„Perô oder die Geheimnisse der Nacht“


„Perô oder die Geheimnisse der Nacht“ – Musiktheater für zwei Sänger, zwei Musiker und zwei Puppen-Schauspieler nach dem Kinderbuch „Pierrot ou les secrets de la nuit“ von Michel Tournier (1979); Bearbeitung und Musik: Guss Ponsioen; Übersetzung: Monika The (1996); Inszenierung: Astrid Griesbach; Bühne und Kostüme: Grit Wendicke, Puppenbau: Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin, Abteilung Zeitgenössisches Puppenspiel; Dramaturgie: Olaf Roth; Musikalische Leitung: Martín Sotello. Darsteller: Karola Pavone (Sonne), Etienne Walch (Mond), Gloria Iberl-Thieme (Gina), Daniel Jeroma (Luigi). Musiker: Martín Sotello (Klavier), Dominik Oppel/Martin Hilner/Greta Schaller (Saxofon). Uraufführung: „Perô of de Geheimen van de Nacht“, Dezember 1994, Speeltheater Holland, Edam, Niederlande. Deutschsprachige Erstaufführung: 22. Januar 1999, Theater im Marienbad, Freiburg im Breisgau. ÖE: 26. September 1999 Theater des Kindes, Linz, Österreich. Premiere: 6. Dezember 2019, Musiktheater im Revier, Kleines Haus, Gelsenkirchen.



„Perô oder die Geheimnisse der Nacht“


Auch Puppen sehnen sich nach Liebe


Michel Tournier (* 19. Dezember 1924 in Paris, † 18. Januar 2016 in Choisel) erhielt für seinen zweiten, 1970 erschienen Roman „Le Roi des Aulnes“ (deutsch „Der Erlkönig“) den französischen Literaturpreis „Prix Goncourt“. Sein Kinder- und Jugendbuch „Pierrot ou les secrets de la nuit“ (Erst­ver­öffentlichung: 1979) wurde 1994 vom niederländische Sänger und Komponist Guus Ponsioen (* 1951 in Alphen aan den Rijn), der ab Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre Musik für Kinder- und Jugendtheater schreibt, als Auftragsarbeit für das Speeltheater Holland vertont, wo es im Dezember 1994 zur Uraufführung gebracht und im Oktober 2006 wieder­auf­genommen wurde. „Perô of de Geheimen van de Nacht“ wurde ins Deutsche, Englische, Französische und Kroatische übersetzt und erhielt 2007 den Niederländischen Jugendtheaterpreis „De Zilveren Krekel“.

„Perô oder die Geheimnisse der Nacht“, Musiktheater im Revier, Gloria Iberl-Thieme und Daniel Jeroma mit den Puppen Colombina und Perô. Foto Björn Hickmann

Zum Inhalt
In dem kleinen italienischen Dorf Fanghetto leben die Weißwäscherin Colombina und der Bäcker Perô Tür an Tür. Perô arbeitet nachts, Colombina tagsüber – wie können sie da je zusammen­kommen? Denn Perô ist unsterblich in Colombina verliebt. Doch Colombina fürchtet sich vor der Finsternis, der schwarzen Nacht. Perô aber kennt die Geheimnisse der Nacht, wenn der Bach leise am Dorf vorbeirauscht und die Forellen träumen. Ob er seine Colombina wohl davon überzeugen kann, dass es nichts Schöneres gibt, als nachts durch die stillen Gassen zu spazieren? Seine Liebesbriefe an Colombina schickt er jedenfalls nicht ab, da er zu schüchtern ist. Als eines Tages der umherziehende Maler Paletino im Dorf auftaucht, alles mit grellen Farben überzieht und Colombina den Hof macht, sieht Perô seine Chancen für immer schwinden. Colombina erliegt den bunten Verlockungen, brennt mit Paletino durch und hängt ein Schild „Wegen Hochzeitsreise geschlossen“ über den Eingang der Weißwäscherei, weshalb Perô seine Bäckerei aus Liebeskummer schließt. Doch als die Farben des Sommers schwinden, merkt Colombina, dass ihr etwas fehlt. Der Herbstwind weht ihr schließlich einen zerrissenen Liebesbrief von Perô in die Hände, und mit dem ersten Schneefall in der Nacht weiß sie, was ihr fehlt. Colombina beschließt, Paletino zu verlassen und nach Fanghetto zurückzukehren. Aber der Weg zurück nach Hause durch die dunkle Nacht ist lang und kalt. Wird es ihr gelingen, Perô wiederzufinden? Sonne und Mond wachen über das Geschehen und kommen sich ebenfalls ein wenig näher. Ein heiteres Musiktheaterstück über große Fragen des Lebens – Liebe, Heimat, Glück, die auch schon junge Menschen beschäftigen, in der Premiere mitunter kichernder- und glucksenderweise.

„Perô oder die Geheimnisse der Nacht“, Musiktheater im Revier, Gloria Iberl-Thieme (Gina) und Daniel Jeroma (Luigi). Foto Björn Hickmann

Astrid Griesbach, Professorin für Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin, hat „Perô oder die Geheimnisse der Nacht“ auf der Bühne des Kleinen Hauses in Szene gesetzt, bei der Kooperation vom Musiktheater im Revier mit der HfS „Ernst Busch“ naheliegend. In ihrer Inszenierung treten die Darsteller*innen sowohl unverdeckt in der Funktion als Puppenspieler*innen als auch als Menschen in Erscheinung, die den Verlauf der Handlung und die Gefühle der von ihnen geführten Puppen naher erläutern. „Perô oder die Geheimnisse der Nacht“ greift die italienische „Commedia dell’arte“ (italienisch für „Berufsschauspielkunst“) des 16. bis 18. Jahrhunderts mit deren Figuren Colombina, Pierrot und Harlekin auf, was noch durch die liebevolle Ausstattung von Bühnen- und Kostümbildnerin Grit Wendicke unterstrichen wird. Kein Grundschulkind kann mit dem Begriff „Commedia dell’arte“ etwas anfangen, jedenfalls kann ich es mir nicht vorstellen, erotische Anspielungen scheinen da schon viel eher ihre Wirkung nicht zu verfehlen, so zumindest meine Vermutung in Anbetracht des Gekichers. Die in der Abteilung Zeitgenössisches Puppenspiel der HfS „Ernst Busch“ gebauten Puppen Colombina, Perô und Paletino werden am Kopf und einem Arm geführt, mithilfe der/des zweiten Puppenspielerin/Puppenspielers können sie – an den Füßen geführt – auch laufen. Martín Sotello (Klavier) und Greta Schaller (Saxofon) brachten die von Guss Ponsioen komponierte Musik bei der Premiere ansprechend zu Gehör.

„Perô oder die Geheimnisse der Nacht“, Musiktheater im Revier, Gloria Iberl-Thieme mit den Puppen Colombina und Paletino. Foto Björn Hickmann

Gloria Iberl-Thieme ist seit der Spielzeit 2019/2020 als festes Ensemblemitglied am Musiktheater im Revier engagiert und spielt Gina und die Puppe Colombina. Da es neben Gloria Iberl-Thieme nur die vier Studentinnen Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik, Eileen von Hoyningen Huene, Anastasia Starodubova der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin am MiR Puppentheater gibt, hat Daniel Jeroma a. G. den Part von Luigi und Perô übernommen. Schaut man sich an, wie viel Zärtlichkeit die Puppenspieler*innen ihren Figuren entgegenbringen, so ist hier auf jeden Fall viel Liebe und Herzblut im Spiel. Karola Pavone (Sonne) und Countertenor Etienne Walch (Mond) wachen die meiste Zeit auf ihren Hochstühlen am rechten und linken Bühnenrand über das Geschehen und erzählen singend die Geschichte. Wie Perô ist auch der Mond verliebt, und zwar in die Sonne, doch die findet ihn lediglich nett, mehr aber nicht. Am Ende der knapp einstündigen Vorstellung kommen auch die beiden sich näher und die Sonne wirft dem Mond eine Kusshand zu, bei einem mittleren Abstand von mehr als 149 Milliarden km etwas schwierig, aber im Theater geht schließlich (fast) alles.

„Perô oder die Geheimnisse der Nacht“, Musiktheater im Revier, Daniel Jeroma mit den Puppe Perô. Foto Björn Hickmann

Neben der Kinderoper „Drei miese, fiese Kerle“ von Zad Moultaka ist „Perô oder die Geheimnisse der Nacht“ von Guss Ponsioen das zweite Musiktheaterstück für die ganze Familie, das im Musiktheater im Revier in der Vorweihnachtszeit auf dem Spielplan steht, wobei aber letztendlich nur die drei Vorstellungen am 15., 25. und 29. Dezember 2019 jeweils um 16 Uhr von Familien mit schulpflichtigen Kindern wahrgenommen werden können. Die übrigen Vorstellungen um 9.30 Uhr und 11 Uhr dürften nur für Schulklassen während der Schulzeit von Interesse sein.

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