„Der Ghetto Swinger – Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“

„Der Ghetto Swinger – Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“ – Schauspiel mit Musik von Kai Ivo Baulitz und Gil Mehmert; Inszenierung: Gil Mehmert; Ausstattung: Beatrice von Bomhard; Dramaturgie: Anja Del Caro; Musikalische Abendspielleitung: Karsten Schnack. Mit Robin Brosch/Peter Imig (Musiker [Kontrabass], Vater Alfred Schumann, Kurt Gerron, Herrig), Christoph Kähler (Musiker [Schlagzeug, Gitarre], Onkel Arthur Rothholz, Franta Goldschmidt, Lagerältester), Konstantin Moreth (Coco Schumann [Gitarre, Schlagzeug]), Karsten Schnack (Musiker [Akkordeon, Posaune], Bully Buhlan, Kurt Maier, Jirka Taussig), Helen Schneider (Erzählerin [Gesang], Rosa, Mutter Hedwig Schumann, Chérie, Großmutter), Christoph Tomanek (Musiker [Violine], Lehrer, Aron, Streife, Wolfgang Mittler, Otto Sattler, Lagerkommandant Karl Rahm, Josef Mengele, Lagerältester, Rottenführer), Jonathan Wolters (Musiker [Klarinette, Gitarre], Tullio Mobiglia, Fricek Weiss). Uraufführung: 2. September 2009, Kammerspiele Hamburg. Besuchte Vorstellung: 11. Januar 2015, Konzert Theater Coesfeld.



„Der Ghetto Swinger – Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“


Die Musikerbiografie auf der Bühne des Konzert Theaters Coesfeld


1986 entstand der Film „Deutschlandbilder. Aus einem Musikerleben. Coco, der Ghetto-Swinger“ von Paul Karalus und Alfred Segeth über das Leben von Heinz Jakob „Coco“ Schumann (* 14. Mai 1924 in Berlin), 1997 erschien seine Autobiografie „Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt“, aufgezeichnet von Max Christian Graeff und Michaela Haas. Die liegt der Bühnenfassung „Der Ghetto Swinger – Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“ von Kai Ivo Baulitz und Gil Mehmert zugrunde, die im September 2012 von den Kammerspielen Hamburg zur Uraufführung gebracht wurde. Nun wird die Produktion als Tournee gezeigt, in dessen Verlauf sie am 11. Januar 2015 am Konzert Theater Coesfeld zu sehen war.

Coco Schumann wollte schon früh Musiker werden, sein Onkel Arthur Rothholz hatte als Schlagzeuger prägenden Einfluss auf ihn. Mitte der 1930er-Jahre lernte er die amerikanische Swing- und Jazzmusik kennen, zur Olympiade in Berlin 1936 gab sich das nationalsozialistische Regime vorübergehend liberal und auch Juden gegenüber toleranter. Sein Vater Alfred galt als Arier, seine Mutter Hedwig war dagegen jüdischer Herkunft, und er selbst bekommt zu der Zeit gar nicht mit, welche Gefahren ihm als Halbjuden drohen. Als Sechszehn­jähriger sorgte er schließlich als Gitarrist mit seinem typisch amerikanisch swingenden Stil in der Berliner Musikszene für Furore. 1943 wurde Coco Schumann jedoch denunziert und in das Vorzeigelager Theresienstadt deportiert, das die deutsche Öffentlichkeit und das Ausland über den grausamen Alltag der normalen Konzentrationslager täuschen sollte. Hier kam er als Schlagzeuger zu den Ghetto Swingers, bei denen verbotene amerikanische Musik von Count Basie bis Duke Ellington auf dem Programm stand. Im September 1944 wurde Coco Schumann zunächst nach Auschwitz-Birkenau gebracht, wo er mit anderen Häftlingen buchstäblich um sein Leben musizierte. Bei der Räumung des Lagers im Januar 1945 kam er nach Kaufering und wurde im April 1945 mit anderen Häftlingen auf einen Todesmarsch in Richtung Innsbruck geschickt, auf dem er bei Wolfratshausen von amerikanischen Truppen befreit wurde. Nach dem Krieg kehrte Coco Schumann nach Berlin zurück, wo seine Eltern wie durch ein Wunder überlebt hatten, und konnte als Gitarrist schnell an alte Erfolge anknüpfen. Er wurde 1989 für seine Verdienste um das wiederaufblühende Musikleben nach dem Krieg und sein großes aufklärerisches Engagement als Zeitzeuge mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

„Der Ghetto Swinger“, Foto Tino Crisó

„Der Ghetto Swinger – Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“ ist kein Musical, keine Revue und auch kein Liederabend. Man kann es wohl eher als dokumentarisches Schauspiel mit Musik bezeichnen, in dem Gil Mehmert („Das Wunder von Bern“) Coco Schumanns Leben von 1932 bis zu seiner Rückkehr nach Berlin 1945 mit den Mitteln des musikalischen Unterhaltungstheaters in Schlüsselszenen nachzeichnet. Während man im ersten Teil nach dem Motto „Alles wird gut“ noch meinen könnte, die Entwicklung nach der Machtergreifung durch die NSDAP sei gar nicht so bedrohlich, kündet das politisch-satirische Couplet „An allem sind die Juden schuld“ des deutschen Komponisten Friedrich Hollaender, in dem der Antisemitismus kritisiert wird, bereits von der heraufziehenden Katastrophe. Im zweiten Teil, der mit der Verhaftung Coco Schumanns wegen des Spielens verbotener Musik, der Weigerung, den Judenstern zu tragen und der angeblichen Verführung „arischer“ Frauen im März 1943 beginnt, überwiegen die eindringlichen, stillen Szenen, in denen man eine Stecknadel fallen hören könnte. Die Schlussszene, in der Coco Schumann nach seiner Befreiung und Rückkehr nach Berlin auf seine alten Freunde trifft und mit ihnen zusammen musiziert, verdeutlicht auf berührende Weise die Kraft der Musik.

Die Hauptfigur der Aufführung ist Helen Schneider, die als Erzählerin und Barsängerin Rosa mit den Melodien der damaligen Zeit facettenreich durch die Geschichte führt und auch Coco Schumanns jüdische Mutter Hedwig, dessen Großmutter und französische Freundin Chérie spielt, die seinen Vornamen Heinz nicht richtig aussprechen konnte und ihn aufgrund seines zweiten Vornamens Jakob einfach „Coco“ nannte. Konstantin Moreth, der auch Gitarre und Schlagzeug spielt, lässt in der Rolle von Coco Schumann des Entwicklung vom unbekümmerten Jungen über den oftmals übermütigen Jazzmusiker zum KZ-Häftling, der das Grauen der Vernichtungslager des NS-Regimes aus unmittelbarer Nähe miterlebt, glaubhaft nachvollziehen. Christoph Tomanek, der auch Violine spielt, schlüpft beängstigend authentisch in die Rollen der Nazi-Schergen wie Josef Mengele, der als Lagerarzt im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz Selektionen vornahm, während sie von Coco Schumann und seinen Mithäftlingen mit dem Lied „La Paloma“ begrüßt wurden. Auch den übrigen Darstellern Peter Imig, Christoph Kähler, Karsten Schnack und Jonathan Wolters gelingt die Kombination aus Schauspiel und Musik.

„Der Ghetto Swinger – Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“ ist durchaus keine leichte Kost, vielmehr erinnert es an die Verbrechen der Nationalsozialisten, deren Bösartigkeit wohl niemanden im Publikum unberührt lässt. Auch wenn die Gräueltaten der Nationalsozialisten der Vergangenheit angehören mögen, Diskriminierung und Unterdrückung von Minderheiten sind aktuell wie eh und je. Nach gut zweistündiger, zwar nicht ausverkaufter, aber dennoch gut besuchter Aufführung gab es lang anhaltenden Applaus und stehende Ovationen, was sogar eine versierte Darstellerin wie Helen Schneider nicht ungerührt ließ.

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