„Die Blume von Hawaii“


„Die Blume von Hawaii“ – nach der Geschichte von Liliʻuokalani, der letzten Königin von Hawaiʻi; Musik: Paul Abraham, Libretto: Emmerich Földes, Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda; Bühnenpraktische Rekonstruktion der Partitur: Matthias Grimminger und Henning Hagedorn; Regie, Bühne: Johannes Pölzgutter; Mitarbeit Bühne: Rasa Akelaitytė; Choreografie: Seân Stephens; Kostüme: Susana Mendoza; Dramaturgie: Rebecca Graitl; Musikalische Leitung: Rodrigo Tomillo. Darsteller: Angela Davis (Laya, Prinzessin von Hawaii), Richard van Gemert (Prinz Lilo-Taro, ihr Verlobter), Insu Hwang (Kanako Hilo, ein vornehmer Hawaiier), Kenneth Mattice (Reginald Harold Stone, Kapitän der amerikanischen Marine), Götz Vogelgesang (Lloyd Harrison, amerikanischer Gouverneur von Hawaii), Alexander von Hugo (John Buffy, sein Sekretär), Alina Grzeschik (Bessi Worthington, Nichte des Gouverneurs), Penny Sofroniadou/Elizabeth Pilon (Raka, eine junge Hawaiierin), Frank Wöhrmann (Jim Boy, ein berühmter amerikanischer Jazzsänger), Angela Davis (Suzanne Provence, seine Partnerin), Maciej Michael Bittner (Kadett Bobbie Flipps). Chor: Dirk Achille, Nina Andreeva, Johan de Bruin, Anja Frank-Engelhaupt, Bumchul Kim, Sophia Leimbach, Nicole Nothbaar, Egidijus Urbonas. Tänzerinnen: Filipa Amorim, Noemi Emanuela Martone, Amber Neumann, Suzanne Vis. Uraufführung: 24. Juli 1931, Leipzig. Premiere: 24. Oktober 2020, Theater Hagen, Großes Haus.



„Die Blume von Hawaii“


Paul Abrahams Jazz-Operette am Theater Hagen


Mit den Operetten „Viktoria und ihr Husar“ (deutsche Erstaufführung 7. Juli 1930, Neues Theater, Leipzig), „Die Blume von Hawaii“ (Uraufführung 24. Juli 1931, Neues Theater, Leipzig,) und „Ball im Savoy“ (Uraufführung 23. Dezember 1932, Großes Schauspielhaus, Berlin) schuf Paul Abraham (* 2. November 1892 in Apatin, Serbien, † 6. Mai 1960 in Hamburg) zusammen mit den Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda Anfang der 1930er-Jahre die erfolgreichsten musikalischen Bühnenstücke in ganz Europa. Seine steile Karriere fand 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland ein jähes Ende, seine Musik galt in Deutschland als „entartet“. Der Jude Paul Abraham ging zurück nach Budapest, um erneut mit seinen ungarischen und auch den in Wien tätigen Kollegen zu arbeiten. 1934 folgte im Theater an der Wien die Uraufführung von „Märchen im Grand Hotel“ (Premiere 29. März 1934, Libretto Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda), und 1935 „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“ (Premiere 20. Dezember 1935, Libretto Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda). 1936 wurde es etwas stiller um Paul Abraham, Ende des Jahres kam am Király Színház in Budapest die als Vaudeville bezeichnete Operette „3:1 a szerelem javára“ („3:1 für die Liebe“, Premiere 18. Dezember 1936, Libretto Imre Harmath, László Zsilagy und Dezső Kellér) zur Uraufführung, am 25. März 1937 folgte die deutschsprachige Erstaufführung unter dem Titel „Roxy und ihr Wunderteam“ (Libretto Alfred Grünwald und Hans Weigel, Regie Arthur Hellmer) am Theater an der Wien. 1939 ging Paul Abraham wegen der faschistischen Umtriebe in Ungarn zunächst für ein Jahr nach Paris und floh schließlich über Havanna nach New York, wo er aber als Komponist keinen Fuß auf den Boden bekam.

„Die Blume von Hawaii“, Theater Hagen, Alina Grzeschik (Bessi Worthington) und Richard van Gemert (Prinz Lilo-Taro). Foto: Klaus Lefebvre

Das neue Interesse an den Jazz-Operetten der 1930er-Jahre und das wachsende Bewusstsein für eine historische Aufführungspraxis auch in der Unterhaltungsmusik führten in den letzten Jahren zu einer Neuentdeckung der Musik Paul Abrahams. Mit Hilfe von Autographen, historischen Einspielungen und Filmen stellten die Abraham-Spezialisten Matthias Grimminger, Bass­kla­ri­nettist bei den Dortmunder Philharmonikern, und Henning Hagedorn die Urfassung der Partituren Abrahams so weit wie möglich wieder her. 2012 kam am Stadttheater Gießen die bühnen­prak­ti­sche Rekonstruktion von „Viktoria und ihr Husar“ (Premiere 17. November 2012) in einer Inszenierung von Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka zur Aufführung, Barrie Kosky inszenierte die bühnenpraktische Rekonstruktion von „Ball im Savoy“ mit Helmut Baumann (Mustafa Bey) und Katharine Mehrling (Daisy Darlington, Jazzkomponistin) an der Komischen Oper Berlin (Premiere 9. Juni 2013). Thomas Enzinger inszenierte am Opernhaus Dortmund die bühnenpraktische Rekonstruktion der Vaudeville-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ (Premiere 29. November 2014) und die bühnenpraktische Rekonstruktion der Jazz-Operette „Die Blume von Hawaii“ (Premiere 21. Januar 2017). Diese war erstmals in einer Inszenierung von Mareike Zimmermann am Nordharzer Städtebundtheater in Quedlinburg zu erleben (Premiere 19. Dezember 2015). 2017 stand schließlich die Wiederentdeckung von „Märchen im Grand Hotel“ in einer konzertanten/halbszenischen Fassung an der Komischen Oper Berlin (Premiere 17. Dezember 2017) auf dem Programm.

„Die Blume von Hawaii“, Theater Hagen, Angela Davis (Laya) und Frank Wöhrmann (Jim Boy). Foto: Klaus Lefebvre

Das Königreich Hawaiʻi ist von den Vereinigten Staaten von Amerika annektiert worden und Prinzessin Laya, die seit frühester Kindheit Prinz Lilo-Taro versprochen ist, lebt in Paris im Exil. Der amerikanische Gouverneur Lloyd Harrison hat seine Nichte Bessi Worthington zu einem Empfang nach Honolulu beordert und möchte sie mit dem Prinzen verheiraten, um den Machtanspruch der Amerikaner in Hawaii zu stärken, doch sein Sekretär John Buffy findet ebenfalls Gefallen an ihr. Ein Teil der hawaiianischen Bevölkerung strebt unter der Führung von Kanako Hilo die Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten an. Durch eine List gelingt es, Prinzessin Laya unerkannt nach Hawaii zu bringen: Sie gibt sich als französische Sängerin Suzanne Provence aus, die der Prinzessin zum Verwechseln ähnlich sieht, und hat die Überfahrt gemeinsam mit dem berühmten amerikanischen Jazzsänger Jim Boy als dessen Partnerin angetreten. Auf der Überfahrt hat sie Kapitän Reginald Harold Stone kennengelernt, der sich in die „Sängerin“ verliebt. Als Kanako Hilo die wahre Identität der Sängerin gelüftet hat, hofft er darauf, dass sie ihn im Kampf gegen die Besatzungsmacht unterstützt. Jedes Jahr wird bei einer Zeremonie die hawaiianische Blumenkönigin gekrönt, doch dieses Jahr soll Prinzessin Laya wirklich inthronisiert werden und die Herrschaft über Hawaii übernehmen. Gouverneur Lloyd Harrison verlangt von ihr, auf jegliche Souveränitätsansprüche zu verzichten, und als sie sich weigert, befiehlt er Kapitän Reginald Harold Stone, sie zu verhaften. Der bringt es aber nicht fertig, die Frau seines Herzens festzunehmen, und so willigt Prinzessin Laya schließlich ein, auf den Thron zu verzichten, um den Kapitän vor Konsequenzen zu bewahren. Prinz Lilo-Taro deutet dies jedoch falsch und entschließt sich, auf dem Meer den Tod zu finden, woraufhin Prinzessin Laya erkennt, für wen ihr Herz schlägt. Das Ende der Operette ist vorhersehbar, schließlich soll jeder sein Liebesglück finden, weshalb gleich vier zufriedene Paare zueinander finden.

„Die Blume von Hawaii“, Theater Hagen, Insu Hwang (Kanako Hilo), Angela Davis (Laya), Richard van Gemert (Prinz Lilo-Taro), Chor. Foto: Klaus Lefebvre

Die Hagener Produktion, die unter Berücksichtigung der derzeit besonderen Bedingungen auf die Bühne gebracht werden musste, stellt eindeutig die handelnden Personen in den Vordergrund. Das Stück spielt auf einer fast leeren Bühne, drei nüchternen Podeste, die in Form und Größe an Spieltische erinnern, jeweils mit einer goldfarbenen Palme bestückt, sind in weiten Teilen der Inszenierung (Regie und Bühne Johannes Pölzgutter) die einzigen Aufbauten. In der Abstraktion sind sie mal Palast, mal Räume oder mal Inseln, und werden von den Darstellern im Wechsel bespielt. Alles Weitere bleibt bei dieser Inszenierung einzig der Phantasie der Zuschauer überlassen. Beginnend in einem Varietétheater, anfangs blickt das Publikum auf ein kleines beleuchtetes Bühnenportal, davor ein paar einfache Holztische, nimmt die eigentliche Handlung quasi im Hinterzimmer Fahrt auf. Ein schlafender Gast scheint die Zuschauer*innen mit hineinzunehmen in seine Traumwelt. Sein erträumtes Operetten-Reich befindet sich quasi hinter dem Vorhang. Dort lebt die Phantasie des Gastes zwischen drei möglicherweise zufällig abgestellten Podesten mit künstlichen Palmen. Damit ist durch einen geschickten Regiekniff die sowohl unrealistische als auch phantastische Handlung der Operette eine Reise in das Reich der Träume. Die „kleine Orchester-Besetzung“ der bühnenpraktischen Rekonstruktion wurde in Hagen Corana-bedingt aufgrund der erforderlichen Mindestabstände auf 14 Musiker reduziert und bringt Paul Abrahams Partitur unter der Musikalischen Leitung von Rodrigo Tomillo mit einem swingend angehauchten Jazzsound dennoch gut aufgelegt stimmig zu Gehör. Die mehr als 50 in der großen Besetzung vorgesehenen Musiker erscheinen in Zeiten der COVID-19-Pandemie völlig illusorisch.

„Die Blume von Hawaii“, Theater Hagen, Insu Hwang (Kanako Hilo) und Penny Sofroniadou (Raka). Foto: Klaus Lefebvre

Die Darsteller*innen bringen einiges an Operettenflair mit, singen, tanzen und steppen in zeittypischen Kostümen (Kostüme Susana Mendoza) – und stets mit gebotenem Abstand. Da Berührungen und Paartänze wegfallen müssen, bedarf es der Schauspielkunst der Darsteller*innen, ihre Zugewandtheit und Verliebtheit durch gekonnte Gestik und Mimik adäquat auf die Bretter zu bringen. Drei Tänzerinnen bringen dann doch ein wenig Hawaii-Atmosphäre auf die Bühne (Choreografie Seân Stephens), begleitet von den Klängen einer Hawaii-Gitarre. Ein wenig träumen darf ja noch erlaubt sein, ein bisschen Folklore, ein wenig Kitsch, aber niemals übertrieben, stets wohldosiert. Allen voran Angela Davis in der Doppelrolle der hawaiianischen Prinzessin Laya und der französischen Sängerin Suzanne Provence. Sie hat die Qual der Wahl, an ihrer Seite gleich drei glühende Verehrer, um sich am Ende für den einzig Richtigen, den Prinzen Lilo-Taro (Richard von Gemert) zu entscheiden. Nach hartnäckigem Werben bekommt auch John Buffy (Alexander von Hugo) seine angebetete – und ihn lange verschmähende – kokette Bessi Worthington (Alina Grzeschik): Juhu! Auch Jazzsänger Jim Boy (Frank Wöhrmann) findet in Hawaii sein Glück und muss am Ende erfahren, dass seine angebetete Ureinwohnerin Raka (Penny Sofroniadou) in Wahrheit eine moderne und gebildete Dame ist, und das Hula-Mädchen nur eine Rolle. Auch Kapitän Stone (Kenneth Mattice) – verkörpert durch den anfangs träumenden Varietétheatergast – findet mit der „echten“ Sängerin Suzanne Provence sein Glück. Alexander von Hugo und Maciej Michael Bittner können im Song „Ich hab’ ein Diwanpüppchen“ ihre Stepptanzfertigkeiten unter Beweis stellen, was vom Publikum heftig akklamiert wird. Der auf 8 Sänger*innen verkleinerte Opernchor wurde im 2. Seitenrang platziert, um den erforderlichen Mindestabstand einhalten zu können.

„Die Blume von Hawaii“, Theater Hagen, Angela Davis (Laya). Foto: Klaus Lefebvre

Am Ende der knapp zweieinhalbstündigen, kurzweiligen Vorstellung gab es verdient langanhaltenden Applaus für alle Akteure. Zum Schlussapplaus kamen die 25 Personen zur Sicherheit mit Mund-Nasen-Schutz auf die Bühne. Folgevorstellungen von „Die Blume von Hawaii“ sind bis 4. Juli 2021 disponiert, die nächsten Vorstellungen stehen am 21. November 2020 um 19.30 Uhr – mit anschließender „Stunde der Kritik“ – und 31. Dezember 2020 um 15 und 19.30 Uhr auf dem Spielplan.

„Die Blume von Hawaii“, Theater Hagen, Penny Sofroniadou. Foto: Klaus Lefebvre

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