„Tina – Das Tina Turner Musical“ am Operettenhaus Hamburg


„Tina – Das Tina Turner Musical“ – auf der Basis der Songs von Tina Turner, Buch: Katori Hall, Frank Ketelaar, Kees Prins; Deutsche Bearbeitung: Kevin Schroeder, Sera Finale (Liedtexte), Ruth Deny (Buch); Inszenierung: Phyllida Lloyd; Choreografie: Anthony van Laast; Ausstattung: Mark Thompson; Licht: Bruno Poet; Projektionen: Jeff Sugg; Sound Design: Nevin Steinberg; Orchestrierung: Ethan Pop; Musical Supervisor, Arrangements und zusätzliche Musik: Nicholas Skilbeck; Musikalische Leitung: Tobias Vogt. Darsteller: Kristina Love (Tina Turner), Clarissa (Anna Mae Bullock als Kind), Mandela Wee Wee (Izear Luster „Ike“ Turner, Jr., Musiker und Produzent), Adisat Semenitsch (Zelma Priscilla Bullock, geb. Currie, Tina Turners Mutter), Ginea Adi Wolf (Gran Georgeanna, Tina Turners Großmutter), Alex Bellinkx (Phil Spector, Musikproduzent und Songwriter/Terry Britten, Singer-Songwriter und Musikproduzent, Assistant Dance Captain), Sarah Schütz (Rhonda Graam, Tina Turners Managerin), Denise Lucia Aquino (Ruby Alline Selico, Tina Turners älteste Schwester/Ikette), Luisa (Ruby Alline Bullock als Kind), Anthony Curtis Kirby (Raymond Hill, Musiker und Tina Turners erste Liebe), Kristofer Weinstein-Storey (Floyd Richard Bullock, Tina Turners Vater), Simon Mehlich (Erwin Bach, Plattenfirmen-Abgesandter und Tina Turners späterer Manager und Ehemann), Nikolas Heiber (Roger Davies, australischer Manager und Musikproduzent), Michael B. Sattler (Craig Raymond Turner, Tina Turners gemeinsamer Sohn mit Raymond Hill), Ole (Craig Raymond Turner als Kind), Marlon Wehmeier (John Carpenter/Martyn Ware, britischer Musiker und Musikproduzent), Dinipiri Etebu (Ronald „Ronnie“ Renelle Turner, Tina Turners gemeinsamer Sohn mit Ike Turner), Tina Ajala, Enny de Alba, William Baugh, Kristel Constant, Donielle David (Ikette), Channah Hewitt (Ikette), Kellianna Jay, Kerry Jean (Ikette), Luisa Ofelia Montero de la Rosa (Dance Captain), Philipp Nowicki, Denise Obedekah, Stefan Preuth. West End Premiere 17. April 2018, Aldwych Theatre, London. Deutschlandpremiere: 3. März 2019, Operettenhaus Hamburg. Geplante Broadway Premiere: 7. November 2019, Lunt-Fontanne Theatre, New York City. Niederländische Erstaufführung: 9. Februar 2020, Beatrix Theater, Utrecht.



„Tina – Das Tina Turner Musical“


Tina Turners Biografie als Musical am Operettenhaus Hamburg


„Tina – Das Tina Turner Musical“ erzählt als Jukebox-Musical anhand der Songs von Tina Turner (* 1939 in Nutbush, Tennessee als Anna Mae Bullock) die Geschichte der Frau, die es wie keine zweite Künstlerin wagte, die Grenzen von Alter, Geschlecht und Hautfarbe zu sprengen. Von ihren bescheidenen Anfängen in Nutbush, Tennessee, über ihre Verwandlung bis zu ihrem Aufstieg zur international gefeierten und geliebten Rock-Ikone. Am 17. April 2018 feierte „Tina: The Musical“ mit Adrienne Warren in der Titelrolle am Aldwych Theatre in London seine Uraufführung, wo die Show noch bis 21. Dezember 2019 zu sehen sein soll. Ab 15. April 2019 wird Nkeki Obi-Melekwe die Titelrolle für Adrienne Warren übernehmen, die ab Herbst diesen Jahres in „Tina: The Musical“ in der Titelrolle am Broadway auf der Bühne stehen wird. Am 3. März 2019 feierte „Tina – Das Tina Turner Musical“ mit Kristina Love als Tina Turner am Operettenhaus in Hamburg seine Deutschlandpremiere.

„Tina – Das Tina Turner Musical“, Nutbush, Ginea Adi Wolf (Gran Georgeanna, Tina Turners Großmutter), Adisat Semenitsch (Zelma Priscilla Bullock, Tina Turners Mutter), Clarissa (Anna Mae Bullock als Kind), Kristofer Weinstein-Storey (Floyd Richard Bullock, Tina Turners Vater), Ensemble. Foto Manuel Harlan, © Stage Entertainment

Die Handlung beginnt im Backstagebereich, wo sich Tina Turner mental auf ihr Konzert vor 180.000 Menschen im Rahmen der „Break Every Rule World Tour“ im Maracanã Stadium in Rio de Janeiro am 16. Januar 1988 vorbereitet. In der Rückblende erleben die Zuschauer die Biografie der „Queen of Rock’n’Roll“, die 1939 in Nutbush, Tennessee, als Tochter eines schwarzen Baumwollplantagen-Vorarbeiters und einer Mutter mit indianischem Blut als Anna Mae Bullock geboren wurde. Sie wächst in einfachen Verhältnissen auf und – nach der Trennung ihrer Eltern – überwiegend bei der Großmutter. Sie singt im Gospelchor der Baptistengemeinde und träumt von einer Karriere als Sängerin oder Schauspielerin. Als sie 16 Jahre alt ist, zieht sie zu ihrer Mutter und Schwester nach St. Louis, Missouri, und frequentiert die Rhythm And Blues Clubs der Stadt. 1957 schafft sie dort den Sprung vom Publikum auf die Bühne zu dem acht Jahre älteren Bandleader Ike Turner und seinen Kings Of Rhythm. Ike engagiert sie zunächst als Background-Sängerin, gibt ihr erst den Spitznamen „Little Ann“, dann den Künstlernamen Tina Turner – weil ihn der phonetisch an die TV-Amazone „Sheena – Königin des Dschungels“ erinnert. Auch optisch formt er sie nach seinen ästhetischen Vorstellungen – besorgt ihr Langhaar-Perücken und knappe Bühnenoutfits, die sie wild, sexy und ungezähmt wirken lassen. Tina wird rasch zu seinem Zugpferd. Bald treten beide unter dem Namen Ike & Tina Turner Revue auf, u. a. als Vorgruppe der Rolling Stones, und landen mit „A Fool In Love“ (1960) den ersten Erfolg. Auch privat werden sie ein Paar und Eltern: 1962 wird in Mexiko geheiratet.

„Tina – Das Tina Turner Musical“, Club Manhattan, Kristina Love (Tina Turner) und Mandela Wee Wee (Izear Luster „Ike“ Turner, Jr.). Foto Manuel Harlan, © Stage Entertainment

Während es beruflich mit Hits wie „River Deep, Mountain High“ (1966) und „Proud Mary“ (1971) immer besser läuft, geht es mit der Beziehung jedoch steil bergab. Ike versinkt immer tiefer im Drogensumpf und zeigt seine dunkle Seite: Er schlägt, betrügt und vergewaltigt seine Frau. Jahrelang erträgt sie den körperlichen und seelischen Missbrauch, unternimmt sogar einen Selbstmordversuch. Nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung in einem Flugzeug, das beide blutend verlassen, schafft sie es 1976 endlich, Ike zu verlassen. Um den Scheidungsprozess zu beschleunigen, verzichtet sie auf Unterhalt und Rechte an der gemeinsamen Musik – nur ihren Künstlernamen behält sie. Tina ist nun endlich frei. Sie findet Kraft in der Spiritualität und im Buddhismus. Allerdings muss die Mutter von zwei Söhnen mit einem Berg voller Schulden ganz unten und allein neu anfangen. Sie jobbt als Haushaltshilfe, sammelt Essensmarken, tingelt durch kleine Clubs, bis endlich wieder eine Plattenfirma auf sie aufmerksam wird. Doch ihre ersten beiden Alben „Rough“ und „Love Explosion“ nach der Trennung von Ike schaffen es nicht in die Charts.

„Tina – Das Tina Turner Musical“, Ikettes: Denise Lucia Aquino, Donielle David, Channah Hewitt, Kerry Jean. Foto Manuel Harlan, © Stage Entertainment

Dass eine Frau mit Mitte 40, geschieden, schwarz und alleinerziehend, als Sängerin durchstartet, halten Branchenkenner sowieso für unwahrscheinlich und gegen jede Regel. Mutig und entschlossen steigt sie Anfang der Achtziger in ein Flugzeug Richtung London und lässt alles hinter sich. Am Flughafen nimmt sie der Plattenfirmen-Abgesandte Erwin Bach, ihr späterer Manager und Ehemann, in Empfang. Mit neuem Label im Rücken und vier verschiedenen Produktionsteams arbeitet sie an dem Album „Private Dancer“, das 1984 erscheint. Untypisch für eine Künstlerin mit afroamerikanischen Wurzeln orientiert sie sich darauf vornehmlich an den Genres Pop und Rock und vermischt diese mit ihrem rauen Südstaaten-Soul. Die Platte wird ein weltweiter Erfolg, bringt sieben Singles hervor, darunter „What’s Love Got To Do With It“, „Better Be Good To Me“, „Private Dancer“ und „Let’s Stay Together“, und macht Tina Turner zu einer der absatzkräftigsten Künstlerinnen der Musikindustrie. Allein in den USA wird ihr Solo-Comeback mit fünffach Platin dekoriert.

„Tina – Das Tina Turner Musical“, Kristina Love (Tina Turner), Ensemble. Foto Manuel Harlan, © Stage Entertainment

Wie ein kraftvoller Sturm fegt sie fortan durch die Popwelt – ihre Stimme allein ist eine Naturgewalt. Während der 177 Konzerte umfassenden „Private Dancer“-Tour bringt sie eine solch unbändige Energie und erotische Ausstrahlung mit auf die Bühne, dass der weibliche Musiker-Nachwuchs davon nur träumen kann. Schließlich befindet sich der Zuschauer wieder im Backstagebereich im Maracanã Stadium, und Tina Turner betritt die Bühne, um Ihre Hits „The Best“, „Nutbush City Limits“ und „Proud Mary“ zu performen. Das Konzert markierte den Weltrekord für das Solo-Konzert mit den meisten Zuschauern vor Ort. Und es ist der Höhepunkt des Musicals, auf den die Zuschauer beinahe drei Stunden gewartet haben. Der Weltrekord wurde schließlich an gleicher Stelle von Paul McCartney am 21. April 1990 im Rahmen seiner „The Paul McCartney World Tour“ mit 184.000 Zuschauern gebrochen.

„Tina – Das Tina Turner Musical“, Kristina Love (Tina Turner). Foto Manuel Harlan, © Stage Entertainment

Regisseurin Phyllida Lloyd (Jukebox-Musical „Mamma Mia!“, Uraufführung 6. April 1999, Prince Edward Theatre, London; Filmkomödie „Mamma Mia!“, Uraufführung 30. Juni 2008, Odeon Leicester Square, London; „Mary Stuart“, Premiere 20. Juli 2005, Donmar Warehouse, London, 19. April 2009, Broadhurst Theatre, New York City) stellt in ihrer Inszenierung Tina Turners unbeugsamen Ehrgeiz, Erfolg zu haben, in den Vordergrund, im ersten Akt wird Anna Mae Bullocks Beziehung zu Izear Luster „Ike“ Turner, Jr. mit ihren Höhe- und persönlichen Tiefpunkten beleuchtet, und man fragt sich als Zuschauer, wie Anna Mae Bullock das brutale Verhalten von Ike Turner 16 Jahre lang ausgehalten hat, bevor sie sich 1976 von ihm getrennt hat. Die schwungvollen Choreografien von Anthony van Laast („Mamma Mia!“, Uraufführung 6. April 1999, Prince Edward Theatre, London; „Sister Act“, West End Premiere 2. Juni 2009, London Palladium; „Schikaneder – Die turbulente Liebes­ge­schichte hinter der Zauberflöte“, Uraufführung 30. September 2016, Raimund Theater, Wien) zu Songs wie „Shake a tail feather“ oder „Disco inferno“ werden vom Ensemble eindrucksvoll umgesetzt. Mark Thompson zeichnet für das zeitgemäße Kostümdesign verantwortlich, sein Bühnenbild kommt mit wenigen Requisiten aus, ist aber jederzeit zweckdienlich und wird durch das Lichtdesign von Bruno Poet und die Projektionen von Jeff Sugg optimal ergänzt. Die handlungstragenden Songs wie „Schau nur nach vorn“ („Don’t Turn Around“), „Sei gut zu mir“ („Better Be Good to Me“), „Keine Kraft zum Streiten mehr“ („I Don’t Wanna Fight“), „Ich werd’ weiter tanzen“ („Private Dancer“), „Bin ich da für Dich“ („Open Arms“), „Regen fällt wie Blei an mein Fenster“ („I Can’t Stand the Rain“), „Wir woll’n keine neuen Helden“ („We Don’t Need Another Hero“) u. a. werden in der deutschsprachigen Bearbeitung von Kevin Schroeder und Sera Finale (Simon Müller-Lerch) gesungen, die bei Konzertauftritten oder Studioaufnahmen vorgetragenen Songs wurden im englischen Original belassen. Die deutschen Übersetzungen sind beim ersten Hören teilweise gewöhnungsbedürftig, aber womöglich wird es wie bei den deutschen Liedtexten im Musical „Mamma Mia!“ sein, irgendwann vergisst man, die Übersetzungen mit dem Original zu vergleichen. Die zehnköpfige Band unter der Musikalischen Leitung von Tobias Vogt bringt die 23 Songs des Musicals mitreißend zu Gehör und läuft in der finalen Konzertsequenz zur Höchstform auf, in der die Musiker*innen für das Publikum sichtbar auf der Bühne spielen.

„Tina – Das Tina Turner Musical“, Kristina Love (Tina Turner). Foto Manuel Harlan, © Stage Entertainment

Die aus Cincinnati, Ohio stammende Musicaldarstellerin Kristina Love (Disneys „Der Glöckner von Notre Dame“; Wahrsagerin/Zofe in „Disneys Aladdin – Das Musical“, Premiere 6. Dezember 2015, Neue Flora, Hamburg) kann in der Titelrolle mit einer phänomenalen Rockröhre aufwarten, die natürlich die rockigen Songs insbesondere in der finalen Konzertsequenz im Maracanã Stadium in Rio de Janeiro zu einem Highlight der Show werden lassen. Glaubwürdig lässt sie die Höhe- und Tiefpunkte in Tina Turners Biografie nachvollziehen. Dagegen wirkt Mandela Wee Wee als Izear Luster „Ike“ Turner, Jr. eher blass, als Antagonist des Musicals beschränkt sich seine Darstellung im wesentlichen darauf, durch Arroganz und Brutalität aufzufallen. Als es – wieder einmal – zu einer brutalen körperlichen Auseinandersetzung zwischen Ike und Tina Turner kommt, in der Kristina Love Mandela Wee Wee mächtig Paroli bietet, gibt es spontan Szenenapplaus für Kristinas Schauspiel. Die übrigen Darsteller*innen interpretieren ihre Rollen durch die Bank tadellos, die dargestellten Figuren haben aber mitunter nicht viel mehr als einen kurzen „Gastauftritt“ zu absolvieren. Adisat Sementisch (Zelma Priscilla Bullock) überzeugt als eine für die damalige Zeit ausgesprochen entschlossen handelnde Frau, ihrer jüngeren Tochter Anna Mae gegenüber sehr kühle Mutter, während Ginea Adi Wolf in ihrer Rolle als Anna Maes Großmutter Gran Georgeanna liebevoll und fürsorglich agiert. Sarah Schütz ist in der Rolle von Rhonda Graam zu sehen, die 1964 bei der „Ike & Tina Turner Revue“ als Roadmanagerin anfing, mit der Tina Turner enge Freundschaft schloss und die als starke, emanzipierte Frau in einer Männerwelt kein Nein gelten ließ. Alex Bellinkx (Phil Spector/Terry Britten), Anthony Curtis Kirby (Raymond Hill), Nikolas Heiber (Roger Davies) und Marlon Wehmeier (John Carpenter/Martyn Ware) verkörpern weitere wichtige Bezugspersonen und Geschäftspartner Tina Turners in der schlaglichtartig beleuchteten Biographie. Bei allen performten Songs befinden sich meist drei oder vier stimmgewaltige Darstellerinnen an Tinas Seite: Denise Lucia Aquino, Donielle David, Channah Hewitt und Kerry Jean. Sie sind die Backgroundsängerinnen, die Ike Turner 1960 als Backup-Trio „The Ikettes“ zusammenstellte, um die erste Single „A Fool in Love“ der „Ike & Tina Turner Revue“ zu bewerben. Zu jedem Song überraschen sie mit neuen Bühnenoutfits, Perücken und Choreografien, visualisieren die Zeitreise und die stilistische Entwicklung der Band seit den 1960er-Jahren.

Am Ende bekommt das Publikum, worauf es von Anfang an gewartet hat: „Tina Turner in concert“. Stehend werden die drei Songs „The Best“, „Nutbush City Limits“ und „Proud Mary“ abgefeiert, im Anschluss begeisterter Stehapplaus für alle Akteure auf der Bühne, und als besonderes Highlight zum Abschluss lobende Worte von Tina Turner höchstpersönlich, die für die Deutschlandpremiere von „Tina – Das Tina Turner Musical“ aus der Schweiz angereist ist. Nachdem lt. Angaben des Veranstalters bereits über 150.000 Tickets für das Musical verkauft wurden und schon jetzt Vorstellungen bis 3. Mai 2020 im Vorverkauf sind, dürfte einem Erfolg von „Tina – Das Tina Turner Musical“ am Spielbudenplatz wohl nichts mehr im Wege stehen.

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