Gandersheimer Domfestspiele: „Maria, ihm schmeckt´s nicht“

„Maria, ihm schmeckt´s nicht“ – nach dem Bestseller von Jan Weiler; Musik: Heiko Lippmann; Dialoge: Max Merker; Liedtexte: Christian Doll; Buchvorlage: Jan Weiler; Inszenierung: Tobias Rott; Choreografie: Mathias Schwarz; Ausstattung: Cornelia Brey; Dramaturgie: Daniel Vollstedt; Musikalische Leitung: Patricia M. Martin. Darsteller: Ulf Schmitt (Jan), Tabea Scholz (Sara, Jans Verlobte), Hans-Jörg Frey (Antonio Marcipane, Saras Vater), Petra Welteroth (Ursula, Saras Mutter), Christine Dorner (Nonna (Chiara), Antonios Mutter), Rebecca Siemoneit-Barum (Maria (Gulietta), Saras Tante/Kollegin), Andreas Torwesten (Egidio, Saras Onkel und Barbesitzer/Daniele), Julia Hiemer (Pamela, eine Cousine von Sara/Kollegin), Stefan Rüh (Marco, ein Cousin von Sara/Carabiniere/Herr Schulze/Gast), Johannes Kiesler (Paolo/junger Antonio/Kellner), Franziska Schuster (junge Ursula/Barbara, eine Cousine von Sara) u. a. Band: Frank Conrad (Reeds), István Szarka (Trompete), Norbert Ruman (Posaune), Patricia M. Martin, Gela Megrelidze (Keyboards), Andreas Lakeberg (Gitarre), Dirk Schmigotzki (Bass/Tuba), Momme Boe/Kristof Hinz (Drums). Uraufführung: 28. Juni 2013, Gandersheimer Domfestspiele, Bad Gandersheim. Besuchte Vorstellung: 10. Juli 2013.



„Maria, ihm schmeckt´s nicht“


Musicaluraufführung nach dem Bestseller von Jan Weiler bei den 55. Gandersheimer Domfestspielen


Seit 1959 bilden die Gandersheimer Domfestspiele vor dem romanischen Westwerk der Stiftskirche den Höhepunkt der Sommersaison in Bad Gandersheim, mehr als 60.000 Zuschauer pro Spielzeit erleben die Vorstellungen und das einmalige Ambiente. Die im Halbrund um die Bühne angeordnete Tribüne bietet 999 Besuchern Platz, bei gutem Wetter verleiht die untergehende Sonne der Stiftskirche während der Abendvorstellung einen warmen Farbton. Bei schlechtem Wetter hingegen sind sowohl Darsteller als auch Publikum Wind und Regen ungeschützt ausgesetzt, was beiden Personengruppen in diesem Jahr schon eine gehörige Portion Durchhaltevermögen abgefordert hat. Das Programm der 55. Spielzeit vom 1. Juni bis 4. August 2013 steht unter dem Thema „Fremde Heimat“, und neben 17 Aufführungen des Musicals „Cabaret“ hat der Komponist und musikalische Leiter der Domfestspiele, Heiko Lippmann, Jan Weilers Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht! – Geschichten von meiner italienischen Sippe“ von 2003 eigens für die Gandersheimer Domfestspiele als Musical für die Bühne adaptiert, Festspielintendant Christian Doll hat die Songtexte zum Musical beigesteuert und Max Merker hat die Dialoge geschrieben.

Stiftskirche St. Anastasius und St. Innocentius, Westportal

Jan Weiler fuhr mit seinem Schwiegervater Antonio 2003 nach Italien, nachdem sich sein Artikel in einem Italien-Sonderheft der Süddeutschen Zeitung unerwartet positiver Resonanz erfreute, um sich dort dessen Lebensgeschichte erzählen zu lassen. Antonio kam in den 1960er Jahren mit der ersten Migrantenwelle als Gastarbeiter nach Deutschland, gehört nicht mehr nach Italien, aber auch nicht nach Deutschland. Dementsprechend handelt das Buch „Maria, ihm schmeckt’s nicht! – Geschichten von meiner italienischen Sippe“ in erster Linie von Antonio und dessen Lebensgeschichte sowie Jan Weilers eigenen Erfahrungen mit seiner italienischen Familie, humorvoll mit fiktiven Elementen vermischt, weshalb der Autor das Buch auch nicht als autobiografisch, sondern als Fiktion verstanden wissen möchte. Der Roman wurde 2008 in der Regie von Neele Leana Vollmar verfilmt, die Filmkomödie kam im August 2009 mit gemischten Kritiken in die Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Jan möchte seine Freundin Sara heiraten, doch damit lässt er sich nicht nur auf ein Eheversprechen ein, sondern auf Saras große italienische Familie, was ihm überhaupt nicht bewusst ist. Schon bei seinem Antrittsbesuch bei ihren Eltern fühlen sich alle irgendwie unbehaglich, doch Saras Vater Antonio besteht darauf, dass Jan die gesamte Verwandtschaft in Italien kennenlernt und so brechen Jan, Sara und ihre Eltern Hals über Kopf nach Campobasso in der Region Molise auf. Mit 70 km/h steuert Antonio seinen Mercedes auf der linken Spur der Autobahn gen Süden, und als die Reisenden in Italien von zwei Carabinieri angehalten werden, entgeht Jan nur knapp seiner Verhaftung, nachdem ihn seine nicht vorhandenen italienischen Sprachkenntnisse mit der verhängnisvollen Verwechslung von freccia (Blinker) und fregna (weibliches Geschlechtsteil) in eine prekäre Lage gebracht haben. Es kommt noch schlimmer, als Jan in Campobasso beinahe das halbe Dorf als Saras Verwandtschaft vorgestellt bekommt und alle natürlich nur Italienisch sprechen. Über all dem thront die Nonna (Omama), Antonios Mutter, sie ist der Mittelpunkt und hält die Sippe zusammen. Ständig hat Jan den Eindruck, dass sich alle über ihn lustig machen. Ein wenig komisch muss er ihnen ja auch vorkommen, wenn er am Strand nur in der Sonne sitzt und liest. Sara scheint dies zunächst gar nicht zu bemerken, doch irgendwann platzt Jan der Kragen, er sagt endlich offen seine Meinung, packt seinen Koffer und reist ab. Doch das ist Antonio dann auch nicht recht, und so eilt er ihm hinterher, um ihn aufzuhalten. So erfährt Jan nach und nach Antonios Geschichte, wie er sich als Sizilianer zunächst in Campobasso fremd gefühlt hat, und erst recht in Osnabrück und Krefeld. Und dann ist da noch der Koffer, den er sich einst von Egidio geliehen hat… Am Ende wird natürlich alles gut, Jan und Sara heiraten trotz zwischenzeitlicher Bedenken und feiern eine große italienische Hochzeit.

„Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ geht auf besonders leichte und lustige Weise mit den Themen Heimat und Fremde um, die zeitlich gut aufeinander abgestimmte Inszenierung von Tobias Rott lässt so gut wie kein Deutsch-italienisches Klischee aus, seien es auf der einen Seite die ewig lauten und immer kochenden Italiener, oder auf der anderen Seite die jederzeit korrekten und auf ihre Vorschriften bedachten Deutschen, ohne dabei zur Klamotte zu degenerieren, dafür sorgen die melancholischen und nachdenklichen Momente. In Rückblenden erfährt der Zuschauer, wie sich Antonio selbst in der Fremde gefühlt hat, und wie ihm die Rolle des immer fröhlichen Italieners dabei geholfen hat, seine Situation zu bewältigen. Johannes Kiesler und Franziska Schuster können in diesen Szenen als junger Antonio und junge Ursula insbesondere tänzerisch (Choreografie Mathias Schwarz) auf sich aufmerksam machen. Bühnen- und Kostümbildnerin Cornelia Brey schafft es mit einfachen Mitteln, den Zuschauer an den jeweiligen Ort des Geschehens zu versetzen: Ein Sessel auf Rollen symbolisiert zunächst das Wohnzimmer, später das Schlafzimmer, und obendrein, zusammen mit ein paar Koffern, Antonios Mercedes, mit dem er auf der Autobahn nach Süden einen gewaltigen Stau verursacht. Woraufhin zwei Carabinieri mit einem Motorroller auf die Bühne gefahren kommen, vielleicht etwas ungewöhnlich für die Autobahnpolizei, dafür aber typisch italienisch. Mit aufblasbaren Gummitieren wird die Szenerie in einen Strand verwandelt, und die Umkleideumhänge sind obendrein für den nächsten Gag gut, um nur einige Beispiele zu nennen. Die achtköpfige Band unter der Musikalischen Leitung von Patricia M. Martin ist vor dem Bronze-Portal im Westwerk der Stiftskirche untergebracht und bringt Heiko Lippmanns Partitur mit eingängigen Melodien und Anklängen scheinbar bekannter Melodien mit zwei Keyboards musicaltypisch zu Gehör.

Ensemble, Foto Rudolf A. Hillebrecht

Im Ensemble treffen vier ausgebildete Musical-Darsteller (Julia Hiemer, Johannes Kiesler, Stefan Rüh und Franziska Schuster) auf singende Schauspieler, was der Sache aber keinen Abbruch tut, jedenfalls hatte ich zu keiner Zeit den Eindruck, dass diese mit Heiko Lippmanns Partitur überfordert wären. Hans-Jörg Frey verkörpert als Antonio den typischen Italiener, der niemals aufhört, in radebrechendem „Marcipane-Deutsch“ zu reden. Und falls doch, dann stimmt irgendetwas nicht. Sein Charakter ist überzeichnet und alles an ihm erscheint irgendwie lustig, auch wenn es für ihn durchaus ernst gemeint ist. Ulf Schmitt (Jan) ist anfänglich sehr auf Höflichkeit gegenüber seinen zukünftigen Schwiegereltern bedacht, agiert zurückhaltend und ein wenig gehemmt, und möchte natürlich auf alle Fälle einen guten Eindruck hinterlassen, auch bei Saras überaus zahlreicher Verwandtschaft in Campobasso, bei der er sich fremd und alleingelassen fühlt. Sehr gut nachvollziehbar, denn dort wird natürlich nur Italienisch gesprochen. Dass ihm bei den häufigen Mahlzeiten und den vielen Speisen, die er kosten muss, irgendwann der Kragen platzt, ist – aus deutscher Sicht – auch nur zu verständlich. Tabea Scholz ist als lebhafte, mitunter aber auch launische Halbitalienerin Sara zu sehen, die sich zwischenzeitlich gar nicht mehr sicher ist, ob sie Jan überhaupt heiraten möchte, da braucht es erst die Zurückweisung von ihrem Cousin Marco, Trost von ihrer Mutter und womöglich den von ihrer Großmutter und ihrer Mutter zusammengebrauten Liebestrank, bis sich die beiden Liebenden schließlich doch wieder in die Arme fallen und gemeinsam ihren romantischen Hit vom unbekannten Stern am Himmelszelt singen können. Petra Welteroth ist als Saras Mutter Ursula zu sehen, die sich längst mit den Eigenarten ihres Gatten arrangiert hat. Zum heimlichen Star des Abends avanciert Christine Dorner als Nonna, wenn sie ihrem verstorbenen Gatten am Grab noch ein letztes Mal so richtig die Meinung sagt, an der Traversenkonstruktion mit lasziven Bewegung auch im hohen Alter noch vorhandene sexuelle Gelüste andeutet und schließlich sogar auf den Tischen tanzt. Stefan Rüh bringt die Zuschauer als homosexueller Carabiniere mit komödiantischem Talent zum Lachen, als Saras Cousin Marco kann er mit seinem hitverdächtigen Song als Latin Lover auch seine gesanglichen Qualitäten unter Beweis stellen.

Das Publikum war nach gut zweistündiger, amüsanter Aufführung begeistert und bedachte Darsteller und Band mit langanhaltendem Stehapplaus. Die Gandersheimer Domfestspiele beweisen mit „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ eindrücklich, dass auch mit einfachen Mitteln ansprechende Unterhaltung auf die Bühne gebracht werden kann. Das Stück steht dort noch bis zum 3. August 2013 auf dem Spielplan.

Stiftskirche

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