Gandersheimer Domfestspiele: „Aida – Das Musical“

„Aida – Das Musical“ – Musik: Elton John; Songtexte: Tim Rice; Buch: Linda Woolverton, Robert Falls, David Henry Hwang; Deutsche Adaption: Michael Kunze; Regie: Achim Lenz; Choreographie: Kati Farkas; Bühnenbild: Birgitta Weiss; Kostüme: Verena Mohrig; Musikalische Leitung: Heiko Lippmann. Darsteller: u. a. Schirin Kazemi (Aida), Nikolaj Alexander Brucker (Radames), Julia Lißel (Amneris), Alexander Wipprecht (Zoser), Fehmi Göklü (Mereb), Marianne Curn (Nehebka), Reinhart Firchow (Pharao), Reinhard Krökel (Amonasro). Uraufführung: 23. März 2000, Palace Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 5. Oktober 2003, Colosseum Theater, Essen. Premiere: 7. Juli 2011, Gandersheimer Domfestspiele.



„Aida – Das Musical“


Die tragische Liebesgeschichte bei den 53. Gandersheimer Domfestspielen


Giuseppe Verdi hat 1870 basierend auf dem Opernszenarium des Ägyptologen Auguste Mariette Bey die Oper „Aida“ geschaffen, die am 24. Dezember 1871 ihre Uraufführung am Opernhaus in Kairo erlebte. Dass dies anlässlich der Eröffnung des Suezkanals 1869 geschehen sei ist lediglich eine Legende. Mehr als 100 Jahre später haben sich Elton John und Tim Rice des Stoffes angenommen und daraus ein Pop-Musical geschaffen, das bereits 1998 unter dem Titel „Elaborate Lives: The Legend of Aida“ im Alliance Theatre in Atlanta uraufgeführt wurde. Am 23. März 2000 feierte eine überarbeitete Fassung unter dem Titel „Elton John and Tim Rice´s Aida“ im Palace Theatre am Broadway Premiere und konnte insgesamt vier Tony Awards einheimsen (u.a. Best Original Score/Beste Originalmusik). Stage Holding brachte die deutschsprachige Erstaufführung am 5. Oktober 2003 im Colosseum Theater in Essen auf die Bühne. 2011 steht das Musical „Aida“ gleich in drei deutschsprachigen Sommerfestspielorten (Bad Gandersheim, Klingenberg am Main und Staatz-Kautendorf) auf dem Spielplan.

Die Geschichte beginnt in einem modernen ägyptischen Museum, wo die Statue der Pharaonin Amneris zu Leben erwacht und die uralte Legende von Liebe und Macht erzählt. Der ägyptische Heerführer Radames verschleppt – ohne von deren wahrer Identität zu wissen – die nubische Prinzessin Aida nach Ägypten und schenkt sie als Sklavin der Pharaonentochter Amneris. Da der Pharao im Sterben liegt, soll Radames Amneris heiraten und selbst König von Ägypten werden. Aber Radames und Aida verlieben sich unversehens ineinander – eine Liebe, die nicht sein darf, gegen die aber beide mit Vernunft nichts ausrichten können. Neben der Liebesgeschichte gibt es im Musical noch eine Verschwörung von Radames´ Vater Zoser gegen den Pharao, und Radames´ treuen nubischen Diener Mereb, der sich selbstlos für seinen König Amonasro opfert. Die Liebesgeschichte endet bekanntermaßen tragisch: Amneris kommt hinter die heimliche Beziehung zwischen Radames und Aida, und beide werden schließlich wegen Hochverrats lebendig begraben. Das Musical endet an dem Ort, wo es begonnen hat, und der Zuschauer erkennt, dass es Aida und Radames sind, die sich dort in einem neuen Leben wiederfinden. Im Gegensatz zur Oper bekommt das Musical durch die Rahmenhandlung ein Happy End.

Westwerk der Stiftskirche

Seit 1959 bilden die Gandersheimer Domfestspiele vor dem Westwerk der Stiftskirche den Höhepunkt der Sommersaison in Bad Gandersheim, mehr als 60.000 Zuschauer pro Spielzeit erleben die Vorstellungen und das einmalige Ambiente. In der 53. Spielzeit stehen vom 18. Juni bis 7. August 2011 neben 16 Aufführungen des Musicals „Aida“ die Komödie „Was ihr wollt“ von William Shakespeare, das Schauspiel „Wie im Himmel“ von Kay Pollak, die 80er-Jahre-Schlagerette „Sprüh´s auf jede Wand“ von Hilke Bultmann und das Kinder- und Familienstück „Pinocchio“ nach Carlo Collodi auf dem Spielplan. Die im Halbrund um die Bühne angeordnete Tribüne bietet 999 Besuchern Platz, bei gutem Wetter verleiht die untergehende Sonne der Stiftskirche während der Abendvorstellung einen warmen Farbton. Bei schlechtem Wetter hingegen sind sowohl Darsteller als auch Publikum Wind und Regen ungeschützt ausgesetzt, was beiden Personengruppen in diesem Jahr schon eine gehörige Portion Durchhaltevermögen abgefordert hat.

In der Regel wird die Titelrolle im Musical „Aida“ mit einer dunkelhäutigen Darstellerin besetzt, was die Auswahl im deutschsprachigen Raum sehr stark einschränkt. In Bad Gandersheim ist die Wahl auf Schirin Kazemi gefallen, sie hat südeuropäische/orientalische Wurzeln, und füllt die Rolle ebenso gut aus. Die Unterscheidung der Nubier zu den Ägyptern wird in Bad Gandersheim durch die Kostüme (Verena Mohrig) deutlich genug. Schirin Kazemi kann sowohl durch Gestik und Mimik als auch gesanglich überzeugen und harmoniert mit Nikolaj Alexander Brucker, der als Heerführer Radames Willensstärke zu demonstrieren versucht, sich aber letzten Endes von Aida um den kleinen Finger wickeln und gegenüber seiner Verlobten Amneris die erforderliche Männlichkeit vermissen lässt, weshalb ihm Amneris prompt zwei Ohrfeigen verpasst. Julia Lißel wandelt sich als Pharaonentochter Amneris vom unsicheren, selbstverliebten Modepüppchen zur verantwortungsvollen Herrscherin, gesanglich weiß sie im Laufe der Geschichte durchaus eigene Akzente zu setzen. Alle drei Protagonisten haben übrigens nacheinander an der Folkwang Universität der Künste im Studiengang Musical studiert: Nikolaj Alexander Brucker von 1997 bis 2001, Schirin Kazemi von 2002 bis 2006, und Julia Lißel von 2007 bis 2011. Und auch Regisseur Achim Lenz hat dort von 2005 bis 2008 sein Regiestudium absolviert. Sind in anderen Inszenierungen die extravaganten Kostüme bei der Modenschau über den Catwalk in „Mein Sinn für Stil“ der Blickfang, so kann Fehmi Göklü mit seinem Auftritt als Transvestit Julia Lißel als Amneris mit ihrem orangen Kleid und Schoßhündchen – einem Mops – noch die Show stehlen. Sein komisches Talent kommt hier – wie auch in der Rolle des Dieners Mereb – bestens zur Geltung. Alexander Wipprecht verkörpert in Bad Gandersheim den obersten Minister am Hof des Königs, Radames´ intrigranten Vater Zoser, der seinen Sohn mit aller Macht auf dem Königsthron sehen möchte. Er legt die Rolle entsprechend ehrgeizig und sarkastisch an, mir persönlich ist er allerdings im Vergleich zu Nikolaj Alexander Brucker als Vater zu jung, darüber kann auch die graue Perücke mit dem Zopf nicht hinwegtäuschen.

Die Bad Gandersheimer Inszenierung setzt stark auf Reduzierung … so stark, dass Radames´ Heer nur noch aus zwei Soldaten besteht. Dagegen hätten Aida und die Nubier wohl leichtes Spiel gehabt, auch wenn Jan Kämmerer und Florian Reiners einen furchteinflößenden Eindruck zu machen versuchen. Dennoch wartet Regisseur Achim Lenz mit einigen neuen Ideen auf, die im ersten Augenblick überraschen. So treten Radames und Zoser in der Konfrontation „Wie Vater, so Sohn“ mit knallroten Boxhandschuhen zum Boxkampf gegeneinander an, der Sohn schlägt den Vater zu Boden, die Liebe siegt über Macht und Intrige. In Bad Gandersheim wird ohne Pause gespielt, wodurch sich „Einen Schritt zu weit“ unmittelbar an „Die Sonne Nubiens“ anschließt. Julia Lißel und Nikolaj Alexander Brucker treten dabei durch die Tribünenaufgänge auf und bilden so mit Schirin Kazemi auf der Bühne das für diese Szene typische Dreieck als Sinnbild für die Dreiecksbeziehung zwischen Aida, Radames und Amneris. Die in der Originalproduktion der Disney Theatrical Group fetzigen Choreografien (z. B. "Eine Pyramide mehr") fallen in Bad Gandersheim mit zwei Herren entsprechend reduziert aus, aber nicht minder interessant (Choreografie: Kati Farkas). Scheinbar sind zwei weitere Herren aus dem Chor mit Tanzausbildung (Matthias Kreinz, Frank Wöhrmann) erst zu knapp vor der Premiere zum Team dazugestoßen, als dass sie noch in die Choreografien (und das Programmheft) hätten integriert werden können.

Die 10-köpfige Band unter der Musikalischen Leitung von Heiko Lippmann ist im Portal des Westwerks der Stiftskirche untergebracht und bringt Elton John´s Partitur aus Reggae, Soul, Gospel und Pop mit den üblichen drei Keyboards zu Gehör. Anders als Jonathan Larson in „Rent“ greift Elton John Giuseppe Verdis Opernvorlage überhaupt nicht auf. Er selbst soll über die 22 Songs des Musicals gesagte haben, dass sie zu den besten gehören, die er je geschrieben habe. Das mag jeder für sich selbst entscheiden, immerhin gab es dafür einen Tony Award. Nur wenige Requisiten verweisen auf der bis auf ein verschiebbares Podest und die Museumsvitrine leeren Bühne (Bühnenbild: Birgitta Weiss) auf den Ort des Geschehens, der in der Regel aus dem Zusammenhang oder den Dialogen zu entnehmen ist. Die Broadway-Inszenierung von „Elton John and Tim Rice´s Aida“ wurde auch mit einem Tony Award für das beste Lichtdesign (Natasha Katz) ausgezeichnet. Da die Aufführungen in Bad Gandersheim aber spätestens um 20 Uhr beginnen, setzt verständlicherweise erst im zweiten Akt die Dämmerung ein, so dass erst gegen Ende der etwa zweistündigen Aufführung das „unsichtbare Licht, das aus dem Sandgrab kam“ als Projektion auf die Westfassade der Stiftskirche als besonderer „Lichteffekt“ ins Auge fällt.

Sieht man über die genannten Schwächen hinweg, so ist „Aida“ auch bei den Gandersheimer Domfestspielen eine durchaus sehenswerte Produktion. Zumal die Preise mit maximal 36 € im Vergleich zu den Großproduktionen sehr moderat ausfallen.

2012 wird bei den Ganderheimer Domfestspielen das Musical „Chess“ von Benny Andersson, Björn Ulvaeus (Musik) und Tim Rice (Text) gezeigt, Premiere ist am 19. Juli 2012.


Sonntag, 7. August 2011

Schirin Kazemi wurde in diesem Jahr mit dem so genannten „Roswitha-Ring“ als Publikumspreis für die beste Künstlerin des diesjährigen Ensembles geehrt.

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