Buchbesprechung: „Grubengold: Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute“

Ein vollständiger Überblick über die Entwicklung des Steinkohlenbergbaus in Europa

„Kohle schuf die Welt, in der wir leben.“ Lange stand die Kohle für Fortschritt und Wohlstand. Sie ermöglichte einen ungeahnten Produktivitätsschub und lieferte die Energie, um aus den vormodernen Produktionsweisen auszubrechen. Ohne Kohle wäre die industrielle Revolution nicht möglich gewesen. Mit ihrer Hilfe erreichten die europäischen Gesellschaften bis ins 20. Jahrhundert hinein ein zuvor ungeahntes Entwicklungsniveau. Doch hatte dieser kohlegetriebene Sprung in die Moderne auch seine dunklen Seiten: Die Kohle lieferte die Energie für zwei verhängnisvolle Weltkriege, und die Bedingungen ihres Abbaus unter Tage waren für die Gesundheit der Bergarbeiter verheerend. Schließlich läuteten die Umweltbelastungen durch die Steinkohleförderung den Anfang vom Ende des wichtigsten fossilen Energieträgers in der Geschichte der Menschheit ein. In Deutschland ist im Dezember 2018 endgültig „Schicht im Schacht“, dann endet mit der Schließung der letzten beiden aktiven Zechen Prosper-Haniel in Bottrop und Anthrazit Ibbenbüren das Zeitalter des Steinkohlenbergbaus in Deutschland – ein bedeutendes Kapitel Industriegeschichte geht zu Ende. In Polen entstehen dagegen im Oberschlesischen Industriegebiet sogar noch neue Kohlebergwerke, beispielsweise in Jaworzno. Auch in Russland sowie in der Ukraine (im Steinkohle- und Industriegebiet Donezbecken beiderseits der russisch-ukrainischen Grenze) findet noch nennenswerte Steinkohleförderung statt. Weltweit sind heute die Volksrepublik China, die Vereinigten Staaten von Amerika und Indien die größten Kohleproduzenten, dort lagern auch etwa zwei Drittel der weltweiten Steinkohlenreserven.

Anschaulich und prägnant verfolgt Franz-Josef Brüggemeier die vielfältigen Aspekte der Steinkohle und ihren Einfluss auf die europäische Geschichte im Zeitraum von etwa 1750 (1738 wurde mit dem „Märkischen Bergamt“ in Bochum die erste Bergbehörde im Ruhrgebiet eröffnet), dem Beginn des Aufstiegs der Steinkohle, bis 1958, als mit der Schließung der ersten Steinkohlenzechen der Niedergang der Steinkohle einsetzte, und zeigt, wie das Grubengold den Weg Europas in die Moderne prägte. Das erste Kapitel widmet sich einer „Welt (fast) ohne Kohle“, in der Steinkohle nur in kleinen Mengen gefördert und genutzt wurde, die letzten beiden Kapitel „Hoffnungsschimmer und Schrumpfung“ und „Abschied und Erbe“ geben einen Überblick über den Niedergang der Steinkohle in Europa und wo das Zeitalter der Steinkohle auf absehbare Zeit noch andauern wird.

Im ersten Kapitel „Eine Welt (fast) ohne Kohle“ räumt Franz-Josef Brüggemeier mit der weit verbreiteten Meinung auf, dass die Welt unter Tage eine reine Männerdomäne sei: In Westfalen arbeiteten Frauen – Ehefrauen und Töchter als Teil eines Familienverbundes – sowohl über als auch unter Tage und – man lese und staune – erhielten den gleichen Lohn. Auch in Schottland waren Frauen und Mädchen zu dieser Zeit in der Förderung unter Tage anzutreffen. In britischen Zechen, in denen Kohle über lange und enge Strecken abtransportiert werden musste, verrichteten Frauen und Kinder im 19. Jahrhundert anstrengende Schlepperarbeit, was zunehmend auf Kritik stieß.

Mit der Konstruktion einer Dampfmaschine durch den englischen Thomas Newcomen (* 26. Februar 1663 in Dartmouth, † 5. August 1729 in London) im Jahr 1712 und der Verbesserung deren Wirkungsgrades durch den schottischen Erfinder James Watt (* 30. Januar 1736 in Greenock, † 25. August 1819 in Heathfield, Staffordshire) von 1763 bis 1775 wurden die Voraussetzungen für die Entstehung von Zechen mit mehreren tausend Beschäftigten und bis dahin ungeahnten Fördermengen im 19. Jahrhundert geschaffen, womit der Dampfmaschine langfristig eine Schlüsselrolle bei der Industrialisierung zukommt. Mit der Begründung des Eisenbahnwesens durch George Stephenson (* 9. Juni 1781 in Wylam, Northumberland, † 12. August 1848 in Tapton House bei Chesterfield) und Neuerungen bei der Erzeugung von Eisen und Stahl erfuhr der Steinkohlenbergbau einen deutlichen Schub, wobei in Großbritannien Mitte des 19. Jahrhundert mehr Steinkohle gefördert wurde als in Deutschland, Belgien und Frankreich zusammen.

Auch wenn mit der Schließung der letzten beiden aktiven Zechen Prosper-Haniel in Bottrop und Anthrazit Ibbenbüren das Zeitalter des Steinkohlenbergbaus in Deutschland endet, so wird das Zeitalter der Kohle auch in Deutschland auf absehbare Zeit noch andauern. 2017 hatte Steinkohle noch einen Anteil von 14 Prozent an der Bruttostromerzeugung, Braunkohle sogar 23 Prozent, also zusammen mehr als der Anteil der erneuerbaren Energien mit 33 Prozent. Bereits heute werden erneuerbare Energien höher subventioniert als der subventionierte Stein­kohlen­berg­bau, der 1989 ein Höchstmaß von 7,5 Milliarden Euro an Subventionen erhielt. Durch Emissionszertifikate ist auf absehbare Zeit keine Abkehr von der Kohleverfeuerung zur Energieerzeugung zu erreichen.

Ein viele hundert Einträge umfassendes Literaturverzeichnis gibt dem interessierten Leser die ausgewerteten Veröffentlichungen an die Hand, wobei diese m. E. nicht unbedingt für jedermann einfach zugänglich sein dürften. Das Glossar erläutert eine Reihe von im Bergbau gebräuchlichen Fachbegriffen, wobei der Autor diese zur Erleichterung der Lektüre im Text möglichst selten benutzt. Wer auf der Suche nach spektakulären Hochglanzfotos von der Welt unter Tage ist, wird bei den 24 Schwarzweiß-Abbildungen nicht fündig, stattdessen vermittelt Franz-Josef Brüggemeier auf 456 Seiten einen umfassenden Überblick über die Entwicklung des Steinkohlenbergbaus in Europa von den Anfängen bis heute. Der Besuch der Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“, die bis zum 11. November 2018 in der Mischanlage der Kokerei Zollverein zu sehen ist, bietet die ideale Ergänzung zur Lektüre des kürzlich erschienenen Buches – und umgekehrt.

Der Autor
Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Brüggemeier (* 1951 in Bottrop) studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in Bochum, München, York (England) und Bremen sowie Medizin in Essen. Er hat 1983 mit einer Arbeit zur Geschichte der Ruhrbergleute („Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau, 1889 – 1919“) an der Universität Essen in Geschichte sowie 1989 in Medizin promoviert und 1993 mit „Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert“ habilitiert. Seit 1998 hat er an der Universität Freiburg den Lehrstuhl für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte inne. Bereits in den 1990er-Jahren hat sich Franz-Josef Brüggemeier als Ausstellungsmacher von „Feuer und Flamme. 200 Jahre Ruhrgebiet“ (Gasometer Oberhausen, 1994/1995) mit der musealen Vermittlung von Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte beschäftigt. Gemeinsam mit dem Leiter des Montanhistorischen Dokumentationszentrums am Deutschen Bergbau-Museum Bochum Dr. Michael Farrenkopf und dem Direktor des Ruhr Museums Prof. Heinrich Theodor Grütter zeichnet er als Ausstellungsmacher für die aktuelle Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“ in der Mischanlage der Kokerei Zollverein verantwortlich.

Cover „Grubengold: Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute“. © Verlag C. H. Beck oHG, München 2018

„Grubengold: Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute“
Autor Franz-Josef Brüggemeier
456 Seiten, mit 24 Abbildungen, gebundene Ausgabe
Erschienen im Verlag C. H. Beck, München
1. Auflage, 17. Mai 2018
ISBN 978-3-406-72221-9
29,95 € (D) / 30,80 € (AT)

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