Stadttheater Bielefeld: „Chess – Das Musical“

„Chess – Das Musical“ – nach einer Idee von Tim Rice; Musik: Benny Andersson und Björn Ulvaeus; Text: Tim Rice; Deutsche Dialoge: Ulrich Bree und Markus Linder; Inszenierung: Kay Kuntze; Choreografie: Götz Hellriegel; Bühne und Kostüme: Duncan Hayler; Musikalischer Leiter: William Ward Murta. Darsteller: Alex Melcher (Frederick Trumper), Veit Schäfermeier (Anatoly Sergievsky), Roberta Valentini (Florence Vassy), Karin Seyfried (Svetlana Sergievsky), Jens Janke (Schiedsrichter), Frank Bahrenberg (Alexander Molokov), Michael Pflumm (Walter de Courcey), Vincenzo Cassone (Bürgermeister), Julia Dietsch (TV-Reporterin), Ramon Riemarzik, Lutz Laible (Zivilbeamte), Thomas Doer (Leonid Viigand) sowie Julia Dietsch, Alexander Janacek, Jessica Krüger, Andreas Lutsch (Pop-Chor) und Michaela Duhme, Christine Fitz, Anna Grah, Milena Hagedorn, Alina Kuttke, Rebecca Soumagné, Stefan Lehmann, Jörn Seelhorst, Rebecca Soumagné (Tanzensemble). Uraufführung: 14. Mai 1986, Prince Edward Theatre, London. Premiere: 25. September 2011, Stadttheater Bielefeld.



„Chess – Das Musical“


„Das königliche Spiel“ am Stadttheater Bielefeld


Wie schon bei „Jesus Christ Superstar“ und „Evita“ wurde „Chess“ zunächst im Frühjahr 1984 als Doppel-LP veröffentlicht, Murray Head sang die Rolle The American, Tommy Körberg The Russian, Elaine Paige Florence und Barbara Dickson Svetlana. Das Album wurde in den Kritiken gelobt und wurde weltweit ein kommerzieller Erfolg. Trevor Nunn brachte „Chess“ schließlich mit Murray Head, Tommy Körberg und Elaine Paige als aufwendige Show im Prince Edward Theatre im Londoner West End auf die Bühne, wo es nach der Premiere am 14. Mai 1986 bis 8. April 1989 gezeigt wurde. Eine Broadway Produktion im Imperial Theatre (Premiere: 28. April 1988) schloss nach nur 17 Previews und 68 regulären Vorstellungen. Tim Rice hat die Tatsache, dass die Show in London nie den künstlerischen oder kommerziellen Erfolg erzielt hat, der nach dem Erfolg des Albums zu erwarten gewesen wäre, teilweise mit „sheer bad luck“ und teilweise mit „sheer – collective – incompetence“ erklärt. Eine schwedische Fassung von „Chess“ (Buch und Songtexte von Björn Ulvaeus, Lars Rudolffson und Jan Mark) erlebte am 23. Februar 2002 in Stockholm ihre Premiere und war überaus erfolgreich. In Deutschland waren in jüngerer Zeit u. a. Produktionen am Staatstheater Kassel (Premiere: 2. Februar 2002, Regie: Matthias Davids), an der Staatsoperette Dresden (Premiere: 27. Juni 2008, Regie: Wolf Widder) und am Aalto-Theater Essen (Premiere: 13. September 2008, Inszenierung: James de Groot/Paul Kribbe) zu sehen. Die Bielefelder Inszenierung mit deutschen Dialogen (Ulrich Bree und Markus Linder) und englischen Songtexten (übertitelt) ist an die Londoner Originalversion angelehnt.

Stadttheater Bielefeld

Das Musical „Chess“ handelt von den Rivalitäten zwischen einem amerikanischen und russischen Schach-Großmeister und ist als Parabel des Ost-West-Konflikts zu verstehen, der mit dem Fall der Berliner Mauer der Vergangenheit angehört. Die beiden Protagonisten waren zunächst namenlos (The American, The Russian), und die Handlung ist zwar fiktiv, aber die Charaktere und Lebensgeschichten der beiden sind womöglich von Viktor Kortschnoi und Bobby Fischer inspiriert. Daneben dürfte das so genannte „Spiel des Jahrhunderts“ zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski bei der Schachweltmeisterschaft 1972 in Reykjavík Pate gestanden haben. Der erste Akt behandelt die (fiktive) Schachweltmeisterschaft in Meran im Jahr 1979, in deren Verlauf Frederick Trumper ein Spiel abbricht und den Austragungsort verlässt. Florence Vassy, Trumpers Sekundantin und Geliebte, hat seine Demütigungen irgendwann satt, verlässt ihn und verliebt sich in Anatoly Sergievsky. Dieser gewinnt die Schachweltmeisterschaft, verlässt die russische Delegation und emigriert in den Westen. Im darauffolgenden Jahr muss Anatoly Sergievsky seinen Titel in Bangkok gegen den neuen Herausforderer Leonid Viigand verteidigen. Die Weltmeisterschaft ist von Intrigen und Verschwörungen geprägt, Alexander Molokov setzt Anatoly Sergievsky mit seiner Frau Svetlana unter Druck, und bietet Walter de Courcey das Leben von Florence Vassys Vater im Gegenzug an, wenn er dafür sorgt, dass Anatoly Sergievsky gegen den Herausforderer Leonid Viigand verliert. Frederick Trumper, der an dieser Weltmeisterschaft nur als Fernsehkommentator beteiligt ist, gibt Anatoly Sergievsky schließlich einen Tipp, wie er Leonid Viigand besiegen kann. Am Ende gewinnt Anatoly Sergievsky die Schachweltmeisterschaft, kehrt aber zu seiner Familie nach Russland zurück. Zugegebenermaßen eine teilweise ziemlich undurchsichtige Ansammlung von Klischees und schwarz-weiß gezeichneten Charakteren.

Der Amerikaner William Ward Murta ist als Musical-Kapellmeister am Stadttheater Bielefeld für seine erfolgreichen Musical-Aufführungen bekannt. Neben der musikalischen Leitung vieler Produktion komponiert er auch eigene Musicals, zuletzt war in der Spielzeit 2010/2011 die erfolgreiche Uraufführung von „The Birds of Alfred Hitchcock“ zu erleben. In der Spielzeit 2011/2012 stehen erneut zwei Musicals auf dem Spielplan, „Chess – Das Musical“ hatte bereits am 25. September 2011 Premiere, „Company“ von Stephen Sondheim in der deutschen Fassung von Michael Kunze wird ab dem 5. Mai 2012 zur Aufführung kommen. Und „so ganz nebenbei“ bringt William Ward Murta ab dem 17. Oktober 2011 auch noch „Songs for a new world“ von Jason Robert Brown in einer Deutschen Fassung von Wolfgang Adenberg mit Thomas Klotz, Karin Seyfried, Veit Schäfermeier und Dominika Szymanska zur Aufführung. Da kann man schon ein wenig neidisch werden, denn anderorts wird das Genre Musical komplett vom Spielplan gestrichen, um Kosten zu sparen.

Ein weiterer Trumpf – neben den Bielefelder Philharmonikern unter der Musikalischen Leitung von William Ward Murta – ist die Besetzung der Bielefelder Aufführung. Hier konnte man mit Alex Melcher als Frederick Trumper, Veit Schäfermeier als Anatoly Sergievsky, Roberta Valentini als Florence Vassy, Karin Seyfried als Svetlana Sergievsky und Jens Janke als Schiedsrichter bekannte Namen aus der Musical-Szene verpflichten, die obendrein für ein entsprechendes „Fanpublikum“ sorgen. Alex Melcher besticht als aufbrausender Amerikaner Frederick Trumper in seinem Spiel durch sein exzentrisches Verhalten, verleiht der Handlung – nicht nur durch seine rote Lederjacke – Farbe. Als er gleichzeitig den Weltmeistertitel und seine Partnerin verliert, kommt es in „Pity the child“ zu einem Gefühlsausbruch, den er packend emotional interpretiert. Veit Schäfermeier als russischer Schach-Großmeister Anatoly Sergievsky verachtet Propaganda und politisches Kalkül bei dem Wettkampf, für ihn zählt nur das Schachspiel – als Sinnbild für Strategie und Taktik, auch wenn er dafür Land, Familie oder Geliebte aufgeben muss. Gesanglich und schauspielerisch überzeugend ist „Anthem“ seine stärkstes Solo. Was macht Florence Vassy für Darstellerinnen der grünen Hexe Elphaba aus „Wicked“ interessant? Nach Idina Menzel in „Chess in Concert“ in der Royal Albert Hall verkörpert Roberta Valentini ebenfalls die Rolle der im Westen aufgewachsenen Ungarin, die auf der Suche nach Informationen über ihren beim Volksaufstand von 1956 in Budapest verschollenen Vater ist. Roberta Valentini reizte an der Rolle nach eigenem Bekunden das Weibliche und die Musik, bereits in einem frühen Planungsstadium hatte sie gegenüber William Ward Murta Interesse an der Rolle geäußert. Gesanglich jederzeit überzeugend intoniert sie ihre Gefühle leider bisweilen zur Rampe, und nicht zu ihrem jeweilgen Spielpartner. Karin Seyfried als bislang in Rußland festgehaltene Noch-Ehefrau Anatolys, Svetlana Sergievsky kommt erst im zweiten Akt als zweite Dame zum Zug, kann aber im Duett „I know him so well“ mit Roberta Valentini nachdrücklich auf sich aufmerksam machen. Jens Janke hat als Schiedsrichter gleichzeitig die Aufgabe, als eine Art Conférencier die Ereignisse zu kommentieren. Gesanglich (stark: „The Arbiter“) und schauspielerisch einwandfrei schwebt er als Comicfigur „verkleidet“ oftmals über dem Schauplatz, um den Überblick zu behalten. Die Solisten werden vom Pop-Chor, der mit Absolventen der German Musical Academy besetzt ist, dem Bielefelder Opernchor und Herren des Extrachors des Theaters Bielefeld unterstützt. Das Tanzensemble wird von Studenten und Schülern der German Musical Academy und der Hochschule Osnabrück gestellt.

Frank Bahrenberg, Karin Seyfried, Roberta Valentini, Veit Schäfermeier, Alex Melcher

Wie schon bei „The Birds of Alfred Hitchcock“ zeichnen Kay Kuntze für die Inszenierung, Götz Hellriegel für die Choreografie und Duncan Hayler für Bühne und Kostüme verantwortlich. Letzterer dürfte auch in Wien u. a. durch sein Bühnenbild für „Romeo & Julia – Das Musical“ am Raimund Theater ein Begriff sein. Für „Chess – Das Musical“ in Bielefeld hat er ein Bühnenbild geschaffen, welches durch vier an Panzer erinnernde Hauptelemente dominiert wird, den Kalten Krieg allgegenwärtig vor Augen führend. Erwartungsgemäß bedient die Szenerie in Bangkok im 2. Akt das Klischee des Sündenpfuhls in Thailand. Die Amerikaner und Russen agieren stereotyp in weißer und schwarzer Kleidung, außer bei der auffällig roten Lederjacke von Frederick Trumper sind den Damen die Rottöne vorbehalten. Bei der Figur des Schiedsrichters, den Duncan Hayler in ein silbernes Outfit gesteckt und mit einem orangem Bart versehen hat, ist er allerdings arg weit in die Phantasie-Welt der Comics abgedriftet.

Der eindeutige Star des Musicals „Chess“ ist auch in Bielefeld die Partitur von Benny Andersson und Björn Ulvaeus mit rockigen Gitarrenriffs und klassischen Streicherbögen, „One night in Bangkok“ und „I know him so well“ dürften wohl die bekanntesten Songs aus dem Stück sein. Die Bielefelder Philharmoniker überzeugen mit fulminantem Sound und schöner Abstimmung zwischen symphonischem Opernklang und kraftvollem Rocksound. So dürfte die Vorstellung am Stadttheater Bielefeld auch nicht nur für Musicalliebhaber ein Genuss sein. Bis zum 21. April 2012 steht „Chess – Das Musical“ in Bielefeld auf dem Spielplan.

Kommentare

Detlef hat gesagt…
Nachdem alle bisher angesetzten Vorstellungen für „Chess – Das Musical“ bereits ausverkauft sind, bietet das Theater Bielefeld aufgrund der großen Nachfrage nun weitere zusätzliche Vorstellungstermine an, und zwar am Samstag, 25. Febraur 2012 um 19.30 Uhr sowie am Ostersonntag, 8. April 2012 um 15 und um 19.30 Uhr. Karten für die genannten Aufführungstermine sind ab sofort erhältlich.