„Big Fish“ – nach der Novelle „Big Fish: A Novel of Mythic Proportions“ von Daniel Wallace (1998) und dem Fantasy-Drama „Big Fish“ von Tim Burton (2003). Musik und Liedtexte: Andrew Lippa; Buch: John August; Deutsche Bearbeitung: Nico Rabenald; Regie: Andreas Gergen; Choreographie: Danny Costello; Bühne und Projektionen: Sam Madwar; Kostüme: Ulli Kremer; Dramaturgie: Stephan Steinmetz; Musikalische Leitung: Heribert Feckler. Darsteller: Benjamin Oeser (Edward Bloom), Dennis Hupka (Will Bloom, Edwards und Sandras Sohn), Theresa Christahl (Sandra Templeton, Studentin an der Auburn University und die Verlobte von Don Price/
„Big Fish“
Sei der Held Deiner eigenen Geschichte!
2003 verfilmte Kultregisseur Tim Burton die Novelle „Big Fish: A Novel of Mythic Proportions“ von Daniel Wallace (1998). Das Kernthema des Films – lt. Lexikon des Internationalen Films eine „Hommage ans Geschichtenerzählen“ – ist der Konflikt zwischen dem fantasievollen Geschichtenerzähler Edward Bloom und dessen eher rationalem und nüchternem Sohn William. Die Musical-Adaption von Tim Burtons Fantasy-Drama wurde nach einer Tryout Produktion im Oriental Theatre in Chicago ab 5. September 2013 am Neil Simon Theatre am Broadway gezeigt, Premiere war am 6. Oktober 2013. „Big Fish“ von Andrew Lippa (Musik und Liedtexte) und John August (Buch) mit Norbert Leo Butz – zweimaliger Gewinner des Tony Award als Bester Hauptdarsteller in einem Musical für Freddy in „Dirty Rotten Scoundrels“ (2005) und Carl Hanratty in „Catch me if you can“ (2011) – als Edward Bloom in der Inszenierung von Susan Stroman – fünffache Gewinnerin des Tony Award, vier Tony Awards für die Beste Choreografie und ein Tony Award für die beste Musicalregie für „The Producers“ (2001) – wurde am Broadway nach 34 Previews und 98 regulären Vorstellungen geschlossen. Am 10. November 2016 zeigte die Bayerische Theaterakademie August Everding/Hochschule für Musik und Theater, München im Prinzregententheater die europäische und deutsche Erstaufführung von „Big Fish“ in der Inszenierung von Andreas Gergen in Kooperation mit dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, die ab dem 9. März 2019 auch in Gelsenkirchen zu sehen ist.
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Benjamin Oeser (Edward) und Birgit Mühlram (Meerjungfrau) © Karl und Monika Forster
Die Handlung von „Big Fish“ bewegt sich auf zwei Zeitachsen. In der heutigen, realen Welt muss sich der sechzigjährige Edward Bloom seiner Sterblichkeit stellen, während sein Sohn Will sich darauf vorbereitet, selbst Vater zu werden. Edward hat Will von Kindesbeinen an abenteuerliche Geschichten erzählt, aus denen er regelmäßig als strahlender Held hervorgeht. Im Bilderbuch der Vergangenheit wächst Edward von einem Teenager heran und begegnet einer Meerjungfrau, einer Hexe, einem Riesen, einem Zirkusdirektor, der sich in einen Werwolf verwandelt, und der Liebe seines Lebens, Sandra. In der Gegenwart möchte Will die Wahrheit hinter den Erzählungen seines Vaters herausfinden und wissen, was es mit all dem auf sich hat. Die Geschichten treffen sich, als Will das Geheimnis entdeckt, das ihm sein Vater niemals offenbart hat: In Ashton, Alabama trifft Will auf Jenny Hill, von der er die wahre Geschichte von Edward Bloom erfährt.
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Benjamin Oeser (Edward), Joris Hill (Junger Will), Ensemble. © Karl und Monika Forster
Regisseur Andreas Gergen, der sich in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung selbst als Geschichtenerzähler bezeichnet hat, hat mit „Big Fish“ die Geschichte des Handlungsreisenden Edward Bloom auf die deutschsprachige Bühne gebracht, der als Farmersohn aus Alabama sein Leben selbst in die Hand genommen hat und die Welt sehen wollte. Andreas Gergens Inszenierung besticht durch eine ausgezeichnete Personenregie. Die fantastischen Geschichten, die Edward Bloom seinem Sohn Will erzählt, werden durch eine wahre Bilderflut visualisiert: Sam Madwar verwendet in seinem Bühnenbild nur wenige reale Requisiten, aber seine Projektionen schaffen eine geniale Illusion für das Geschehen. Der vordere Bühnenprospekt lässt sich durch den Ausschnitt in Form eines Hauses öffnen und gibt den Blick auf den mittleren Teil der Bühne frei, der hintere Bühnenprospekt wird durch rückwärtige Projektionen bespielt. Durch die Projektionen können die unterschiedlichen Schauplätze der Handlung blitzschnell ineinander verwandelt werden. Die Bühne wird von den Darsteller*innen mitsamt des Proszeniums bespielt, das Orchesterpodium wird in den Szenen am Fluss bzw. auf dem Friedhof nach unten gefahren.
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Theresa Christahl (Sandra), Franz Aigner (Junger Will) und Benjamin Oeser (Edward). © Karl und Monika Forster
Das aufwendige Kostümdesign von Ulli Kremer lässt den Darsteller*innen keine Verschnaufpause, wenn sie nicht gerade auf der Bühne spielen, müssen sie sich schon wieder umziehen. Beim Auftritt der Hexe, die natürlich auch fliegen kann, wird sich der ein oder andere Zuschauer bei den Kostümen der Tänzer*innen ganz sicher an die Todesengel aus „Elisabeth“ erinnert fühlen. Danny Costello hat mit dem Ensemble mitreißende Choreografien einstudiert, das fängt bereits beim Alabama Stamp in der ersten Szene an, ein weiterer Höhepunkt ist sicherlich die Stepptanzchoreografie zum Beginn des zweiten Aktes zu dem Song „Rot, Weiß und Blau“/„Red, White and True“, die von den sechs Musicaldarstellerinnen aus dem Ensemble und Birgit Mühlram bestechend snychron umgesetzt wird. Die 9 Musiker – bei der Aufführung in München waren es wie vom Verlag vorgesehen noch 14 Musiker, die Streicher wurden in Gelsenkirchen großzügig gestrichen – bringen Andrew Lippas abwechslungsreiche Partitur unter der Musikalischen Leitung von Heribert Feckler souverän zu Gehör. Die Musiker sitzen während der Aufführung für das Publikum nicht sichtbar auf der Hinterbühne und präsentieren sich diesem erst zum Ende der Aufführung. Leider hat die Tontechnik (Ton-Mischung Dirk Lansing) die vor Publikum gespielte GP nicht genutzt, um für alle Darsteller*innen für eine textverständliche Abmischung bei den Songs bei der Premiere zu sorgen.
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Anke Sieloff (Hexe) und Benjamin Oeser (Edward). © Karl und Monika Forster
„Big Fish“ ist am Musiktheater im Revier – abgesehen von Sina Jacka und Oliver Aigner aus dem Opernchor sowie Anke Sieloff, Rüdiger Frank und Sebastian Schiller aus dem Gesangsensemble am MiR – mit Gästen besetzt, in der Hauptsache Musicaldarsteller*innen, was nicht verwunderlich ist und bei einer Musicalaufführung nach meinem Dafürhalten immer der Fall sein sollte. Aus der Münchener Produktion sind Benjamin Oeser (Edward Bloom) und Theresa Christahl (Sandra Templeton, Studentin an der Auburn University und die Verlobte von Don Price/
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Oliver Aigner (Der Riese Karl) und Benjamin Oeser (Edward). © Karl und Monika Forster
Die beiden weiblichen Hauptrollen sind in Gelsenkirchen mit Theresa Christahl, die den Bachelor- und Master-Studiengang Musical an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München absolviert hat, und Sina Jacka besetzt, die ihr Gesangsstudium an der Folkwang Universität der Künste absolviert hat und seit der Spielzeit 2016/2017 Mitglied des MiR-Opernchores ist. Vorlagenbedingt ist die Rolle von Sandra Bloom als liebevolle Mutter und Ehefrau und als fleißige Hausfrau ausgesprochen klischeehaft gezeichnet, aber Theresa Christahl (* 1993 in München) macht als schönste Frau in allen Geschichten von Edward Bloom – „Die schönste Frau ist immer meine Mum“ (Junger Will) – das Beste daraus und weiß gesanglich besonders in „Ich brauch doch kein Dach“/
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, „Little Lamb from Alabama“, Joyce Diedrich, Theresa Christahl (Sandra) und Lisandra Bardél. © Karl und Monika Forster
Das spielfreudige, vornehmlich mit Absolventen des Instituts für Musik der Hochschule Osnabrück besetzte Ensemble – Danny Costello hat bereits die Operettenproduktion „Die Blume von Hawaii“ des Instituts für Musik der Hochschule Osnabrück am Theater Osnabrück (Premiere 1. April 2018, Regie Felix Seiler) choreografisch betreut – unterstützt die Protagonisten insbesondere in den choreografisch umgesetzten Szenen. An dieser Stelle möchte ich es keinesfalls versäumen, Birgit Mühlram namentlich zu erwähnen, die neben ihrer Rolle als Meerjungfrau als Artistin mit einer Vertikaltuchakrobatik in der Zirkus-Szene im ersten Akt zu sehen ist und auch bei der mitreißenden Stepptanzchoreografie zu „Rot, Weiß und Blau“ mittanzt. Da kann man schon verstehen, dass Amos Calloway sie zum Anbeißen findet.
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Theresa Christahl (Sandra) und Benjamin Oeser (Edward). © Karl und Monika Forster
„Big Fish“ führt dem geneigten Publikum aufschlussreich vor Augen, was das Genre Musical auch im Stadttheaterbereich abseits der großen, kommerziellen Produktionen zu leisten imstande ist. Langanhaltender Stehapplaus des Premierenpublikums war der verdiente Lohn für Darsteller*innen, Musiker*innen und Kreative. Das Musical steht am Musiktheater im Revier bis 29. Juni 2019 mit insgesamt 11 Vorstellungen auf dem Spielplan.
„Big Fish“ an Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Dennis Hupka (Will) und Joris Hill (Wills Sohn) © Karl und Monika Forster
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