Theater Hagen: „Kiss me, Kate“

„Kiss me, Kate“ – in Anlehnung an William Shakespeares „The Taming of the Shrew“ („Der Widerspenstigen Zähmung“); Musik, Liedtexte: Cole Porter; Buch: Samuel und Bella Spewack; Deutsche Barbeitung: Günter Neumann in einer Neufassung von Peter Lund; Regie: Roland Hüve; Choreografie: Andrea Danae Kingston; Bühne, Kostüme: Siegfried E. Mayer; Dramaturgie: Corinna Jarosch; Musikalische Leitung: Steffen Müller-Gabriel. Darsteller: Kenneth Mattice (Fred Graham/Petruchio), Kristine Laissa Funkhäuser/Emily Newton (Lilli Vanessi/Katharina Minola), Nathalie Parsa (Lois Lane/Bianca), Tillmann Schnieders (Bill Calhoun/Lucentio), Dirk Achille (Harry Trevor/Baptista Minola), Bernd Stahlschmidt-Drescher (Ralph, Inspizient/Wirt/Priester), Verena Grammel (Hattie, Garderobiere/Eine Dame), Alexander Brugnara (Paul, Garderobier), Rainer Zaun (Erster Gangster), Richard van Gemert/Boris Leisenheimer (Zweiter Gangster), Jonathan Agar (General Harrison Howell), Janis Masino (Gremio, erster Freier/Techniker), Thomas Peters (Hortensio, zweiter Freier/Tranio/Beleuchter), Elizabeth Pilon (Biondella/Ankleiderin), Emanuele Pazienza (Angelo/Techniker/Taxifahrer/Sehr alter Herr), Annette Potempa (Emilia/Technikerin/Sehr alte Dame), Joyce Diedrich (Dance Captain/Wirtin/Putzmacherin), Sabrina Prochaska (Requisiteurin/Mauerblümchen). Uraufführung: 18. Dezember 1948, New Century Theatre, New York City. West End Premiere: 8. März 1951, Coliseum Theatre, London. Deutsche Erstaufführung: 19. November 1955, Städtische Bühnen, Frankfurt am Main. Premiere: 16. Juni 2018, Theater Hagen. Besuchte Vorstellung: 22. Juni 2018.



„Kiss me, Kate“


Der Broadway-Klassiker am Theater Hagen


Die Musicals „Cabaret“, „Jesus Christ Superstar“, „Kiss me, Kate“ oder „My fair Lady“ werden an deutschen Stadttheatern häufig auf den Spielplan gesetzt, weil sie vom Publikum geschätzt werden und entsprechend volle Häuser garantieren. Das dürfte auch am Theater Hagen nicht viel anders aussehen, wo man zu Beginn der aktuellen Spielzeit die Premiere des in Deutschland eher unbekannten Musicals „In den Heights von New York“ gezeigt hat. Nachdem „Kiss me, Kate“ von Cole Porter (Musik, Lyrics) und Samuel und Bella Spewack (Buch) am 30. Dezember 1948 am Broadway am New Century Theatre uraufgeführt wurde, wurde es bei der dritten Tony Awards Verleihungszeremonie im darauffolgenden Jahr – bei der erstmals Musicals ausgezeichnet wurden – mit fünf der begehrten Auszeichnungen geehrt: „Best Musical“, „Best Autor (Musical)“ an Samuel und Bella Spewack, „Best Original Score“ an Cole Porter, „Best Costume Design“ an Lemuel Ayers und „Best Producer of a Musical“ an Saint Subber und Lemuel Ayers. Es wurde im Juli 1950 an das Shubert Theatre transferiert, am 28. Juli 1951 fiel nach insgesamt 1.077 Aufführungen der letzte Vorhang. Musicals, deren Originalproduktion im En-suite-Spielbetrieb mehr als 1.000 Aufführungen erreicht haben, waren in den 1950er-Jahren noch recht überschaubar. Am 19. November 1955 wurde das Musical im Frankfurter Börsensaal erstmals in Deutschland aufgeführt, und innerhalb nur weniger Monate kamen mehrere, höchst unterschiedliche Produktionen auf die deutschsprachigen Bühnen. In der Wiener Volksoper bevorzugte man eine neue Bearbeitung von Marcel Prawy (Premiere 14. Februar 1956), die sich aber gegenüber der Übersetzung des Berliner Kabarettisten Günter Neumann nicht durchsetzte. Die aktuelle Hagener Inszenierung von Roland Hüve basiert auf dem Broadway-Revival aus dem Jahr 1999 (Martin Beck Theatre, Premiere 18. November 1999, neue Orchestrierung von Don Sebesky), mit den deutschen Texten von Günter Neumann in einer Neufassung von Peter Lund. Lediglich die die Songs „So in Love“, „Tom, Dick or Harry“, „Too Darn Hot“ und „So in Love“ (Reprise) werden in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln präsentiert.

„Kiss me, Kate“, theaterhagen, Nathalie Parsa (Lois Lane) und Alexander Brugnara (Paul), Ensemble. Foto Klaus Lefebvre

Während einer Aufführung einer musikalischen Version der Komödie über die Zähmung der widerspenstigen Katharina durch den Frauenhelden Petruccio in Baltimore fechten die Akteure um den Regisseur und Hauptdarsteller Fred Graham und dessen Ex-Frau Lilli Vanessi auch im privaten Leben ähnliche Zwistigkeiten hinter den Kulissen aus wie die Spielfiguren auf der Bühne. Es ist ein Spiel im Spiel, bei dem beide Handlungsstränge für den turbulenten Fortgang der Handlung sorgen. Während Fred Graham noch immer Gefühle für seine ehemalige Frau empfindet, flirtet er gleichzeitig mit Lois Lane, die die Rolle von Katherinas Schwester Bianca spielt. Deren Lebenspartner Bill Calhoun sorgt für einige Verwirrung, indem er beim Glücksspiel einen Schuldschein mit Fred Grahams Namen unterschreibt, woraufhin zwei Gangster die finanziellen Forderungen bei diesem einzutreiben versuchen. Fred wiederum hindert mithilfe der beiden Revolverhelden die eifersüchtige Lilli daran, die Show vorzeitig zu verlassen und dem Werben ihres Verlobten General Harrison Howell um ihre Gunst nachzugeben. Doch bis Lilli Vanessi und Fred Graham in „Der Widerspenstigen Zähmung“ und im Leben neu zusammenfinden, müssen erst etliche Missverständnisse und konfliktreiche Situationen geklärt werden.

„Kiss me, Kate“, theaterhagen, Kenneth Mattice (Fred Graham) und Emily Newton (Lilli Vanessi). Foto Klaus Lefebvre

Regisseur Roland Hüve hat die Rahmenhandlung in der Gegenwart angesiedelt, in der Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist und mittels Smartphone kommuniziert wird. Schon die Uraufführung des Musicals spielte in der Gegenwart, nur ist dies inzwischen 70 Jahre her. Dementsprechend hat sich auch das Frauenbild seit der Uraufführung gewandelt, und Lilli Vanessi/Katharina Minola erklärt sich am Ende nicht folgsam – wie bereits im ersten Akt angekündigt – mit der weiblichen Gehorsamspflicht gegenüber Fred Graham/Petruchio einverstanden, sondern begenet ihm als gleichberechtigte Partnerin. Wie in den Broadway- und West-End-Inszenierungen vertraut auch Roland Hüve auf den hohen Unterhaltungswert der mitreißenden Choreografien zu „Tom, Dick or Harry“, „Too Darn Hot“ oder „Bianca“ von Andrea Danae Kingston, womit es seine Inszenierung allerdings am Ende auf drei Stunden Aufführungsdauer bringt. Die Rahmenhandlung ist nach wie vor in Baltimore angesiedelt, wo die letzten Proben für die Musical-Adaption von William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ laufen. Bühnen- und Kostümbildner Siegfried E. Mayer nutzt die Drehbühne, um zügig zwischen den Szenen in den Künstlergarderoben von Fred Graham und Lilli Vanessi, der Theaterbühne, auf der „Der Widerspenstigen Zähmung“ gespielt wird, und der rückwärtigen Fassade des Theaters in Baltimore zu wechseln. Ein halbkreisförmig aufgehängter silberner Lametta Vorhang begrenzt die Spielfläche nach hinten und zu den Seiten. Für das Stück im Stück wurden die typisch mittelalterlich anmutenden Kostümentwürfe gewählt, Katharinas Rock ist mit zahlreichen Krawatten dekoriert, womöglich als Sinnbild für zahlreiche Männer, die sie bereits in die Flucht geschlagen hat. Das Philharmonische Orchester Hagen unter der Musikalischen Leitung von Steffen Müller-Gabriel bringt Cole Porters womöglich erfolgreichste Partitur ansprechend zu Gehör.

„Kiss me, Kate“, theaterhagen, Janis Masino (Gremio), Thomas Peters (Hortensio) und Emily Newton (Katharina Minola). Foto Klaus Lefebvre

Die beiden Hauptrollen Lilli Vanessi/Katherina Minola und Fred Graham/Petruchio sind in Hagen mit der amerikanischen Sopranistin Emily Newton (seit der Spielzeit 2014/15 an der Oper Dortmund, ab der Spielzeit 2018/19 am Staatstheater Nürnberg) und dem amerikanischen Bariton Kenneth Mattice (seit der Spielzeit 2914/15 am Theater Hagen) aus dem Musiktheater-Ensemble besetzt, die auch privat ein Ehepaar sind. Die beiden Darsteller harmonieren gesanglich sehr gut miteinander, das klingt nicht nur im gleichnamigen Duett der beiden wunderbar, eine Reminiszenz an den Wiener Walzer. Auch darstellerisch lässt Emily Newton in ihren kratzbürstigsten Ausbrüchen eine gewisse Anmut durchblicken, in ihrem Song „Kampf dem Mann“ („I Hate Men“) macht sie dagegen unmissverständlich deutlich, was aus ihrer Sicht von der Spezies Mann zu halten ist. Kenneth Mattice weiß als gewitzter, schlagfertiger Fred Graham/Petruchio mit nahezu grenzenlosem Selbstbewusstsein zu überzeugen, sei es, dass er auf offener Szene gegenüber seiner Bühnenpartnerin handgreiflich wird oder dass er sich auch noch die Anwesenheit der beiden Ganoven zunutze macht, um Lilli zum Bleiben zu zwingen. Viele weitere Rollen sind mit Musical-DarstellerInnen als Gäste stimmig besetzt. Nathalie Parsa gefällt als Freds neuer Schwarm Lois Lane/Katherinas Schwester Bianca besonders mit ihrem Song „Aber treu bin ich nur dir“ („Always True to You in My Fashion“) im zweiten Akt, Tillmann Schnieders aus dem Musiktheater-Ensemble kann in der nahezu bedeutungslosen Rolle des Glücksspielers Bill Calhoun/Edelmanns Lucentio im zweiten Akt mit seinem Song „Bianca“ und der dazugehörigen Stepptanz-Choreografie sowohl gesanglich als auch tänzerisch auf sich aufmerksam machen. Gemeinsam mit Janis Masino und Thomas Peters als Biancas Freier Gremio und Hortensio wissen Nathalie Parsa und Tillmann Schnieders auch mit „Tom, Dick or Harry“ zu begeistern, wenn die drei Verehrer um Biancas Zuneigung konkurrieren. Sechs TänzerInnen aus dem Ballett Hagen verstärken das spielfreudige Ensemble und sind für den hohen Unterhaltungswert der choreografierten Szenen mitverantwortlich. So wird der swingende, von Alexander Brugnara als Ankleider Paul angeführte Song „Too Darn Hot“ zu einem Highlight der Aufführung. Rainer Zaun und Boris Leisenheimer machen als Gangsterduo mit Ruhrgebietsdeutsch als Running Gag beharrlich auf sich aufmerksam. Was zwei Gangster aus dem Ruhrgebiet in Baltimore zu suchen haben, will sich mir zwar nicht erschließen, ungeachtet dessen räumen die beiden mit „Schlag nach bei Shakespeare“, in dem die beiden Shakespeare Tribut zollen, mächtig ab. Jonathan Agar gibt Lilli Vanessi als ihr Verlobter General Harrison Howell mit seinen frauenverachtenden Bemerkungen allen Grund, sich angesichts der Aussicht als zukünftige Präsidentengattin an seiner Seite gegen eine Heirat mit ihm zu entscheiden.

„Kiss me, Kate“, theaterhagen, Boris Leisenheimer (Zweiter Ganove), Emily Newton (Lilli Vanessi) und Rainer Zaun (Erster Ganove). Foto Klaus Lefebvre

Am Ende der dreistündigen Aufführung wurden die Akteure mit langanhaltenden Stehapplaus für ihre überzeugenden Leistungen belohnt. „Kiss me, Kate“ steht in der Spielzeit 2017/18 am Theater Hagen mit insgesamt 6 Vorstellungen bis 8. Juli 2018 auf dem Spielplan und wird in der Spielzeit 2018/19 am 9. September 2018 für sieben Vorstellungen bis 9. Februar 2019 wiederaufgenommen.

„Kiss me, Kate“, theaterhagen, Nathalie Parsa (Bianca), Janis Masino (Gremio), Thomas Peters (Hortensio) und Tillmann Schnieders (Lucentio). Foto Klaus Lefebvre

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