„Die letzten fünf Jahre“ („The last five years“) – Musik, Lyrics, Buch: Jason Robert Brown; Deutsche Bearbeitung: Wolfgang Adenberg; Inszenierung, Bühne, Kostüme: Gil Mehmert; Musikalische Leitung: Christoph Wohlleben. Darsteller: Bettina Mönch (Cathy Hiatt) und Armin Kahl (Jamie Wellerstein). Band: Christoph Wohlleben (Klavier), Takashi Bernhöft (Violine), Pirkko Langer (Violoncello 1), Kate Green (Violoncello 2), Rüdiger Nass (Gitarre), Alex Uhl (Bass). Uraufführung: 23. Mai 2001, Northlight Theatre, Skokie, Illinois. Off-Broadway Premiere: 3. März 2002, Minetta Lane Theatre, New York City. Off West End Premiere: 28. Oktober 2016, St. James Theatre, London. Deutsche Erstaufführung: 18. Juni 2005, Rex-Theater Wuppertal. Österreichische Erstaufführung: 24. November 2007, Kammeroper Wien. Premiere: 31. Juli 2020, Stiftsruine Bad Hersfeld.
„Die letzten fünf Jahre“ („The last five years“)
Das Kammermusical im Rahmen des „anderen Sommers“ in der Stiftsruine Bad Hersfeld
Jason Robert Brown machte in New York City erstmals mit seinem Liederzyklus „Songs for a New World“ (Uraufführung 11. Oktober 1995, WPA Theatre, New York City) auf sich aufmerksam, den Gil Mehmert in der kommenden Spielzeit am Opernhaus Dortmund (Premiere 27. September 2020) inszenieren wird. Drei Jahre nach der Uraufführung des Liederzyklus feierte das Musical „Parade“ (Uraufführung 17. Dezember 1998, Vivian Beaumont Theater im Lincoln Center, New York City) seine Uraufführung am Broadway, für das Jason Robert Brown 1999 mit dem Tony Award in der Kategorie Best Original Score ausgezeichnet wurde. In dem Kammermusical „The last five years“ (Uraufführung 23. Mai 2001, Northlight Theatre, Skokie, Illinois) verarbeitete er seine erste gescheiterte Ehe mit Theresa O’Neil. Jason Robert Brown wurde für das Zwei-Personen-Stück zwar mit zwei Drama Desk Awards in den Kategorien Outstanding Music und Outstanding Lyrics ausgezeichnet, aber „The last five years“ war kein kommerzieller Erfolg, die New Yorker Produktion wurde nach zwei Monaten am 5. Mai 2002 wieder abgesetzt. Die deutsche Fassung von Wolfgang Adenberg hatte am 18. Juni 2005 im Rex-Theater Wuppertal mit Charlotte Heinke und Patrick Stanke Premiere, Regie führten Daniel Witzke und Christoph Drewitz. Die überwiegend positv rezensierte Londoner Revival Produktion mit Molly Lynch und Oli Higginson in einer Inszenierung von Jonathan O’Boyle am Southwark Playhouse (Premiere 4. März 2020) wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie bereits am 18. März 2020 geschlossen.
„Ein anderer Sommer“: „Die letzten fünf Jahre“, Bettina Mönch (Cathy Hiatt). Foto Steffen Sennewald. © Bad Hersfelder Festspiele
Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurden auch die 70. Bad Hersfelder Festspiele 2020 Mitte April diesen Jahres abgesagt. Da Kulturveranstaltungen unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsregelung der jeweils gültigen Corona-Schutzverordnung wieder stattfinden dürfen, wurde das Festival „Bad Hersfeld – Stadt der Geschichten“ unter dem Motto „Ein anderer Sommer“ organisiert, das an fünf Wochenenden im Juli und August 2020 mit rund 100 Veranstaltungen Konzerte, Schauspiel, Kabarett, Lesungen, Malaktionen, Gastspiele, Talkrunden, Ausstellungen, Nachtschichten und Liederabende bietet. Während ursprünglich die Uraufführung von „Goethe! – Das Musical“ von Martin Lingnau (Musik), Frank Ramond (Liedtexte) und Gil Mehmert (Buch) in einer Inszenierung von Gil Mehmert mit Sabrina Weckerlin (Lotte Buff) und Philipp Büttner (Johann Wolfgang Goethe) vorgesehen war, hatte man sich im Rahmen des „anderen Sommers“ auf das Kammermusical „Die letzten fünf Jahre“ in einer Inszenierung von Gil Mehmert in der Stiftsruine am dritten Festivalwochenende und das Konzert „And the world goes ’round“ mit Bettina Mönch (Gesang) und Gil Mehmert (Gitarre) in der Krypta der Stiftruine am zweiten Festivalwochenende verständigt.
„Ein anderer Sommer“: „Die letzten fünf Jahre“, Armin Kahl (Jamie Wellerstein). Foto Steffen Sennewald. © Bad Hersfelder Festspiele
„Die letzten fünf Jahre“ ist ein emotional kraftvolles und intimes Musical, das die Geschichte von Jamie und Cathy erzählt, zwei New Yorker Twens, die sich im Laufe von fünf Jahren verlieben, heiraten und wieder trennen. Als für den aufstrebenden Autor Jamie mit der Veröffentlichung seines Buches ein Traum in Erfüllung geht, kämpft die Schauspielerin Cathy darum, Arbeit zu finden und zu verstehen, wie sich ihre Karriere entwickelt hat. Kann ein Paar, das einmal durch seine Träume vereint war, in Verbindung bleiben, wenn man sich auseinanderlebt? Jamie erzählt seine Erlebnisse vom ersten Kennenlernen an, während Cathy ihre gemeinsamen fünf Jahre rückwärts Revue passieren lässt. Die beiden Erzählstränge treffen sich bei der Hochzeit für einen Moment.
„Ein anderer Sommer“: „Die letzten fünf Jahre“, Bettina Mönch (Cathy Hiatt) und Armin Kahl (Jamie Wellerstein). Foto Steffen Sennewald. © Bad Hersfelder Festspiele
Gil Mehmert („Grand Hotel“, Folkwang Universität der Künste, Essen, Premiere 19. November 2020; „Himmel und Kölle“, Volksbühne am Rudolfplatz, Köln, Premiere 29. Oktober 2020; „Songs for a new world“, Opernhaus Dortmund, Premiere 27. September 2020; „Wüstenblume“, Theater St. Gallen, Uraufführung 22. Februar 2020, Wiederaufnahme 20. November 2020; „Jekyll & Hyde“, Opernhaus Dortmund, Premiere 12. Oktober 2019, Wiederaufnahme 28. Februar 2021; „Das Wunder von Bern“, Theater an der Elbe, Hamburg, Uraufführung: 23. November 2014), der auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnet, hat „Die letzten fünf Jahre“ auf der im Langhaus vor dem Westwerk angeordneten Bühne mit viele Liebe zum Detail in Szene gesetzt, man beachte den Umschlag von Jamie Wellersteins Buch auf dem Foto. Ein Tisch und zwei Stühle mitsamt der in zwei Umzugskartons verstauten Kostüme und Requisiten reichen völlig aus, um den 14 Szenen den jeweils passenden Rahmen zu geben: Ein Tisch ist ein Tisch, eine Wand, ein Ruderboot, eine Kirchenbank, eine Telefonzelle… (Manches Detail geht über die große Distanz womöglich doch verloren, das markante „West Side Story“-Songbook ist sicher leichter zu erkennen als das Buchcover von Jamies Buch „The Mermaid“.) Aufgrund des trotz des bisher heißesten Tages diesen Jahres geschlossenen Zeltdaches von Frei Otto kommt die stimmungsvolle Beleuchtung der Szenen auch schon zu Beginn der Aufführung vor Sonnenuntergang zur Geltung. Beide Darsteller*innen befinden sich nahezu die gesamte Aufführung auf der Bühne, lediglich Bettina Mönchs Kostümwechsel vollziehen sich für die Zuschauer nicht sichtbar hinter der Bühne. Durch die gegenläufige Erzählstruktur ist vom ersten Song „Ich steh weinend da“ („Still hurting“) an klar, dass Cathys und Jamies Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, Cathy möchte nicht nur im Schatten des Erfolges ihres Mannes stehen und Jamie lässt sich irgendwann auf Affären ein.
„Ein anderer Sommer“: „Die letzten fünf Jahre“, Bettina Mönch (Cathy Hiatt). Foto Steffen Sennewald. © Bad Hersfelder Festspiele
Bettina Mönch („Songs for a new world“, Opernhaus Dortmund, Regie Gil Mehmert, Premiere 27. September 2020; Lucy in „Jekyll & Hyde“, Opernhaus Dortmund, Regie Gil Mehmert, Premiere 12. Oktober 2019, Wiederaufnahme 28. Februar 2021; Sally Bowles in „Cabaret“, Volksoper Wien, Regie Gil Mehmert, Wiederaufnahme 22. Oktober 2020, Opernhaus Dortmund, Regie Gil Mehmert, Premiere September 2021) und Armin Kahl (Tick in „Priscilla – Queen of the Desert“, Theater St. Gallen, Regie Gil Mehmert, Premiere 23. Februar 2019; Dr. Fritz Hagedorn in „Drei Männer im Schnee“, Staatstheater am Gärtnerplatz, München, Regie Josef E. Köpplinger, Uraufführung 31. Januar 2019; Tick in „Priscilla – Königin der Wüste“, Staatstheater am Gärtnerplatz, München, Regie Gil Mehmert, Premiere 14. Dezember 2017; Benedikt Schack in „Schikaneder – Die turbulente Liebesgeschichte hinter der Zauberflöte“, Raimund Theater Wien, Regie Trevor Nunn, Uraufführung 30. September 2016) haben „The last five years“ schon einmal 2007 im Festspielhaus Bregenz – vom 27. Januar bis 4. März 2007 Aufführungsort des Musicals „Aida“, in dem beide mitgespielt haben – im Panorama-Saal in einer konzertanten Fassung mit den englischen Texten von Jason Robert Brown aufgeführt, in Bad Hersfeld wird die deutsche Fassung von Wolfgang Adenberg gespielt. Der ein oder andere kennt bestimmt das Phänomen, dass sich englische Songtexte geradezu ins Gedächtnis „einbrennen“ und sich deutsche Texte später total ungewohnt anhören. Das Zwei-Personen-Stück lebt von der Präsenz der Darsteller*innen, die mit Bettina Mönch und Armin Kahl herausragend besetzt sind. Beide können in ihren Rollen darstellerisch und gesanglich brillieren, singen stimmschön, klar und textverständlich und wissen das Publikum für sich einzunehmen. Während Bettina Mönch über weite Strecken eher der melancholische Part zukommt, verkörpert Armin Kahl parallel den optimistischen Part, sein „Lied von Schmuel“ („The Schmuel Song“) hat den ein oder anderen sicher schmunzeln lassen. Die sechsköpfige Band in der vom Verlag vorgesehenen Besetzung (Violine, Violoncello 1 und 2, Gitarre, Bass, Klavier) unter der Musikalischen Leitung von Christoph Wohlleben am Klavier bringt die Stimmen der beiden herausragenden Darsteller*innen sehr gut zur Geltung und lässt Jason Robert Browns Partitur niemals langweilig erscheinen.
„Ein anderer Sommer“: „Die letzten fünf Jahre“, Armin Kahl (Jamie Wellerstein). Foto Steffen Sennewald. © Bad Hersfelder Festspiele
Das Premierenpublikum bedachte Darsteller*innen und Musiker*innen, die auch beim Schlussapplaus zu acht auf der breiten Bühne den erforderlichen Mindestabstand einhalten konnten, mit langanhaltendem Applaus für eine berührende, überzeugende Aufführung.
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