„Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“

„Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ – nach der Biografie von Stella Goldschlag; Musik: Wolfgang Böhmer; Buch und Liedtexte: Peter Lund; Inszenierung: Martin G. Berger; Choreografie: Marie-Christin Zeisset; Ausstattung: Sarah-Katharina Karls; Video: Roman Rehor; Dramaturgie: Carola Cohen-Friedlaender; Musikalische Leitung: Hans-Peter Kirchberg. Darsteller: Frederike Haas (Stella Goldschlag-Kübler), Jörn-Felix Alt (Rolf Isaaksohn u. a.), Victor Petitjean (Walter Dobberke/Richter u. a.), Markus Schöttl (Adolf Eichmann/Friedheim Schellenberg u. a.), David Schroeder (Gerhard Goldschlag, Stellas Vater u. a.), Samuel Schürmann (Samson Schönhaus u. a.), Isabella Köpke (Yvonne Meissl, Stellas Tochter). Uraufführung: 23. Juni 2016, Neuköllner Oper, Berlin. Besuchte Aufführung: 10. März 2017, 38. Duisburger Akzente, Festivalzelt, Mercatorviertel, Duisburg.



„Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“


Aufführung der Neuköllner Oper zur Eröffnung der 38. Duisburger Akzente


Unter dem Titel „Umbrüche“ setzen sich die 38. Duisburger Akzente vom 10. bis 26. März 2017 mit tief greifenden Veränderungen in Kultur, Politik, Gesellschaft, Geschichte und Technik, aber auch in individuellen Biografien auseinander. Zur Eröffnung der 38. Duisburger Akzente zeigte die Neuköllner Oper aus Berlin die Produktion „Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ von Wolfgang Böhmer (Musik) und Peter Lund (Buch, Liedtexte). Das Musiktheaterstück erzählt die authentische Geschichte der Jüdin Stella Goldschlag (* 10. Juli 1922 in Berlin; † 1994 in Freiburg), die für die Gestapo als so genannte Greiferin untergetauchte Juden aufspürte und denunzierte, um ihre eigenen Eltern vor der Deportation zu schützen. Trotz ihrer Kollaboration konnte Stella Goldschlag ihre Eltern jedoch nicht vor dem Tod bewahren, sie wurden im Februar 1944 zunächst in das Ghetto Theresienstadt und im Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Das hielt Stella Goldschlag jedoch nicht davon ab, weiterhin für die Gestapo zu arbeiten. „Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ wurde am 23. Juni 2016 in der Inszenierung von Martin G. Berger an der Neuköllner Oper uraufgeführt und war 2016 in acht Kategorien für den Deutschen Musical Theater Preis nominiert. Das Singspiel gewann den Preis in sechs Kategorien, u. a. als „Bestes Musical“. Frederike Haas (u. a. Roxie Hart in „Chicago“, Charlotte in „Babytalk“, Fanny Brice in „Funny Girl“), die darin die Hauptrolle spielt, wurde als „Beste Darstellerin“ ausgezeichnet.

„Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“, Frederike Haas (Stella Goldschlag-Kübler).
Foto: Matthias Heyde

Stella ist 20, als Adolf Hitler anordnet, Berlin endgültig „judenrein“ zu machen. Stella ist blond und jung und schön, und sie möchte Sängern werden, drüben in Amerika. Oder Filmstar, wie Marlene Dietrich. Aber Familie Goldschlag hat kein Visum bekommen. Statt dem Traum von der großen Karriere bekommt Stella einen gelben Stern. Stella hasst diesen Stern ebenso, wie sie es hasst eine Jüdin zu sein. Und schließlich geht Stella in den Untergrund. Wie 8.000 weitere verzweifelte Berliner Juden auch.

Stella ist 35, als sie in der jungen Bundesrepublik vor Gericht steht, wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Mehr als 300 untergetauchte Menschen soll sie im Dienste der Gestapo aufgespürt und damit in den sicheren Tod geschickt haben. Die deutsche Öffentlichkeit überschlägt sich in Empörung über diese „volksverräterische Volljüdin“, die ihre eigenen Glaubensgenossen den Nazis ans Messer lieferte. Aber keiner weiß, was damals wirklich geschah. Und Stella schweigt…

Stella Goldschlag hatte alles, was zu einer großen Karriere im 20. Jahrhundert nötig war: Eine blendende Erscheinung, das nötige Talent und Tatkraft, sowie das gewisse Maß an Rücksichtslosigkeit, das den wirklichen Star ausmacht. Aber Stella Goldschlag war Jüdin. Und schlimmer noch: Sie maßte sich an, keine Jüdin sein zu wollen. Schließlich erfüllt sich Stellas Wunsch nach Berühmtheit auf denkbar schrecklichste Weise. Ganz Berlin kennt die tüchtigste Greiferin der Gestapo, das berüchtigte „blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“.

Künstlerkarrieren waren schon immer dankbare Vorlagen für das Musiktheater. Stella Goldschlags Biographie ist eine sehr deutsche Karriere. Und so ist „Stella“ auch ein sehr deutsches Stück Musiktheater geworden, das sich lustvoll böse aus unserer musikalischen Vergangenheit bedient. Von der Spätromantik bis zum Chanson, von Arnold Schönberg bis zum Dreißiger-Jahre-Schlager spannt sich der Soundtrack dieses UFA-Films, der nie gedreht wurde.

Mit einem Drehbuch von Peter Lund, von Wolfgang Böhmer kongenial vertont und von Martin G. Berger erstmals an der Neuköllner Oper rasant in Szene gesetzt. Und nicht zu vergessen: In der Titelrolle Frederike Haas, die ihre Karriere einst an der Neuköllner Oper als Marika Rökk begann, um über den Umweg übers Londoner WestEnd ein weiteres Mal nach „Babytalk“ ein deutsches Musical erfolgreich aus der Taufe zu heben.

„Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“, Samuel Schürmann, Frederike Haas (Stella Goldschlag-Kübler), Jörn-Felix Alt und Victor Petitjean.
Foto: Matthias Heyde

Die große Crux bei der Aufführung im Festivalzelt in Duisburg war das Gebläse, welche mit lautem Getöse warme Luft in den Innenraum des Zeltes blies, was sich insbesondere in den ruhigeren Momenten des Stückes extrem störend bemerkbar machte, zumindest für mein Empfinden. Dies dürfte aber einzig ein Problem der Aufführung in Duisburg gewesen sein, ich nehme nicht an, dass die Neuköllner Oper ihre Räume ebenfalls auf diese Art beheizen wird. Beinahe neun Monate nach der Uraufführung wird an dieser Stelle sicher auch niemand mehr eine ausführliche Besprechung der Aufführung erwarten, daher macht es keinen großen Sinn, eine solche zu schreiben. Auf der anderen Seite wird „Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ am 31. August 2017 an der Neuköllner Oper wiederaufgenommen (weitere Vorstellungen bis 30. September 2017), vielleicht interessiert sich aufgrund dessen doch noch der ein oder andere für diese oder jene Bemerkung, trotz bereits vorhandener unzähliger Rezensionen und eines Eintrages in der Enzyklopädie Wikipedia.

„Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“, Frederike Haas (Stella Goldschlag-Kübler) und Jörn-Felix Alt (Rolf Isaaksohn, skrupelloser Nazi-Kollaborateur und Stellas späterer Ehemann).
Foto: Matthias Heyde

Der Clou der Inszenierung von Martin G. Berger ist sicherlich eine Art „Spiegelkabinett“, welches die komplette Bühnenbreite einnimmt und durch unterschiedliche Beleuchtung Einblicke in das Innere erlaubt (Ausstattung: Sarah-Katharina Karls). Die Vorder- und Hinterseite dieses „Spiegelkabinetts“ besteht aus Segmenten mit halbdurchlässiger Spiegelfolie, die sich Falttüren nicht unähnlich öffnen und schließen lassen. Über diesem „Spiegelkabinett“ befindet sich eine weitere Spielebene, die an der Vorder- und Hinterseite mit Schiebetüren ausgestattet ist und auf die die Darsteller aus der unteren „Spiegelebene“ über zwei Leitern gelangen können. Die Schiebetüren an der dem Publikum zugewandten Seite dienen gleichzeitig als Projektionsfläche für Videoeinspielungen, seien es Kurzbiografien der dargestellten Personen auf der Bühne, historisches Filmmaterial oder aber Liveaufnahmen der Darsteller auf der Bühne, die teilweise historischen Aufnahmen überlagert werden (Video: Roman Rehor). Dabei ergeben sich durch Aufnahmen mit einer an der Decke des „Spiegelkabinetts“ angebrachten, auf den Boden gerichteten Kamera interessante Konstellationen wie bespielsweise Stella im Mittelpunkt eines Hakenkreuzes, welches von vier männlichen Darstellern auf dem Boden gebildet wird. Martin G. Berger erzählt Stella Goldschlags Biografie in „Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ nicht chronologisch, sondern ab und an auch in Rückblenden, viele Szenen des Stückes beruhen auf Fakten, andere Szenen sind überspitzt, so dass es dem Zuschauer sicher leichter fallen wird, der Handlung zu folgen, der sich vorab ein wenig mit Stella Goldschlags Biografie und den Männern in ihrem Leben beschäftigt hat.

Ohne Kathi Damerow in „Gabi Mut – Vom Leben geschlagert“ (Schmidts Tivoli, Hamburg) und Sabrina Weckerlin in „Der Medicus“ (Spotlight Musicals, Fulda) gesehen zu haben, zu behaupten, Frederike Haas sei völlig zu Recht als „Beste Darstellerin“ beim Deutschen Musical Theater Preis 2016 ausgezeichnet worden, wäre womöglich etwas vermessen. Dennoch kommt man nicht umhin, der Musicaldarstellerin eine großartige Leistung bei der nuancierten Darstellung der unterschiedlichen Facetten der Titelfigur zu bestätigen. Jörn-Felix Alt (Rolf Isaaksohn, ein ebenfalls skrupelloser Nazi-Kollaborateur und Stellas zweiter Ehemann u. a.), Victor Petitjean (Walter Dobberke, SS-Hauptscharführer/Richter u. a.), Markus Schöttl (Adolf Eichmann, SS-Obersturmbann­führer/Friedheim Schellenberg, Stellas dritter Ehemann u. a.), David Schroeder (Gerhard Goldschlag, Stellas Vater u. a.) und Samuel Schürmann (Samson Schönhaus, Passfälscher u. a.) stellen überzeugend Stellas „Wegbegleiter“ dar und bilden IMHO ein recht geschlossenes Ensemble. Die siebenköpfige Band unter der Musikalischen Leitung von Hans-Peter Kirchberg bringt Wolfgang Böhmers Partitur harmonisch zu Gehör.

Wer die Chance hat, sich eine Aufführung von „Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ anzuschauen, sollte die Gelegenheit nicht versäumen.

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