„Der Mann von La Mancha“ bei den Schlossfestspielen Ettlingen


„Der Mann von La Mancha“ – nach dem Roman „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ („Don Quijote“) von Miguel de Cervantes (1605/1615) und „I, Don Quixote“ von Dale Wasserman (1959); Musik: Mitch Leigh; Liedtexte: Joe Darion; Buch: Dale Wasserman; Deutsche Bearbeitung: Robert Gilbert; Regie: Felix Seiler; Choreografie: Danny Costello; Bühne: Christian Held; Kostüme: Linda Schnabel; Regieassistenz: Joyce Diedrich; Musikalische Leitung: Adrian Sieber. Darsteller: Frank Winkels (Miguel de Cervantes/Alonso Quijano, ein Landjunker, genannt „Don Quijote“), Sören Ergang (Diener/Sancho Panza, Alonso Quijanos Knappe), Thomas Jan Delsky (Hauptmann/Maultiertreiber Tenorio), Dalma Viczina (Aldonza, Magd/Dulcinea), Raphael Dörr (Gouverneur/Gastwirt), Tobias Rusnak (Dr. Sanson Carrasco/Herzog), Valentina Inzko Fink (Antonia, seine Braut/Fermia, Dienstmädchen/Maurin), Timothy Roller (Maultiertreiber Anselmo/Barbier), Dominik Doll (Maultiertreiber Paco), Max Meister (Maultiertreiber Juan/Padre), Marc Trojan (Pedro, Anführer der Maultiertreiber), Katja Brauneis (Haushälterin/Maria, Frau des Gastwirts). Statisterie: Michael Gröbel, Mirco Partala, Florian Schmitt, Thomas Weber. Band: Adrian Sieber (Gitarre), Paul Cervenec (Kontrabass), Markus Lindler (Klarinette, Bassklarinette), Michael Maisch (Trompete), Rolf Hille (Posaune), Marvin Stutz (Drums), Jenny Kühl (Klavier). Tryout: Sommer 1965, Goodspeed Opera House, East Haddam, Connecticut. Off-Broadway Premiere: 22. November 1965, ANTA Washington Square Theater, New York City. Broadway Premiere: 20. März 1968, Martin Beck Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 4. Januar 1968, Theater an der Wien, Wien. West End Premiere: 24. April 1968, Piccadilly Theatre, London. Premiere: 4. Juli 2019, Schlossfestspiele Ettlingen, Schlosshof.



„Der Mann von La Mancha“


Der unmögliche Traum vom unerreichbaren Stern


1605/1615 veröffentlichte Spaniens Nationaldichter Miguel de Cervantes Saavedra seinen Roman „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ („Don Quijote“) als Parodie auf die Ritterromane des späten Mittelalters, der Dale Wasserman (* 2. November 1914 in Rhinelander, Wisconsin, † 21. Dezember 2008 in Paradise Valley, Arizona) zur TV Episode „I, Don Quixote“ inspirierte, die am 9. November 1959 im Rahmen der CBS Serie „The DuPont Show of the Month“ ausgestrahlt wurde. Regisseur und Produzent Albert Marre schlug vor, das Stück für die Musicalbühne zu adaptieren, wofür Mitch Leigh die Musik schrieb und schließlich die Liedtexte von Joe Darion Verwendung fanden. Im Sommer 1965 fanden Tryout-Aufführungen von „Man of La Mancha“ am Goodspeed Opera House in East Haddam, Connecticut statt, am 22. November 1965 wurde das Musical Off-Broadway am ANTA Washington Square Theater mit Richard Kiley (Cervantes/Don Quijote), Irving Jacobson (Sancho Panza), Joan Diener (Aldonza/Dulcinea) u. a. uraufgeführt und am 20. März 1968 in das Martin Beck Theatre an den Broadway transferiert. Die Original­produktion wurde 1966 mit fünf Tony Awards ausgezeichnet, u. a. als Best Musical, und wurde bis 26. Juni 1971 in 2.328 Vorstellungen gezeigt. In der deutschsprachigen Erstaufführung am Theater an der Wien (Premiere 4. Januar 1968, Regie Dietrich Haugk) spielten Josef Meinrad (Cervantes/Don Quijote), Fritz Muliar (Sancho Pansa) und Blanche Aubry (Aldonza/Dulcinea) die Hauptrollen, Dagmar Koller spielte die Zweitbesetzung der Aldonza/Dulcinea. Allein am Braodway gab es vier Revival Produktionen, zuletzt 304 reguläre Vorstellungen vom 5. Dezember 2002 bis 31. August 2003 im Martin Beck Theatre mit Brian Stokes Mitchell (Cervantes/Don Quijote).

Schloss Ettlingen

Für „Man of La Mancha“ verwob Dale Wasserman die Lebensgeschichte des Schriftstellers Miguel de Cervantes Saavedra mit dessen Romanfigur Don Quijote: Cervantes wird von der spanischen Inquisition ins Gefängnis gesperrt. Seine Mithäftlinge führen ein Scheinverfahren und beschuldigen ihn, ein „Idealist, ein schlechter Dichter und ein ehrlicher Mann“ zu sein. Zu seiner Verteidigung bietet Cervantes an, eine „Scharade“ zu veranstalten, und fordert die Gefangenen auf, verschiedene Charaktere in seiner Erzählung darzustellen: Theater auf dem Theater. Die Scharade ist natürlich Cervantes’ Geschichte von Don Quijote und seinem Knappen Sancho Pansa. Auf der Suche nach Abenteuern, um alles Böse zu bekämpfen, kämpft Don Quijote in der irrigen Annahme gegen eine Windmühle, es handele sich um den großen Magier, Don Quijotes Todfeind. Sancho Pansa ist realistischer und weist seinen Herrn auf die Diskrepanz zwischen Realität und seinen Idealen hin, hält ihm aber die Treue. Don Quijote verwechselt eine heruntergekommene Schenke mit einer Burg und das leichte Mädchen Aldonza mit dem Burgfräulein Dulcinea. Obwohl ihm Aldonza ihre wahre Identität drastisch vor Augen führt, schützt er sie mit seinem Diener vor den Übergriffen der Maultiertreiber, die sich boshaft an ihr vergehen. Da sich Alonso Quijano durch seinen Geisteszustand zum Gespött des ganzen Landes macht, sehen seine Nichte Antonia und ihr Verlobter Dr. Sanson Carrasco ihre Hochzeit gefährdet. Als Spiegelritter verkleidet streckt Dr. Carrasco Don Quijote nieder, der sich im Spiegel schließlich als alter Narr erkennt. Der Kampf um das Gute scheint verloren, doch Aldonza erinnert Alonso Quijano am Sterbebett geläutert an seinen Traum. Am Ende der Scharade akzeptieren die Mithäftlinge Cervantes’ Verteidigung und raten ihm, sich vor der Inquisition ebenso klug zu verteidigen wie bei ihnen.

Ich habe „Der Mann von La Mancha“ in der Inszenierung von Jürgen Schwalbe am Jungen Theater Casa Nova, Essen (Premiere 25. September 1994) das letzte Mal vor knapp 25 Jahren mit Paul Kribbe (Cervantes/Don Quixote), Carlo Lauber (Sancho Pansa), Carolin Fortenbacher (Aldonza/Dulcinea) u. a. gesehen, ein Jahr zuvor wurde dort die deutschsprachige Erstaufführung von „Jimmy Dean“ von Michael Berger (Musik) und Luc Plamondon (Libretto) in der deutschen Fassung von Diana Anders und Jürgen Schwalbe (Premiere 26. September 1993, Regie Jürgen Schwalbe) mit Andreas Bieber (Junger Mann/James Dean), Ulrike Frank (Junges Mädchen), Carolin Fortenbacher (Pier Angeli) und Erwin Bruhn (Pfarrer James DeWeerd) gezeigt, das Ticket gab es für 10,50 DM (einschließlich kostenloser Hin- und Rückfahrt mit allen VRR-Verkehrsmitteln). Heute unvorstellbar… Glorifizierung der Vergangenheit, keine Frage, jedenfalls würde es jede neuerliche Produktion von „Der Mann von La Mancha“ schwer haben, gegen diese Erinnerung zu bestehen. Mein letzter Besuch der Schlossfestspiele Ettlingen ist zwar noch nicht so lange her, es muss im letzten Jahr der Intendanz von Jürgen Flügge bei „Anything Goes“ gewesen sein, aber zumindest wurde zu der Zeit noch unter freiem Himmel gespielt. Das neue Dach ist zwar schick, macht aber längst nicht so viel her wie das Zeltdach von Frei Otto über der Stiftsruine Bad Hersfeld, obendrein kann es bei gutem Wetter nicht auf die Schnelle geöffnet werden. Bei Regen wird natürlich jeder froh sein, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben.

Während „Der Mann von La Mancha“ im Original ein Einakter mit 23 Szenen ist, hat Regisseur Felix Seiler („The Addams Family“, Theater Osnabrück, Premiere 11. März 2017; „Der Graf von Monte Christo“, Stadttheater Bremerhaven, Premiere 21. September 2019) – oder wer auch immer – in Ettlingen aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen einen Zweiakter mit einer Pause nach dem Song „Der unmögliche Traum“ daraus gemacht, womit die Aufführung erst um 23.10 Uhr beendet ist. Und ich dachte, Open-Air-Veranstaltungen seien aus Lärmschutzgründen im Sommer bis 23 Uhr zu beenden, falsch gedacht… Felix Seiler hat das Musical als leichte Komödie inszeniert, die müheloslos für einen unterhaltsamen Abend sorgt. Danny Costello („Big Fish“, „Rebecca“) zeichnet für die Choreografie verantwortlich, in der Vergewaltigungsszene kann Ettlingen jedoch m. E. nicht gänzlich an die legendäre Choreografie von Lola Braxton bei der deutschsprachigen Erstaufführung am Theater an der Wien anknüpfen. Bühnenbildner Christian Held hat die Bühne im Schlosshof mit einfachen Mitteln in das Gefängnis verwandelt, in dem Miguel de Cervantes und die anderen Gefangenen von der Inquisition eingekerkert wurden, während sie auf ihre Verhandlung warten. Die nötigen Requisiten für die einzelnen Spielszenen werden von den Darsteller*innen selbst auf der Bühne platziert, vier Akteure übernehmen mit „Windmühlenflügeln“ auch die Darstellung der Windmühle, gegen die Don Quijote erfolglos ankämpft. Kostümbildnerin Linda Schnabel hat auf pompöse historisierende Kostüme aus der Entstehungszeit des Romans verzichtet, die obligatorische „Ritterrüstung“, mit der sich Miguel de Cervantes auf der Bühne in Don Quijote verwandelt, ist natürlich unverzichtbar. Jeweils zwei Darsteller schlüpfen in die Theaterkostüme von Don Quijotes Pferd Rosinante und Sancho Panzas Esel Rucio. Der Verlag (Tams-Witmark, A Concord Theatricals Company bzw. Felix Bloch Erben) sieht 17 Musiker für Aufführungen von „Der Mann von La Mancha“ vor, in Ettlingen bringen 8 Musiker Mitch Leighs Partitur unter der Musikalischen Leitung des Gitarristen Adrian Sieber, der auch für die Arrangements verantwortlich zeichnet, verlässlich zu Gehör. Doch selbst in der kleinen Bandbesetzung entfalten die wunderbaren Songs wie „Dulcinea“, „Kleiner Fink“, „Hab’ Deine Dulcinea“, „Aldonza“ und natürlich „Ich bin ich, Don Quijote“ und „Der unmögliche Traum“ ihren einzigartigen Reiz.

Das Ensemble wird in Ettlingen von Frank Winkels (Rumpelstilzchen in „Die Märchenwelt zur Kur bestellt“; Giuseppe Botazzi, genannt Peppone in „Don Camillo & Peppone“; Martin Luther im „Pop-Oratorium Luther – Das Projekt der tausend Stimmen“), Sören Ergang (Sigismund Sülzheimer in „Im weißen Rössl“, Euro-Studio Landgraf) und Dalma Viczina (Rosalia in „West Side Story“, Staatstheater Kassel) angeführt. Frank Winkels interpretiert die dankbare Doppelrolle des Dichters Miguel de Cervantes und des Landjunkers Alonso Quijano, in die der Dichter schlüpft, voller Hingabe und mit dem nötigen Ernst, aus dem die Komik des „Ritters von der traurigen Gestalt“ erwächst. Sein emotionaler „unmöglicher Traum“ von den edelsten Zielen des Menschen ist zweifellos einer der Höhepunkte des Abends. Sören Ergang stattet die Rolle des Dieners/Knappen Sancho Panza mit der ihr zugedachten Komödiantik aus. Die gebürtige Ungarin und Absolventin des Studiengangs Musical/Show an der UdK Berlin Dalma Viczina ist sich in der Rolle der Aldonza ihres eigenen Schicksals bewusst und bringt ihre Wut sehr gut zum Ausdruck. Bewegend erinnert sie den sterbenden Alonso Quijano geläutert an die Ehre des Don Quijote und an seine Dulcinea. Raphael Dörr (Gouverneur/Gastwirt), Tobias Rusnak (Dr. Sanson Carrasco/Herzog), Valentina Inzko Fink (Antonia, seine Braut), Katja Brauneis (Haushälterin/Maria, Frau des Gastwirts), Max Meister (Maultiertreiber Juan/Padre) und Timothy Roller (Maultiertreiber Anselmo/Barbier) komplettieren die Riege der Hauptdarsteller.

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