Neue Sonderausstellung „PEST!“ im LWL-Museum für Archäologie in Herne

Die Geschichte einer Seuche und ihre weltweiten Auswirkungen

LWL-Museum für Archäologie in Herne

Die Pest ist eine Seuche, die schon seit Jahrtausenden die Menschheit begleitet und Millionen von Toten gefordert hat. Als „Schwarzer Tod“ hat sie sich tief im kulturellen Gedächtnis der Menschheit verankert. Das Museum für Archäologie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) widmet sich ab Freitag, 20. September 2019 in Herne mit der Sonderausstellung „PEST!“ dieser Krankheit, welche die Menschen wie keine andere geprägt hat.

„PEST!“, Anker der „Grand Saint Antoine“ im Museumsfoyer

Was ist die Pest? Welche Gegenmaßnahmen haben die Menschen früher ergriffen? Ist die Pest heute ausgerottet? Diese und weitere Fragen beantwortet die neue Sonderausstellung in einer Reise durch die Geschichte dieser Krankheit. Archäologische Funde sowie Objekte der Kunst- und Kulturgeschichte zeichnen den Weg der Pest von der Steinzeit bis in die Gegenwart. Anschauliche Wachsmodelle und Medienstationen laden Besucher jeden Alters zum Entdecken ein. Die Ausstellung ist bis 10. Mai 2020 zu sehen.

In der Ausstellung „PEST!“ ist es möglich, sich das (natürlich abgetötete) Pestbakterium unter dem Mikroskop ganz genau anzusehen. Foto: LWL/Stefan Leenen

„Die Diskussionen um eine Impfpflicht verdeutlichen, wie aktuell das Thema ansteckender Krankheiten ist“, betonte LWL-Direktor Matthias Löb am Mittwoch, 18. September 2019 in Herne. „Auch wenn die Pest heute zum Glück heilbar ist, hat die Ausstellung einen hohen Gegenwartsbezug. Sie zeigt nicht nur den Umgang mit einer Seuche, sondern auch das menschliche Verhalten im Angesicht von existenziellen Bedrohungen mit Schuldzuweisungen an Minderheiten. Das Ausgrenzen ganzer Bevölkerungsgruppen und ihre Verfolgung wegen einer vermeintlichen Bedrohung ist ein Muster, das sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Die Pest als Pandemie ist größtenteils Geschichte, die Verhaltensmuster sind es nicht.“

„PEST!“, Präparat einer Schwarzen Ratte (Hausratte)

In der Ausstellung folgen die Besucher der Seuche quer durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte. Die ältesten Exponate sind jungsteinzeitliche Steinwerkzeuge aus einem Grab bei Augsburg, dessen Tote nachweislich mit der Pest infiziert waren. Über babylonische Tontafeln der Bronzezeit führt die Reise in die erste große Pandemie im frühen Mittelalter, die sogenannte Justinianische Pest, als die Seuche vom Mittelmeerraum bis zur Nordsee wütete.

Der Rattenfloh ist der hauptsächliche Überträger des Pesterregers auf den Menschen. Stirbt sein Wirt, springt er auf den nächsten über – auch auf den Menschen. Foto: LWL/Stefan Leenen

Museumsleiterin Dr. Doreen Mölders: „Insbesondere in Epochen, aus denen wir keine oder nur wenige Schriftquellen haben, können wir anhand von archäologischen Funden in Verbindung mit DNA-Analysen etwa die Ausbreitung und Übertragung der Pest erforschen.“

„PEST!“, Moulage einer Pestnekrose auf dem Fuß eines Menschen, 1945–1960 (Originalabformung 1900–1912)

Die Sonderausstellung biete aber mehr als eine Zeitreise. „Wir beleuchten die Geschichte der Pest von ganz unterschiedlichen Seiten“, so Doreen Mölders. „Es geht uns sowohl um die sozialen Aspekte als auch um den medizinischen Fortschritt. Zudem thematisieren wir die düsteren Seiten des Umgangs mit der Pest.“ Als im Mittelalter die Seuche Mitte des 14. Jahrhunderts ganz Europa erfasste, wurden vielerorts Juden verantwortlich gemacht und verfolgt. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche Schatzfunde, die sich jüdischen Besitzern zuweisen lassen und in der Angst vor Pogromen angelegt wurden. Exemplarisch zeigt das LWL-Museum für Archäologie unter anderem den Schatzfund aus dem Stadtweinhaus von Münster.

„PEST!“, Aschheim und die Justinianische Pest, mittleres Drittel 6. Jh.

Erst im Jahr 1894 gelang es Alexandre Yersin, ein Bakterium als Pest-Verursacher zu identifizieren, das in der Folge nach ihm benannt wurde: Yersinia pestis. Zu dieser Zeit erreichte die Pest in ihrer letzten großen Welle über Hongkong alle Kontinente. Unter einem Mikroskop können sich die Besucher echte, aber unschädlich gemachte Pestbakterien ansehen. Die Symptome der Pest verdeutlichen historische Wachsmodelle: Schwellungen, schwarzblaue Beulen und abgestorbenes Gewebe.

„PEST!“, Blick in die Ausstellung mit der von der Künstlerin Claudia Pomowski gestalteten „Totentanz“-Installation

Wie ist ein Pestbakterium aufgebaut und wie entfaltet es seine tödliche Wirkung? In einem eigenen Bereich bietet die Ausstellung Antworten auf diese naturwissenschaftlichen Fragen. Ein Experte für Archäogenetik hat das Museum beraten: Marcel Keller erforschte mit seinen Kollegen am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte die Pest anhand von alter DNA aus Skelettmaterial.

„PEST!“, das Progrom an den Juden in Speyer 1349, Grabstein des Baruch ben Elieser

Im Zentrum seiner Studien steht die Justinianische Pest, die im 6. Jahrhundert ausbrach. „Uns gelang es erstmalig, die Justinianische Pest auf den Britischen Inseln nachzuweisen, wofür es zuvor nur vage Hinweise gab“, so Marcel Keller.

„PEST!“, Theriak – die Mutter aller Arzneien, 2 Standgefäße mit Deckel, ca. 1780

Darüber hinaus hat die Forschergruppe das Bakterium auch in Proben aus Frankreich, Spanien und Süddeutschland identifiziert. Die reichen Beigaben einer der untersuchten Bestattungen aus dem bayerischen Altenerding finden sich ebenfalls in der Ausstellung. „Uns ist es wichtig, den aktuellen Stand der Forschung zu präsentieren“, erklärt Museumsleiterin Doreen Mölders.

„PEST!“, „Schnabelmasken“-Installation

Für Westfalen ergibt sich ein besonderer Bezug zur Pest: Einer der wenigen erhaltenen und bekannten Pestfriedhöfe befindet sich im Wünneberger Stadtteil Leiberg im Kreis Paderborn. Die Pestwellen vom 14. bis zum 18. Jahrhundert in Europa führten zu extremen Todeszahlen, welche durch Einzelbestattungen auf dem örtlichen Friedhof allein aus Platzgründen nicht mehr aufgefangen werden konnten. Da diese Nähe zudem die Gefahr einer weiteren Verseuchung erhöhte, bestatteten die Einwohner ihre Toten entgegen der christlichen Praxis häufiger in Massengräbern außerhalb des Ortes.

„PEST!“, Pestkreuz (Replik), spätes 14. Jh. (Original)

Gleiches galt auch für das frühneuzeitliche Dorf Leiberg, wo die Pest im Jahr 1635 ausbrach und 400 Opfer forderte. Für die Ausstellung wurde eine Kopie des steinernen Kreuzes angefertigt, das vor Ort an die Toten erinnert. „Die Ausstellung erzählt die historische Tiefe der Pest, aufgrund derer die Seuche noch heute im kollektiven Gedächtnis ist - darin liegt der besondere Gewinn dieser Präsentation“, so Matthias Löb.

„PEST!“, der hl. Sebastian, Statue, 16. Jh.

Das Begleitprogramm

Darüber hinaus bietet das LWL-Museum für Archäologie zur Sonderausstellung „PEST!“ ein breites Rahmenprogramm an. Dazu zählen Vorträge, Lesungen, Ferienprogramme in den Herbst- (22. bis 25. Oktober 2019, eintägig, jeweils von 11 bis 16 Uhr) und Osterferien (14. bis 17. April 2020, eintägig, jeweils von 11 bis 16 Uhr), eine lange „Pest-Nacht“ (27. März 2020 von 18 bis 24 Uhr) und Filmabende.

„PEST!“, hl. Rochus von Montpellier, Statue, unbekannter Künstler, ca. 1520

Alle Termine mit detaillierten Beschreibungen können dem Veranstaltungskalender und der Website pest-ausstellung.lwl.org/de/veranstaltungen entnommen werden.

„PEST!“, die Pest in der St.-Jakobs-Pfarre in Löwen (Belgien), unbekannter Künstler, 1578

Das Kreuz auf dem Pestfriedhof beim westfälischen Leiberg steht noch heute dort und erinnert an den Ausbruch von 1635. Foto: LWL/Stefan Leenen

„PEST!“, Pestkreuz (Replik), 2019

Das Stundenbuch der Bonne von Luxemburg aus dem 14. Jahrhundert spiegelt in seinen Darstellungen das Erlebnis der Pest wider und mahnt an die Allgegenwärtigkeit des Todes. Foto: LWL/Stefan Leenen

„PEST!“, den Tätern auf der Spur – Arbeitsgeräte der Mikrobiologen und Ärzte um 1900

„PEST!“, monokulares Mikroskop, ca. 1891

„PEST!“, Pestfall heute

Das LWL-Museum für Archäologie hat Dienstag, Mittwoch und Freitag von 9 bis 17 Uhr geöffnet, Donnerstag von 9 bis 19 Uhr sowie Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr. Das Museum ist am 24., 25. und 31. Dezember sowie am 1. Januar geschlossen. Der Eintritt in die Ausstellung „PEST!“ beträgt für Erwachsene 6 Euro, 3 Euro ermäßigt, Kinder und Jugendliche bis einschließlich 17 Jahre haben freien Eintritt. Ein Kombiticket für die Sonder- und Dauerausstellung ist zum Preis von 9 Euro erhältlich, 4,50 Euro ermäßigt.

„PEST!“, Pest-Schnelltest und Probentransportbox

Der Katalog

Der vom LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne herausgegebene Katalog „Pest! Eine Spurensuche“ präsentiert anhand von zahlreichen Essays renommierter Autoren und des umfangreichen Exponatteils mit rund 300 archäologischen und kulturgeschichtlichen Exponaten ein einzigartiges Panorama der Pest in Geschichte und Gegenwart.

„Pest! Eine Spurensuche“
Herausgeber LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne, Stefan Leenen, Alexander Berner, Sandra Maus, Doreen Mölders
Verlag wgb Theiss, Darmstadt, Imprint der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (wbg), Darmstadt
696 Seiten, 710 Abbildungen
24 × 30 cm, gebunden
ISBN: 978-3-00-063594-5 (Museumsausgabe), € 24,95
ISBN: 978-3-8062-3996-6 (Buchhandelsausgabe), € 40,00

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