„Das tapfere Schneiderlein“


„Das tapfere Schneiderlein“ – nach dem gleichnamigen Märchen in den „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm; Musik: Marian Lux; Libretto: Daniel Große Boymann; Regie: Werner Bauer; Choreografie: Bart De Clercq; Bühne: Hans Winkler; Kostüme: Ulla Röhrs; Dramaturgie: David Liuzzo; Arrangements/Orchestrierung: Markus Syperek; Musikalische Leitung: Damian Omansen. Darsteller: Dennis Hupka (Schneider), Dorothea Maria Müller (Prinzessin), Kevin Arand (Baron), Barbara Bach (Köchin), Steffen Laube (Minister), Wolff von Lindenau (König), Johanna Haas (Vogel, Floristin u. a.), Kira Primke (Wildsau, Kundin u. a.), Till Bleckwedel (Riese Zöllner, Bäcker u. a.), Carolina Walker/Valerija Laubach (Cover) (Riesin Schwester, Wirtin u. a.), Florian Sigmund/Michael Berres (Cover) (Riese Bruder, Wirt u. a.), Nico Went (Lakai, Recke u. a.). Musiker: Damian Omansen (Piano), Thomas Elsner (Schlagzeug), Stefan Kreuscher (Bass), Kai Picker (E-Gitarre), Raquel Rivera Novillo (Cello). Uraufführung: 1. Juli 2021, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Ampfitheater im Schlosspark Philippsruhe. Besuchte Vorstellung: 24. Juli 2021



„Das tapfere Schneiderlein“


Uraufführung bei den 37. Brüder Grimm Festspielen Hanau


„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Till Bleckwedel, Nico Went, Barbara Bach, Wolff von Lindenau, Dennis Hupka, Dorothea Müller, Johanna Haas, Kevin Arand, Steffen Laube, Carolina Walker, Kira Primke und Florian Sigmund. © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

1985 wurden in der Geburtsstadt der Brüder Jacob (* 4. Januar 1785 in Hanau, † 20. September 1863 in Berlin) und Wilhelm (* 24. Februar 1786 in Hanau, † 16. Dezember 1859 in Berlin) Grimm die „Brüder Grimm Märchenfestspiele“ ins Leben gerufen. Die Festspiele haben sich inzwischen – seit 2014 unter dem Namen „Brüder Grimm Festspiele“ – zu den zweitgrößten Festspielen in Hessen – nach den Bad Hersfelder Festspielen – entwickelt, 2019 feierten sie mit dem Musical „Jacob und Wilhelm – Weltenwandler“ über die Brüder Grimm ihren 35. Geburtstag.

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Johanna Haas, Kira Primke und Dennis Hupka. © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

Bei den 36. Brüder Grimm Festspielen Hanau hätte 2020 „Das tapfere Schneiderlein“ von Marian Lux (Musik) und Daniel Große Boymann (Libretto) uraufgeführt werden sollen, doch da kam die COVID-19-Pandemie dazwischen. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, dachte man sich bei den Brüder Grimm Festspielen, und übernahm „Das tapfere Schneiderlein“ in die diesjährige Spielzeit, die in der Hoffnung auf eine Entspannung der pandemischen Lage durch Impfen, Testen und den umsichtigen Umgang miteinander am 1. Juli 2021 mit dem Musical eröffnet wurde. Wie sich die Situation bis zur letzten Vorstellung der diesjährigen Brüder Grimm Festspiele am 29. August 2021 entwickeln wird, vermag im Augenblick niemand sicher vorherzusagen, aber seit drei Wochen steigende 7-Tage-Inzidenzwerte führen bereits zu Androhungen einer „Impfpflicht durch die Hintertür“. Nach letzten Informationen vom 16. Juli 2021 dürfen inzwischen 500 Plätze im Auditorium belegt werden, wobei die Vorstellungen nur von tagesaktuell negativ Getesteten, Geimpften und Genesenen besucht werden dürfen. Vor der Abendkasse, am Einlass und auf dem Festspielgelände besteht die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske, was von vielen Besuchern ignoriert wird. Die Pandemie ist noch lange nicht überstanden… Erst am Platz darf die Maske abgelegt werden.

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Kevin Arand, Florian Sigmund, Dorothea Müller, Kira Primke, Johanna Haas, Till Bleckwedel, Nico Went und Carolina Walker. © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

Mit Dennis Hupka in der Hauptrolle des Schneiders präsentiert sich die Geschichte mit dem Libretto von Daniel Große Boymann sowie Kompositionen von Marian Lux in mitreißender Erzählweise. Die persönliche Entwicklung des Nadelkünstlers, der eher zufällig sieben Fliegen auf einen Streich erschlägt und sich daraufhin einen Gürtel mit der Inschrift „Siebene auf einen Streich!“ bestickt, sorgt im weiteren Verlauf des Stücks dafür, dass er mit erstaunlichen Taten auf sich aufmerksam macht, an den königlichen Hof gerufen wird und die bisher unlösbaren Prüfungen mit Bravour besteht, wofür ihm die Hand der Prinzessin und das halbe Königreich versprochen werden: Die Wildsau, die die Ernte zertrampelt hat, sperrt er in der Kapelle ein, die beiden Riesen besiegt er mit einer List, und das Horn des magischen Einhorns… rettet ihm bei einem Giftanschlag schließlich selbst das Leben. Mit seiner Verwandlung zum Siegertypen geht aber auch eine innere Wandlung einher, die bei der Prinzessin gar nicht gut ankommt, denn sie hat an Aufschneidern kein Interesse. Aber es wäre kein Märchen, wenn sich am Ende nicht alles zum Guten fügte.

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Dorothea Maria Müller (Prinzessin) und Barbara Bach (Köchin). © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

„Märchen sind doch was für Kinder“, wird der ein oder andere Leser jetzt womöglich denken. Aber weit gefehlt, denn bei Märchen handelt es sich durchaus nicht nur um „Kinderkram“, die Feenmärchen des 17. und 18. Jahrhunderts zählten zu ihrer Zeit zu den beliebtesten Literaturgattungen und unterhielten alle Altersklassen der gebildeten Schichten vom Hofadel bis zum einfachen Bürgertum. Schon bei den Vorstellungszeiten der Abendvorstellungen – „Das tapfere Schneiderlein“ endet nach 23 Uhr – sollten Familien mit Kindern überlegen, ob der Besuch einer Nachmittagsvorstellung nicht angebrachter ist. Mit der Musicalfassung ist das vor über 200 Jahren von den Brüdern Grimm in den „Kinder- und Hausmärchen“ niedergeschriebene Märchen in der Gegenwart angekommen, mit satirischen Anspielungen beispielsweise auf den überhandnehmenden Genderwahn werden auch aktuelle Themen aufgegriffen.

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Kevin Arand (Baron) und Dennis Hupka (Schneider). © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

Werner Bauer („Erwin Kannes – Trost der Frauen (Letterland)“, Theater für Niedersachsen, Hildesheim, 2018 mit dem Deutschen Musical Theater Preis in der Kategorie Beste Regie ausgezeichnet) hat „Das tapfere Schneiderlein“ unterhaltsam und kurzweilig auf der von Hans Winkler entwickelten Bühne mit zwei Spielebenen inszeniert, die mit drei manuell zu bedienenden Drehelementen die unterschiedlichen Schauplätze ohne Unterbrechung in das Blickfeld der Zuschauer rückt. Bart De Clercq hat die Choreografie einstudiert, die besonders in den Szenen mit den sieben Fliegen, der Wildsau im Maisfeld und dem Einhorn zu gefallen weiß. Kostümdesignerin Ulla Röhrs hat – wie bereits seit 1986 – die prachtvollen und originellen Outfits entworfen und bekam bei „Das tapfere Schneiderlein“ Unterstützung für den Puppenbau von Johanna Haas, Kerstin Laackmann und Wiebke Quenzel. Die fünfköpfige Band ist auf der oberen Spielebene hinter Plexiglas und dem Bühnenwald untergebracht und bringt die Partitur von Marian Lux („Lotte – Ein Wetzlarer Musical“) unter der Musikalischen Leitung von Damian Omansen souverän live zu Gehör.

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Kira Primke und Florian Sigmund. © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

Das zwölfköpfige Ensemble wird von Dennis Hupka (Will Bloom in „Big Fish“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen) als Schneider angeführt, der die Wandlung vom Duckmäuser zum Aufschneider glaubhaft nachvollziehen lässt, um schließlich doch zu erkennen, dass man mit der Wahrheit im Leben am weitesten kommt. Dorothea Maria Müller legt in der Rolle der Prinzessin als kritische, selbstbewusste Frau keinen Wert auf höfisches Zeremoniell und weiß sich notfalls mit einem „Nein“ dagegen zu behaupten. Ihr steht Barbara Bach als Köchin mit dem Rat zur Seite, hinter die Fassade zu schauen, um das wahre Wesen eines Menschen zu erkennen: „Schaut genauer hin!“. Kevin Aaron versucht als selbstverliebter Baron, das Herz der Prinzessin und den Königsthron für sich zu gewinnen. Als er den Schneider des Betruges entlarven will, fliegt durch seine Unachtsamkeit sein eigener Betrug auf und sein Vater verliert den Posten des Ministers (hinterlistig gespielt von Steffen Laube). Johanna Haas ist als blauer Vogel „Hans“ in Form einer Handpuppe als Ratgeber an der Seite des Schneiders. Kira Primke hinterlässt mit der Performance als Wildsau ihren nachhaltigsten Eindruck. Carolina Walker und Florian Siegmund knocken sich als tölpelhafte Riesen durch eine List des Schneiders selbst aus. Auch in der Rolle der tapferen Recken, die an den Prüfungen des Königs gescheitert sind, weiß Florian Siegmund gemeinsam mit Nico Went durch komödiantisches Talent zu überzeugen.

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Carolina Walker, Dennis Hupka und Kira Primke. © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Nico Went und Florian Sigmund (Recken). © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Dorothea Maria Müller (Prinzessin). © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Johanna Haas und Dennis Hupka. © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Kira Primke (Wildsau) und Florian Sigmund. © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

Nach gut zweieinhalbstündiger Vorstellung (einschließlich 20 Minuten Pause) honorierte das Publikum die überzeuegnden Leistung der Darsteller*innen und Musiker*innen mit lang­an­haltendem Stehapplaus. „Das tapfere Schneiderlein“ steht noch bis 29. August 2021 auf dem Spielplan der 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau.

„Das tapfere Schneiderlein“, 37. Brüder Grimm Festspiele Hanau, Dennis Hupka (Schneider). © Brüder Grimm Festspiele Hanau, Foto: Hendrik Nix

Kommentare