„Don Camillo & Peppone“


„Don Camillo & Peppone“ – nach Mondo Piccolo „Don Camillo“ von Giovannino Oliviero Giuseppe Guareschi; Musik: Dario Farina; Liedtexte, Buch: Michael Kunze; Regie: Andreas Gergen; Choreografie: Till Nau; Bühne: Jens Janke; Kostüme: Karin Alberti; Musikalische Leitung: Giorgio Radoja. Darsteller: Barbara Tartaglia (Die alte Gina, Erzählerin), Thomas Borchert (Don Camillo, Pfarrer von Boscaccio), Patrick Stanke (Giuseppe Botazzi, genannt Peppone, Bürgermeister von Boscaccio), Milica Jovanović (Gina, ein junges Mädchen), Dominik Hees (Mariolino, ein junger Mann), Kevin Tarte (Filotti, Ginas Vater), Sebastian Brandmeir (Nonno, Ginas Großvater), Jörg Neubauer (Brusco, Mariolinos Vater), Femke Soetenga (Laura Castelli, Lehrerin), N. N. (Maria, Ginas Mutter), N. N. (Cecilia, eine junge Frau), Jan Altenbockum (Dottore, Dorfarzt), Florian Albers (Ginas Begleiter/Jesus, Stimme des Gewissens), Dominique Aref, Zoltán Fekete, David Hammann, Andrew Hill, Alexandra Hoffmann, Eva Kewer, Jennifer Kohl, Esther-Larissa Lach, Mathias Meffert, Janina Niehus, Celena Pieper, Tamara Peters, Wolfgang Postlbauer, Nicolai Schwab, Julian Schier, Michael Thurner. Uraufführung: 30. April 2016, Theater St. Gallen. Österreichische Erstaufführung: 27. Januar 2017, Ronacher, Wien. Deutsche Erstaufführung: 21. Juni 2019, FreilichtSpiele Tecklenburg.



„Don Camillo & Peppone“


Deutsche Erstaufführung bei den FreilichtSpielen Tecklenburg


Vor allem durch die zwischen 1952 und 1965 entstandenen Verfilmungen mit Fernandel (Don Camillo) und Gino Cervi (Peppone) erlangte der Stoff um den streitbaren Pfarrer und seinen kommunistischen Gegenspieler, der auf Erzählungen und Romanen von Giovanni Guareschi basiert, große Popularität. Am 30. April 2016 erlebte die Musicalfassung von Michael Kunze (Buch und Liedtexte) und Dario Farina (Musik) mit Andreas Lichtenberger (Don Camillo) und Frank Winkels (Peppone) seine Uraufführung am Theater St. Gallen als Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Wien (VBW), die das Stück ab 27. Januar 2017 als österreichische Erstaufführung am Ronacher zeigten.

„Don Camillo & Peppone“, FreilichtSpiele Tecklenburg, Thomas Borchert (Don Camillo). Foto Holger Bulk

Don Camillo, der Pfarrer von Boscaccio, ist entsetzt. Vorwurfsvoll blickt er zum Kruzifix empor. „Wie konntest du das zulassen?“ Jesus antwortet, so sei nun mal die Demokratie, schließlich hätten die Armen Gründe genug, einen kommunistischen Bürgermeister zu wählen. So beginnt das heitere Musical über den Pfarrer Don Camillo und seinen Gegenspieler Giuseppe Botazzi, genannt Peppone, den neuen Bürgermeister von Boscaccio. Es ist das Jahr 1947, und der Ort ist ein Dorf in der norditalienischen Poebene. In dem scheinbar verschlafenen Nest wird ein Streit ausgetragen zwischen den tradierten Werten und den Idealen einer sozialen Revolution. Nicht einmal Jesus kann den aufgebrachten Pfarrer besänftigen. Im zurückliegenden Krieg hat er, anders als andere Kleriker, als Partisan gegen die Faschisten gekämpft. Jetzt wird er Peppone und seine Genossen bekämpfen. Notfalls mit dem Gewehr, das er in der Sakristei versteckt hat. Der neue Bürgermeister ist für Don Camillo kein Unbekannter. Im Widerstand gegen die überwundene Diktatur stand er sogar an seiner Seite. Doch Peppones politische Richtung lehnt er entschieden ab. Ähnlich entschieden ist die Haltung seines Gegners. Peppone hält sich für den Repräsentanten einer neuen, besseren Zeit. Er kämpft für eine bessere Welt, auch wenn die Schlagworte der kommunistischen Partei sich im Wortschatz dieses einfachen Mannes seltsam ausnehmen. Die Kirche betrachtet er als finstere Macht, die den Fortschritt aufhält. So treten sie gegeneinander an: listenreich und wortgewandt der eine, sturköpfig und unnachgiebig der andere. Auf der Seite Don Camillos stehen die reichen Gutsbesitzer und konservativen Kirchgänger, hinter Peppone die armen Lohnarbeiter und die fortschrittliche Intelligenz. Die einen verachten die anderen, und nicht selten wird aus Verachtung blanker Hass.

„Don Camillo & Peppone“, FreilichtSpiele Tecklenburg, Femke Soetenga (Laura Castelli), Patrick Stanke (Giuseppe Botazzi), Ensemble. Foto Holger Bulk

Solange es nur um Worte, Ideen und Ansprüche geht, sorgt der Streit nur für Unfrieden im Ort. Doch eine verheerende Überschwemmung macht deutlich, dass man im Notfall aufeinander angewiesen ist. Und als bald darauf ein Streik den gesamten Viehbestand zu vernichten droht, erkennen Don Camillo und Peppone, dass die bedingungslose Konfrontation das Dorf ins Elend stürzen wird. Zum wirklichen Umdenken führt aber erst ein junges Liebespaar. Gina, die Tochter des Grundbesitzers Filotti, liebt Mariolino, den Sohn des armen Brusco. Es ist die klassische Romeo-und-Julia-Geschichte: Zwei verfeindete Familien versuchen mit allen Mitteln die Verbindung ihrer Kinder zu verhindern. Man weiß, wie das bei Shakespeare endet. Auch in diesem Fall sehen die Liebenden keinen anderen Ausweg als den gemeinsamen Tod. Zum Glück erfahren Don Camillo und Peppone rechtzeitig, dass die beiden ins Wasser gehen wollen. Sie alarmieren die Bewohner des Orts, und gemeinsam spürt die Dorfgemeinschaft im allerletzten Moment das verzweifelte Paar auf. Der Schock führt zur Einsicht. Weder Don Camillo noch Peppone wird Boscaccio je ganz gehören. Statt einander zu bekämpfen, wird man sich wohl verständigen und einander ertragen müssen. Die Hochzeit von Gina und Mariolino beendet nicht allen Streit im Dorf. Aber sie wird ein Fest der Toleranz, das die Bewohner gemeinsam feiern.

„Don Camillo & Peppone“, FreilichtSpiele Tecklenburg, Thomas Borchert (Don Camillo), Ensemble. Foto Holger Bulk

Librettist Michael Kunze lässt in „Don Camillo & Peppone“ – wie bereits in „Elisabeth“ mit Elisabeths Mörder Luigi Lucheni als Erzähler – die 90-jährige alte Gina als Erzählerin durch die Handlung in ihrer Jugendzeit im norditalienischen Dorf Boscaccio führen, die im ersten Akt sehr episodenhaft erzählt wird und erst im zweiten Akt richtig Fahrt aufnimmt, auch wenn Regisseur Andreas Gergen die alte Gina in Tecklenburg gleich zu Beginn der Aufführung von ihrem Begleiter in einem Autobianchi Primula (oder ähnlichem Oldtimer, der erst in den 1960er-Jahren produziert wurde) auf die Bühne fahren lässt. Auch hier hat er eine solide Inszenierung auf die Bühne gestellt, wenngleich die Regeneffekte während der großen Flut im Ronacher in Tecklenburg durch gaaanz viel Bühnennebel ersetzt – mit Nebel assoziiere ich nicht zwangsläufig sintflutartige Regenfälle – und auf die von den Darsteller*innen geführten Tierpuppen gänzlich verzichtet wurde.

„Don Camillo & Peppone“, FreilichtSpiele Tecklenburg, . Foto Holger Bulk

Andreas Gergen hat - wie bereits in St. Gallen und Wien – die Handlung in der Zeit kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs belassen, lediglich am Ende des zweiten Aktes lässt er die Europasterne als aktuellen Bezug über der Bühne schweben. Musicaldarsteller Jens Janke zeichnet in diesem Jahr erstmals für das Bühnenbild in der Burgruine verantwortlich, wobei natürlich der Burghof mit dem Brunnen den festen Rahmen vorgibt. Die Piazza von Boscaccio auf dem Burghof stellt den Handlungsmittelpunkt dar, linker Hand ist die Dorfkirche mit den bunten Kirchenfenstern verortet, in der Mitte der Kirchturm und rechts daneben Filottis Anwesen, die Schule u. ä. Karin Alberti – seit 1996 Kostümbildnerin an der Freilichtbühne Tecklenburg – zeichnet für die zeitgemäßen Kostüme verantwortlich. Das dreizehnköpfige Orchester unter der Musikalischen Leitung von Giorgio Radoja bringt Dario Farinas Partitur mit einigen wenigen netten Melodien zwar souverän zu Gehör, aber die Tonabmischung war in der besuchten Vorstellung derartig schlecht, dass die Darsteller*innen über weite Strecken überhaupt nicht zu verstehen waren und man nur erahnen konnte, um was es eigentlich geht.

„Don Camillo & Peppone“, FreilichtSpiele Tecklenburg, Ensemble. Foto Holger Bulk

Barbara Tartaglia, die bereits in „Don Camillo & Peppone“ in St. Gallen und Wien als Swing und Cover alte Gina mitgespielt hat, stellt die alte, gebrechliche Frau glaubwürdig mit viel Einfühlungsvermögen dar, auch wenn sie viel jünger ist als es auf der Bühne den Anschein hat. Unterstützt wird dieser Eindruck noch durch ihren ständigen Begleiter Florian Albers, der wie ein Schatten nicht von ihrer Seite weicht und mit dem Don Camillo gleichzeitig als Jesus stets in Zwiesprache steht. Thomas Borchert (Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“, diverse Spielorte) gibt einen schlagfertigen Don Camillo ab, der seinem Gegenspieler Peppone sowohl geistig als auch körperlich überlegen ist. Dieser wird von Patrick Stanke (William Wallace in „Wallace – Das Musical“, Theater am Marientor, Duisburg; Kerchak in Disneys Musical „Tarzan“, Metronom Theater, Oberhausen) verkörpert, der die Rolle des einfachen Mannes sympathisch ausfüllt. Milica Jovanović (Lisa Carew in „Jekyll & Hyde“, Theater Dortmund; Eleonore Schikaneder in „Schikaneder – Die turbulente Liebesgeschichte hinter der Zauberflöte“) und Dominik Hees (Rum Tum Tugger in „Cats“, Ronacher, Wien; Charlie Price in „Kinky Boots“, Operettenhaus Hamburg) füllen die Rolle des jungen Liebespaares ideal aus, das sich wie Romeo und Julia gemeinsam das Leben nehmen will.

„Don Camillo & Peppone“, FreilichtSpiele Tecklenburg, Dominik Hees (Mariolino) und Milica Jovanović (Gina). Foto Holger Bulk

Ihre verfeindeten Väter werden von Kevin Tarte (Schattenmann in „Ludwig²“, Festspielhaus Füssen; Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“, diverse Spielorte) als Grundbesitzer Filotti und Jörg Neubauer (Dr. Fine/Dr. Madden in „Next to Normal (Fast normal)“, Arena Nova, Wiener Neustadt und Theater Dortmund) als armer Brusco verkörpert, die sich wegen ihrer Kinder unaufhörlich beharken, aber viel mehr erfährt man buchbedingt auch nicht über die beiden Charaktere. Den dankbareren Part haben Sebastian Brandmeir (Professor Abronsius in „Tanz der Vampire“, Theater St. Gallen und Wiener Ronacher) als Ginas Großvater Nonno, der im Laufe des Abends gleich zweimal (fast) sterben darf, und Femke Soetenga (Eva Perón in „Evita“, Theater Nordhausen; Lara in „Doktor Schiwago“, Theater Pforzheim; Florence Vassy in „Chess“, diverse Spielorte) als linientreue kommunistische Lehrerin Laura Castelli, die diese ebenfalls bereits in St. Gallen und Wien gespielt hat und in die sich Nonno auf seine alten Tage verliebt. Jan Altenbockum (Ensemble in „Wallace – Das Musical“, Theater am Marientor, Duisburg; Swing in „Elisabeth“, Tournee der Semmel Concerts Entertainment GmbH) macht als Dorfarzt hauptsächlich durch seine Fehldiagnosen auf sich aufmerksam.

„Don Camillo & Peppone“, FreilichtSpiele Tecklenburg, Patrick Stanke (Giuseppe Botazzi), Ensemble. Foto Holger Bulk

Persönlich würde ich „Don Camillo & Peppone“ nicht als Musical bezeichnen, das man unter allen Umständen gesehen haben muss, sondern das man sich als amüsante Abendunterhaltung einmal anschauen kann. Nach einem halben Jahrhundert wirken die aus den Verfilmungen aufgegriffenen Handlungsstränge doch eher harmlos, und Dario Farinas Musik plätschert über weite Strecken einfach vor sich hin. Ungeachtet dessen gibt das Ensemble sein Bestes, um einen kurzweiligen unterhaltsamen Abend auf hohem Niveau zu bieten. Generell ist zur Ausstattung der Freilichtbühne Tecklenburg anzumerken, dass die Holzbänke im Zuschauerraum extrem unbequem und anatomisch nicht angepasst sind, aber das schrieb ich bereits vor acht Jahren, und seither hat sich nichts daran geändert. Sitzkissen sind von den Zuschauern selbst mitzubringen und werden nicht – wie beispielsweise bei den Brüder Grimm Festspielen Hanau oder den Schlossfestspielen Ettlingen – vom Veranstalter zur Verfügung gestellt.

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