Stadttheater Bielefeld: „City of Angels“

„City of Angels“ – Colemans Homage an den Film noir; Musik: Cy Coleman; Liedtexte: David Zippel; Buch: Larry Gelbart; Deutsche Bearbeitung: Michael Kunze; Regie: Thomas Winter; Choreografie: Thomas Klotz; Ausstattung: Ulv Jacobsen; Musikalische Leitung: William Ward Murta. Darsteller: Veit Schäfermeier (Stine, Romanautor), Alexander Franzen (Stone, Privatdetektiv), Roberta Valentini (Gabby, Stines Ehefrau/Bobbi Edwards, Stones Ex-Verlobte), Sarah Kuffner (Donna, Fidlers Sekretärin/Oolie, Stones Sekretärin), Norbert Wendel (Buddy Fidler, Filmproduzent/Irwin S. Irving, Film-Mogul), Brigitte Oelke (Carla Haywood, Fidlers Ehefrau/Alaura Kingsley/Margie), Helmut Westhausser (Werner Kriegler, Schauspieler/Luther Kingsley, Alauras Ehemann), Fabian Kaiser (Gerald Pierce, Schauspieler/Peter Kingsley, Alauras Stiefsohn), Annabelle Mierzwa (Avril Rains, Starlet/Mallory Kingsley, Alauras Stieftochter), Carlos H. Rivas (Pancho Vargas, Schauspieler/Lieutenant Muñoz, Kriminalbeamter), Thomas Klotz (Jimmy Powers, Schlagersänger), Benjamin Armbruster (Studio-Wachmann/Big Six, Schlägertyp/Ansage im „Blue Note“), Jessica Krüger (Gina, Regieassistentin/Anna/Margaret/Boothie), Nico Gaik (Tonmeister/Studio-Wachmann/Krankenpfleger/Schuhputzer/Sonny, kleiner Schläger/Mann am Telefon/Mahoney, Reporter), Marvin Meinold (Krankenpfleger/Harlan Yamato, Gerichtsmediziner/Gilbert, Friseur/Pianist/Gefängniswächter/Neffe/Ansage Radio), Frank Bahrenberg (Jack, Kameramann/Officer Pasco, Polizist), Adrian Kroneberger (Tim, Beleuchter/Dr. Mandril, Esoteriker), Cologne Voices (Valerie Bruhn, Susanne Riediger, Adrian Kroneberger, Frank Bahrenberg) (Angel City Four). Broadway-Premiere: 11. Dezember 1989, Virginia Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 17. September 1995, Theater Heilbronn. Premiere: 18. Mai 2013, Stadttheater Bielefeld.



„City of Angels“


Musicalische Krimizeit am Stadttheater Bielefeld


Indem die Show äußerst geschickt mit Rückblenden zwischen dem realen, in Farbe dargestellten Leben des Schriftstellers Stine im Los Angeles der späten 1940er Jahre und dem fiktiven, schwarz-weiß gezeichneten Geschehen um den von ihm erfundenen Privatdetektiv Stone wechselt, parodiert „City of Angels“ die legendären Kriminalfilme Hollywoods aus den 1940er Jahren, das so genannte „Film noir“-Genre. Ein besonderer Reiz liegt auch in den Interaktionen der realen und fiktiven Figuren: Traumfabrik Hollywood meets Film noir. Die Musical Comedy erlebte am 11. Dezember 1989 am Virginia Theatre ihre Broadway Premiere und wurde bis 19. Januar 1992 in 879 regulären Vorstellungen gezeigt. Die Produktion war 1990 für 10 Tony Awards nominiert, wovon sie sechs Auszeichnungen tatsächlich gewonnen hat, unter anderem als bestes Musical der Saison, für das amüsante Buch Larry Gelbarts und die Musik Cy Colemans. Als geistreiche Hommage an Schriftsteller wie Dashiell Hammett (* 27. Mai 1894 in Maryland, † 10. Januar 1961 in New York) oder Raymond Chandler (* 23. Juli 1888 in Chicago, Illinois; † 26. März 1959 in La Jolla, Kalifornien) mit ihren Romanfiguren Sam Spade und Philip Marlowe wurde „City of Angels“ als eines der intelligentesten, vor Gags sprühenden US-Musicals gefeiert, doch trotz exzellenter Kritiken schien die Show Teile des breiten Theaterpublikums ein wenig zu überfordern.

Stadttheater Bielefeld

Der hartgesottene Privatdetektiv Stone bekommt Besuch von der reichen und attraktiven Mrs. Alaura Kingsley, die ihn beauftragt, ihre verschwundene Stieftochter Mallory zu suchen. Nach einer verheerenden Schlägerei, einem verführerischen Tennismatch und einer zeitraubenden Recherche in den Rotlichtvierteln von Los Angeles findet er die Gesuchte – in seinem Bett. Doch das vermeintliche Happy End erweist sich als üble Falle und bringt Stone in eine Reihe von Situationen, die für Normalsterbliche in der Regel tödlich ausgehen. Was sich als typischer Plot eines Detektiv-Krimis präsentiert, ist in Wahrheit das in der Entstehung begriffene Drehbuch zu dem Hollywood-Film „City of Angels“. Stine, sein Autor, ist in heller Verzweiflung, der Produzent und Regisseur Buddy Fidler kürzt ihm eine Szene nach der anderen und schreibt alles um, was Stine seinem Helden Stone an Strategie mit auf den Weg gegeben hat. Zudem droht seine Frau damit, ihn zu verlassen, wenn er sich nicht endlich gegen Buddy durchsetzt. Die Frustration über die Kompromittierung seines künstlerischen Egos führt nicht nur zu Problemen im Privatleben des intellektuellen Schriftstellers Stine, als er den Reizen von Fidlers attraktiver Sekretärin Donna erliegt und eine Affäre mit ihr beginnt, woraufhin sich Gabby von ihm trennt, sondern fließt auch in das Drehbuch ein. An dessen Ende rebelliert schließlich sein fiktiver Held Stone im Gespräch mit Stine gegen die Verunstaltung seines Parts. Am ersten Drehtag erscheint Stine mit Stone – aus dem Drehbuch herausgetreten – an seiner Seite am Set und beide müssen schockiert feststellen, dass die Rolle des hartgesottenen Privatdetektivs mit einem beliebten Schlagersänger besetzt wurde: „ein Schmalzheini, ein Knödler, bei dem die Milch sauer wird“. Stone reißt das Drehbuch an sich und will das Studio verlassen, wird jedoch von zwei Studio-Wachleuten daran gehindert. Da kommt ihm Stone zur Hilfe, indem er seinerseits eine Szene schreibt, in der Stine die Wachmänner besiegt und dadurch sowohl seine Frau als auch seine Selbstachtung zurückgewinnt.

Das Theater Bielefeld hat für „City of Angels“ wieder einmal eine erlesene Darstellerriege auf der Bühne versammelt: Abgesehen von Veit Schäfermeier als sensibler Romanautor Stine mit all seinen Schwächen und Unsicherheiten und Alexander Franzen als Ex-Polizist und selbst­be­wusster, hartgesottener Ermittler Stone mit ihrem gesanglich starken Duett „Du bist nur, weil ich bin“ („You´re nothing without me“) verkörpern alle Darsteller sowohl die Charaktere in dem Hollywood-Film „City of Angels“ als auch die gespiegelten Figuren, denen der Schriftsteller im realen Leben begegnet. So erleben wir Roberta Valentini als Stines frustrierte Ehefrau Gabby und Stones Ex-Verlobte Bobbi Edwards, die als Starlet im Nachtclub „Blue Note“ mit der überzeugend dargebotenen Ballade „Mit jedem Atemzug“ („With every breath I take“) auf ihre Entdeckung wartet, Stones Heiratsantrag ablehnt und ihm damit das Herz bricht, weil sie erst beim Film Karriere machen will. Sarah Kuffner ist nicht nur als Stones schmachtende Sekretärin Oolie zu sehen, die ihren Chef anhimmelt wie Miss Moneypenny Geheimagent James Bond, der sie aber niemals erhören wird, sondern auch als Donna, die Sekretärin von Stines Auftraggeber, dem tyrannischen, abscheulichen Produzenten und Regisseur Buddy Fidler, und kann mit „Dafür bin ich immer gut“ („You can always count on me“) in beiden Rollen überzeugen. Buddy Fidler wird von Norbert Wendel gespielt und weiß genau, wie man den Zuschauer mit einem perfekten Film noir fesselt, weshalb er das komplette Drehbuch auf den Kopf stellt und sich auch gleich noch zum Koautor erklärt. In Stines Drehbuch taucht er als genauso uncharmanter, widerlicher Studioboss Irwin S. Irving wieder auf. Brigitte Oelke begegnen wir zunächst als Alaura Kingsley, prominente und verführerische Gattin des ehemaligen Waffenfabrikanten und schwerreichen Millionärs Luther Kingsley, die sich im Laufe des Films als äußerst berechnend und skrupellos herausstellt, und selbstredend später auch als Buddy Fidlers Ehefrau Carla Haywood, die für die Rolle der Feme fatale im Film besetzt wird: Killer Queen meets Film noir. Was eiskalte Berechnung anbelangt steht ihr Annabelle Mierzwa in der Rolle der verführerischen, lasziven Mallory Kingsley in nichts nach, die ihr Debüt am Theater Bielefeld gibt und in herrlich klischeehafter Situation versucht, Stone auf seinem Bett den Kopf zu verdrehen, als dieser nachts nach Hause kommt und sie ausgezogen dort vorfindet. Mit ähnlichen Hintergedanken versucht sie dies auch bei Schriftsteller Stine als Starlet Avril Rains. In der Rolle des Vokal-Quartetts „Angel City Four“ sind Valerie Bruhn, Susanne Riediger, Adrian Kroneberger und Frank Bahrenberg von den 1998 gegründeten „Cologne Voices“ zu sehen und vor allem zu hören, die allerdings noch von Thomas Klotz, der auch für die Choreografie verantwortlich zeichnet, als Schlagersänger Jimmy Powers im Quintett „Bleib bei mir“ („Stay with me“) übertroffen werden.

Thomas Winter, Absolvent des Studiengangs Musical an der Folkwang Hochschule (heute Folkwang Universität der Künste) in Essen, hat am Stadttheater Bielefeld im intimen Rahmen des Lofts bereits kleinere Produktionen inszeniert, beispielsweise „Songs for a New World (Lieder für eine neue Welt)“ von Jason Robert Brown. In seiner Inszenierung des Musicals „City of Angels“ laufen die beiden Handlungsstränge zunächst parallel, mitunter werden Dialoge auch rückwärts gesprochen, da das Drehbuch zu dem Film „City of Angels“ im Musical ständig korrigiert wird. Mehr und mehr verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, und ein besonderer Reiz der rasanten Musical Comedy liegt auch in den Interaktionen der realen und fiktiven Figuren. In „Was du nicht weißt über Frauen“ („What you don´t know about women“) parlieren Roberta Valentini als Gabby Stine und Sarah Kuffner als Stones Sekretärin Oolie über die Männer in ihrem Leben. „Du bist nur, weil ich bin“ („You´re nothing without me“) ist eine grimmige Auseinandersetzung zwischen Veit Schäfermeier als Schriftsteller Stine und Alexander Franzen als Privatdetektiv Stone, wenn dieser aus dem Drehbuch heraustritt und von seinem Erfinder mehr Rückgrat einfordert. Zu jedem guten Krimi gehören natürlich handfeste Schlägereien, und die gibt es auch in Bielefeld zu sehen, sogar in Zeitlupe. Benjamin Armbruster hat hierfür die Kampfchoreografie erarbeitet und ist natürlich als Schlägertyp Big Six auch selbst beteiligt, wenn es mal wieder jemanden zu verprügeln gibt. Ausstatter Ulv Jakobsen sorgt mit seinem Bühnenbild und den Kostümen für die Unterscheidung zwischen bunter Traumfabrik Hollywood und der in Schwarz, Weiß und Grautönen gehaltenen Krimihandlung im Film noir. Für den zügigen Handlungsablauf lässt er bei der Vielzahl der Schauplätze die Drehbühne mächtig rotieren.

Die Bielefelder Philharmoniker unter der Musikalischen Leitung von Musical-Kapellmeister William Ward Murta bringen mit 28 Musikern im Orchestergraben Cy Colemans Partitur meister­haft fulminant zu Gehör. Wer ein Faible für jazzige, swingende Big-Band-Klänge der 1940er Jahre hat, wird an zündenden Rhythmen wie „Du bist nur, weil ich bin“ („You´re nothing without me“), „Jede lässt sich irgendwo finden“ („Ev´rybody´s gotta be somewhere“) oder „Schreib es um“ („It needs work“), lateinamerikanischen Klängen in „Mein größter Wunsch wird wahr“ („All you have to do is wait“), jazzigen Balladen wie „Lost and found“ und „Bleib bei mir“ („Stay with me“), dem zweideutigen „Tennis Song“, Donnas bittersüßer Nummer „Dafür bin ich immer gut“ („You can always count on me“) und vor allem der starken Blues-Ballade „Mit jedem Atemzug“ („With every breath I take“) allergrößten Gefallen finden. Bleibt zu hoffen, dass das Theater Bielefeld seiner Linie treu bleibt und damit alle „Streich“-Orchester – ein Orchester, welches nicht ausschließlich aus Streich­in­stru­menten besteht, sondern dessen Besetzung aus Kostengründen auf eine Combo zusammengestrichen wurde – locker in den Schatten stellt.

Das Premierenpublikum war begeistert, feierte Darsteller und Kreative mit minutenlangem Stehapplaus und ließ keinen Zweifel daran, dass das Theater Bielefeld seinen nächsten Musicalhit gelandet hat. Bisher sind insgesamt 10 Vorstellungen bis 13. Juli 2013 disponiert.

Thomas Klotz bei der Premierenfeier

Sarah Kuffner bei der Premierenfeier

Brigitte Oelke bei der Premierenfeier

Roberta Valentini bei der Premierenfeier

Veit Schäfermeier und Alexander Franzen bei der Premierenfeier

William Ward Murta bei der Premierenfeier