Der Star ist die Schwester

Der Hollywood-Blockbuster „Bodyguard“ als beeindruckende Bühnenshow mit einem fulminanten Tanzensemble, guten Hauptdarstellern und einer herausragenden Ana Milva Gomes

Zur österreichischen Erstaufführung im Wiener Ronacher am 27. September 2018

Von Gregor-Anatol Bockstefl

Dass es der Hollywood-Blockbuster „Bodyguard“, 1992 mit Whitney Houston und Kevin Costner in die Kinos gekommen (von den Kritikern belächelt, vom Publikum seither geliebt), in Zeiten von Jukebox-Musicals einmal auf die Theaterbühne schaffen würde, war klar. Ebenso war klar, dass die schließlich 2012 im Londoner Adelphi Theatre uraufgeführte Bühnenversion früher oder später auch den Weg nach Wien finden würde. Nach Aufführungsserien am Westend, Großbritannien, Irland, den Niederlanden, Australien, Südkorea, Kanada, den USA und Deutschland (wo die Show derzeit in Stuttgart zu sehen ist) fand nun am 27. September 2018 die vom Publikum bejubelte österreichische Erstaufführung im Wiener Ronacher statt. Und nach den euphorischen Reaktionen des Premierenpublikums zu schließen, lässt sich wohl sagen: Wien hat wieder einen Musical-Hit. Schon im Vorfeld waren die Medien auf die auffallend gute Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern Patricia Meeden und Jo Weil aufgesprungen – sicher nicht schlecht für die Vermarktung einer neuen Show.

„Bodyguard – Das Musical“, Jo Weil (Frank Farmer) und Ana Milva Gomes (Nicki Marron). © VBW/Deen van Meer

Die als bekannt vorauszusetzende Geschichte ist auch in der Bühnenadaption weitgehend unverändert: Rachel Marron, einer der weltweit größten weiblichen Popstars der Gegenwart, sechsfach mit einem Grammy ausgezeichnet und zudem für je einen Oscar als beste weibliche Hauptdarstellerin und den besten Original-Filmsong nominiert, wird – zunächst ohne ihr Wissen – von einem Stalker mit Briefen bedroht. Ihre Manager engagieren deshalb zu ihrem Schutz den Bodyguard Frank Farmer, dem das Showbusiness bisher fremd war und der sich seine Meriten bisher durch die Bewachung von Politikern verdient hat. Dass daraus Spannungen zwischen Star und Beschützer resultieren müssen, ist ebenso vorauszusehen wie die wachsende Annäherung zwischen den beiden Protagonisten – mit allen ihren Höhen und Tiefen. Die Mischung aus Thriller und Romantik hat aus „Bodyguard“ einen der erfolgreichsten Hollywood-Filme der 1990er-Jahre gemacht. Wie die Liebesgeschichte im Endeffekt ausgehen wird, nachdem der große Hit „I Will Always Love You“ angestimmt ist, bleibt schon im Film unklar.

„Bodyguard – Das Musical“, Ana Milva Gomes (Nicki Marron)

Der ideale Stoff für ein Musical, sollte man meinen. Leider ist die Bühnenversion, die seit seiner Uraufführung weitgehend gleich geblieben ist, nicht ganz so gelungen. Das liegt zum einen am eher schwachen Buch von Lawrence Kasdan und Alexander Dinelaris mit bisweilen hölzernen Dialogen, in dem vor allem die Rolle des Stalkers auf Kosten von Dramaturgie und Spannung stark verändert wird. Zum anderen liegt es daran, dass man für die Musik die größten von Whitney Houston im Laufe ihrer Karriere interpretierten Songs herangezogen hat, einschließlich der für den „Bodyguard“-Film eingesungenen Lieder. Sind diese im Film zum Teil nur ausschnittsweise präsent, wurden sie dank des millionenfach verkauften Soundtracks zu Welthits. Hinzukomponiert wurde zu diesen Songs praktisch nichts. Daraus resultiert, dass fast ausschließlich die Frauen singen: Rachel sowie ihre Schwester Nicki, die für die Vermarktung ihrer Schwester ihre eigene Karriere und ein eigenständiges Leben aufgegeben hat. Die Songs sind nicht handlungstragend, sondern Showeinlagen bei Rachels Konzertauftritten und Proben oder dienen der Untermalung der jeweiligen Gefühlsstimmungen der beiden Hauptdarstellerinnen.

„Bodyguard – Das Musical“, Patricia Meeden (Rachel Marron)

Die Rolle des Bodyguards ist – bis auf eine Karaokenummer des späteren Schlusstitels „I Will Always Love You“ – als reine Sprechrolle konzipiert. Mit Jo Weil, der vor allem mit seiner Rolle in der ehemaligen Daily-Soap „Verbotene Liebe“ im deutschsprachigen Raum Bekanntheit erlangt hat, hat man einen sympathischen, blendend aussehenden Darsteller gefunden, der in den Frank Farmer noch ein bisschen hineinwachsen muss. Beherrscht er das rollengerechte Posing zwar schon perfekt, nimmt man ihm den reservierten, jederzeit kühlen Kopf bewahrenden Beschützer noch nicht so recht ab. Er wirkt viel zu nett. Es ist aber eben auch schwer, in die Fußstapfen von Kevin Costner zu treten. Patricia Meeden, die die Rolle der Rachel Marron schon in Deutschland gespielt hat, schafft es mit eigenständigen Interpretationen von Whitney Houstons Songs zu bestehen, ohne als Abziehbild der Pop-Ikone zu wirken. In den Tanzszenen von großer Perfektion, schafft sie vor allem in den Schauspielszenen die Gratwanderung zwischen exaltiertem Pop-Star und liebender Frau und Mutter.

„Bodyguard – Das Musical“, Patricia Meeden (Rachel Marron). © VBW/Deen van Meer

Doch noch stärker bleibt am Schluss die Leistung von Ana Milva Gomes als Nicki Marron im Gedächtnis. Dass der Wiener Publikumsliebling, der sich seit „Sister Act“ (2011/12 im Wiener Ronacher) und zahlreichen Folgeengagements („Natürlich Blond“, „Mamma Mia!“, „Mozart!“) in die Herzen des Publikums gesungen und gespielt hat, nur Heimvorteil genießt und deshalb auch bei der Premiere den größten Applaus erntete, wäre zu kurz gegriffen. Im Gegensatz zum Film erfährt die Rolle der Nicki in der Bühnenversion eine erhebliche Aufwertung und wird zur eigentlichen Sympathieträgerin des Stücks. Mit enormer Bühnenpräsenz und ebenso großer Stimme verleiht Gomes der Rolle der ewig Zu-kurz-Gekommenen, ewig Zurückstecken-Müssenden, die sich ebenfalls in Frank Farmer verliebt, mehr als nur Profil: sie ist der heimliche Star der Produktion und macht aus ihrem Part eine große tragische Figur. So wird auch ihr Duett „Run To You“ mit ihrer Bühnenschwester zu einem der musikalischen Höhepunkte des Abends.

„Bodyguard – Das Musical“, Patricia Meeden (Rachel Marron) und Ana Milva Gomes (Nicki Marron). © VBW/Deen van Meer

Äußerst positiv fällt Maximilian A. Ortner mit der (im Buch leider unglücklich angelegten Rolle) des Stalkers in seiner irren Gefährlichkeit auf. Würde man ihm mit Kapuze in einer finsteren Wiener Innenstadtgasse begegnen, man würde es augenblicklich mit der Angst zu tun bekommen. Er sorgt im Verlauf der Show für einige Gänsehautmomente. Hätte er vielleicht auch den besseren Bodyguard abgegeben? Die übrige Herrenriege ist mit routinierten Wiener Schauspiel- und Musicalstars wie Martin Muliar als Bill Devaney, Andreas Kammerzelt als Sy Spector, Nicolas Tenerani als Tony Scibelli und Peter Windhofer als Ray Court luxuriös besetzt, mehr als Stichwortgeber sind sie aber nicht. Die Herren, zu Rachel Marrons Stab gehörend oder FBI-Berater, können weit weniger Charakter zeigen als ihre Pendants in der originalen Filmversion. Schauspielerisch mehr gefordert werden Andreas Kammerzelt und Peter Windhofer wohl als Cover des Bodyguards Frank Farmer sein. Die Herzen des Publikums im Sturm eroberte Samuel Hollinek als Rachel Marrons Sohn Fletcher, er teilt sich die Rolle im Laufe der Aufführungsserie mit vier weiteren Buben.

„Bodyguard – Das Musical“, Patricia Meeden (Rachel Marron), Ensemble. © VBW/Deen van Meer

Bleibt nur noch zu anzumerken, dass das englische Original-Leadingteam unter der Leitung des Associate Director Frank Thompson (Originalregie: Thea Sharrock) eine fulminante, perfekt getimte Show auf die Bühne gebracht hat. In Erinnerung bleiben vor allem die von Karen Bruce exakt choreographierten Tanzszenen mit einem international gecasteten Ensemble, das jeder Show einer Jennifer Lopez oder Beyoncé alle Ehre machen würde. Diese Szenen haben Weltklasseformat und sind mit ihren Hip-Hop- und Streetdance-Elementen sowie akrobatischen Einlagen eine wohlige Abwechslung zu den sonst bei VBW-Musicalproduktionen schon oft gesehenen Fit-for-Fun-Choreographien. Ein raffiniertes Bühnenbilddesign (Bühnen- und Kostümbild: Tim Hatley), das mit variabel eingesetzten Wänden sekundenschnelle Szenenwechsel ermöglicht, trägt ebenfalls zum Erfolg der Produktion bei. Wenn auch nicht im Graben, dafür tief im Bühnenboden versteckt, liefert das VBW-Orchester unter der Leitung von Herbert Pichler den jeweils passenden vollen Orchester-Sound (die an den übrigen Spielorten von „Bodyguard“ eingesetzte Band wurde in Wien auf eine ganze Mann- bzw. Frauschaft aufgefettet).

„Bodyguard – Das Musical“, Patricia Meeden (Rachel Marron) und Jo Weil (Frank Farmer). © VBW/Deen van Meer

„Bodyguard – Das Musical“ ist kein Musical, sondern eine fulminante Bühnenshow als Sprechstück mit Musikeinlagen. Wenn man es mit der Bezeichnung mal ausnahmsweise nicht so genau nimmt, kann man einen musikalisch großartigen, romantischen und bisweilen auch packenden Theaterabend erleben.

Jo Weil und Patricia Meeden bei der Feier im Kursalon Hübner

Nach der Premiere feierten die Darstellerinnen und Darsteller mit Geschäftsführer Prof. Dr. Franz Patay, VBW-Musical-Intendant Christian Struppeck, dem gesamtem Team rund um die Produktion sowie allen Premierengästen bei der anschließenden Feier im Kursalon Hübner den Erfolg des Abends und stießen auf eine erfolgreiche bevorstehende Spielzeit an.

Kommentare