Vorschau: „Der Vetter aus Dingsda“ am Musiktheater im Revier

„Der Vetter aus Dingsda“ – nach einem Lustspiel von Max Klempner-Hochstädt; Musik: Eduard Künneke; Libretto: Herman Haller (eigentlich Hermann Freund) und Fritz Oliven („Rideamus“); Regie: Rahel Thiel; Ausstattung: Elisabeth Vogetseder; Dramaturgie: Gabriele Wiesmüller; Musikalische Leitung: Thomas Rimes. Darsteller: Anke Sieloff (Julia de Weert), Cornel Frey (August Kuhbrot, der erste Fremde), Christa Platzer (Hannchen, Freundin von Julia), Tobias Glagau (Roderich de Weert, der zweite Fremde), Joachim Gabriel Maaß (Josef Kuhbrot, genannt „Josse“, Onkel von Julia), Gudrun Schade (Wilhelmine Kuhbrot, genannt „Wimpel“, dessen Frau), Urban Malmberg (Egon von Wildenhagen), Ingo Schiller (Diener Hans), Sebastian Schiller (Diener Karl). Uraufführung: 15. April 1921, Theater am Nollendorfplatz, Berlin. Premiere: 9. Februar 2018, Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen.



„Der Vetter aus Dingsda“


Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt…


Operettenkomponist Eduard Künneke (* 27. Januar 1885 in Emmerich, † 27. Oktober 1953 in Berlin) hat in den goldenen 1920er-Jahrer in Berlin mit der Operette „Der Vetter aus Dingsda“ sein mit Abstand erfolgreichstes Stück komponiert, das Libretto stammt von Herman Haller (* 24. Dezember 1871 in Berlin, † 5. Mai 1943 in London), von 1914 bis 1923 Direktor des Theaters am Nollendorfplatz Berlin, und dem unter dem Pseudonym „Rideamus“ in Berlin lebenden jüdischen Jurist und Schriftsteller Fritz Oliven (* 10. Mai 1874 in Breslau, † 30. Juni 1956 in Porto Alegre, Brasilien). Herman Haller hatte Eduard Künneke zwei Jahre vor der Uraufführung am 15. April 1921 an das Theater am Nollendorfplatz verpflichten können. Johannes Schild hat die Operette für Salonorchester bearbeitet, die Fassung wurde erstmals am 20. März 2004 am Theater Hagen aufgeführt. „Der Vetter aus Dingsda“ wurde mehrfach verfilmt, zuletzt 1970 von Willy van Hemert mit Mieke Bos (Julia de Weert), die tatsächlich in Weert in den Niederlanden geboren wurde, und Brigitte Mira und Willy Millowitsch als Wilhelmine und Josef Kuhbrot.

Plakatmotiv „Der Vetter aus Dingsda“, Tobias Glagau. © Pedro Malinowski

Die junge, reiche Erbin Julia de Weert erwartet in Südholland sehnsüchtig ihre Volljährigkeit und die Rückkehr ihres Vetters Roderich, der vor sieben Jahren nach Batavia (heute Jakarta) in der Kolonie Niederländisch-Indien – der unter niederländischer Herrschaft stehende Vorläufer der Republik Indonesien – abgereist war und dem sie ewige Treue geschworen hatte. Julia kann sich den Ort nicht merken und nennt ihn daher einfach „Dingsda“. Ihr Onkel „Josse“ hat für sein Mündel jedoch ganz andere Heiratspläne: Sein Neffe August Kuhbrot soll Julias Herz gewinnen und durch die Heirat ihr Geld. Julias zweiter Vormund will sie mit seinem Sohn Egon von Wildeshagen verheiraten, doch Julia träumt lieber weiter von ihrer Jugendliebe Roderich. Am Abend ihrer Volljährigkeit taucht ein geheimnisvoller, attraktiver Fremder auf, der von sich behauptet, „nur ein armer Wandergesell“ zu sein. Der ist zwar in Wirklichkeit August Kuhbrot, der von Onkel „Josse“ und Tante „Wimpel“ bevorzugte Hereitskandidat, doch als er sich diesen als ihr Neffe vorstellt, halten sie ihn für den aus Batavia zurückgekehrten „Roderich de Weert“, und auch Julia akzeptiert bald seinen Vorschlag, nicht so schrecklich viel zu denken und ihn stattdessen zu küssen. Da platzt Egon von Wildeshagen mit der Nachricht herein, dass Roderich de Weert noch gar nicht angekommen sein könne, da sein Schiff aus Batavia erst heute im Hafen einlaufe. Der Wandergesell gesteht, nicht Julias geliebter Vetter Roderich zu sein, woraufhin sie ihn seiner Wege ziehen lässt, obwohl sie ihn liebt, da sie sich an ihren Treueschwur gebunden fühlt. Als ein zweiter Fremder am Schloss auftaucht, verliebt sich Julias Freundin Hannchen auf der Stelle in ihn. Er stellt sich als Roderich de Weert vor, daher rät ihm Hannchen eigennützig, sich Julia als „August Kuhbrot“ vorzustellen, damit sie ihn auf der Stelle ablehnt. Nach einigen Verwicklungen klärt sich schließlich die wahre Identität der beiden Fremden auf, und so wird August Kuhbrot zukünftig Julias „Roderich“ sein und Hannchen bekommt den echten Roderich.

Die junge Regisseurin Rahel Thiel (* 1990 in Leipzig), die seit der Spielzeit 2015/16 als Regieassistentin und Abendspielleiterin am Musiktheater im Revier engagiert ist und dort mit „The Turn of the Screw“ (Premiere 10. September 2016) ihr Hausdebüt als Regisseurin gab, geht mit den Best Agern aus dem Ensemble des Musiktheater im Revier und einigen wenigen Gästen – Gudrun Schade als Wilhelmine Kuhbrot und Cornel Frey als August Kuhbrot – der Frage nach, was passiert, wenn man nicht nur sieben Jahre auf seine große Liebe wartet, sondern 70 Jahre, sein ganzes Leben lang. Die Inszenierung soll „mal heiter-melancholisch, mal tragisch-komisch das Älterwerden von Menschen mit seinen ungenutzten Chancen“ beschreiben. Nun ist es gängige Praxis, eine Inszenierung nicht vor ihrer Premiere zu beurteilen, aber wie könnte man nach dem Besuch des „Premierenfiebers“ seinen persönlichen Eindruck aus einer Vorberichterstattung heraushalten? Um es kurz zu halten, mir ist das Lachen im Hals stecken geblieben, als ausgerechnet der Schwächste der Gruppe von Senioren, der Blinde zu hören bekommt: „Mann o Mann, an dir ist wirklich nichts dran, und was dran ist, das ist nicht zu brauchen.“ Inklusion geht anders, political correctness sieht anders aus, und ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen des Publikums, wo sicher viele ältere Menschen anzutreffen sein werden.

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