„MASS: Ein Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“

„MASS: Ein Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“ – nach der lateinischen Liturgie der römisch-katholischen Kirche von 1962. Musik und Liedtexte: Leonard Bernstein; Weitere Texte von Stephen Schwartz und Leonard Bernstein; Regie, Choreographie, Kostüme: Richard Siegal; Bühne, Licht: Stefan Meyer; Ton: Marco Brinkmann; Dramaturgie: Stephan Steinmetz; Musikalische Leitung: Rasmus Baumann/Giuliano Betta. Solisten: Henrik Wager (Der Zelebrant, ein katholischer Priester), Eric A./Jonas F./Henry K. (Knabensolist). Street Chorus: Paul Calderone, Tobias Glagau, Khanyiso Gwenxane, Michael Heine, Almuth Herbst, Lina Hoffmann*, Martin Homrich, Bele Kumberger, Dongmin Lee, John Lim*, Joachim Gabriel Maaß, Urban Malmberg, Boshana Milkov*, Noriko Ogawa-Yateke, Petro Ostapenko, Christa Platzer, Piotr Prochera, Jiyuan Qiu*, Sebastian Schiller, Petra Schmidt, Anke Sieloff, Ruud van Overdijk, Shixuan Wei*. 1. Blues Sänger: Piotr Prochera; 2. Blues Sänger: Anke Sieloff; 3. Blues Sänger: Paul Calderone; 1. Rock Sänger: Sebastian Schiller; 2. Rock Sänger: Petro Ostapenko; 3. Rock Sänger: Tobias Glagau. Trope: „World without End“: Anke Sieloff; „Non credo“: Piotr Prochera; „I belive in God“: Paul Calderone; „Thank you“: Petra Schmidt; „Hurry“: Almuth Herbst; Gospel Sermon (Preacher): Paul Calderone. Tänzer*innen: Francesca Berruto, Paul Calderone, Sarah-Lee Chapman, Carlos Contreras, Valentin Juteau, Hitomi Kuhara, Mason Manning, Louiz Rodrigues, Lucia Solari, Ledian Soto, José Urratia, Tessa Vanheusden, Bridget Zehr, Sara Zinna. Opernchor und Projektchor des MiR, Knabenchor der Chorakademie Dortmund, Neue Philharmonie Westfalen. *Mitglieder des Jungen Ensembles des MiR. Uraufführung: 8. September 1971, John F. Kennedy Center for the Performing Arts, Washington, D. C. Europäische Erstaufführung: 25. Juni 1973, Konzerthaus, Wien. Deutschsprachige Erstaufführung: 16. Februar 1981, Wiener Staatsoper. Premiere: 6. Oktober 2018, Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen. Besuchte Vorstellung: 11. Oktober 2018.



„MASS: Ein Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“


Gelungene Eröffnungspremiere der Spielzeit 2018/2019 am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


Leonard Bernstein (* 25. August 1918 in Lawrence, Massachusetts, † 14. Oktober 1990 in New York City, New York) wäre am 25. August 2018 100 Jahre alt geworden, was womöglich jeder Musiktheaterintendant auf die ein oder andere Weise würdigt. Denkt man an die Aufführung eines seiner Musicals, so kämen womöglich „On the town“, „Wonderful Town“, „West Side Story“ oder „Candide“ infrage, die „West Side Story“ (Premiere 15. September 1995, Regie und Choreografie Bernd Schindowski, Musikalische Leitung Koen Schoots), „Candide“ (Premiere 12. Oktober 2008, Regie Gil Mehmert, Choreografie Kati Farkas, Musikalische Leitung Rasmus Baumann) und „On the town“ (Premiere 1. Februar 2014, Regie Carsten Kirchmeier, Choreografie Bridget Breiner, Musikalische Leitung Rasmus Baumann) wurden am Musiktheater im Revier bereits gezeigt, und dann gibt es natürlich auch die „Mass“, mit der Leonard Bernstein 1971 das Publikum schockierte, sogar Präsident Richard Nixon (* 9. Januar 1913 in Yorba Linda, Kalifornien, † 22. April 1994 in New York) bleib der Uraufführung fern.

„MASS“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Henrik Wager (Zelebrant), Ensemble. Foto Karl Forster

Schon seit der „West Side Story“ (Uraufführung 26. September 1957, Winter Garden Theatre, New York City) gehörte Leonard Bernstein zu den führenden Bühnenkomponisten seiner Zeit. Zur Eröffnung des John F. Kennedy Center for the Performing Arts 1971 in Washington, das den Namen des ersten katholischen Präsidenten der USA trägt, beauftragte die Witwe des US-Präsidenten John F. Kennedy (* 29. Mai 1917 in Brookline, Massachusetts, † 22. November 1963 in Dallas, Texas) Jacqueline Kennedy (* 28. Juli 1929 in Southampton auf Long Island, † 19. Mai 1994 in New York City) Leonard Bernstein mit der Komposition, woraus ein gewaltiges musikalisches Happening entstanden ist: „MASS: A Theatre Piece for Singers, Players, and Dancers“. Es handelt sich um eine Art heilige Messe, bei der einiges außer Kontrolle gerät. Die europäische Erstaufführung fand am 25. Juni 1973 mit Michael Hume (Tenor), Thomas Whittemore (Sopran), der Wiener Singakademie (Chor), dem Knabenchor des BRG Wien XXI (Chor) und dem Yale Symphony Orchestra unter der Leitung von John Mauceri im Wiener Konzerthaus statt.

„MASS“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Ensemble. Foto Costin Radu

Szenische Auffürungen des Theaterstückes für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer sind wegen des hohen Aufwandes eher die Ausnahme, regelmäßig gibt es konzertante Aufführungen, beispielsweise wird „MASS: Ein Theaterstück für Sänger, Instrumentalisten und Tänzer“ als konzertante Aufführung mit den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von John Neal Axelrod am 7., 9. und 10. Dezember 2018 in der Tonhalle Düsseldorf gezeigt. Das Musiktheater im Revier zeigt jedoch eine szenische Aufführung, bei der das gesamte Solistenensemble von Oper und Ballett, der Opern- und Extrachor des Musiktheaters im Revier, der Knabenchor der Chorakademie Dortmund, eine Marching Band und die Neue Phiharmonie Westfalen das Große Haus bespielen. Dies ist wortwörtlich zu nehmen, denn sowohl der zweite Rang als auch die erste Reihe im Auditorium werden in der eindreiviertelstündigen Aufführung (es wird ohne Pause gespielt) von den Chören und Solisten genutzt. Außerdem wurde der Orchestergraben teilweise überbaut, um weiteren Platz auf der Bühne zu schaffen. Dabei greift das Bühnenbild von Stefan Mayer die Optik des Auditoriums auf und schafft einen großen Veranstaltungsraum, der an eine Kirche erinnern soll, in dem die Zuschauer aktiv in das Geschehen miteinbezogen werden. Auch das ist wortwörtlich zu nehmen und der Willen des Zweiten Vatikanischen Konzils.

„MASS“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Paul Calderone, Ensemble. Foto Karl Forster

Die Realisierung von „Mass“ erfordert einen großen personellen und räumlichen Aufwand: Um die 180 Mitwirkende hatte Regisseur und Choreograph Richard Siegal hier zu koordinieren. Neben dem um eine Rockformation erweiterten Orchester, das nicht nur im Graben, sondern auch rechts und links auf der Bühne und teilweise im Rang platziert ist, gibt es eine Marching Band, 14 Tänzerinnen und Tänzer, den durch den Extrachor erweiterten Opernchor, den Knabenchor der Chorakademie Dortmund sowie den so genannten Street Chorus, der sich aus Solisten zusammensetzt. Allein der Street Chorus besteht aus 23 Sängerinnen und Sängern des MiR-Ensembles sowie dem Jungen Ensemble. Sind die unterschiedlichen Gruppen ansonsten klar voneinander getrennt, bildet der Tänzer Paul Calderone eine Ausnahme: als Teil des Street-Chorus bekleidet er außerdem einen singenden Part. Der Street Chorus bespielt nicht nur die Bühne, sondern auch die komplette erste Reihe im Auditorium. Sie alle sind Teil der Gemeinde, der der als Zelebrant (Henrik Wager) bezeichnete Priester vorsteht. „Mass“ ist einerseits eine Art heilige Messe, andererseits eine Auseinandersetzung mit dem individuellen Glauben der Gemeindemitglieder und der Rolle des Zelebranten.

„MASS“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Henrik Wager (Zelebrant), Ensemble. Foto Karl Forster

Verläuft die Messe anfangs ausgelassen und fröhlich – die Übergänge zum Publikum sind fließend, der Zuschauerraum bleibt erleuchtet und bindet die Zuschauer auch aktiv mit ein, kristallisieren sich allmählich Personen mit unterschiedlichen Lebens- und Glaubenskrisen heraus und fordern Antworten. Gottes Wort genügt in vielen Fällen nicht, es fehlt ihnen an innerer Überzeugung. Henrik Wager versucht in der Rolle des Zelebranten den kritischen Stimmen zunächst entgegenzutreten, aber die Gemeinde wird zunehmend fordernder und verfällt ins Chaos, so bleibt er schließlich gebrochen zurück. Am Ende gibt es trotzdem Hoffnung für alle…

„MASS“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Henrik Wager (Zelebrant), Ensemble. Foto Karl Forster

Henrik Wager begeistert in der anspruchsvollen Rolle des Zelebranten. Vergeblich versucht er sich hinter Glaubensriten und Traditionen zu verstecken. Er scheitert, bricht zusammen und findet schließlich zu einem Neuanfang: Ein langer Monolog zeugt von der inneren Zerrissenheit des Zelebranten. Es wird deutlich, dass er nicht bereit ist, sich den Forderungen der Gemeinde zu beugen. Der Monolog wird durch einen Solisten des Knabenchores (Eric) beendet, der mit glocken­klarer Stimme einen Choral („A Simple Song“) erneut anstimmt („Secret Songs“) und damit die äußere Form der Messe wieder­herstellt und die Gemeinde langsam wieder zusammenführt. Ein Vertreter der ganz jungen Generation als Zeichen der Hoffnung auf Frieden und göttlichen Beistand?

„MASS“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Ballett im Revier. Foto Costin Radu

Die Mitglieder des Street Chorus agieren als unterschiedliche Individuen, die auf ihre Fragen keine Antworten finden können und deren Sinnsuche ergebnislos verläuft. Auf Fragen, die die Zweifler hervorbringen, bekommen sie keine Antwort, außer, dass sie sich im Gebet an Gott wenden sollen. Insgesamt 18 Mitglieder des Street Chorus (Paul Calderone, Tobias Glagau, Khanyiso Gwensane, Michael Heine, Almuth Herbst, Lina Hoffmann, Dongmin Lee, Joachim Gabriel Maaß, Urban Malmberg, Boshana Milkow, Petro Ostapenko, Christa Platzer, Piotr Prochera, Sebastian Schiller, Petra Schmidt, Anke Sieloff, Ruud van Overdijk [Roger Davis in „Rent“], Shixuan Wei) treten als Solisten auf und tragen ihre Zweifel am Glauben aus verschiedenen Perspektiven vor.

„MASS“, Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Henrik Wager (Zelebrant), Ensemble. Foto Costin Radu

Das Ballett im Revier steht häufig im Mittelpunkt des Geschehens, es bringt Tempo in den Abend und trägt entscheidend zur lebendigen szenischen Umsetzung des Werks bei. Die ausdrucksvollen Choreografien Richard Siegals sind ein wichtiges Element für das Gelingen des anspruchsvollen Abends. Wie alle Akteure auf der Bühne, tragen auch die Tänzerinnen und Tänzer Straßenkleidung, auf Uniformität wird verzichtet. Es entsteht der optische Eindruck einer Gemeinde, die sich zum Gottesdienst versammelt hat. Der Bühnenraum ist hingegen eine homogene helle Holzlattenkonstruktion mit einigen wenigen verschiebbaren Elementen und klappbarer Decke. Die Bühne ist darüber hinaus zum Zuschauerraum hin geöffnet und über zwei Stege begehbar. So können die Akteure aus dem Publikum heraus agieren, aber auch flexibel in den Bühnenraum wechseln. Dadurch kann im Verlauf des Stückes situationsbedingt eine bedrückende räumliche Enge rund um den Zelebranten entstehen, aber auch eine großzügige Weite.

Am Ende der 110-minütigen Vorstellung gab es wohlverdienten Applaus für alle Mitwirkenden. „Mass“ steht mit insgesamt 10 Vorstellungen bis zum 16. Februar 2019 auf dem Spielplan des Musiktheater im Revier Gelsenkirchen.

Kommentare