Buchbesprechung: „Bauhaus und Textilindustrie. Architektur – Design – Lehre“

Wissenschaftliche Publikation zur Geschichte der Verbindungen zwischen Bauhaus und Seidenindustrie

Hauptgebäude der Bauhaus-Universität Weimar, „Ateliergebäude“ der ehemaligen Grossherzoglich-Sächsischen Kunstschule Weimar, Henry van de Velde, 1904 – 1911

Walter Gropius (* 18. Mai 1883 in Berlin, † 5. Juli 1969 in Boston, Massachusetts), der von Henry van de Velde (* 3. April 1863 in Antwerpen, † 25. Oktober 1957 in Zürich) als sein Nachfolger als Direktor der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar vorgeschlagen wurde, gründete am 12. April 1919 durch Zusammenführung der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar und der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst das „Staatliche Bauhaus in Weimar“.

Haus Esters, Ludwig Mies van der Rohe, 1927 – 1930

Haus Lange, Ludwig Mies van der Rohe, 1927 – 1930

Seit den 1920er-Jahren unterhielt das Bauhaus und mehrere seiner Vertreter intensive Verbindungen zu der im Rheinland konzentrierten Seidenindustrie, Gunta Stölzl (* 5. März 1897 in München, † 23. April 1983 in Küssnacht, Schweiz) und Benita Koch-Otto (* 23. Mai 1892 in Stuttgart, † 26. April 1976 in Bielefeld) besuchten im März 1922 einen Fortbildungskurs für Textilfärberei an der Färbereischule der Preußischen Höheren Fachschule für Textilindustrie in Krefeld. Ludwig Mies van der Rohe (* 27. März 1886 in Aachen, † 17. August 1969 in Chicago) und seine Partnerin Lilly Reich (* 16. Juni 1885 in Berlin, † 14. Dezember 1947 in Berlin) schufen bahnbrechende Ausstellungs­ge­staltungen, Wohnhäuser (Haus Esters und Haus Lange) und Industriebauten (HE-Gebäude und Färberei-Hallen der „VerSeidAG“) für deren Repräsentanten. Walter Gropius erwog die Textilstadt Krefeld als neuen Standort für das Bauhaus, als es 1924 aus politischen Gründen Weimar verlassen musste. Bekanntlich wurden das von Walter Gropius entworfene Bauhaus-Gebäude und die ebenfalls von Walter Gropius entworfenen „Meisterhäuser“ in der Industriestadt Dessau in Sachsen-Anhalt errichtet. Der Bauhaus-Pädagoge Johannes Itten (* 11. November 1888 in Südern-Linden, Schweiz, † 25. März 1967 in Zürich) prägte mit seiner Lehre seit 1932 die Ausbildung der Textildesigner als Leiter der Höheren Fachschule für textile Flächenkunst. Ein weiterer vormaliger Bauhausmeister, Georg Muche (* 8. Mai 1895 in Querfurt, † 26. März 1987 in Lindau) übernahm 1939 diese Aufgabe als Leiter der neu gegründeten Meisterklasse für Textilkunst an der Höheren Fachschule für Textilindustrie. Ihm folgten fünf Bauhaus Absolventen als Lehrer nach Krefeld.

Mies van der Rohe Business Park, Speditionshaus und HE-Gebäude der Vereinigten Seidenwebereien AG, kurz „VerSeidAG“

Die „Hochschule für Gestaltung“ in Dessau wurde 1932 unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen. Die Nationalsozialisten machten eine Vision des Gestaltens und Zusammenlebens zunichte, die auf Rationalität und Internationalität setzte und versuchte, den ästhetischen und sozialpolitischen Ansprüchen der Zeit nicht nur gerecht zu werden, sondern sie in ein harmonisches, wenn nicht sogar heiteres Verhältnis zueinander zu bringen. Über zwanzig Vertreter der Schule fanden auch nach der Schließung des Bauhauses und während des Nationalsozialismus eine Tätigkeit in der Seidenindustrie oder der Textilfachschule. Mehrere erlebten die Gründung der Bundesrepublik. Erst 1971 geht die letzte „Bauhäuslerin“, Elisabeth Kadow, geb. Jäger (* 19. März 1906 in Bremerhaven, † 11. Juni 1979 in Krefeld) in den Ruhestand.

2015 hat sich das Land Nordrhein-Westfalen mit dem Projekt „Bauhaus Netzwerk Krefeld“ um die Mitgliedschaft im Bauhaus-Verbund beworben. Nach zwei Jahren intensiver Forschungstätigkeit eines Teams aus sieben Kunst-, Wirtschafts- und Architekturhistorikern zur Geschichte der Verbindungen von Bauhaus und Seidenindustrie liegen jetzt die Ergebnisse in Form einer umfangreichen Publikation vor, die die Geschichte dieser bedeutenden und vielfältigen Verbindungen des Bauhauses zur Textilindustrie auf der Grundlage neuester Forschungs­er­gebnisse vorstellt. Die Autor*innen Anke Blümm, Carina Burck, Julia Franke, Stefanie van de Kerkhof, Christiane Lange, Christopher Oestereich und Stephan Strauß erläutern die wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die es ermöglichten, dass das Bauhaus in diesem Industriezweig als Innovationsmotor und Impulsgeber erfolgreich sein und nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 im Westen weiterwirken konnte.

So gibt der Band erstmals einen Einblick in ein bisher unbekanntes Kapitel der Kunst- und Wirtschaftsgeschichte Krefelds. Zugleich dokumentiert er die Langzeitwirkung der Lehre und Kompetenzen des Bauhauses im industriellen Kontext. Die auf 150 g/m² schwerem GardaMatt Ultra gedruckte 432-seitige Publikation macht diese nicht nur zu einem umfänglichen, sondern auch gewichtigen Nachschlagewerk. Die Kapitel Bauhaus nützlich. Die Avantgarde im Auftrag der Seidenindustrie von Christiana Lange, „So viel Bauhaus auf einen Fleck“. Bauhäusler in Krefeld 1922 – 1971 von Anke Blümm mit Carina Burck, Deutsche Seide in Krieg und Krisen. Der Verein deutscher Seidenwebereien als ökonomischer Motor für Innovationen 1010 – 1969 von Stefanie van de Kerkhof, Wissenstransfer und Distinktionsversprechen. Zur Zusammenarbeit des Bauhauses mit der Textilindustrie von Julia Franke, Werkkunst – Bauhaus – Industrie. Bauhäuslerinnen und Bauhäusler und die Entwicklung der Gestalterausbildung in Krefeld 1930 – 1970 von Christopher Oestereich und Wirtschaftsbürgerliches Wohnen in Krefeld 1900 – 1940. Die Vielfalt der Moderne von Stephan Strauß werden durch die Biografien der Bauhäusler in Krefeld und ein umfangreiches Literaturverzeichnis abgerundet.

Cover „Bauhaus und Textilindustrie. Architektur – Design – Lehre“, © Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2019

„Bauhaus und Textilindustrie. Architektur – Design – Lehre“,
Christiane Lange und Anke Blümm (Hrsg.),
Verlag Prestel, Verlagsgruppe Random House GmbH, München, 2019,
Paperback , Klappenbroschur, 432 Seiten, 21,0 × 28,0 cm, 200 farbige Abbildungen
ISBN 978-3-7913-5860-4
€ 49,00 [D] / € 50,40 [A] / CHF 66,00

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