„Der Stadtbrand“ bei den Schlossfestspielen Biedenkopf


„Der Stadtbrand“ – in Anlehnung an Motive aus „Dreimal ein Phönix“ von Christoph Kaiser; Buch, Musik und Liedtexte: Paul Graham Brown; Deutsche Bearbeitung: Moritz Staemmler; Künstlerische Leitung, Regie: Paul Graham Brown; Choreografie: Tim Zimmermann; Bühne: Wolfgang Friedrich; Kostüme: Charlotte Hillebrand; Licht: Der Lala; Ton: Sebastian Fett; Musikalische Leitung: Stefan Delanoff. Darsteller: Stefan Briel (Tagelöhner Hannes Kirch), Harald Tauber (Anschel Eichbaum, jüdischer Geldverleiher aus Breidenbach), Lorena Dehmelt (junge Jüdin Miriam, Anschels Tochter), Lisa Gärtner (junge Biedenkopferin Anna Kirch), Bettina Kirsten (Katharina, Hannes’ Ehefrau), Linda Schmidt (Lisbeth), David Schroeder („der Darmstädter“), Ralf Kuntscher (Schultheiß), Carlotta Bach (Gretl), Erik Gratz (Heinrich), Silvia Heinz (Konstanze), Tim Weidemann (Otto), Caroline Bierinckx (Witwe Henning), Karl Walther (Rabbi), Thomas Löscher (Samuel), Reinhard Schwender (Alfred), Regina Löscher (Frau Einolf), Anita Bald (Frau Grossmann), Erla Blöcher, Enise Citlak, Maik Eckhardt, Marlen Hebener, Tanja Kraft, Ute Müller, Anna Luise Ortmüller, Tiffany Pohl, Anna-Lina Schäfer, Mareike Schäfer, Georg Wagner. Musiker: Stefan Delanoff (Klavier), Thomas Salzbauer (Holzblasinstrumente), Silvia Salzbauer (Keyboards), Benjamin Schäfer (Bass), Maximilian Geng (Schlagzeug). Uraufführung: 3. September 2021, Schlossfestspiele Biedenkopf, Palastzelt, Festplatz „Auf der Bleiche“, Biedenkopf.



„Der Stadtbrand“


Die Schlossfestspiele gehen nach der Corona-Pause in eine neue Runde


„Der Stadtbrand“, Schlossfestspiele Biedenkopf, Stefan Briel (Hannes Kirch) und Bettina Kirsten (Katharina, Hannes’ Ehefrau). © Georg Kronenberg/Schlossfestspiele Biedenkopf

Nach „Eingefädelt – Das Musical“ (Uraufführung 23. August 2013, Schlosshof Biedenkopf), „Der Postraub – Das Musical“ (Uraufführung 21. August 2015, Schlosshof Biedenkopf) und „Die Hatzfeld – Die rote Gräfin“ (Uraufführung 11. August 2017, Schlosshof Biedenkopf), die alle unter der Künstlerischen Leitung von Birgit Simmler aus der Taufe gehoben wurden, die ab Herbst 2017 die Künstlerische Leitung der Luisenburg-Festspiele Wunsiedel übernommen hat, hätte der Magistrat der Stadt Biedenkopf gern vom 7. bis 16. August 2020 im Landgrafenschloss die Uraufführung des Musicals „Der Stadtbrand“ gezeigt, doch daraus wurde aus bekannten Gründen nichts. Ein Jahr später ist alles anders, oder auch nicht: Noch immer werden regelmäßig neue Fassungen der Coronavirus-Schutzverordnung verkündet, kennt sich da überhaupt noch jemand aus? Womöglich haben Veranstalter damit wie die gesamte Bevölkerung ihre liebe Mühe und Not. Jedenfalls wurde die vierte Uraufführung der Schlossfestspiele Biedenkopf auf die Zeit vom 3. bis 12. September 2021 im Palastzelt auf dem Festplatz „Auf der Bleiche“ an der Lahn verschoben. Mit Mindestabständen wäre der Schlosshof des Langrafenschlosses ein denkbar ungeeigneter Veranstaltungsort für die Schlossfestspiele, außerdem hat das Palastzelt den unschätzbaren Vorteil, darin unabhängig vom Wetter proben und spielen zu können. Wer die völlig verregnete Uraufführung von „Die Hatzfeld – Die rote Gräfin“ am 11. August 2017 im Schlosshof Biedenkopf erlebt hat, wird dem vorbehaltlos zustimmen.

„Der Stadtbrand“, Schlossfestspiele Biedenkopf, Harald Tauber (Anschel Eichbaum und Lorena Dehmelt (Miriam, Anschels Tochter). © Georg Kronenberg/Schlossfestspiele Biedenkopf

Das erfolgreiche „Rezept“ für die Uraufführungen der Schlossfestspiele Biedenkopf ist inzwischen hinlänglich erprobt und etabliert: Man nehme ein lokal- oder regionalhistorisches Thema, beauftrage einen erfahrenen Musical-Komponisten und -Autor mit der Adaption für die Musical-Bühne und lasse das Ganze schließlich mit professionellen Musical-Darstellern, regionalen Talenten und einer Live-Band gemeinsam auf die Bühne bringen. Bei einer Handvoll Aufführungen sollte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf leben knapp 246.000 Einwohner; wenn man davon auch nur ein Prozent für einen Besuch der Aufführung gewinnen kann, dürften die fünf Aufführungen bereits ausverkauft sein. Ich habe allerdings meine Zweifel, dass man mit diesem Rezept auch eine En-Suite-Produktion erfolgreich etablieren könnte.

„Der Stadtbrand“, Schlossfestspiele Biedenkopf, Harald Tauber (Anschel Eichbaum), Lisa Gärtner (Anna Kirch, im Hintergrund) und Stefan Briel (Hannes Kirch). © Georg Kronenberg/Schlossfestspiele Biedenkopf

Das lokalhistorisches Thema bei der vierten Uraufführung der Schlossfestspiele Biedenkopf ist der historische Stadtbrand am 23. Juli 1717, bei dem nur einige wenige Häuser oberhalb der Stadtkirche nicht in Flammen aufgegangen waren, u. a. das Schenkbarsche Haus. In Anlehnung an Motive aus dem Theaterstück „Dreimal ein Phönix“ von Christoph Kaiser, das im Rahmen der „Herbstabende“ im November 2017 anlässlich des 300. Jahrestages des bisher letzten Stadtbrandes vom Schenkbarschen Hoftheater im Schloss Biedenkopf aufgeführt wurde, hat Paul Graham Brown („Bonnie und Clyde“, Uraufführung 13. Juli 2001, Theater Heilbronn, Regie Madeleine Lienhardt; „King Kong“, Uraufführung 28. August 2009, Kleines Theater am Südwestkorso, Berlin, Regie James Edward Lyons; „Superhero“, Uraufführung 16. Oktober 2014, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Regie Iris Limbarth; „Der große Houdini“, Uraufführung 24. Oktober 2014, Theater Hof, Regie James Edward Lyons; „Maria Magdalena“, Uraufführung 12. Juni 2016, Freilichtbühne Hallenberg, Regie Birgit Simmler; „Rasputin“, Uraufführung 28. Oktober 2017, Theater Hof, Regie Roland Hüve; „Zucker“, Uraufführung 16. August 2019, Luisenburg-Festspiele Wunsiedel, Regie Marc Krone) das Musical „Der Stadtbrand“ ersonnen, das historische Begebenheiten und Passagen aus Christoph Kaisers „Dreimal ein Phönix“ mit fiktiven Elementen zu einer Geschichte um Geheimnisse, Liebe, Verdächtigungen, Hoffnungen und die Wiedergeburt Biedenkopfs aus der Asche kombiniert. Zum ersten Mal hat Paul Graham Brown bei den Schlossfestspielen auch die Regie und die künstlerische Leitung übernommen. Für „Der Stadtbrand“ hat er eingängige Musik geschrieben, die von einer fünfköpfigen Band unter der Musikalischen Leitung von Stefan Delanoff auf der Seitenbühne live gespielt wird, darunter das Duett „Sehe ich dich an“, das bereits im vergangenen Jahr mit Lorena Dehmelt und Stefan Briel als Trailer verfilmt wurde. Die Bühne im Palastzelt kommt mit relativ wenigen Requisiten aus (Bühnenbild Wolfgang Friedrich), lässt den Zuschauer aber zu keiner Zeit über den jeweiligen Ort der Handlung im Unklaren. Da dürfen schließlich bei dem Stadtbrand auch Flammenprojektoren nicht fehlen. Die von Charlotte Hildebrand stilistisch passend zusammengestellten Kostüme illustrieren den historischen und sozialen Kontext der dargestellten Figuren.

„Der Stadtbrand“, Schlossfestspiele Biedenkopf, Lisa Gärtner (Anna Kirch) und Lorena Dehmelt (Miriam Eichbaum). © Georg Kronenberg/Schlossfestspiele Biedenkopf

Das 29-köpfige Ensemble wird in diesem Jahr vom gebürtigen Burgenländer Harald Tauber (zahlreiche Großproduktionen in Wien und Deutschland, zuletzt Graf Rettenberg in „Ludwig²“, Festspielhaus Füssen) als Anschel Eichbaum, jüdischer Geldverleiher aus Breidenbach, der seiner Tochter prophezeit, „Liebe wird dir Ärger bringen“, Lorena Dehmelt (Absolventin der Stage School Hamburg; Carrie White in „Carrie – Das Musical“, First Stage Theater in Hamburg-Altona) als junge Jüdin Miriam, Anschels Tochter, die andere Pläne hat als nach jüdischer Tradition für Nachwuchs zu sorgen, Lisa Gärtner (Absolventin der Abraxas Musical Akademie in München) als junge Biedenkopferin Anna Kirch, die auch nicht vor ein wenig unkonventionellen Methoden zurückschreckt, um eine üppige Mitgift für die Hochzeit mit ihrem geliebten Otto aus einer Kaufmannsfamilie in Battenbach aufzutreiben, und David Schroeder (Schauspieler und Sänger; Kurt Breidenstein in „Eingefädelt – Das Musical“, Schlossfestspiele Biedenkopf) als „Darmstädter“ Beamter, der die aufständischen Biedenköpfer kontrollieren soll, angeführt. Mit Stefan Briel als armer Tagelöhner Hannes Kirch, der alles für das Überleben seiner Familie tut, sich aber unversehens in einer Liebesgeschichte wiederfindet, die zur Zeit des Stadtbrandes nicht hätte sein dürfen, und Bettina Kirsten als Hannes’ Ehefrau Katharina, die der Verlust ihrer beiden Söhne im Säuglingsalter und obendrein die Krankheit ihres Jüngsten völlig durchdrehen ließen, stehen ihnen zwei Akteure mit Bühnenerfahrung zur Seite. In der Gesamtheit wirkte das aus Profis und Laiendarstellern bestehende Ensemble tadellos.

„Der Stadtbrand“, Schlossfestspiele Biedenkopf, David Schroeder („der Darmstädter“) und Ralf Kuntscher (Schultheiß, im Hintergrund). © Georg Kronenberg/Schlossfestspiele Biedenkopf

Nach gut zweieinhalbstündiger Premiere gab es für alle Akteure verdient langanhaltenden Stehapplaus. „Der Stadtbrand“ steht bis 12. September 2021 mit insgesamt fünf Vorstellungen auf dem Spielplan und wird womöglich im kommenden Jahr wiederaufgenommen. Zumindest gab es bisher bei allen vorherigen Uraufführungen eine Wideraufnahme mit teilweise anderen Darsteller:innen im darauffolgenden Jahr.

„Der Stadtbrand“, Schlossfestspiele Biedenkopf, Karl Walther (Rabbi) und Harald Tauber (Anschel Eichbaum). © Georg Kronenberg/Schlossfestspiele Biedenkopf

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