„The Goodbye Girl“ am Stadttheater Bielefeld


„The Goodbye Girl“ – nach dem gleichnamigen Filmkonödie von Herbert Ross (1977); Musik: Marvin Hamlisch; Liedtexte: David Zippel; Buch: Neil Simon; Deutsche Bearbeitung: Laura Friedrich Tejero (weibliche Rollen) & Roman Hinze (männliche Rollen); Inszenierung: Thomas Winter; Choreografie: Dominik Büttner; Bühne, Kostüme: Sebastian Ellrich; Dramaturgie: Jón Philipp von Linden; Musikalische Leitung: William Ward Murta. Darsteller: Frederike Haas (Paula McFadden, ehemalige Broadway-Tänzerin), Romina Markmann (Lucy, ihre zwölfjährige Tochter), Nikolaj Alexander Brucker (Elliot Garfield, ein Schauspieler, der neue Mieter), Amanda Whitford (Mrs. Crosby, eine große afroamerikanische Frau, Haus-Managerin), Julia Waldmayer (Donna Douglas, eine junge Tänzerin, Paulas Freundin; Choreografische Assistenz & Dance Captain), Karina Rapley (Jenna, eine junge Tänzerin, Paulas Freundin/Regieassistentin/Ratcliffe), Carlos Horacio Rivas (Billy/Mark Koslovski, ungarischer Regisseur der off-off-Brodway-Produktion „Richard III.“/Ricky Simpson), Andrew Chadwick (Tänzer/Lovell), Samuel Chung (Tänzer/Heinrich von Richmond/Produktionsleiter), Vladimir Lortkipanidze (Lord Hastings), Seung-Koo Lim (Herzog von Buckingham), Franziska Hösli (Freundin), Hansol Yoo (Ehefrau), Yun-Geon Choi (Ehemann). Tryout-Premiere: 29. Dezember 1992, Shubert Theatre, Chicago. Broadway-Premiere: 4. März 1993, Marquis Theatre, New York City. West End-Premiere: 17. April 1997, Albery Theatre, London. Deutschsprachige Erstaufführung: 14. Oktober 2005, „Alte Mälzerei“, Mosbach. Deutschsprachige Erstaufführung in dieser Übersetzung: 2. Oktober 2021, Stadttheater Bielefeld.



„The Goodbye Girl“


„Ich kann mir nicht helfen, ich lechze nach Romantik!“


„The Goodbye Girl“, Theater Bielefeld, Frederike Haas (Paula McFadden) und Romina Markmann (Lucy, ihre Tochter). © Sarah Jonek

Dramatiker Neil Simon, der das Drehbuch zu dem Comedy-Drama „The Goodbye Girl“ (1977, deutscher Titel „Der Untermieter“) geschrieben hatte, tat sich 1992/1993 mit dem Komponisten Marvin Hamlisch („A Chorus Line“) und Texter David Zippel zusammen, um den Film für die Musical-Bühne zu adaptieren. Nach einer Tryout-Produktion am Shubert Theatre in Chicago feierte „The Goodby Girl“ am 4. März 1993 mit Bernadette Peters (Paula McFadden) und Martin Short (Elliot Garfield) in der Inszenierung von Michael Kidd am Marquis Theatre Broadway-Premiere, musste allerdings nach 188 Vorstellungen am 15. August 1993 bereits wieder schließen. Am 14. Oktober 2005 zeigte die Musikschule Mosbach die deutsche Erstaufführung in der deutschen Bearbeitung von Hauptdarsteller Jan Leonhardt (Elliott Garfield) in der „Alten Mälzerei“ Mosbach. Das Theater Bielefeld zeigt ab 2. Oktober 2021 die deutschsprachige Erstaufführung in der Übersetzung von Laura Friedrich Tejero (weibliche Rollen) & Roman Hinze (männliche Rollen).

„The Goodbye Girl“, Theater Bielefeld, Nikolaj Alexander Brucker (Elliot Garfield) und Frederike Haas (Paula McFadden). © Sarah Jonek

Die ehemalige Broadway-Tänzerin Paula McFadden wird von ihrem Lebensgefährten Tony de Forrest unvermittelt sitzen gelassen, der auch gleich noch die gemeinsame Wohnung, die sie mit ihrer zwölfjährigen Tochter Lucy bewohnt, untervermietet hat. Eines nachts steht der rechtmäßige neue Mieter Elliot Garfield vor der Wohnungstür und es kommt zum Streit. Der Schauspieler aus Chicago hat am Off-Off-Broadway ein Engagement als Richard III. im Drama „The Tragedy of King Richard the Third“ von William Shakepeare und soll nach den Wünschen des ungarischer Regisseurs Mark Koslovski diese Rolle „als ein Mann, der eine Frau spielt, die einen Mann spielt“ darstellen, wie sich später herausstellt. Notgedrungen kommen Elliot und Paula zu einem Waffenstillstand und bilden eine streng regulierte Wohngemeinschaft. Während beide versuchen, trotz ihrer Meinungs- und Temperamentsunterschiede so friedlich wie möglich zusammenzuleben, geraten sie ständig aneinander und fühlen sie sich obendrein zueinander hingezogen…

„The Goodbye Girl“, Theater Bielefeld, Nikolaj Alexander Brucker (Elliot Garfield als Richard III.) und Samuel Chung (Heinrich von Richmond), Ensemble. © Sarah Jonek

Folkwang Alumnus Thomas Winter („Hochzeit mit Hindernissen (The Drowsy Chaperone)“, Theater Bielefeld; „Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Theater Bielefeld) hat „The Goodbye Girl“ mit seinem Regieteam zeitlos in Szene gesetzt, das Brownstone-Gebäude ist minimalistischen Kantenmodellen gewichen, das romantische Dinner auf der Dachterasse findet unter Palmen auf Hawaii statt, und in der Balkonszene (aus „Romeo und Julia“) lässt die Regie Elliot Garfield eine Telefonzelle erklimmen. Dominik Büttner („Hochzeit mit Hindernissen (The Drowsy Chaperone)“, Theater Bielefeld; „Otello darf nicht platzen! – Das Musical“, Theater Bielefeld; „Die spinnen, die Römer!“, Theater Bielefeld) hat die ansprechenden Choreografien einstudiert, die insbesondere von den vier Tänzer*innen Karina Rapley, Julia Waldmeyer, Andrew Chadwig und Samuel Chung überzeugend umgesetzt werden. Kostüm- und Bühnenbildner Sebastian Ellrich („Into the Woods“, Theater Oberhausen; „Kinky Boots – ziemlich scharfe Stiefel“, Theater für Niedersachsen, Hildesheim) zeichnet für die konsequent in den Farben Rot, Weiß und Grau gehaltene Ausstattung verantwortlich und hat für die Räume des Appartments eine Gestaltung als minimalistische, quaderförmige Kantenmodelle gewählt, bei denen die Kanten auch leuchten können. Durch den Einsatz der Drehbühne kann rasch zwischen unterschiedlichen Schauplätzen wie der Wohnung, dem Central Park, der Dachterrasse oder dem See im Central Park gewechselt werden. Die Bielefelder Philharmoniker bringen Marvin Hamlischs Partitur in der vom Verlag vorgesehenen 21-köpfigen Instrumentalbesetzung unter der Musikalischen Leitung von Musical-Kapellmeister William Ward Murta im fulminanten Broadway Big Band Sound zu Gehör.

„The Goodbye Girl“, Theater Bielefeld, Romina Markmann (Lucy, Paulas Tochter) und Amanda Whitford (Mrs. Crosby). © Sarah Jonek

Frederike Haas (Roxie Hart in „Chicago“, Raimund Theater, Wien; Adelphi Theatre, London; Theater des Westens, Berlin; zuletzt Sally Durant in „Follies“, Staatsoperette Dresden) ist als ehemalige Broadway-Tänzerin wieder einmal von ihrem Lebensgefährten sitzengelassen worden und hat mit Mitte 30 ihren beruflichen Zenit bereits überschritten. Bei einer Audition wird sie nicht gecastet, da sie nicht mithalten kann, und auch beim Joggen im Central Park kommt Paula McFadden an ihre körperlichen Grenzen, weshalb sie schließlich als Tüte French Fries mit Ketchup verkleidet in der „Ricky Simpson Show“ auftritt, um sich und ihre Tochter über Wasser zu halten. Nur zu gut kann sie nachempfinden, wie sich Elliot Garfield bei der desaströsen Inszenierung von „The Tragedy of King Richard the Third“ auf der Bühne fühlen muss. Zur Freude der Zuschauer gerät sie ständig mit Folkwang Folkwang Alumnus Nikolaj Alexander Brucker (Raoul in „Das Phantom der Oper“, Colosseum Theater Essen; Newton in „Lazarus“, Theater Bielfeld; Robert/Wilderer/Georg Schmidt in „The Black Rider – The Casting of the magic Bullets“, Theater Bielefeld) als eingebildeter, rechthaberischer Schauspieler Elliot Garfield aneinander, der mitten in der Nacht als hartnäckiger neuer Mieter in ihr Leben tritt. In der Rolle von Richard III. in „The Tragedy of King Richard the Third“ wechselt er wie Dr. Henry Jekyll und Edward Hyde in der „Konfrontation“ beständig zwischen Mann und Frau. Die Premiere als „Theater im Theater“ mündet erwartungsgemäß in einem desaströsen Misserfolg, den Elliot Garfield im Alkohol zu ertränken versucht. Romina Markmann (Mädchen mit Katze/Cheerleader in „Big Fish“, Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen; Piccolo in „Im weißen Rössl“, Schlossfestspiele Heidelberg) gibt als Paulas Tochter Lucy ihr Debüt am Stadttheater Bielefeld und verkörpert glaubhaft den weiblichen Teenager, der seine Mutter bewundert, aber Angst davor hat, sich einem Mann zu nähern, der seinem Vater gleichen könnte. Da die Rollen von Lucys Freundinnen Cynthia und Melanie in Bielefeld gestrichen wurden, fehlen auch die beiden Terzette von Lucy, Cynthia und Melanie. Amanda Whitford (Motormouth Maybelle in „Hairspray“, Freilichtspiele Tecklenburg; Crystal in „Der kleine Horrorladen (Little Shop of Horrors)“, Theater Bonn) ist in der Rolle der Hausbesitzerin Mrs. Crosby immer zur Stelle, wenn es um Dramatik geht, in ihrem Duett „Wir sind einfach zu gut“ („2 Good 2 B Bad“) mit Romina Markmann weiß sie auch gesanglich für sich einzunehmen. Carlos Horacio Rivas in den Rollen von Billy, dem exzentrischen ungarischen Regisseur Mark Koslovski und dem Moderator der „Ricky Simpson Show“ soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

„The Goodbye Girl“, Theater Bielefeld, Nikolaj Alexander Brucker (Elliot Garfield) und Frederike Haas (Paula McFadden). © Sarah Jonek

Nach etwa 2 Stunden 45 Minuten Aufführungsdauer einschließlich Pause bedachte das Premierenpublikum alle Akteure und das Kreativteam mit langanhaltendem Stehapplaus, und auch für das Orchester gab es nach der „Exit music“ längeren Applaus als sonst üblich. Weitere Vorstellungen sind bis 30. April 2022 disponiert, Tickets für Vorstellungen bis 31. Dezember 2021 sind bereits im Vorverkauf.

Kommentare