CD-Besprechung: „Himmel und Kölle“


„Himmel und Kölle“ – Das Köln-Musical; Musik: Andreas Schnermann; Buch: Dietmar Jacobs, Moritz Netenjakob; Darsteller: Markus Schneider (Elmar, der Pfarrer), Karen Müller (Kathy, angehende Braut), Florian Sigmund (Mattes, Verlobter von Kathy), Enrico De Pieri (Jens, gen. Schwaadlappe, Kompagnon von Mattes), Vera Bolten (Moni, Pfarrhaushälterin), Mark Weigel (Taxifahrer), Tamara Pascual (Jenny), Sharon Isabelle Rupa (Maike, Freundinnen von Kathy). Musiker: Andreas Schnermann, Jürgen Grimm (Keyboard), Matthias Maschwitz, Moritz Stahl (Gitarre), Jens Bachmann (Bass), Marcus Möller (Schlagzeug), Matthias Schriefl (Tuba, Trompete, Tenorhorn). Musikalische Produktion: Andreas Schnermann, Jürgen Grimm. Uraufführung: 29. Oktober 2020, Volksbühne am Rudolfplatz.



„Himmel und Kölle“


Ein eigenes Musical für Köln


Die beiden Kölner Autoren und Grimme-Preisträger Dietmar Jacobs (* 1967 in Mönchengladbach; „Stromberg“ [2004 – 2012], „Pastewka“ [2005 – 2014, 2018 – 2020], „Dr. Psycho – Die Bösen, die Bullen, meine Frau und ich“ [2007 – 2008] und „Mord mit Aussicht“ [Episoden 20, 23, 30, 34]) und Moritz Netenjakob (* 1970 in Köln; „Pastewka“, „Dr. Psycho – Die Bösen, die Bullen, meine Frau und ich“ und „Stromberg“) schenken ihrer Stadt des Herzens ihr erstes eigenes Musical als bissige Liebeserklärung voller Wortwitz und Gefühl. Sie verpacken die Geschichte um den jungen Pfarrer Elmar in eine turbulent-witzige Reise durch die vermeintlich heilige Domstadt, bei der er auf ein schier unerschöpfliches Kaleidoskop an kölschen Charakteren trifft. Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob („Extrawurst“, 2019), die zur Spitze der deutschen Satire-Autoren zählen, erfüllen sich damit einen langgehegten Traum: „Wir wollten schon lange ein Musical schreiben, das Köln so zeigt, wie wir die Stadt sehen – mit Liebe, Zorn, Witz und Biss. Noch nie haben wir an einem Stück so intensiv gearbeitet, wie an ‚Himmel und Kölle‘“, so Moritz Netenjakob. „Wir wollen ein fantastisches, mitreißendes Musical schaffen.“ Der Kölner Komponist, Pianist und Musikproduzent Andreas Schnermann (* 1968 in Wipperfürth) hat die Musik zu „Himmel und Kölle“ komponiert, das am 29. Oktober 2020 am Köllner Millowitsch-Theater, seit 2015 „Volksbühne am Rudolfplatz“, zur Uraufführung kam. Gleichzeitig wurde auch das Castalbum veröffentlicht.

„Himmel und Kölle“, Original Castalbum. © Himmel und Kölle

Elmar Neuhaus hatte sich nach Abschluss des Priesterseminars eine Stelle auf dem Lande gewünscht, doch es sollte anders kommen: Als Belohnung für besondere Leistungen wird er nach Köln geschickt. Bei seiner Ankunft am Kölner Hauptbahnhof trifft der Kulturschock den erzkatholischen Priester mit voller Wucht, denn die vermeintlich „heilige Stadt“ entpuppt sich schnell als „bekloppteste Stadt zwischen Himmel und Ääd“. Auf der Suche nach einem erfrischenden Mineralwasser trifft er auf die junge Kathy, die mit ihren Freundinnen Junggesellinnenabschied feiert und gerade festgestellt hat, dass sie schwanger ist. Allerdings nicht von ihrem Verlobten, dem Feinkeramik-Fliesenhändler Mattes. Elmar ist entsetzt. Die verzweifelte junge Frau rührt ihn schließlich so sehr, dass er ihr helfen möchte, ihren Bräutigam zu finden, um ihm den Seitensprung zu beichten. Der verbringt den Abend vor der Hochzeit mit seinem Kompagnon Jens, gen. Schwaadlappe (Kölsch für Schwätzer). Auf der Suche landen sie zunächst in einer Sisha-Bar, wo sie einen Tipp bekommen, wo sich Mattes aufhalten könnte. Ein Taxifahrer aus Sachsen, der sich permanent darüber echauffiert, in Köln nirgends links abbiegen zu können, setzt sie schließlich an der Hohenzollernbrücke ab, wo Kathy das Liebesschloss entdeckt, dass sie gemeinsam mit Mattes dort angebracht hatte („Die Liebe braucht kein Schloss“). Der hat seinerseits inzwischen die „Roten Funken“ (das älteste Traditionscorps Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e. V. im Kölner Karneval) auf die Suche nach seiner Braut geschickt, vor denen sich Kathy und Elmar im Kölner Dom verstecken und abends eingeschlossen werden. Nachts „erscheinen“ ihnen die Heiligen Drei Könige, deren Gebeine in dem von Goldschmied Nikolaus von Verdun geschaffenen Dreikönigsschrein ruhen – oder eben auch nicht, wie sie selbst berichten („Bekloppter als man glaubt“). Als Kathy, Elmar und seine Haushälterin Moni wieder im Taxi unterwegs sind, begeht der Taxifahrer einen folgenschweren Fehler – er biegt links ab, woraufhin alle nicht im Himmel landen, sondern im „idealen Köln“. Bei der Ankunft am Brüsseler Platz ist für den Taxifahrer erstmals alles in bester Ordnung. Damit ist zwar noch längst nicht alles in bester Ordnung, doch Moni ist der festen Überzeugung, „dat ruckelt sich zurecht“…

Bei der vorliegenden CD-Einspielung mit einer Spieldauer von 50 Minuten handelt es sich um eine Studioaufnahme, die in den „Schnero Gartenstudios Köln“ aufgenommen wurde. Es sind alle Songs und die Spielszene „Links abbiegen“ in der Premierenbesetzung enthalten, die vierköpfige Combo aus der Theateraufführung (Keyboard, Gitarre, Bass und Schlagzeug) wurde zusätzlich durch die Blasinstrumente Tuba, Trompete und Tenorhorn ergänzt, die aufgrund des für Blasinstrumente während der COVID-19-Pandemie erforderlichen Mindestabstandes in der Volksbühne am Rudolfplatz nicht zum Einsatz kommen. Die 16 Tracks wecken sicherlich bereits Vorfreude auf einen Musicalbesuch – der hoffentlich ab 3. Dezember 2020 wieder möglich sein wird – falls es sich bis dahin zurechtgeruckelt hat. Schmissig, launig, aber auch erfreulich textdeutlich gesungen gibt die CD einen Einblick in das, was das Köln-Musical ausmacht: Bereits auf der CD wird einiges an Witz und Herz und ein ordentlicher Schuss „Verrücktheit“ transportiert. Bei dem Song „Bekloppter als man glaubt“ hätte ich mir persönlich zwar zusätzlich die Einspielung des Stepptanzes als Perkussion gewünscht, eine Einspielung des Musicals „42nd Street“ ohne Stepptanz wäre für mich undenkbar, aber das wären dann womöglich Verhältnisse wie im „idealen Köln“.

„Himmel und Kölle“, Volksbühne am Rudolfplatz, Karen Müller (Kathy), Florian Sigmund (Mattes), Markus Schneider (Elmar), Sharon Isabelle Rupa (Maike), Vera Bolten (Moni), Enrico De Pieri (Jens, gen. Schwaadlappe), Tamara Pascual (Jenny) und Mark Weigel (Taxifahrer). Foto Thomas Brill, © Himmel und Kölle

Markus Schneider klingt angenehm kultiviert, wie es sich für einen jungen Würdenträger gehört, er singt weich und zurückhaltend – auch wenn er am Ende in dem Song „Ich wollte Priester sein“ eine etwas rebellischere Seite zeigen kann. Karen Müller verleiht Kathy eine sehr klare Stimme, ihre Songs klingen kraftvoll, zudem sind alle Texte immer sehr gut zu verstehen, auch wenn die Handlung für sie einige chaotische, schnelle und hektische Stellen vorsieht. Florian Sigmunds Stimme klingt weich und charmant. Seine angenehme Stimmfarbe passt zu nahezu jeder Art von Song, ohne allzusehr herauszustechen. Enrico De Pieri hingegen hat ein rauere Stimmfarbe und verleiht daher auch ein paar gröberen, hemdsärmeligen Charakteren seine Stimme. Mark Weigel Klage des Ex-DDR-Bürgers über die Verkehrsverhältnisse in Köln „Links abbiegen“ dürfte auch in der Hörversion für Schmunzeln sorgen, das macht Appetit auf mehr. Vera Bolten ist auch stimmlich in eine Charakterrolle geschlüpft, ihre Pfarrhaushälterin Moni klingt markig und derb. Ihr Song „Dat ruckelt sich zurecht“ hat Ohrwurmpotential, und den Kölschen Ton nimmt man ihr unbedingt ab. Es klingt fast ein wenig, als wollte sie geradezu Originalen wie Marie-Luise Nikuta ein Denkmal setzen. Wer Vera Bolten noch als Janis Joplin in „Take another little piece of my heart“ im Ohr hat, bekommt hier eine gänzlich andere Seite von ihr zu hören.

Tracklisting:
  1. Markus Schneider: Mein Aufrag
  2. Ensemble: Willkommen in Kölle
  3. Karen Müller, Florian Sigmund: In einer Melodie
  4. Markus Schneider: Da bin ich locker
  5. Ensemble: Netz Oriental
  6. Mark Weigel: Links abbiegen
  7. Karen Müller: Die Liebe braucht kein Schloss
  8. Enrico De Pieri, Ensemble: Nimm doch meinen Schwager
  9. Markus Schneider, Ensemble: Im Zölibat
  10. Karen Müller: Wenn ich singen will
  11. Enrico De Pieri, Florian Sigmund, Mark Weigel, Karin Müller, Markus Schneider: Bekloppter als man glaubt
  12. Enrico De Pieri, Florian Sigmund: Wir kacheln die Welt
  13. Vera Bolten: Dat ruckelt sich zurecht
  14. Markus Schneider, Karin Müller, Enrico De Pieri, Florian Sigmund: Nach vorn oder zurück
  15. Markus Schneider, Ensemble: Ich wollte Priester sein
  16. Karin Müller, Vera Bolten, Markus Schneider, Ensemble: In Köln will ich leben (Grad wie ich)

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