Neues Standardwerk zum Ruhrgebiet

Umfangreicher Sammelband zu den Erinnerungsorten des Ruhrgebiets erscheint zum Abschluss des Projektes „Zeit-Räume Ruhr“

Auf 944 Seiten lädt die Publikation „Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets“ zur Spurensuche in den Erinnerungen des Ruhrgebiets ein und bildet die unterschiedlichen Schichten des historischen Wandels der Region ab. In den fünf Kapiteln „Landschaft und Stadt“, „Kultur und Freizeit“, „Menschen und Typen“, „Industrie und Arbeit“ sowie „Krisen und Konflikte“ werden die Konturen einer Erinnerungslandschaft Ruhrgebiet deutlich. 49 Beiträge renommierter Autorinnen und Autoren reflektieren die wechselseitigen Einflüsse und Bezüge der Faktoren und Momente, die den Wandel der Region prägen und das Ruhrgebiet mit einer neuen Identität versehen. Neben montan-industriellen Klassikern wie Zechen, Hütten und Stahl bietet der Band auch eine Fülle einschlägiger immaterieller Erinnerungsorte wie etwa Streik, Migration oder Ruhrdeutsch. Selbstverständlich sind auch fest in die Erinnerungen der Metropole Ruhr eingeschriebene kulturelle Phänomene wie der Fußball, die Bude, die Currywurst oder der Döner mit dabei. Damit macht der Band ein Angebot zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Region. Die Erinnerungsgeschichte des Ruhrgebiets lebt von der Vielfalt und vom Streit über den Wert von Erinnerungen. Eine solche Auseinandersetzung belebt die Erinnerungslandschaft und verhindert, dass sie verblasst oder im Konsens verstaubt. Der Band soll daher nicht zuletzt auch die Diskussion um die Region Ruhrgebiet anregen und aufrechterhalten. Die Publikation erscheint im Klartext Verlag Essen und kostet 39,95 €.

Buchvorstellung „Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets“, v. l. n. r.: Prof. Dr. Ulrich Borsdorf, Alrun Berger, Prof. Dr. Ludger Claßen, Prof. Heinrich Theodor Grütter, Karola Geiß-Netthöfel, Prof. Dr. Stefan Berger, Dr. Dieter Nellen, Philipp Bänfer

Von Erinnerungsorten und Zeit-Räumen

Das Besondere an diesem Projekt ist, dass es die Erinnerungsorte des Ruhrgebiets im Unterschied zu anderen Projekten nicht als starre und unveränderliche Traditionen beschreibt. Da Erinnerungsorte niemals gleich bleiben, sondern im Wandel der Zeit fortwährend in Bewegung sind, ständig um- und neukonstruiert werden, ist der Begriff der Zeit von entscheidender Bedeutung. Wie ein Text, der von vielen verschiedenen Personen und Gruppen zu verschiedenen Zeiten aus unterschiedlichsten Beweggründen über- oder neugeschrieben wird, sind Erinnerungsorte niemals starre Gebilde. Vielmehr werden sie ununterbrochen mit anderen Bedeutungen belegt und von den Umständen der jeweiligen Gegenwart bestimmt. Diese Zeit-Räume mit und für eine breite Öffentlichkeit zu erfassen, sichtbar zu machen, zu lesen und kritisch zu diskutieren, hatte sich das Projekt „Zeit-Räume Ruhr“ zur Aufgabe gesetzt. Durch das Bündeln vieler diverser Erinnerungsorte seiner Bewohner lassen sich so verschiedenste, an einzelnen Orten überlagernde Zeit-Räume des Ruhrgebiets erfassen, die es ermöglichen, sowohl unterschiedlichste, sich im Laufe der Zeit wandelnde Identitätsbezüge der Region als auch verschiedene Perspektiven und Entwürfe für ihre gegenwärtige und künftige Entwicklung auszumachen und gemeinsam zu diskutieren.

Erinnerungsort Grugapark: Grugaturm

Das Projekt „Zeit-Räume Ruhr“ schaffte Dialog

Das gemeinsam vom Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum und vom Essener Ruhr Museum im Auftrag des Regionalverbands Ruhr und des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführte Projekt „Zeit-Räume Ruhr“ ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Ruhr-Region. Es hat dies nicht nur wissenschaftlich getan, sondern auch die gefragt, die davon betroffen sind: die Bevölkerung. An ihnen ist es, die Veränderungen zu verarbeiten und neue Perspektiven für sich selbst und die Region zu entwickeln.

Bestandteile des Projekts waren eine internationale Fachtagung samt Tagungsband, zwei öffentliche Kongresse, eine interaktive Website sowie ein Standardwerk zur Erinnerungslandschaft im Ruhrgebiet, die im Dialog mit der Bevölkerung des Ruhrgebiets entstanden sind. Für dieses Projekt wurden außerdem eigene Facebook-, Twitter- und Instagram-Seiten eingerichtet, um so im crossmedialen Zusammenspiel mit Plakaten und Flyern rund um die neue Onlineplattform eine breit angelegte Kommunikation und Diskussion über die Erinnerungsorte des Ruhrgebiets zu erreichen.

Erinnerungsort Trinkhalle: ehemalige Trinkhalle Willy Göken

Das Ergebnis ist eine einzigartige Topografie des Ruhrgebiets mit 266 online eingereichten Erinnerungsorten. Dabei können Erinnerungsorte physische Räume sein, aber auch Ereignisse oder Symbole, die eine gemeinsame Erinnerung bündeln – was dem Gewesenen Bedeutung für die eigene Identität und für die gesamte Region verleiht. Bestimmte Erinnerungen kehren dabei immer wieder: die an Zechen und Stahlhütten natürlich, aber auch an Nachkriegszeit und Wirtschaftswachstum, an Natur und Schrebergarten, an Fußball und Kirmes, an Kino und Theater. Die Orte und die mit ihnen verbundenen Erinnerungen geben einen sehr persönlichen und lebhaften Einblick in das Lebensgefühl und die Lebenswirklichkeit der Menschen im Ruhrgebiet.

Erinnerungsort Streik: „Glückauf.Bergarbeiterproteste im Ruhrgebiet“ von Silke Wagner am Faulturm der ehemaligen Kläranlage in Herne

Für die regionale wie für die internationale Öffentlichkeit ist auf diese Weise eine gedankliche Topografie der Region entstanden, das sich in die Zeit hinein entwirft, und somit explizit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verknüpft. Den Abschluss und Höhepunkt des Projekts bildet die Publikation „Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets“, in der ausgewiesene Fachleute 49 Erinnerungsräume der Region einschließlich ihres Bedeutungswandels beschreiben.

Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin Regionalverband Ruhr (RVR):
Mit „Zeit-Räume Ruhr“ dokumentiert die Metropole Ruhr ihre besondere Geschichte und historische Herkunft, ohne den Blick in die Zukunft zu verlieren. Die beteiligten Projektpartner haben mit dem jetzt vorliegenden publizistischen Standardwerk zu den Erinnerungsorten des Ruhrgebiets einen Meilenstein regionaler Geschichtsschreibung initiiert und ermöglicht. Darüber hinaus vereint „Zeit-Räume Ruhr“ wissenschaftliche Erforschung, zivilgesellschaftliche Beteiligung und führt den Dialog zwischen Wirklichkeit und Wissenschaft.

Erinnerungsort Eisenhütte: Industrieruine Hochofenanlage Phoenix-West

Prof. Dr. Stefan Berger, Direktor Institut für soziale Bewegungen:
Die zeitgenössischen Erinnerungsräume des Ruhrgebiets sind nahezu vollständig dominiert von der Erinnerung an das industriekulturelle Zeitalter. Ob und inwiefern dies Chancen für die Gestaltung der Zukunft des Ruhrgebiets bietet und wie sich die institutionalisierten Formen kollektiver Erinnerung zum individuellen Erinnerungs-haushalt der Menschen des Ruhrgebiets verhalten, bleibt eine Aufgabe für zukünftige Forschungen zur regionalen Identität der Region.

Prof. Heinrich Theodor Grütter, Direktor Ruhr Museum:
Mit „Zeit-Räume Ruhr“ liegt nun endlich der Band mit den zentralen Erinnerungsorten des Ruhrgebiets vor, von „Kohle“ und „Stahl“ bis „Currywurst“ und „Fußball“. Ein voluminöses Standardwerk von Experten, das alles beschreibt, was das Ruhrgebiet in der Vergangenheit und Gegenwart ausmacht.

Cover „Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets“, Gestaltung: FREIWILD Kommunikation

„Zeit-Räume Ruhr. Erinnerungsorte des Ruhrgebiets“
Herausgeber: Stefan Berger, Ulrich Borsdorf, Ludger Claßen, Heinrich Theodor Grütter, Dieter Nellen
Klartext Verlag, Essen
944 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen
Format: 18,0 × 24,9  cm
ISBN 978-3-8375-1928-0
39,95 € (D)

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