„Catch me if you can“ am Staatstheater Nürnberg

„Catch me if you can“ – nach dem gleichnamigen DreamWorks Spielfilm (2002) mit Leonardo DiCaprio und Tom Hanks; Musik: Marc Shaiman; Gesangstexte: Marc Shaiman und Scott Wittman; Buch: Terrence McNally; Deutsche Bearbeitung: Werner Sobotka; Regie: Gil Mehmert; Choreografie: Melissa King; Bühne: Jens Kilian; Kostüme: Falk Bauer; Licht-Design: Kai Luczak Karl Wiedemann; Illustrationen: Fufu Frauenwahl; Dramaturgie: Wiebke Hetmanek; Musikalischer Leitung: Jürgen Grimm. Darsteller: David Jakobs (Frank Abagnale Jr.), Dirk Weiler (Frank Abagnale Sr., Agent Brandon, Schneider), Alexandra Farkic (Paula Abagnale, Stewardess Nellie, Showgirl, Krankenschwester u. a.), Rob Pelzer (Carl Hanratty), Inga Krischke (Brenda Strong, Showgirl, Stewardess Shellie u. a.), Peter Lesiak (Roger Strong, Agent Dollar, Richter, Pilot, Arzt, Showtänzer u. a.), Tanja Schön (Carol Strong, Showgirl, Diane, Stewardess Wendykendy, Krankenschwester u. a.), Tim Hüning (Agent Cod, Jack Barnes, PANAM-Chef, Arzt, Showtänzer, Barkeeper u. a.), Christian Louis-James (Streber, Pilot, Assistenzarzt, Showtänzer u. a.), Yara Hassan (Dance Captain, Callgirl Cheryl-Ann, Showgirl, Stewardess, Krankenschwester, Elmers Klebstoff u. a.), Robert Johansson (Sportier, Pilot, Arzt, Showtänzer, Mitch u. a.), Adrian Hochstrasser (Schalterbeamter, Kellner, Hotelmanager, Pilot, Dr. Wanamaker, Showtänzer u. a.), Amber-Chiara Eul (Betty, Showgirl, Stewardess Cindy, Krankenschwester, Kalligrafie-Tusche u. a.), Anneke Brunekreeft (Direktorin, Showgirl, Stewardess Mindy, Krankenschwester, Schweizer Messer u. a.). Broadway Premiere: 10. April 2011, Neil Simon Theatre, New York City. Europäische Erstaufführung: 24. Oktober 2013, Kammerspiele, Wien. Deutsche Erstaufführung: 30. Januar 2015, Staatsoperette Dresden. Premiere: 6. Oktober 2018, Staatstheater Nürnberg



„Catch me if you can“


Die Geschichte des Hochstaplers Frank W. Abagnale Jr. als Musical am Staatstheater Nürnberg


Frank William Abagnale Jr. (* 27. April 1948 in Bronxville, New York) wuchs mit drei Geschwistern in New Rochelle, New York auf. Seine französische Mutter Paulette und sein Vater Frank Abagnale Sr. trennten sich, als Frank 12 Jahre alt war. Vier Jahre später ließen sie sich scheiden, und Frank nutze die Kreditkarte seines Vaters, um Scheingeschäfte abzuwickeln und sich Bargeld zu beschaffen. Die Schulden in Höhe von $ 3.400 musste sein Vater begleichen. Nach dem beruflichen und gesellschaftlichem Abstieg des Vaters riss Frank im Alter von 16 Jahren 1964 mit einem Scheckbuch und 200 Dollar auf dem Konto nach New York City aus, wo er sich zunächst mit Gelegenheitsjobs durchschlug. Nachdem er sich in seinem Führerschein kurzerhand um 10 Jahre älter gemacht hatte, bestritt er seinen Lebensunterhalt mit ungedeckten Schecks und eröffnete unter falschem Namen Konten bei verschiedenen Banken. Um seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen, gab er sich als Kopilot von Pan American World Airways aus, als so genannter Deadhead bereiste er weltweit 26 Länder und konnte in seiner Uniform überall seine gefälschten Schecks einlösen. Nachdem seine wahre Identität bei einem Dead-Head-Flug in New Orleans beinahe enttarnt wurde, tauchte er für einige Zeit unter dem Pseudonym Frank Williams in Georgia unter, wo er bald übergangsweise als Oberarzt tätig wurde. Nach elf Monaten wurde ihm bei einem Notfall jedoch bewusst, dass er damit das Leben der Patienten aufs Spiel setzt, und er zog weiter.

„Catch me if you can“, Staatstheater Nürnberg, David Jakobs (Frank W. Abagnale Jr.) und Rob Pelzer (Carl Hanratty). Foto: Pedro Malinowski

Als nächstes gab er sich in Louisiana als Jurist mit Havard-Abschluss aus und bekam im Alter von 19 Jahren einen Job bei der Staatsanwaltschaft. Als sich ein echter Havard-Absolvent für seinen Hintergrund interessiert und Fragen stellt, geht er diesen lieber aus dem Weg. Frank wurde 1969 nach sieben Jahren auf der Flucht in Frankreich verhaftet und im Gefängnis von Perpignan inhaftiert. Nach einem halben Jahr wurde er nach Schweden ausgeliefert und saß im Gefängnis in Malmö ein. Nach weiteren sechs Monaten wurde er in die Vereinigten Staaten ausgeliefert, wo er zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. 1974 wurde er unter der Bedingung vorzeitig aus der Justizvollzugsanstalt in Petersburg, Virginia entlassen, den Behörden bei der Aufklärung von Betrug und Fälscherei zu helfen. Nach einigen erfolglosen Gelegenheitsjobs bot er Banken seine Dienste als Sicherheitsberater an, und auch beim FBI war seine Expertise gefragt. In Tulsa, Oklahoma gründete Frank „Abagnale & Associates“, das Unternehmen bei Betrugsfällen berät.

„Catch me if you can“, Staatstheater Nürnberg, David Jakobs (Frank W. Abagnale Jr.) und Ensemble. Foto: Pedro Malinowski

Mit Unterstützung von Stan Redding verfasste Frank William Abagnale Jr. seine Autobiografie (Frank W. Abagnale, Jr., Stan Redding: Catch me if you can: the amazing true story of the youngest and most daring con man in the history of fun and profit. Grosset & Dunlap, New York 1980). Die Filmrechte hatte er bereits kurz nach Erscheinen verkauft, doch erst 2002 kam die Verfilmung von Steven Spielberg mit Leonardo DiCaprio als Frank W. Abagnale Jr. und Tom Hanks als FBI-Agent Carl Hanratty in die Kinos, die in einigen Details zugunsten einer dramatischeren Erzählung gegenüber der Autobiografie abweicht. Es war womöglich nur eine Frage der Zeit, den Stoff für die Musical-Bühne zu adaptieren: Komponist und Texter Marc Shaiman („Hairspray“, „Charlie and the Chocolate Factory“), Texter Scott Wittman („Hairspray“, „Charlie and the Chocolate Factory“) und Dramatiker Terrence McNally („Kiss of the Spider Woman“, „Ragtime“, „The Full Monty“, „Anastasia“) nahmen sich der Sache an, und nach einer Tryout-Produktion am 5th Avenue Theatre in Seattle im Sommer 2009 kam das Musical „Catch me if you can“ am Neil Simon Theatre am Broadway (Premiere 10. April 2011) heraus, Norbert Leo Butz (Carl Hanratty) wurde mit einem Tony Award als Bester Hauptdarsteller in einem Musical ausgezeichnet. Werner Sobotka besorgte die Deutsche Bearbeitung und inszenierte die europäische Erstaufführung an den Wiener Kammerspielen (Premiere 24. Oktober 2013). Die Deutsche Erstaufführung ging schließlich an der Staatsoperette Dresden (Premiere 30. Januar 2015) über die Bühne, Werner Sobotka führte wiederum Regie. Mit der Produktion am Staatstheater Nürnberg in der Inszenierung von Gil Mehmert hat Staatsintendant Jens-Daniel Herzog daselbst seinen ersten Musical-Coup gelandet.

„Catch me if you can“, Staatstheater Nürnberg, David Jakobs (Frank W. Abagnale Jr.) und Ensemble. Foto: Pedro Malinowski

Regisseur Gil Mehmert („West Side Story“, Theater Dortmund & DomplatzOpenAir in Magdeburg; „Hair – The American Tribal Love Rock Musical“, Bad Hersfelder Festspiele & Staatstheater am Gärtnerplatz, München; „Knockin’ On Heaven’s Door – Das Rock’n Road Musical“, Häbse-Theater Basel & Pina Bausch Theater, Essen; „Wahnsinn! Das Musical mit den Hits von Wolfgang Petry“, Theater am Marientor, Duisburg; „Sunset Boulevard“, Opernhaus Bonn & Theater Dortmund) lässt Frank W. Abagnale, Jr. sein Leben in einer fiktiven TV-Show erzählen, nachdem er von FBI-Agent Carl Hanratty am Flughafen von Maimi verhaftet wurde. Indem Frank zum Showmaster seiner eigenen Show wird, bekommt er die Gelegenheit, auch Szenen zu kommentieren, in denen er selbst eigentlich gar nicht mitspielt. Gil Mehmert folgt dem Buch von Terrence McNally ohne Umschweife und bringt eine mitreißende Vorstellung auf die Bühne, wobei er auf ein bewährtes Team und Darsteller*innen vom Fach zurückgreifen kann. Choreografin Melissa King („Hair – The American Tribal Love Rock Musical“, Bad Hersfelder Festspiele & Staatstheater am Gärtnerplatz, München; „Sunset Boulevard“, Opernhaus Bonn & Theater Dortmund) kann bei einem solchem Ensemble aus dem Vollen schöpfen und hat mit diesem rasante, energiegeladene Choreografien einstudiert, die beispielsweise bei „Brich kein Gesetz“, „Butter aus der Milch“ oder „Familienclan“ für Begeisterung sorgen. Jens Kilian („West Side Story“, Theater Dortmund & DomplatzOpenAir in Magdeburg; „Hair – The American Tribal Love Rock Musical“, Bad Hersfelder Festspiele & Staatstheater am Gärtnerplatz, München) hat mit einer mittigen Drehtür und zwei geschwungenen (Show-)Treppen rechts und links, die durch LEDs im Inneren verschiedenfarbig beleuchtbar sind, ein Grundbühnenbild geschaffen, das sich durch wenige von den Darsteller*innen auf die Bühne gebrachte Requisiten in die jeweiligen Schauplätze der Szenen verwandeln lässt. Fufu Frauenwahl, mit dem Gil Mehmert bereits bei „Candide“, „Die Hexen von Eastwick“ und „Goethe! Auf Liebe und Tod“ zusammengearbeitet hat, vervollständigt das Bühnenbild mit seinen Illustrationen im oberen Bereich des Bühnenprospekts vortrefflich. Falk Bauer („West Side Story“, Theater Dortmund & DomplatzOpenAir in Magdeburg) hat das Kostümdesign auf die 1960er-Jahre zugeschnitten. Das zwölfköpfige „Frank Abagnale Junior Orchestra“ ist für die Zuschauer jederzeit sichtbar in zwei Gruppen im hinteren Bühnenbereich neben/unter den (Show-)Treppen angeordnet und bringt Marc Shaimans Partitur mit einer Mischung aus Pop, Jazz und Swing unter der Musikalischen Leitung von Jürgen Grimm gekonnt stimmig zu Gehör. Dank präziser tontechnischer Abmischung ist auch die Textverständlichkeit der Darsteller*innen tadellos, warum kann das nicht in allen Theatern so sein!?

„Catch me if you can“, Staatstheater Nürnberg, Rob Pelzer (Carl Hanratty) und Ensemble. Foto: Pedro Malinowski

Das vierzehnköpfige Ensemble wird von Folkwang Alumnus David Jakobs (Quasimodo in „Der Glöckner von Notre Dame“, Apollo Theater, Stuttgart, Deutsches Theater München & Theater des Westens, Berlin; Che in „Evita“, Opernhaus Bonn; Claude in „Hair – The American Tribal Love Rock Musical“, Staatstheater am Gärtnerplatz, München; Judas in „Jesus Christ Superstar“, Theater Dortmund & Opernhaus Bonn; Bruno Lubanski in „Das Wunder von Bern“) und Rob Pelzer (Musical-Ensemble des Landestheaters Linz; Carmen Ghia in „The Producers“, Admiralspalast, Berlin & Ronacher, Wien; Wolfgang Amadeus Mozart alternierend in „Mozart!“, Theater an der Wien) angeführt. David Jakobs verleiht dem sympathischen, jugendlichen Trickbetrüger Frank W. Abagnale, Jr. so meisterhaft Gestalt, dass er auf einer Woge der Sympathie des Publikums durch die Show getragen wird. Rob Pelzer verfolgt in der Rolle des kleinen, grauer FBI-Agenten Carl Hanratty als Antagonist dienstbeflissen bis zur Selbstaufgabe sein Ziel, Frank W. Abagnale Jr. zu verhaften. Dennoch übernimmt Carl Hanratty nach dem gesellschaftlichen Scheitern seines eigenen Vaters für Frank die Vaterrolle, und beide entdecken ihre gegenseitige Sympathie, um am Ende festzustellen, dass sie aneinander hängen („Seltsam, aber wahr“). Die übrigen 12 Darsteller*innen bekleiden jeweils bis zu sechs Rollen, spielen, singen und tanzen gleichermaßen mit Elan und Spielfreude, wo bekommt man sonst bei Musical-Produktionen im Stadt- Bzw. Staatstheaterbereich ein komplett mit Musical-Darsteller*innen besetztes Ensemble zu sehen!?

„Catch me if you can“, Staatstheater Nürnberg, David Jakobs (Frank W. Abagnale Jr.) und Inga Krischke (Brenda Strong). Foto: Pedro Malinowski

Folkwang Alumnus Dirk Weiler ist in der Rolle von Franks Vater Frank Abagnale Sr. tragischerweise zum Scheitern verurteilt, ursprünglich ein Vorbild für seinen Sohn lässt ihn sein gesellschaftlicher Abstieg zum Trinker werden, sein Tod wird von Carl Hanratty nur noch beiläufig erwähnt. Alexandra Farkic hat als Franks wunderschöne Mutter Paula Franks Vater in Frankreich kennengelernt, die beiden haben sich aber in den all den Jahren auseinandergelebt. Folkwang Alumna Inga Krischke kann als junge Krankenschwester Brenda Strong, in die sich Frank W. Abagnale Jr. verliebt, nachhaltig auf sich aufmerksam machen, ihr bewegender Song „Flieg, flieg ins Glück“ mit den Showgirls Anneke Brunekreeft, Yara Hassan und Alexandra Farkic in der Konstellation von „Diana Ross & The Supremes“ wird vom Publikum heftig akklamiert. Mit David Jakobs harmoniert sie im Duett „Sieben Wunder“ wunderbar. Tanja Schön und Peter Lesiak bleiben als Brendas traditionelle Mutter Carol bzw. Brendas konservativer, strenger Vater Roger in Erinnerung, der sich als sehr romantisch herausstellt. Dirk Weiler, Peter Lesiak und Tim Hüning unterstützen als FBI-Agenten Brendon, Dollar und Cod Carl Hanrattys Verfolgungsjagd, die für ihn zur Obsession wird.

„Catch me if you can“, Staatstheater Nürnberg, Rob Pelzer (Carl Hanratty), David Jakobs (Frank W. Abagnale Jr.) und Dirk Weiler (Frank Abagnale Sr.). Foto: Pedro Malinowski

Das Premierenpublikum feierte Darsteller*innen und Kreative auf der Bühne mit langanhaltendem überschwänglichen Applaus als Lohn für eine vollauf überzeugende Vorstellung. „Catch me if you can“ steht bis 20. Juli 2019 auf dem Spielplan des Staatstheaters Nürnberg, die nächsten Vorstellungen sind für 9., 19. und 26. Oktober 2018 disponiert. Den an den Hintergründen zur Show interessierten Besuchern sei an dieser Stelle noch das 36-seitige Programmheft mit Beiträgen von Dramaturgin Wiebke Hetmanek („Fang mich doch!“), Regisseur Gil Mehmert („Eine Lebensphilosophie mit Show-Charakter“) und Zitaten aus Frank W. Abagnale, Stan Redding: Mein Leben auf der Flucht, Die unglaublichen Abenteuer eines Hochstaplers. München 2001 sowie Anett Kollmann, Mit fremden Federn, Eine kleine Geschichte der Hochstapelei. Hamburg 2018 empfohlen, welches zu einem wirklich fairen Preis im Theater feilgeboten wird.

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