„Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa 1928 – 1932“

Fotografien von Erich Grisar und Arbeit aus der Dortmunder Nordstadt auf der Zeche Zollern

LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, ehemaliges Werkstattgebäude

„Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“ lautet der Titel einer neuen Sonderausstellung, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ab Samstag, 5. März 2022 in seinem Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund in der ehemaligen Werkstatt zeigt. In der Schau sind rund 250 Aufnahmen zu sehen, darunter viele bislang unveröffentlichte Motive des Fotografen Erich Grisar aus dem Stadtarchiv Dortmund, die in den Jahren 1928 bis 1932 entstanden sind. Der im Dortmunder Stadtarchiv lagernde fotografische Nachlass Erich Grisars umfasst mehr als 4.200 Negative und Glasplatten. Die Ausstellung zeichnet das Bild eines lebendigen Europas zwischen Aufbruch und Wirtschaftskrise.

Ausstellungsplakat „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa 1928 – 1932“

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

„Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“, Erich Grisars Kamera Plaubel Machina

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“, Erich Grisars Schreibmaschine Remington Portable

Erich Grisar fotografierte auf seinen Reisen durch Spanien, England, Holland und Polen nicht nur die landestypischen Sehenswürdigkeiten. Vor allem die Menschen in ihrer jeweiligen Lebens- und Arbeitssituation waren ihm wichtig. Seine Fotos wirken durch das Spannungsverhältnis von vertraut und fremd auf den Betrachter. Neben Szenen vom Stierkampf in Spanien stehen Fotos von Wohnquartieren in Marseille, die sich auch im Ruhrgebiet befinden könnten. Der Markusplatz in Venedig steht im Kontrast zu Fotos von Marktfrauen in Polen, die an Erich Grisars Aufnahmen am Dortmunder Nordmarkt erinnern.

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Ende der 1920er-Jahre reiste der Dortmunder Fotograf und Schriftsteller Erich Grisar durch Europa, hielt seine Eindrücke in Form von Bildern und Texten fest und veröffentlichte sie schließlich als Buch. Seine Motive fand er unter anderem in Warschau, Amsterdam oder Paris. Im Vordergrund stehen dabei Porträts von Menschen in Alltagssituationen und aus Elendsvierteln.

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Neben 255 Fotografien laden Hörstationen mit professionell eingesprochenen Originaltexten aus dem Buch „Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“ von Erich Grisar Besucher:innen dazu ein, dessen Reiseerlebnisse auch mit den Ohren zu nachzuvollziehen.

Neben 255 Fotografien laden Hörstationen die Besucher:innen ein, Erich Grisars Reiseerlebnisse auch akustisch nachzuvollziehen. Foto: LWL

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Zur Person Erich Grisars

11.9.1898Erich Grisar wird in der Dortmunder Nordstadt geboren und wächst in einem sozialdemokratischen und literarisch interessierten Arbeiterhaushalt auf.
1912 – 1915  Er macht eine Lehre als Vorzeichner in einer Dortmunder Kessel- und Brückenbaufabrik.
1916 – 1918 Als Soldat im Ersten Weltkrieg kämpft er an der Westfront und in Galizien. Im April 1918 wird er schwer verwundet und gelangt in ein Lazarett in Sulzbach/Oberpfalz. Erich Grisar wird zum überzeugten Pazifisten.
1919 – 1922Er arbeitet in seinem erlernten Beruf in einem Dortmunder Hüttenwerk.
1923 – 1924Es folgen berufliche Stationen in einer Leipziger Fabrik für Eisenhochbau und in einer Fabrik im hessischen Butzbach.
1924Erich Grisar kehrt nach Dortmund zurück und gründet eine Familie. Er schreibt als Journalist für die lokale, regionale und später auch überregionale Presse. Außerdem festigt er seinen Ruf als Arbeiterdichter sowie als Verfasser von Sprechchören für die Feste und Feiern der Arbeiterbewegung.
1928Erich Grisar fotografiert zunehmend und veröffentlicht Foto-Text-Reportagen.
1932Als Höhepunkt der fotografischen Arbeit erscheint in der sozialdemokratischen Buchgemeinschaft Der Bücherkreis die Reisereportage „Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“.
1933 – 1945Erich Grisar gelingt es zunächst auch während des Nationalsozialismus als Journalist zu arbeiten sowie Erzählungen und Romane aus dem Milieu des Brückenbaus zu veröffentlichen.
1939Er tritt wieder als Vorzeichner in die Firma Schüchtermann & Kremer ein.
1945Die Stadt Dortmund stellt ihn als Bibliothekar in der Volksbücherei Dortmund an. Erich Grisar ist weiterhin als Journalist und Schriftsteller tätig.
1946Neben „Kindheit im Kohlenpott“ erscheinen in der Lokalpresse zahllose Artikel, die ihn als humoristischen Plauderer ausweisen.
1953Mit „Der lachende Reinoldus. Alte und neue Anekdoten aus einer alten Hanse- und jungen Industriestadt“ erzielt er noch einmal einen Erfolg.
30.11.1955Erich Grisar stirbt im Alter von 57 Jahren in Dortmund.
1958In der Dortmunder Nordstadt wird eine Straße nach ihm benannt.
1972Die Stadt Dortmund erwirbt den Nachlass Erich Grisars.

Erich Grisar stammte aus proletarischem Hause und war Sozialdemokrat. Vor seiner freien fotografischen und journalistischen Tätigkeit arbeitete er mehrere Jahre als Vorzeichner in einer Kesselschmiede. In der Endphase der Weimarer Republik fotografierte er als Autodidakt Sozialreportagen, die in der Tagespresse oder in Zeitungen des linken Spektrums veröffentlicht wurden. Häufig stammten Text und Fotografien von Erich Grisar. Er nahm die Impulse der sozialkritischen Arbeiterfotografie auf und war selbst ein unabhängiger Teil von ihr. Er wollte als Schriftsteller zwischen den Klassen vermitteln, als Fotograf konnte er dieses Anliegen weiter verwirklichen.

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“

Teil der Ausstellung ist außerdem das vom Fritz-Hüser-Institut initiierte Projekt „To Cross all Frontiers“. Von 1920 bis 1952 haben verschiedenste Menschen wie Erich Kästner, Martin Andersen Nexø, Arno Holz, Kurt Hiller und viele andere europäische Künstler:innen ihre Gedanken, Gefühle, Meinungen und Weisheiten in Erich Grisars Notizbüchlein, das er Wanderbuch genannt hat, hinterlassen. Erich Grisar schaffte es mit dem Projekt, den Geist seines kleinen europäischen Künstler:innen-Netzwerks einzufangen. In Anlehnung an Erich Grisars Wanderbuch wurden anlässlich des 100-jährigen Jubiläums fünf Notizbücher durch verschiedene europäische Länder geschickt, die nun gefüllt mit Anekdoten ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Die Beiträge aus Deutschland, Polen, Großbritannien, Tschechien, den Niederlanden, Österreich, Griechenland, Serbien oder Rumänien handeln von Kunst, Alltag, Depressionen, Religion, Familie oder auch vom Leben in und mit der COVID-19-Pandemie. Die Einträge der fünf Notizbücher können vor Ort auf einem Bildschirm angeschaut werden und sind außerdem online unter wanderbuch.de einsehbar.

Blick in die Ausstellung „Erich Grisar – Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“, Erich Grisars Wanderbuch

Am Samstag, 5. März 2022 findet um 14 Uhr eine Führung durch die Ausstellung mit der Kuratorin Dr. Andrea Zupancic vom Stadtarchiv Dortmund statt. An diesem Tag gilt für die gesamte Zeche Zollern freier Eintritt.

Mein Europa – Mit Erich Grisar unterwegs in Europa – Zuhause in der Nordstadt

Blick in die Ausstellung „Mein Europa – Mit Erich Grisar unterwegs in Europa – Zuhause in der Nordstadt“

Ein generationsübergreifendes Partizipationsprojekt mit Bildungspartnern aus der Dortmunder Nordstadt zum Thema Europa ergänzt die Ausstellung. Sechs Projektpartner mit 58 Menschen aus 23 Ländern im Alter von acht bis 85 Jahren nahmen daran teil. Während Erich Grisar von der Nordstadt aus durch Europa reiste, kamen die Beteiligten und ihre Familien aus anderen Ländern in den Dortmunder Norden. In unterschiedlichen kreativen Arbeiten – von Interviews über Fotografien bis hin zu kunstvollen Textilbildern – beschäftigten sie sich mit verschiedenen Fragestellungen rund um Europa, ihren eigenen Reiseerlebnissen sowie der Nordstadt als neue Heimat. Entstanden sind 36 Exponate, die die individuellen Erlebnisse der Protagonist:innen widerspiegeln. Beteiligt waren die folgenden Projektpartner: die Kielhornschule, das Projekt „Raum vor Ort“, die Näherei „Amen Juvlja Mundial“, die Mädchengruppe des Nordtreffs „Arakasamen“, das „Jugendforum Nordstadt“ und der „Italienverein. Zentrum für Sprach- und Kulturvermittlung e. V.“. Die Nordstadtexpertin Annette Kritzler hat das Projekt museumspädagogisch begleitet.

Blick in die Ausstellung „Mein Europa – Mit Erich Grisar unterwegs in Europa – Zuhause in der Nordstadt“

Blick in die Ausstellung „Mein Europa – Mit Erich Grisar unterwegs in Europa – Zuhause in der Nordstadt“

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