Gandersheimer Domfestspiele: „Highway to Hellas“

„Highway to Hellas“ – nach dem gleichnamigen Roman von Arnd Schimkat und Moses Wolff (2014) und Spielfilm von Aron Lehmann (2015); Musik, Arrangements: Heiko Lippmann; Libretto: Christian Doll, Arnd Schimkat und Moses Wolff; Regie: Achim Lenz; Choreografie: Marc Bollmeyer; Bühne: Cornelia Brey; Kostüme: Sophie Reble; Dramaturgie: Florian Götz; Musikalische Leitung: Ferdinand von Seebach. Darsteller: Dirk Weiler (Jörg Geissner, Bankangestellter), Ron Holzschuh (Panos, Minimarktbesitzer), Udo Eickelmann (Spyros, Bürgermeister), Nicolai Schwab (Dimitris, Panos’ unehelicher Sohn), Tabea Scholz (Maria, Hotelbesitzerin, Dimitris’ alleinerziehende Mutter), Susanna Panzner (Eleni, Krankenschwester), Daniel Ris/Jens Schnarre (Barba Ilias, pensionierter Grieche/Hafenpolizist Laurelis), Wolfgang Grindemann (Barba Stavros, pensionierter Grieche/Hafenpolizist Hardiakis), Laura Joeken (Lea, deutsche Touristin), Franziska Schuster (Steffi, deutsche Touristin), Fehmi Göklü (Dr. Yannis, Arzt/Pelagos, ein Esel/Vangelis, schicksalsgeplagter Grieche), Christine Dorner (Dr. Laichinger, CEO der AVA-Bank), Julia Lormis/Angela Heilmann (Dr. Laichingers Sekretärin), Lothar Germer (Kartenabreißer Tiketis), Katharina Abeler, Jaqueline Ecke, Lothar Germer, Edith Hansen-Steinhoff, Angela Heilmann, Magnus Heitmann, Caroline Linke, Julia Lormis, Kristin Mössinger-Germer, Karin Renneberg, Rolf Renneberg, Jeanette Schmitz, Carsten Schneck (Bewohner von Paladiki, Touristen). Uraufführung: 10. Juni 2016, Gandersheimer Domfestspiele, Bad Gandersheim. Besuchte Vorstellung: 9. Juli 2016.



„Highway to Hellas“


Musical-Uraufführung bei den 58. Gandersheimer Domfestspielen


Vor knapp zwei Jahren, am 1. September 2014, erschien der satirische Roman „Highway to Hellas“ von Arnd Schimkat und Moses Wolff, in dem es vor dem Hintergrund der so genannten Griechenlandkrise um mehr Verständnis zwischen den Kulturen geht. Parallel zum Roman arbeiteten sie auch an dem Drehbuch für die Filmkomödie „Highway to Hellas“, die ab Oktober 2014 auf der griechischen Kykladeninsel Tinos in der Regie von Aron Lehmann mit Christoph Maria Herbst (Jörg Geissner) und Adam Bousdoukos (Panos) in den Hauptrollen gedreht wurde und am 27. November 2015 in die deutschen Kinos kam. Gemeinsam mit den Autoren und Kabarettisten Arnd Schimkat und Moses Wolff sowie dem langjährigen Musikalischen Leiter der Festspiele, Heiko Lippmann, hat der scheidende Intendant der Gandersheimer Domfestspiele Christian Doll das deutsch-griechische Sommermusical „Highway to Hellas“ als Nachfolger für die Produktion „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ nach dem Bestseller von Jan Weiler entwickelt, die im Sommer 2013 auf der Festspielbühne vor der Gandersheimer Stiftskirche uraufgeführt wurde und aufgrund des großen Erfolgs im folgenden Jahr wieder aufgenommen wurde.

Minimarktbesitzer Panos (Ron Holzschuh, vorne) bringt den deutschen Banker Jörg Geissner (Dirk Weiler) auf seinem Motorrad zur Krankenstation. Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Die Geschichte von „Highway to Hellas“ spielt vor dem Hintergrund der Finanzkrise in Griechenland auf der fiktiven griechischen Insel Paladiki. Die Inselgemeinde hat für ihr Öko-Tourismusprojekt „Galapagos in Greece“ einen Kredit von einer deutschen Bank erhalten und als Sicherheit ihr nicht existierendes Elektrizitätswerk, ihre Krankenstation und den Strand verpfändet. Der deutsche Bankangestellte Jörg Geissner soll die Kreditsicherheiten der Insel überprüfen und reist dafür nach Paladiki. Die Inselbewohner, allen voran der charmante deutsch-griechische Ladenbesitzer und Frauenheld Panos, wollen dies verhindern und bereiten dem unliebsamen Schnüffler allerlei Schikanen. Der Bankangestellte soll ihnen doch erst einmal beweisen, dass die Sicherheiten nicht existieren. Jörg Geissner macht sich unerschütterlich an seine Aufgabe und erforscht im grauen Anzug mit Krawatte und Aktentasche die Insel. Die Griechen versuchen lange Zeit, ihn an der Nase herumzuführen, was ihnen auch fast gelingt, dank der durch Alkohol gehobenen Stimmung können sie Jörg Geissner glaubhaft vortäuschen, dass die Objekte, die er hier zu finden sucht, wirklich existieren. Erst bei seiner Abreise kommen ihm erneut Zweifel, und er kehrt noch einmal zurück, um das angeblich funktionslose Seekabel in Augenschein zu nehmen. Doch ihm ist auch die Brisanz seiner Rolle klar geworden: sein Urteil wird über die Zukunft der Insel entscheiden. Er muss sich die Frage stellen, wem gegenüber er sich wirklich verantwortlich fühlt: Seiner Bank oder den Menschen von Paladiki…

Feiern gemeinsam in der Krankenstation von Paladiki: Chirurg Dr. Yannis (Fehmi Göklü, links), der Deutsche Jörg Geissner (Dirk Weiler, 2. v. l.), Krankenschwester Eleni (Susanna Panzner) und Minimarktbesitzer Panos (Ron Holzschuh). Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Auch wenn Arnd Schimkat und Moses Wolff in „Highway to Hellas“ hintergründig für mehr Verständnis zwischen den Kulturen eintreten und Tugenden wie Freundschaft, Leichtigkeit, Übermut, Lebensfreude, Offenheit und Menschlichkeit in den Fokus rücken möchten, so bedient das deutsch-griechische Sommermusical doch sämtliche Klischees, die einem im Zusammenhang mit Griechen und Deutschen in den Sinn kommen, und Achim Lenz, Regisseur und designierter Intendant der Gandersheimer Domfestspiele, hat „Highway to Hellas“ als leichte, witzige Komödie inszeniert, bei der wirklich kein Auge trocken bleibt. Sämtliche Figuren sind als Stereotype gezeichnet, dementsprechend sollte man auch auf der Bühne keine tiefgreifende, differenzierte Figurenzeichnung erwarten. Im Gegenteil, Phrasen wie „Dübeln ist was für Deutsche, ein Grieche nagelt“ bedienen die gängigen Klischees vortrefflich und sind immer für einen Lacher gut. Passend zum diesjährigen Spielzeitmotto „Erwachsen werden?“ bemühen sich sowohl der berufsjugendliche Minimarktbesitzer und Weiberheld Panos als auch sein unehelicher Sohn Dimitris in einem Nebenstrang der Handlung darum, erwachsen zu werden, doch am Ende löst sich auch dies wie die Vortäuschung falscher Tatsachen bei der Kreditvergabe in einer feuchtfröhlichen Feier am Strand in Wohlgefallen auf, bei der sogar der CEO der AVA-Bank das Tanzbein schwingt. Ließen sich doch nur alle Krisen so einfach bewältigen, wie heißt es am Ende eindeutig zweideutig, „am Strand der Kykladen geht man gerne baden“, aber was soll’s, das böse Erwachen kennt jeder in der Realität womöglich zur Genüge…

Die Suche nach Elektrizitätswerk und Krankenstation erweist sich für Banker Jörg Geissner (Dirk Weiler) als wahrer Höllenritt. (Pelagos, ein Esel: Fehmi Göklü) Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Zwei Paravents, auf denen links eine griechische Ortschaft und rechts unberührte Natur zu sehen ist, bilden die Grundlage für das einfach gehaltene, von Cornelia Brey entworfene Bühnenbild, das die Zuschauer gedanklich auf die griechischen Insel Paladiki versetzt. Das sommerliche Wetter bei der besuchten Vorstellung tat natürlich ein Übriges. Ein auf der rechten Bühnenseite aufgestelltes Klappbett symbolisiert Jörg Geissners Unterkunft in Marias Hotel, die linke Bühnenseite verwandelt sich mit ein paar einfachen Requisiten wie Postkartenständer, mit Strandutensilien bestückter Wühltisch und Campingstuhl in Panos’ Minimarkt. Auch die übrigen Schauplätze der Handlung werden mit wenigen Requisiten ansehnlich illustriert, wie beispielsweise das wogende Meer mit drei blauen Stoffbahnen, die an den Enden auf und ab bewegt werden. Die Kostümentwürfe von Sophie Reble unterstreichen die klischeehafte Zeichnung der Stereotypen vortrefflich. Wenn sich die Darsteller dann auch noch in die Ziegen des Bürgermeisters oder einen Esel verwandeln, der Jörg Geissner in einem Karren über die Insel chauffiert, dann kann man sich vor Lachen kaum noch halten. Musikalisch ist die Komödie durch eine Fülle leichter, beschwingter Ensemblenummern mit Anklängen von griechischer Folklore angereichert (Musik, Arrangements: Heiko Lippmann), die zusätzlich Urlaubslaune verbreiten. Ein schräger Moment, in dem die klare Haltung Geissners erste Risse bekommt, spielt sich im Schutze der Dunkelheit ab: Der verklemmt-konservative Bankangestellte entkleidet sich, um ein Bad im Meer zu genießen. Unbeholfene Schwimm­be­wegungen ausführend, singt er davon, wie schön es ist, frei und „schwerelos“ zu sein. Die übrigen Ensemblemitglieder mimen in dieser Szene Meeresbewohner wie beispielsweise Fische, Schildkröte oder Krabbe.

Dr. Laichinger (Christine Dorner), CEO der AVA-Bank, wartet auf gute Nachrichten seines Angestellten Jörg Geissner. Im Hintergrund seine Sekretärin (Julia Lormis). Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

In den Rollen der beiden Protagonisten der Culture-Clash-Komödie stehen Folkwang Alumnus Dirk Weiler als Bankangestellter Jörg Geissner und Ron Holzschuh als Minimarktbesitzer Panos auf der Bühne. Dirk Weiler überzeugt in seiner Rolle auf ganzer Linie, erfüllt er doch auf der Bühne wohl jedes noch so kleine Vorurteil von den spießigen Deutschen, seine Mimik ist zum Niederknien. Ron Holzschuh verkörpert den Lebemann dagegen mit einer solchen Leichtigkeit, dass es fast ein wenig schwer fällt, die Wandlung zum verantwortungsvollen Partner und Vater nach­zu­voll­ziehen. Tabea Scholz weiß als taffe, selbstbewusste Hotelbesitzerin und Dimitris’ alleinerziehende Mutter Maria ebenso für sich einzunehmen wie Susanna Panzner als schöne Krankenschwester Elini, die Jörg Geissners Herz erweichen kann. Der Newcomer Nicolai Schwab (22), diesjähriger Absolvent im Studiengang Musical am Institut für Musik der Hochschule Osnabrück und Förderpreisgewinner im Juniorwettbewerb des 44. Bundeswettbewerb Gesang Berlin, weiß seinen Song vom „Erwachsen werden“ mit jugendlicher Leichtigkeit zu nutzen, um sich in die Herzen der Zuschauer zu spielen, und Fehmi Göklü hat die Lacher eigentlich immer auf seiner Seite, sei es als Arzt Dr. Yanis, der dem Alkohol nicht abgeneigt ist und in dessen Behandlung man sich als Deutscher lieber nicht begeben möchte, oder aber als Esel Pelagos, der schließlich völlig entkräftet zusammenbricht, nachdem er den neugierigen Bankangestellten in einem Karren über die Insel chauffiert hat. Daniel Ris und Wolfgang Gardemann führen als pensionierte Griechen Barba Ilias und Barba Stavros durch die Handlung und nutzen als Hafenpolizisten Laurelis und Hardiakis gleich zu Beginn komödiantisch die Gelegenheit, die Ankunft Jörg Geissners auf der Insel zu verzögern. Laura Joeken und Franziska Schuster buhlen als deutsche Touristinnen Lea und Steffi geradezu um Panos’ Gunst, da kann man ihm seinen lockeren Lebenswandel wirklich nicht verdenken. Bei Christine Dorner in der Hosenrolle des zeichnungsberechtigten Geschäftsführers der AVA-Bank, Dr. Laichinger, hat die Maske wirklich ganze Arbeit geleistet, wer nicht weiß, wer diese Rolle spielt, käme nicht auf die Idee, dass es sich dabei um die Nonna aus „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ handelt.

„Highway to Hellas“, Ensemble. Foto: Hillebrecht/Die Foto-Maus

Die amüsante Freiluft-Inszenierung verführt die Zuschauer für zwei kurzweilige Stunden rundheraus dazu, der Hetze des Alltags zu entfliehen und auf griechische Art zu entspannen, was bei gutem Wetter wie bei der besuchten Vorstellung am 9. Juli 2016 auch geradezu ein Vergnügen ist. Die Grenzen zwischen Bühne und Realität scheinen zu verschwimmen, wenn Panos nach der Vorstellung bereits im Straßencafé anzutreffen ist. Bei den 58. Gandersheimer Domfestspielen stehen noch bis zum 24. Juli 2016 neben „Highway to Hellas“ auch die Komödie „Der Kirschgarten“, die Musik­theater­produktionen „Die Comedian Harmonists“ und „Die drei Musketiere“, das Kinder- und Familienstück „Michel aus Lönneberga“ sowie der Schauspielmonolog „Judas“ auf dem Spielplan. Weitere Informationen unter www.gandersheimer-domfestspiele.de.

Stiftskirche

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