„MASS. Ein Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“


„MASS: Ein Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“ – nach der lateinischen Liturgie der römisch-katholischen Kirche von 1962. Musik und Liedtexte: Leonard Bernstein; Weitere Texte von Stephen Schwartz und Leonard Bernstein; Regie: Susanne Frey; Ausstattung: Peter Sommerer; Musikalische Leitung: John Neal Axelrod. Solisten: Jubilant Sykes (Der Zelebrant, ein katholischer Priester), Mark Vargin Elise Carlotta Kliesow (Knabensolist). Street Chorus: Sophia Bauer (Robert Schumann Hochschule Düsseldorf), Catherine Chikosi, Julian Culemann, Lina Hoffmann (MiR, Junges Ensemble), Tomas Kildišius, Rabih Lahoud (Robert Schumann Hochschule Düsseldorf), Joachim Gabriel Maaß (MiR), Verena Mackenberg, Boshana Milkov (MiR, Junges Ensemble), Marisol Montalvo, Jiyuan Qiu (MiR, Junges Ensemble), Christa Platzer (MiR), Eric Rentmeister, Timothy Roller, Sebastian Schiller (MiR), Petra Schmidt (MiR). Kinder- und Jugendchor der Akademie für Chor und Musiktheater an der Johanneskirche, Einstudierung: Justine Wanat. Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf, Einstudierung: Marieddy Rossetto. Düsseldorfer Symphoniker. Uraufführung: 8. September 1971, John F. Kennedy Center for the Performing Arts, Washington, D. C. Europäische Erstaufführung: 25. Juni 1973, Konzerthaus, Wien. Deutschsprachige Erstaufführung: 16. Februar 1981, Wiener Staatsoper. Premiere: 7. Dezember 2018, Tonhalle Düsseldorf, Mendelssohn-Saal.



„MASS: Ein Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“


Aufführung im Rahmen der Reihe „Sternzeichen – Düsseldorfer Symphoniker im Konzert“


Leonard Bernstein (* 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts, † 14. Oktober 1990 in New York City, New York) wäre am 25. August 2018 100 Jahre alt geworden. Der Komponist von „West Side Story“ (Uraufführung 26. September 1957, Winter Garden Theatre, New York City), „Candide“ (Uraufführung 1. Dezember 1956, Martin Beck Theatre, New York City) und „On the Town“ (Uraufführung 28. Dezember 1944, Adelphi Theatre, New York City) konnte als Dirigent, Komponist, Pädagoge, Schriftsteller und als sozial und politisch engagierter Künstler wie kein Zweiter Menschen begeistern und mitreißen. Tatsächlich war die „West Side Story“ (1957) sein letztes Bühnenwerk gewesen, als die Witwe des US-Präsidenten John F. Kennedy (* 29. Mai 1917 in Brookline, Massachusetts, † 22. November 1963 in Dallas, Texas) Jacqueline Kennedy Onassis (* 28. Juli 1929 in Southampton auf Long Island, † 19. Mai 1994 in New York City) Leonard Bernstein bat, das John F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington zu leiten. Das konnte und wollte Leonard Bernstein aber nicht, und so schlug seine Frau Felicia Montealegre (* 6. Februar 1922 in Santiago de Chile, † 16. Juni 1978 in East Hampton, New York) der ehemaligen First Lady vor, dass Leonard Bernstein besser ein Stück für die Eröffnung des Kennedy-Centers schreiben könne. John F. Kennedy war der erste katholische Präsident der USA, und Leonard Bernstein hatte sich als Sohn jüdischer Eltern schon immer für den Katholizismus als Gegenbild, aber auch als Ergänzung zu seinem eigenen Glauben interessiert. Und so schrieb er zur Eröffnung des John F. Kennedy Center for the Performing Arts „Mass“ nach der lateinischen Liturgie der römisch-katholischen Kirche von 1962, woraus ein gewaltiges musikalisches Happening entstanden ist: „MASS: A Theatre Piece for Singers, Players, and Dancers“.

Sternzeichen – Düsseldorfer Symphoniker im Konzert: Bernstein „Mass“, Jubilant Sykes (Der Zelebrant). © Tonhalle Düsseldorf/Jan Roloff

Die Gesellschaft der USA stand in den 1960er-Jahren vor der bisher größten Zerreißprobe ihrer Geschichte: Die schwarze Bürgerrechtsbewegung begann, der Vietnam-Krieg wurde zum Trauma einer ganzen Generation, und von den Hoffnungen, die Präsident John F. Kennedy geweckt hatte, war kaum noch etwas übrig. Mit seinem Aufruf zu Frieden, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung rief Leonard Bernstein sogar das Federal Bureau of Investigation (FBI) auf den Plan, weshalb Präsident Richard Nixon (* 9. Januar 1913 in Yorba Linda, Kalifornien, † 22. April 1994 in New York) der Uraufführung am 8. September 1971 fernblieb. Die europäische Erstaufführung fand am 25. Juni 1973 mit Michael Hume (Tenor), Thomas Whittemore (Sopran), der Wiener Singakademie (Chor), dem Knabenchor des BRG Wien XXI (Chor) und dem Yale Symphony Orchestra unter der Leitung von John Mauceri im Wiener Konzerthaus statt. Die Tonhalle Düsseldorf zeigt im Rahmen der Reihe „Sternzeichen – Düsseldorfer Symphoniker im Konzert“ am 7., 9. und 10. Dezember 2018 drei konzertante bzw. halbszenische Aufführungen mit den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von John Neal Axelrod.

„Mass“ bringt das Ringen um Gott und die Glaubensgewissheit als theatrales Ereignis auf die Bühne, eine Art heilige Messe, bei der einiges außer Kontrolle gerät. Verläuft die Messe anfangs ausgelassen und fröhlich, kristallisieren sich allmählich Personen mit unterschiedlichen Lebens- und Glaubenskrisen heraus und fordern Antworten. Gottes Wort genügt in vielen Fällen nicht, es fehlt ihnen an innerer Überzeugung. Der Zelebrant gerät zunehmend in Widerspruch zwischen seiner Überzeugung und den Forderungen und Erwartung der Gemeinde. Der Zelebrant versucht den kritischen Stimmen zunächst entgegenzutreten, aber die Gemeinde wird zunehmend fordernder, und als dieser die Kommunion feiern will, bricht er schließlich zusammen. Doch am Ende gibt es trotzdem Hoffnung für alle…

Sternzeichen – Düsseldorfer Symphoniker im Konzert: Bernstein „Mass“, Dirigent John Neal Axelrod. © Tonhalle Düsseldorf/Jan Roloff

Die Tonhalle Düsseldorf hat „Mass“ mit großem personellen Aufwand im Mendelssohn-Saal realisiert: Neben den um eine siebenköpfige Blues-/Rockband ergänzten Düsseldorfer Symphonikern in 75-köpfiger Besetzung (davon 11 Musiker*innen als Gäste) auf der Bühne sind der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf (Einstudierung: Marieddy Rossetto) im Podium hinter der Bühne, der Kinder- und Jugendchor der Akademie für Chor und Musiktheater an der Johanneskirche (Einstudierung: Justine Wanat) sowie ein aus 15 Sänger*innen bestehender Street Chorus (Einstudierung Ana-Maria Dafova, Pascal Adoumbau) beteiligt, davon sieben aus der Gelsenkirchener MASS-Produktion und vier ausgebildete Musicaldarsteller*innen. Letztere haben zwar während ihres Studiums auch eine Tanzausbildung absolviert, aber zum Tanzen ist bei 75 Musiker*innen auf der Bühne gar Platz mehr, weshalb „Mass“ in der Tonhalle als halbszenische Aufführung in der Regie von Susanne Frey gezeigt wird. In der Rolle des Zelebranten ist Jubilant Sykes (* 1960 in Los Angeles, Kalifornien) zu erleben, der die Partie bereits vielfach interpretiert hat, meines Wissens zuletzt am 17. und 18. November 2018 an der Arizona State University in Tempe, AZ, und der auch auf der Naxos Records Einspielung von MASS mit dem Morgan State University Choir und dem Baltimore Symphony Orchestra unter der Musikalischen Leitung von Marin Alsop aus dem Jahr 2009 als Zelebrant zu hören ist. Die Partie des Knabensopran hat die 13-jährige Elise Carlotta Kliesow (1. Preis im 55. Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2018 auf Bundesebene) für Mark Vargin übernommen, der seine Mitwirkung krankheitsbedingt absagen musste – wie die ebenfalls erkrankte Catherine Chikosi im Street Chorus. Peter Sommerer hat die Ideen zum Bühnenbild beigesteuert, wovon aus dem 3. Parkett lediglich ein ausgedörrter „Baumstamm“ hinter dem 1. Parkett zu sehen ist, an den im Anschluss an die in unterschiedlichen Sprachen – den Muttersprachen der jeweiligen Solisten – vorgetragen Fürbitten die Zettel mit selbigen angeheftet werden.

Sternzeichen – Düsseldorfer Symphoniker im Konzert: Bernstein „Mass“, Jubilant Sykes (Der Zelebrant). © Tonhalle Düsseldorf/Jan Roloff

Jubilant Sykes brilliert in der anspruchsvollen Rolle des Zelebranten, gesanglich herausragend lebt er die Partie geradezu. Vergeblich versucht er sich hinter Glaubensriten und Traditionen zu verstecken. Er scheitert, bricht zusammen und findet schließlich zu einem Neuanfang: Ein langer, verstörender Monolog (Fraction: „Things Get Broken“) zeugt von der inneren Zerrissenheit des Zelebranten. Es wird deutlich, dass er nicht bereit ist, sich den Forderungen der Gemeinde zu beugen. Der Monolog wird durch Elise Carlotta Kliesow beendet, die mit glockenklarer Stimme den Choral „A Simple Song“ vom Beginn der Messe erneut anstimmt: Pax: Communion („Secret Songs“). Dabei bringt sie einen Blumentopf mit einem jungen Sprössling mit auf die Bühne, als Zeichen für den Keim der Hoffnung und der Veränderung. Die Solisten des Street Chorus (Sophia Bauer, Julian Culemann, Lina Hoffmann, Tomas Kildišius, Rabih Lahoud, Joachim Gabriel Maaß, Verena Mackenberg, Boshana Milkov, Marisol Montalvo, Jiyuan Qiu, Christa Platzer, Eric Rentmeister, Timothy Roller, Sebastian Schiller, Petra Schmidt) treten aus dem 1. und 2. Parkett auf und können teilweise nur mit wenigen Zeilen Gesang auf sich aufmerksam machen, teilweise aber auch mit umfangreicheren Soli. John Neal Axelrod hält als Dirigent die Fäden fest in der Hand, Leonard Bernsteins Partitur mit einem Stilmix aus Jazz, Musical, Oper, Jüdischen Gesängen, Pop, Rock, Blues, Folk und Gospel ist bei den Düsseldorfer Symphonikern in den besten Händen.

Sternzeichen – Düsseldorfer Symphoniker im Konzert: Bernstein „Mass“, Schlussapplaus. © Tonhalle Düsseldorf/Jan Roloff

Am Ende der eindreiviertelstündigen Aufführung (es wird ohne Pause gespielt) gab es nicht enden wollenden Applaus für alle beteiligten Akteure. „Mass“ ist in der Tonhalle Düsseldorf nochmals am 9. Dezember 2018 um 11 Uhr und am 10. Dezember 2018 um 20 Uhr zu erleben. Da sieben Sänger*innen aus der Gelsenkirchener MASS-Produktion in Düsseldorf involviert sind, sei der Vollständigkeit halber an dieser Stelle erwähnt, dass die szenische Aufführung am Musiktheater im Revier dort noch bis 16. Februar 2019 auf dem Spielplan steht.

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