Theater in der Krise

Regisseur und Folkwang-Professor Gil Mehmert zur aktuellen Situation


Die „Weiße Mühle“ an der Schleuse Neukirchen beherbergt seit 2003 die Unterrichtsräume des Studiengangs Musical

Seit 15. März 2020 finden in Deutschland aufgrund der COVID-19-Pandemie keine Theatervorstellungen mehr statt. „Grand Hotel” an der Folkwang Universität der Künste und „Goethe!” bei den Bad Hersfelder Festspielen können augenblicklich nicht vorbereitet, geschweige denn gezeigt werden. Sie können natürlich zu zukünftigen Inszenierungen bereits Überlegungen anstellen, aber kommt die Absage nicht beinahe einem Tätigkeitsverbot gleich? Wird dem Theater beispielsweise im Vergleich zum Profifußball zu wenig Bedeutung beigemessen?

Gil Mehmert: Letzteres trifft auf jeden Fall zu. Ich bin ja auch ein großer Fußball-Fan, möchte aber behaupten, dass der Verlust, ein Spiel nicht live zu sehen, wesentlich geringer ist, als eine Theateraufführung nicht live erleben zu können. Diese lässt sich kaum durch Kameras aufbereiten. Und leider merkt man aktuell, wie wenig Durchblick Politiker haben, wie komplex Theater ist. Sowohl in seiner Produktion als auch in seiner Darbietung.

Momentan gibt es noch keinerlei Regeln, wie Theaterbetrieb in Zukunft aussehen könnte. Haben Sie als Regisseur Ideen, wie Abstandsregeln im Auditorium und auf der Bühne sinnvoll eingehalten werden könnten? Warteschlangen beim Einlass, vor der Toilette oder an der Bar werden sich sicher auch in Zukunft nicht vermeiden lassen.

Gil Mehmert: Da komme ich gerne zurück auf den Fußball, was die Darstellung auf der Bühne angeht: wenn die Spieler einen Abstand von 1,50 Meter einhalten, dann machen wir das im Theater selbstverständlich auch. Wir werden sehen.
Es wäre ein Leichtes, dem Theater erstmal halbe Zuschauerzahl zu verordnen und den Kartenkauf digital durchzuführen. Im Theater wird dann nur jeder zweite Platz besetzt und die großen Häuser haben alle genug Platz im Foyer, dass man Abstand halten kann.


Gibt es zu „Grand Hotel” Überlegungen, diese Produktion zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen?

Gil Mehmert: Natürlich warten wir sehnsüchtig auf Signale, die Proben wieder aufnehmen zu können.

Oder können die Studierenden die ausgefallene Produktion durch andere Leistungen in der Prüfungsordnung ersetzen?

Gil Mehmert: Dazu kann ich leider aktuell nichts sagen, auch wenn es natürlich Überlegungen in diese Richtung gibt.

An der Folkwang Universität der Künste haben am 20. April 2020 die Vorlesungen begonnen, wobei der Lehrbetrieb aufgrund der Corona-Pandemie zunächst vornehmlich ohne Präsenzveranstaltungen geplant ist, Studierende dürfen den Campus bis mindestens 5. Mai 2020 gar nicht betreten. Distance-Learning-Lehrangebote sollen die üblichen Präsenzveranstaltung in diesem sogenannten „Kreativsemester“ ersetzen. Was hat man sich im Studiengang Musical darunter vorzustellen? Wie funktioniert szenische Arbeit womöglich im Ensemble auf Distanz?

Gil Mehmert: Tatsächlich werden einige Fächer nun per Bildschirmkontakt unterrichtet. Aber auch anderen Instituten ist schon aufgefallen, dass diese Art von Kontakt wesentlich anstrengender und kräftezehrender ist als die reale Kommunikation. Szenische Arbeit ist im Grunde erstmal nicht möglich. Die gemeinsame Vorbereitung an Texten und auch Songinhalten, manche Diskussion über Repertoire lässt sich bis zu einem gewissen Grade sogar per Mail austauschen, aber natürlich sehnen wir uns alle nach unserer Arbeit im Probenraum zurück. Und da wäre es eigentlich leicht möglich, zum Beispiel bei Liedinterpretation, zwischen Student, Korrepetitor und Regisseur genügend Distanz einzunehmen. Aber wir dürfen leider nicht.

Um in diesem Stillstand etwas Gutes zu sehen, solange man nicht konkret vom Virus betroffen ist: Zeit ist das, was wir sonst alle immer vermissen, um Inhalte durch Sekundärquellen zu vertiefen. Und soviel Zeit zum Lesen und DVD-Studium hätte man sich kaum vorstellen können. Und das weiß ich gerade sehr zu schätzen und ich hoffe, die Studenten auch.


Wer es nicht mitbekommen hat, in der Spielzeit 2020/2021 soll am Opernhaus Dortmund „Cabaret“ von John Kander (Musik), Fred Ebb (Gesangstexte) und John Masteroff (Buch) in der Inszenierung von Gil Mehmert (Premiere 27. September 2020) gezeigt werden, die auch an der Volkoper Wien wiederaufgenommen werden soll. Außerdem soll am Theater St. Gallen „Wüstenblume“ von Uwe-Fahrenkrog-Petersen (Musik), Frank Ramond (Liedtexte) und Gil Mehmert (Buch, Inszenierung) wiederaufgenommen werden (Uraufführung 22. Februar 2020, Wiederaufnahme November 2020). Alle Angaben natürlich vorbehaltlich entsprechender behördlicher Erlaubnis und unverändertem Spielplan.

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