„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“ am Stadttheater Bielefeld


„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“ – nach der Komödie „Lend me a Tenor“ von Ken Ludwig (1986); Musik: Brad Carroll; Gesangstexte, Buch: Peter Sham; Deutsche Bearbeitung: Roman Hinze; Inszenierung: Thomas Winter; Choreografie: Dominik Büttner; Bühne, Kostüme, Video: Ulv Jakobsen; Dramaturgie: Jón Philipp von Linden; Musikalischer Leiter: William Ward Murta. Darsteller: Dirk Audehm (Henry Saunders, Direktor der Cleveland Grand Opera), Jonas Hein (Max Garber, Saunders gutmütiger Assistent), Jeannine Michèle Wacker (Maggie Saunders, Henrys Tochter), Joshua Farrier (Tito Merelli, der weltbekannteste Tenor und notorischer Schwerenöter), Roberta Valentini/Carina Sandhaus (Maria Merelli, Titos unberechenbare Ehefrau), Navina Heyne (Diana Divane, Operndiva), Evelina Quilichini (Anna 1, Dame der Operngilde, Saunder’ Exfrau), Franziska Hösli (Anna 2, Dame der Operngilde, Saunder’ Exfrau), Michaela Thiel (Anna 3, Dame der Operngilde, Saunder’ Exfrau/Dance Captain), Vladimir Lortkipanidze (Harry, Liftboy), Carlos Horacio Rivas (Bernie Guter, Inspizient), Paata Tsivtsivadze (Bürgermeister von Cleveland), Krzysztof Gornowicz (Mickey, Polizist), Mark Coles (Joe, Polizist), Yun-Geun Choi, Christin Enke-Mollnar, Patricia Forbes (Presseleute), Michaela Ataalla, Vladimir Lortkipanidze, Sofio Maskharashvili, Ramon Riemarzik, Seung-Koo Lim (Hotelpersonal). Uraufführung: 30. Juni 2007, Utah Shakespearean Festival, Cedar City, Utah. West End Premiere: 15. Juni 2011, Gielgud Theatre, London. Premiere: 1. September 2019, Stadttheater Bielefeld.



„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“


Sei mein Tenor heut’


Die Komödie „Lend me a Tenor“ von Ken Ludwig (* 1950 in York, Pennsylvania) wurde am 6. März 1986 in London uraufgeführt und feierte am 2. März 1989 am Royale Theatre ihre Broadway Premiere. Die Produktion war für sieben Tony Awards nomiert, wovon sie zwei Auszeichnungen (Best Actor in a Play für Philip Bosco als Henry Saunders und Best Direction of a Play für Jerry Zaks) tatsächlich erhalten hat. Das auf der Komödie basierende Musical „Lend me a Tenor“ von Brad Carroll (Musik) und Peter Sham (Buch, Gesangstexte) wurde im Mai 2006 beim Utah Shakespearean Festival im Rahmen des New American Playwright Projekts als inszeniertes Reading gezeigt, bevor es im darauffolgenden Jahr vom 27. Juni bis 1. September 2007 ebenfalls beim Utah Shakespearean Festival in Cedar City im Repertoir gezeigt wurde. Nach Tryouts am Theatre Royal in Plymouth feierte das Musical schließlich am 15. Juni 2011 am Gielgud Theatre in London seine West End Premiere, wo auch schon die gleichnamige Komödie von Ken Ludwig zur Uraufführung gebracht wurde. Die Musikalische Komödie Leipzig zeigte die deutschsprachige Erstaufführung ab 9. März 2013 in einer Inszenierung von Volker Vogel.

„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Stadttheater Bielefeld, Joshua Farrier (Tito Merelli) und Roberta Valentini (Maria Merelli). © Bettina Stöß

Das Opernhaus von Cleveland, Ohio steht kurz vor der Pleite, da hat Theaterdirektor Henry Saunders die Idee, das Haus mit der Aufführung von Verdis Oper „Otello“ mit dem Startenor Tito Merelli in der Titelrolle vor dem Bankrott zu retten. Die Damen der Operngilde sind schon seit Wochen völlig aus dem Häuschen und das ganze Theater vibriert vor Aufregung. Die Vorfreude wendet sich langsam in Unruhe, als der illustre Gastsänger nach der Generalprobe immer noch nicht eingetroffen ist. Theaterdirektor Henry Saunders ist der Verzweiflung nahe, schließlich hat sich kein Geringerer als – wir schreiben Herbst 1934 – Präsident Franklin D. Roosevelt angekündigt, um die Vorstellung zu erleben. Zum Glück hat Max, Regieassistent mit gesanglichen Ambitionen, genug Mumm in den Knochen, um die Partie zu übernehmen – nicht nur die des Otello, sondern auch gleich die des Tito Merelli! Der ist zwar inzwischen endlich im Haus, hat aber nach einem lautstarken Krach mit seiner Gemahlin eine viel zu große Menge Beruhigungstabletten geschluckt und ist nicht mehr wachzukriegen. Im Glauben, Tito Merelli sei tot, hat Henry Saunders keine Einwände mehr, dass Max die Vorstellung zu retten versucht. Er spielt und singt seine Rolle so gut, dass niemand die Verwechslung überhaupt bemerkt. Als Max nach der Vorstellung feststellt, dass der vermeintlich tote Tito Merelli verschwunden ist, macht er sich auf die Suche nach Henry Saunders. Um den verschwundenen Startenor beim Gala-Empfang zu ersetzen, schlüpft der Operndirektor ebenfalls in dessen Rolle und zieht sich ein Otello-Kostüm an. Der echte Tito Merelli ist längst wieder aufgetaucht, und mit drei „Titos“ im Otello-Kostüm ist das Chaos perfekt…

„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Stadttheater Bielefeld, Jonas Hein (Max Garber), Navina Heyne (Diana Divane und Dirk Audehm (Henry Saunders). © Bettina Stöß

Nimmt Ken Ludwigs beliebte Komödie schon jedes gängige Klischee über mittelgroße Opernbetriebe lustvoll aufs Korn, lässt die im klassischen Broadwaystil gehaltene Musicalfassung von Peter Sham und Brad Carroll das Geschehen auf und hinter der Bühne erst so richtig authentisch werden. Und das schon lange, bevor die hauseigene Primadonna beim nächtlichen Tête-à-Tête dem Stargast quasi alle großen Opernarien im Schnelldurchlauf um die Ohren schmettert… Folkwang Alumnus Thomas Winter („Daddy Langbein (Daddy Long Legs)“, „My fair Lady“, Stadttheater Bielefeld) hat die Musical Comedy temporeich in Szene gesetzt, „Otello darf nicht platzen!“ ist Unterhaltung im besten Sinne. Nichts ist wirklich tiefgründig, das Stück bedient sich der Mittel des Boulevardtheaters: Liebe, Eifersucht, Verwechslung, Tür auf, Tür zu. Der Höhepunkt ist erreicht, als die drei Männer Tito Merelli, Max Garber und Henry Saunders im gleichen Kostüm und identischer Maske stecken und aufgrund dessen ständig verwechselt werden. Gekonnt werden dadurch verschiedene Schicksale unfreiwillig miteinander verbunden. Äußerst temporeich und dank vieler Türen, Kammern und eines Schrankes entstehen ständig neue Konstellationen und Missverständnisse. Einerseits erleben die drei Männer, wie es ist, als gefeierter Star der Opernszene von der Frauenwelt verehrt und bedingungslos angeschmachtet zu werden, andererseits lässt dies wenig Raum für Privatsphäre.

„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Stadttheater Bielefeld, Jeannine Michèle Wacker (Maggie Saunders). © Bettina Stöß

Während der Ouvertüre wird das Publikum mit Schwarz-Weiß Bildern (Video Ulv Jakobsen) auf Cleveland, Ohio im Jahre 1934 eingestimmt. Die Handlung setzt dann in einer Probe für Giuseppe Verdis Oper „Otello“ ein, und der Opernchor steht in historischen Kostümen auf der Bühne. Doch bald muss die Probe unterbrochen werden, da der Hauptdarsteller immer noch nicht angekommen ist. Der Wechsel von der Bühnenprobe hinein in die Musical-Handlung geschieht wie nebenbei. Durch den stetigen Einsatz der Drehbühne gelingen schnelle Szenenwechsel. Zu Beginn des zweiten Aktes amüsieren sich die Zuschauer über einen spiegelverkehrten Übertitel, doch bald wird klar, dass das Bühnengeschehen den Blick aus der Hinterbühnenperspektive zeigt. Finden Ehestreitigkeiten auf Italienisch statt, werden sie ganz nach Opernmanier auch gleich mit übertitelt (Übertitel Jón Philipp von Linden). Die Kostüme von Ulv Jakobsen sind im Wesentlichen an die Zeit angelehnt, in der die Handlung spielt. Das himmelblaue Satinjacket des sängerischen Helden Tito Merelli und das Businesskostüm seiner Gattin Maria verweisen jedoch eher auf eine etwas modernere Zeitepoche. Ulv Jakobsen zeichnet ebenfalls für die Bühne verantwortlich. Geschickt nutzt er den Raum aus, um den Darstellern auf eher kleiner Fläche viel Mobilität zu ermöglichen. Es gibt eine Anzahl von Öffnungen und Türen, die in angedeutete Nebenräume führen. Dies sorgt für viele Überraschungsmomente und reichlich Situationskomik. Die Bielefelder Philharmoniker bringen Brad Carrolls Partitur, die die große Zeit des Big-Band-Sounds wieder aufleben lässt, unter der Musikalischen Leitung von Musical-Kapellmeister William Ward Murta fulminant zu Gehör. Da kann bei mehr als 20 Musiker*innen im Orchestergraben absolut keine Rede von einem „Einsparorchester“ sein, das zeichnet Stadttheater noch immer gegenüber großen kommerziellen Produktionen aus.

„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Stadttheater Bielefeld, Jonas Hein (Max Garber) und Joshua Farrier (Tito Merelli). © Bettina Stöß

Dirk Audehm (Alfred P. Doolittle in „My fair Lady“, Stadttheater Bielefeld) kommt als pragmatischem Direktor der Cleveland Grand Opera Henry Saunders die Aufgabe zu, diese vor der Pleite zu retten, aber der eigentliche Held des Musicals ist Folkwang Alumnus Jonas Hein (Jacob Grimm in „Jacob und Wilhelm – Weltenwandler“, Brüder Grimm Festspiele Hanau; gemeinsam mit Peter Lewys Preston als Bester Darsteller in einer Hauptrolle für den Deutschen Musical Theater Preis 2019 nominiert) als Assistent Max Garber: Er rettet die Aufführung von „Otello“, indem er unbemerkt von allen Zuschauern und Mitwirkenden als Otello in Giuseppe Verdis Oper einspringt. In der Otello-Maske erlebt er dann, wie seine eigene Freundin versucht, den vermeintlichen Star der Opernszene zu verführen. Um den Helden zu erobern, zieht Jeannine Michèle Wacker (Teenage Girl 2 in „Lazarus“, Jerusha Abbott in „Daddy Langbein (Daddy Long Legs)“, Stadttheater Bielefeld) als Maggie Saunders alle Register – und Max macht gute Miene zum bösen Spiel, denn als Otello bekommt er, was Maggie ihm im wahren Leben verwährt. Maggie schwebt dagegen in der Hebefigur aus „Dirty Dancing“ (Choreografie Dominik Büttner) wie auf Wolke sieben. Navina Heyne (Veronika in „Swing Mr. Jurmann – Briefe an Veronika“, Theater Bielefeld) agiert als Operndiva Diana Divane ebenso souverän wie fest entschlossen, als sie Tito Merelli beim Tête-à-Tête ein Potpourri ihrer Rollen vorträgt. Dass Carmen in Ermangelung einer Rose schließlich mit einer Toilettenbürste zwischen den Lippen erscheint, ist wohl auch der ungewöhnlichen Lokalität geschuldet. Heldentenor Joshua Farrier hat als Tito Merelli hingegen ganz andere Probleme: Seine temperamentvolle Frau Maria hat ihn im Streit verlassen, er hat versehentlich viel zu viele Tabletten genommen und sein Magen macht ohnedies Probleme. Da er daraufhin seinen Auftritt verschläft, wird er auch noch von Max und Henry für tot gehalten. Zu gerne würde er nach seiner aufbrausenden Gattin suchen, aber die Umstände hindern ihn. Tito und Maria sind ein herrlich gegensätzliches Paar. Als Maria hat Roberta Valentini (Molly Jensen in „Ghost – Das Musical“, Operettenhaus Hamburg; Rosalind Franklin/Claire M. Fraser in „Das Molekül“, Stadttheater Bielefeld) Gelegenheit, ihre komische Seite zu präsentieren. Sie macht dies schlichtweg grandios, ist einfach umwerfend im Duett „Facciamo l’amor“ (Lass uns Liebe machen) mit ihrem Gatten, in dem sie nach Rossini-Manier musikalisch darum streiten, wie viele Pillen zur Beruhigung des Magens jetzt gut wären. Ein Musical, das in der Oper spielt, kommt nicht ohne Opernparodien aus, und es gelingt den Musicaldarstellern in Bielefeld, auch diese Aufgabe zu meistern, während der Opernchor einen Ausflug ins Musicalfach macht, sich selbst spielt, aber auch und teilweise Solorollen übernimmt. Evelina Quilichini und Franziska Hösli sind zwei von Henry Saunders Exfrauen, die dritte ist Musicaldarstellerin Michaela Thiel (Wendla Bergmann in „Frühlings Erwachen (Spring Awakening)“, Stadttheater Bielefeld; Jen in „John & Jen“, Theater am Alten Markt, Bielefeld).

„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Stadttheater Bielefeld, Michaela Thiel (Anna 3), Evelina Quilichini (Anna 1), Franziska Hösli (Anna 2), Jeannine Michèle Wacker (Maggie Saunders); Bielefelder Opernchor. © Bettina Stöß

„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“ wurde am Premierenabend vom Publikum mit langanhaltendem Stehapplaus gefeiert, und noch während des Schlussapplauses wird die Drehbühne eingesetzt. In jedem neu erscheinenden Schauplatz stehen Hauptdarsteller und lösen sich zum Verbeugen aus der Kulisse. Folgevorstellungen von „Otello darf nicht platzen! – Das Musical“ sind bis zum 9. Januar 2020 disponiert. Da Roberta Valentini vom 20. bis 22. September 2019 in „Sylvester Levay & his Friends – The Musicals of Kunze & Levay in Concert“ am Shanghai Culture Square Theatre auf der Bühne stehen wird, übernimmt Carina Sandhaus (Jessica in „Wahnsinn! Das Musical mit den Hits von Wolfgang Petry“) am 21. September 2019 die Rolle der Maria Merelli.

„Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Stadttheater Bielefeld, Jeannine Michèle Wacker (Maggie Saunders) und Jonas Hein (Max Garber als Otello). © Bettina Stöß

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