tatsächlich sein Angestellter Stephan Kodaly eine Affäre mit seiner Frau hat, die ihm am Telefon obendrein Hörner aufsetzt, versucht Zoltan Maraczek, sich das Leben zu nehmen. Zum vereinbarten Rendezvous möchte sich Georg am liebsten verleugnen lassen, doch als er Amalia im Café sitzen sieht, setzt er sich verwirrt zu ihr an den Tisch und beide geraten in Streit, woraufhin Amalia am Boden zerstört allein zurückbleibt. Herr Maraczek überlebt den Suizidversuch, und im Krankenhaus kommt es zur Versöhnung zwischen ihm und Georg, den er bittet, die Parfümerie in seiner Abwesenheit zu übernehmen und Stephan Kodaly zu entlassen. Nebenbei erwähnt Herr Maraczek, dass Amalia Balash krank sei. Georg besucht sie mit einem Vanilleeis in ihrer Wohnung und entschuldigt sich für sein Verhalten im Café. Auf einen Kommentar zu „Anna Karenina“, den er auch als „Lieber Freund“ in seinen Briefen an Amalia gemacht hat, gesteht sie sich ein, dass sie Georg mag, noch ohne zu wissen, dass er tatsächlich der „Liebe Freund“ ist…

Gil-Mehmert („Chicago“, Opernhaus Bonn [Premiere 29. August 2021]; „Evita“, Opernhaus Bonn [Premiere 4. September 2016], Saarländisches Staatstheater Saarbrücken [Premiere 9. Oktober 2021]; „Knockin’ On Heaven’s Door – Das Rock’n’Road Musical“, Stadttheater Fürth [Uraufführung: 21. Oktober 2021]; „Berlin Skandalös – Ein wilder Tanz durch die 20er Jahre“, Opernhaus Dortmund [Premiere 22. Oktober 2021]; „Once“, Kammerspiele Hamburg [Premiere 31. Oktober 2021]/Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau; „Lady Bess“, Theater St. Gallen [Premiere 19. Februar 2022]; „Tootsie“, Staatstheater am Gärtnerplatz [Europäische Erstaufführung 7. Juli 2022]) dürfte augenblicklich zu den gefragtesten Musical-Regisseuren im deutschsprachigen Raum gehören. Als Buchautor hat er sich bereits bei „Das Wunder von Bern“ Theater an der Elbe, Hamburg, Uraufführung 23. November 2014) und „Goethe!“ (Bad Hersfelder Festspiele, Uraufführung 3. Juli 2021) einen Namen gemacht. In seiner Inszenierung des herrlich nostalgischen Musicals „She loves me“ stellt Gil Mehmert die Studierenden des vierten Jahrgangs im Studiengang Musical in den Mittelpunkt, alles andere wäre bei einer Abschlussproduktion der zukünftigen Musicaldarsteller auch sehr verwunderlich. Gemeinsam mit seinem bewährten Kreativteam lässt er die jungen Künstler auf der Bühne gut aussehen, wobei die Autoren den zahlreichen Solisten reichlich Gelegenheit gegeben haben, ihr Können unter Beweis zu stellen. Bühnen- und Kostümbildnerin Britta Tönne („Klein Zaches, genannt Zinnober“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen [Uraufführung 14. November 2015]), die seit 2018 sämtliche Produktionen des Studiengangs Musical („Grand Hotel“; „Spring Awakening (Frühlings Erwachen)“; „Knockin’ On Heaven’s Door – Das Rock’n’Road Musical“) ausgestattet hat, hat für „She loves me“ ein dreigeteiltes Bühnenbild geschaffen, bei dem unterschiedliche Schauplätze wie der Außenbereich vor Herrn Maraczeks Parfümerie, das Ladenlokal selbst und Amalia Balashs Wohnung durch Drehung – ganz ohne Drehbühne, die im Theater und Konzerthaus Solingen nicht vorhanden ist – in das Sichtfeld der Zuschauer gebracht werden. Der Außenbereich vor der Parfümerie verwandelt sich durch entsprechende Requisiten auch in das Café Imperial. Vor dem Bühnenbild bleibt auf der großzügigen Spielfläche (695 m² inklusive Seiten- und Hinterbühne) noch genügend Platz, so dass Felix Alexander Rabas mit dem Fahrrad seine Runden drehen kann ohne bei den Musikern im Orchestergraben zu laden. Das Kostümdesign ist an den Kleidungsstil der 1930er-Jahre angepasst. Michael Grundner unterstreicht mit seinem Lichtdesign die Stimmung in den jeweiligen Szenen. Choreografin Yara Hassan („Berlin Skandalös – Ein wilder Tanz durch die 20er Jahre“, Opernhaus Dortmund [Premiere 22. Oktober 2021]; „Himmel und Kölle“, Volksbühne am Rudolfplatz, Köln [Uraufführung 29. Oktober 2020]; „Knockin’ On Heaven’s Door – Das Rock’n’Road Musical“, Häbse-Theater Basel; [Tryout Premiere 29. Mai 2018], Folkwang Universität der Künste, Pina Bausch Theater, Essen [Tryout Premiere 21. Juni 2018]) hat mit den Studierenden die Choreografien einstudiert, die von diesen ansprechend umgesetzt werden und insbesondere im „Tango Tragique“ im Café Imperial beeindrucken. Die Bergischen Symphoniker mit mehr als 20 Musikern im Orchestergraben bringen Jerry Bocks klassisch angehauchte Partitur unter der versierten Musikalischen Leitung von Jürgen Grimm fulminant zu Gehör.

Das Ensemble auf der Bühne rekrutiert sich mit Ausnahme von Tom Zahner aus den Studierenden des vierten und dritten Jahrgangs im Studiengang Musical der Folkwang Universität der Künste. Yasmina Hempel ist als Amalia Balash zu sehen, die in Herrn Maraczeks Parfümerie eine neue Anstellung findet, nachdem Hammerschmidts Parfümerie geschlossen wurde und sie ihr Verkaufstalent bei Zoltan Maraczek unter Beweis gestellt hat, eine Leder-Spieluhr-Zigarettenschatulle an die Frau zu bringen, ohne überhaupt zu wissen, wofür diese zu gebrauchen ist. Yasmina Hempel meistert den umfangreichen Part bravourös, in ihren zahlreichen Soli „Keine Bonbons“, „Ist es möglich“, „Mein Freund“ oder „Vanille-Eiscreme“ weiß sie gesanglich zu überzeugen, auch im Duett „Wüsst’ ich, wie er heißt“ harmoniert sie schön mit Maja Lilly Dickmann (Ilona Ritter). Louis Dietrich ist in der Rolle von Georg Nowack, einem etablierten, intelligenten Mitarbeiter in Maraczeks Parfümerie, ein hoffnungsloser Romantiker. Aber er ist einfach zu schüchtern, um Amalia seine Zuneigung zu gestehen, und so schleichen die beiden Verliebten vom Sommer bis zum Weihnachtsfest umeinander herum wie die Katze um den heißen Brei, bis sie sich endlich in die Arme fallen können. Gesanglich kann Louis Dietrich in „Heut’ Nacht um Acht“ und im Titelsong „Sie liebt mich“ auf sich aufmerksam machen, wobei er auch in den Duetten „Drei Briefe“ und „Wo ist bloß mein Schuh“ mit Yasmina Hempel gefällt. Maja Lilly Dickmann ist als Ilona Ritter zwar in Liebesangelegenheiten erfahren, sehnt sich aber nach der wahren Liebe („Jetzt ist Schluss“) und möchte sie gern auf der Stelle festhalten, als sie diese in Gestalt des Augenoptikers Paul in der Bibliothek gefunden zu haben glaubt („Der Gang in die Bücherei“). In der Parfümerie verkündet sie bereits die Verlobung, von der Paul nicht die leiseste Ahnung hat. Samuel Ismail Türksoy ist in der Rolle von Stephan Kodaly ein angesehener und beliebter Mitarbeiter der Parfümerie von Herrn Maraczek, stellt sich aber im Verlauf der Handlung eher als oberflächlicher Frauenheld heraus und glaubt nach seiner Entlassung, Hammerschmidts Parfümerie übernehmen zu können („Schön hier zu sein“). Samuel Franco erweist sich als Georgs Vertrauter Ladislav Sipos nicht unbedingt als der blitzgescheiteste Angestellte in der Parfümerie, hat er doch als Familienvater aus Sorge um seine eigene Anstellung („Perspektive“) Herrn Maraczek in einem anonymen Brief erst auf die Liebelei seiner Frau aufmerksam gemacht, verspricht aber, zukünftig in anonymen Briefen Namen zu nennen. Felix Alexander Rabas engagiert sich als Botenjunge Arpad Laszlo bemerkenswert für Herrn Maraczek, ehrgeizig kann er schließlich auch seine Beförderung zum Verkäufer in Teilzeit erreichen („All das kann ich“). Im zweiten Akt ist er daneben auch noch als Augenoptiker Paul zu sehen, Ilona Ritters neuer Freund, den sie in der Bibliothek kennengelernt hat, nachdem sie Stephan Kodaly auf die Schliche gekommen ist und sich von ihm getrennt hat. Tom Zahner (Chauffeur in „Berlin Skandalös – Ein wilder Tanz durch die 20er Jahre“, Opernhaus Dortmund [Premiere 22. Oktober 2021]; Sir Danvers Carew in „Jekyll & Hyde“, Opernhaus Dortmund [Premiere 12. Oktober 2019]; Max von Mayerling in „Sunset Boulevard“, Opernhaus Bonn [Premiere 21. September 2017], Stadttheater Bielefeld [Premiere 20. März 2015]) engagiert sich als Parfümerie-Inhaber Zoltan Maraczek mit souveräner Präsenz für sein Geschäft, lediglich übertroffen von der Treue zu seiner Ehefrau, die die Zuschauer zu keiner Zeit zu Gesicht bekommen. Die Studierenden des dritten Jahrgangs Gioia Heid, Nils Karsten, Susann Ketley, Juri Menke, Kelly Panier und Benedikt Peters treten u. a. als Kundinnen in Herrn Maraczeks Parfümerie, Gäste im Café Imperial und Weihnachtssänger in Erscheinung und können insbesondere mit der Choreografie im Café Imperial auf sich aufmerksam machen, wobei Nils Karsten (Oberkellner im Café Imperial) und Benedikt Peters (Herr Keller, Privatdetektiv) auch kleinere Soloparts bekleiden.

Am Ende der zweieinhalbstündigen Premiere wurden alle Darsteller, Musiker und Kreativen – so anwesend – mit langanhaltendem Stehapplaus für die gezeigten Leistungen belohnt. Drei weitere Vorstellungen sind noch bis Samstag, 27. November 2021 zu sehen. „She loves me“ ist die erste Kooperation des Kulturmanagements Solingen mit dem Studiengang Musical der Folkwang Universität der Künste, eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, wie auch Gil Mehmert im Anschluss an die Vorstellung betonte, mit dem versteckten Haken der COVID-19-Pandemie. Am 18. Mai 2022 soll bereits „Anything goes“ als nächste Produktion des Kulturmanagements Solingen und der Folkwang Universität der Künste in einer Inszenierung von Sandra Wissmann Premiere am Theater und Konzerthaus Solingen feiern.

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