„An den Grenzen des Reiches. Ausgrabungen im Xantener Legionslager am Vorabend des Ersten Weltkrieges“

Sonderausstellung des LVR-RömerMuseums im Archäologischen Park Xanten

Am 28. Juni 1914 wurden Erzherzog Franz Ferdinand, seit 1896 Thronfolger von Österreich-Ungarn, und seine Gemahlin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, bei ihrem Besuch in Sarajevo von Gavrilo Princip, einem Mitglied der serbisch-nationalistischen Untergrundorganisation „Mlada Bosna“, erschossen. Das Attentat in der bosnischen Hauptstadt löste die Julikrise aus, eine Zuspitzung der Konfliktlage zwischen den fünf europäischen Großmächten und Serbien, die schließlich zum Ersten Weltkrieg führte: Am 23. Juli 1914 stellte Österreich-Ungarn Serbien ein unannehmbares Ultimatum, welches von den Mächten der Triple-Entente als Angriff auf die Souveränität Serbiens angesehen wurde. Am 28. Juli folgte die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, Russland antwortete am 29. Juli mit der Teilmobilmachung, am 30. Juli folgte die Generalmobilmachung. Daraufhin kam es am 1. August zur Generalmobilmachung und Kriegserklärung Deutschlands an Russland, am 3. August folgte die deutsche Kriegserklärung an Frankreich. Seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs sind in diesem Jahr 100 Jahre vergangen. Mit einem in Deutschland einzigartigen Verbundprojekt beleuchtet der Landschaftsverband Rheinland (LVR) daher die Zeit vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Unter der Überschrift „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“ wird die Möglichkeit zu einer in Deutschland in dieser Form einzigartigen Gesamtschau auf die sogenannte „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ geboten.

LVR-RömerMuseum im Archäologischen Park Xanten

Im Rahmen des LVR-Verbundprojekts „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“ lädt das LVR-RömerMuseum im Archäologischen Park Xanten vom 16. Mai bis 7. September 2014 dazu ein, sich ins Jahr 1914 zurückversetzen zu lassen und mit dem Blick der Wilhelminischen Kaiserzeit das Legionslager Vetera auf dem Fürstenberg bei Xanten kennenzulernen.

„An den Grenzen des Reiches“ im LVR-RömerMuseum, Blick in die Ausstellung

„An den Grenzen des Reiches“ im LVR-RömerMuseum, Blick in die Ausstellung

Kaiser Augustus stationierte kurz vor Christi Geburt im Lager Vetera Teile seiner Truppen, die von hier aus die Offensive ins freie Germanien starteten. Nach der verheerenden Niederlage im Teutoburger Wald und der Festlegung des Rheins als Grenze des Reiches wurden auf dem Fürstenberg zwei Legionen mit ungefähr 10.000 Soldaten fest stationiert. Durch diese große Zahl an Legionären – die Hälfte des niedergermanischen Heeres war hier versammelt – blieb Vetera ein zentraler Schauplatz römischer Machtausübung. Vetera I wurde im Zuge des Bataveraufstandes im März 70 nach Christus geplündert und niedergebrannt. Es ist bis heute das größte bekannte Standlager des Römischen Reiches.

Modell des Stabsgebäudes (principia) im Legionslager Vetera I auf dem Fürstenberg, frühes 20. Jahrhundert, nach einem Entwurf von Rudolf Schultze

Schon um 1900 wurden auf dem Fürstenberg Ausgrabungen durchgeführt, die ab 1905 im großen Stil als die wichtigste Grabung des Rheinischen Provinzialmuseums Bonn – dem Vorläufer des LVR-LandesMuseums Bonn – fortgesetzt wurden. Sie fügten sich in die allgemeine Archäologiebegeisterung der Zeit ein. Die bürgerliche Gesellschaft am Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ war geradezu begierig darauf zu erfahren, was die Archäologen bei ihren Ausgrabungen im In- und Ausland gefunden hatten. Große Sammlungen und Museen entstanden. Aber auch kleine Heimatmuseen zeigten archäologische Funde, Schulen thematisierten römische und germanische Geschichte. Am 1. August 1914, dem ersten Tag der Generalmobilmachung, beendete der Erste Weltkrieg die Grabung im Legionslager Vetera, die Archäologen und Grabungsarbeiter wurden größtenteils zum Dienst an der Waffe eingezogen. In den vorangegangenen neun Jahren waren große Teile des im Jahr 70 nach Christus im Zuge des Bataveraufstandes völlig zerstörten claudisch-neronischen Zweilegionenlagers zu Tage gefördert worden.

Balkenkopfbeschlag Iuppiter-Ammon

Die Ausstellung veranschaulicht über die lokale Ebene hinaus die politische Bedeutung der Grabungen und die Sicht der Epoche auf die archäologischen Hinterlassenschaften auf deutschem Boden. In Malerei, Bildhauerei, Literatur, Schauspiel und Musik wurde die Antike als Teil einer nationalen Identität vereinnahmt. Doch konnte sich die Archäologie der wilhelminischen Zeit nur schwer zwischen der Bewunderung für die Selbstbehauptung der Germanen und dem Respekt vor der Disziplin und Zivilisation der Römer entscheiden. Wilhelm II., von der Antike fasziniert, ließ sich persönlich über den Verlauf der Xantener Grabungen informieren. Für den Kaiser war die Altertumskunde nicht zuletzt ein Mittel zur Selbstdarstellung und Legitimation der eigenen Herrschaft. Die Ausstellung zeigt, wie die Politik das Bild von Römern und Germanen mit nationalem Pathos prägte. Besonders eindrucksvolle Belege bilden großformatige Schulwandbilder und damals populäre Figuren von Römern und Germanen, die im gesamten Deutschen Reich Verbreitung fanden. Die stetig wiederholten, vermeintlich wissenschaftlich fundierten Stereotypen blonder, naturverbundener Recken wurden zur Grundlage des Ahnenbildes auch der folgenden Generationen.

Die Zerstörung des Lagers 69 nach Christus
Steinfragmente aus dem Schutt der Principia

Für die römerzeitliche Archäologie erbrachten die Ausgrabungen in Xanten grundlegende Erkenntnisse. In vielen Details geht unser Bild des Lagers noch heute auf die Untersuchungen jener Zeit zurück. Waffen, Brennöfen, ausgezeichnet erhaltene Keramik und viele weitere, teils erstmals ausgestellte Exponate erzählen vom Leben der Legionäre an der Grenze des Römischen Reiches. Reich geschmückte Bauteile verdeutlichen eine prachtvolle Ausstattung der Gebäude, die eher an eine wohlhabende Stadt als an eine Garnison denken lassen. Darüber hinaus werden auch die Methoden der Archäologie und der Umgang mit den Funden vor 100 Jahren beleuchtet. Erstmals wurden hochwertige Fotografien angefertigt und detaillierte Zeichnungen und Tagebücher geführt, die heutigen wissenschaftlichen Standards nahekommen. Nie zuvor waren am Niederrhein so genaue Beobachtungen über die Fundumstände und die archäologischen Spuren im Boden getroffen und für die Nachwelt festgehalten worden.

Grabstein des Reitersoldaten Gaius Iulius Primus, bei Kalkar, 1. Jahrundert nach Christus

Terra Sigillata-Kelch mit Reliefdekor (Trinkgelage mit acht Personen und fünf Musikanten) aus der Werkstatt des M. Perennius Tigranus in Arretium/Arezzo, Vetera I, spätes 1. Jahrhundert vor Christus

Arco-Becher mit Reliefdekor und Hersteller-Signatur des Chrysippus, Vetera I, spätes 1. Jahrhundert vor Christus

Statuette eines Laren mit Opferschale und rhyton, Vetera I, 1. Hälfte 1. Jahrhundert vor Christus

Kultisches Trinkgefäß (rhyton), Ausformung der Spitze als Rehbockkopf mit Ausgussloch im Maul, Vetera I, spätaugusteisch-frühtiberisch

„Antike wird dokumentiert“

Der Fokus der Ausstellung richtet sich auch auf die Menschen, die an den Grabungen beteiligt waren. Vermessungs­instrumente und Werkzeuge, Fundnotizen und Zeichnungen illustrieren den Alltag von Arbeitern und Tagelöhnern auf dem Fürstenberg am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Neben bekannten Altertumsforschern wie Hans Lehner (* 3. Juni 1865 in Sigmaringen, † 21. Februar 1938 in Bonn) und Paul Steiner (* 21. August 1876 in Xanten, † 12. April 1944 in Bad Godesberg) engagierten sich auch Xantener Bürger im 1877 gegründeten Niederrheinischen Altertumsverein Xanten für die Erforschung der römischen Ortsgeschichte. Mit der Präsentation der antiken Fundstücke im 1907 eingerichteten Museum des Altertumsvereins im Klever Tor war die Beschäftigung mit der römischen Vergangenheit und deren Vermarktung für den aufkommenden Fremdenverkehr endgültig in Xanten etabliert.

„Antike wird dokumentiert“

„Antike wird dokumentiert“, Nivelliergerät, Hersteller Wed. J. Ahrend & Zoon, Amsterdam; Baujahr ca. 1900

„Antike wird dokumentiert“, Reise-Klapp-Kamera mit Aufnahmeformat 18 × 24 cm (reduziert 13 × 18 cm) mit Holzreisestativ, Alb. Glock & Cie. Photographische Artikel, Karlsruhe/Baden, verwendet zwischen 1890 und 1911

Belichtungstabelle, bedruckter Karton mit Schiebeeinlagen

Stereotypen – Der ideale Römer
Großformatige Figur eines römischen Legionärs, vor 1908

Die Ausstellung gibt der damaligen Archäologie und ihrer vielfältigen Rezeption Stimme und Gesicht – als Blick in eine Epoche, die mit dem Ausbruch des Krieges im Sommer 1914 abrupt ein Ende finden sollte. Gleichzeitig war es der Beginn der modernen wissenschaftlichen Archäologie. Mit dem preußischen Ausgrabungsgesetz vom 26. März 1914 bahnte sich der Übergang zu einer modernen, professionellen und gesetzlich verankerten Bodendenkmalpflege an.

100 Jahre später – Die Grabung 2011

Der Besuch der Sonderausstellung des LVR-RömerMuseums im Archäologischen Park Xanten ist im normalen Eintritt in Höhe von 9 Euro für Erwachsene bzw. 6 Euro ermäßigt enthalten, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt. Die Sonderausstellung ist täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

Amphitheater in Xanten-Birten

Heute existiert vom Legionslager Vetera I auf dem Fürstenberg nur noch das Amphitheater in Xanten-Birten, das sich womöglich auch aus religiöser Ehrfurcht erhalten hat, denn Viktor von Xanten soll hier sein Martyrium erlitten haben.

Grabstein des Marcus Caelius, Replik in Xanten-Birten

Der Gedenkstein für Marcus Caelius aus Bologna ist der einzige sichere archäologische Beleg für die Varusschlacht. Sie fand im Jahre 9 nach Christus im Teutoburger Wald statt. Drei römische Legionen wurden in der Schlacht vernichtet. Nach der verheerenden Niederlage gab Rom seine Okkupationspläne im rechtsrheinischen Germanien auf. Die sterblichen Überreste des Marcus Caelius verblieben auf dem Schlachtfeld. Sein Bruder Publius Caelius errichtete den Grabstein in dessen Stationierungsort Xanten.

Kommentare