Theater Koblenz: „Cats“

„Cats“ – basierend auf dem „Old Possum’s Book of Practical Cats“ und anderen Gedichten von T. S. Eliot; Musik: Andrew Lloyd Webber; Libretto: T. S. Eliot, mit zusätzlichen Texten von Trevor Nunn und Richard Stilgoe; Deutsche Fassung: Michael Kunze; Inszenierung: Markus Dietze; Choreografie: Annett Göhre; Bühnenbild: Dirk Steffen Göpfert; Kostüme: Marlis Knoblauch; Puppenbau: Ingo Mewes; Dramaturgie: Juliane Wulfgramm; Musikalische Leitung: Karsten Huschke. Darsteller: Ian McMillan (Alonzo), Stephan Siegfried (Asparagus), Isabel Mascarenhas (Bombalurina), Christof Maria Kaiser (Bustopher Jones), Léa Périchon (Cassandra), Charlotte Irene Thompson (Demeter), Lisa Gottwik (Elektra), Jana Gwosdek (Etcetera), Anette Antal (Exotica), Myriam Rossbach (Griddlebone (Puppe)), Julia Steingaß (Griddlebone (Stimme)), Monika Maria Staszak (Grizabella), Stephan Siegfried (Growltiger (Puppe)), Christof Maria Kaiser (Growltiger (Stimme)), Myriam Rossbach (Jellylorum), Julia Steingaß (Jemima), Irina Golovatskaia (Jennyanydots), Tom Bergmann (Maccavity), Alexey Lukashevich (Mr. Mistoffelees), Mario Mariano (Mungojerrie), Klaus Philipp (Munkustrap), Jongmin Lim (Old Deuteronomy), Raphaela Crossey (Rumpleteazer), Adrian Becker (Rum Tum Tugger), Marcel Hoffmann (Skimbleshanks), Pierre Doncq (Tumblebrutus), Asuka Inoue (Victoria). Uraufführung: 11. Mai 1981, New London Theatre, London. Deutschsprachige Erstaufführung: 24. September 1983, Theater an der Wien, Wien. Deutsche Erstaufführung: 18. April 1986, Operettenhaus, Hamburg. Premiere: 4. Juli 2015, Theater Koblenz, Festung Ehrenbreitstein, Koblenz.



„Cats“


„Jellicle Ball“ auf der Festung Ehrenbreitstein


Thomas Stearns Eliot (* 26. September 1888 in St. Louis, Missouri, † 4. Januar 1965 in London) hatte in den 1930er-Jahren in amüsante Briefe an seine Patenkinder Katzen­gedichte eingefügt – er unterschrieb diese Briefe mit dem Namen „Old Possum“. Eines der Kinder prägte den Namen „Jellicle cats“ – in ihrer Kleinkindersprache bezeichnete das kleine Mädchen damit „The little cats“, die kleinen Kätzchen. 1939 erschien aus den gesammelten Katzengedichten das illustrierte Buch „The Old Possum’s Book of Practical Cats“. 1977 begann der Komponist Andrew Lloyd Webber mit der Vertonung der Gedichte Eliots, zum einen, weil er nach eigenen Worten das Buch aus seiner Kindheit in liebevoller Erinnerung behalten hatte, und zum anderen, weil ihn die Idee reizte, ein bereits bestehendes literarisches Werk musikalisch umzusetzen – zumal sich in einem Brief T. S. Eliots der Hinweis auf eine Idee für ein zusammenhängendes, wenn auch noch im Ablauf unvollständig skizziertes, abendfüllendes Stück fand.

Die Uraufführung von „Cats“ fand schließlich am 11. Mai 1981 im New London Theatre unter der Regie von Trevor Nunn statt. Nach 21 Jahren und 8.949 Aufführungen fiel am 11. Mai 2002 in London der letzte Vorhang. Trevor Nunn schrieb übrigens auch den Song „Memory“ für die Katze Grizabella, mit deren Schicksal das Musical eine dramaturgische Klammer und einen dramatischen Höhepunkt erhielt: Wie in einer Revue treffen neben ihr auf dem „Jellicle Ball“ nach und nach die feiernden Katzen mit ihren charakteristischen Songs ein. Die mitreißende Musik verbindet geschickt die unterschiedlichen Typen in diversen Stilen: fetzigen Rock and Roll mit einfühlsamen Balladen, klassische Musicalmelodien mit heißen Tanzrhythmen. Der überwältigende Erfolg des Musicals spricht für sich: „Cats“ feierte am 7. Oktober 1982 im Winter Garden Theatre Broadway-Premiere, wurde im Juni 1983 mit sieben Tony-Awards ausgezeichnet, u. a. als bestes Musical, und wurde bis 10. September 2000 in 7.493 Aufführungen gezeigt. Am 24. September 1983 wurde die deutschsprachige Erstaufführung im Theater an der Wien unter der Intendanz von Peter Weck gefeiert, in Deutschland kam „Cats“ erstmals am 18. April 1986 im Operettenhaus Hamburg auf die Bühne, wo es bis 28. Januar 2001 gespielt wurde. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass „Cats“ in den 1980er-Jahren den Grundstein zum Musicalboom im deutschsprachigen Raum gelegt hat. Seit der Uraufführung wurde „Cats“ bereits in 26 Ländern und über 300 Städten aufgeführt, in zehn verschiedene Sprachen übersetzt und zählt weltweit mehr als 50 Millionen Besucher.

Monika Maria Staszak (Grizabella), Ensemble; Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Die Aufführungsrechte liegen bei Andrew Lloyd Webbers The Really Useful Group Ltd., und weltweit musste sich in der Vergangenheit jede Produktion weitgehend an die Vorgaben der Originalfassung halten. Für den Sommer 2015 erhielten lediglich zwei professionelle Bühnen im deutschsprachigen Raum – das Theater Koblenz und die Freilichtspiele Tecklenburg – die Aufführungsrechte für Freilichtproduktionen von „Cats“ – und allein Koblenz wird das Stück ab 19. Dezember 2015 auch innerhalb des Theaters zeigen. Und damit am Schauplatz, den Regisseur Markus Dietze und Bühnenbildner Dirk Steffen Göpfert sich für die jährliche Katzenversammlung ausgedacht haben. Denn statt eines Londoner Schrottplatzes, den Kostüm- und Bühnenbildner John Napier für die Uraufführung als Treffpunkt für diese Katzenrevue gewählt hatte, treffen sich die Koblenzer Katzen in einer noch nicht lang zurückliegenden einschneidenden Phase in der Geschichte des vom Kurfürsten Clemens Wenzeslaus begründeten ehrwürdigen Theaters: Als in den 1980er-Jahren das Theater von Grund auf saniert wurde, dokumentierte der Fotograf Manfred Stiebel die Umbaumaßnahmen. Die damals entstandenen Fotos inspirierten Regisseur und Bühnenbildner – und so treffen sich die Koblenzer Katzen ab dem 4. Juli 2015 auf der Baustelle ihres Theaters Koblenz.

Charlotte Irene Thompson (Demeter), Raphaela Crossey (Rumpleteazer), Isabel Mascarenhas (Bombalurina) und Jana Gwosdek (Etcetera); Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Während die Originalproduktion an jedem Ort der Welt, ob nun London, New York, Wien oder Hamburg, absolut identisch auszusehen hatte, war die Auflage für die beiden Freilicht­produktionen in Koblenz und Tecklenburg, dass diese eben nicht wie das Original aussehen dürfen. Das ist kein einfaches Unterfangen, mussten doch schließlich neben dem bereits erwähnten Schauplatzwechsel von einem überdimensionalen Schrottplatz auf die Baustelle des Theaters Koblenz mit Trommelmischer und Zementsäcken auch neue Kostüm- und Maskenbilder, ein neues Staging und neue Choreografien kreiert werden. Und obendrein dürfte bei mehr als 50 Millionen Besuchern weltweit nahezu jeder irgendwo schon einmal eine Vorstellung von „Cats“ in der Originalversion erlebt haben und zwangsläufig Vergleiche zu der freien Inszenierung anstellen. So ging es mir zumindest, und mein erster Eindruck beim Prolog war: „Wo sind die detailgetreuen, in natürlichen Farben gehaltenen und sehr katzenhaften Kostüme in Kombination mit der kunstvollen Maske geblieben?“ Die Koblenzer Katzen sehen jedenfalls komplett anders aus, phantasievoll, mit teilweise knallbunten Kostümen von Marlis Knoblauch, gemäß den Auflagen des Aufführungs­rechte­inhabers also alles richtig gemacht. Beispielsweise benutzt Grizabella in Koblenz eine Gehhilfe, so dass ihre Hinfälligkeit noch augenscheinlicher wird als im Original. Zum Bühnenbild von Dirk Steffen Göpfert sollte man noch anmerken, dass auf der Festung Ehrenbreitstein im Retirierten Graben zwischen Contregarde und Landbastion mit einer Traversenkonstruktion eine Art Guckkastenbühne im weiteren Sinn aufgebaut ist, der Zuschauerraum des im Umbau befindlichen Theaters mit der dreigeschossigen Ranganordnung ist als eine Art Wickelhorizont fest eingerichtet und begrenzt den Bühnenraum hufeisenförmig. Nach oben wird der Bühnenraum durch die durch illusionistische Malerei vorgetäuschte Kuppel mit dem mittig angebrachten Kronleuchter abgeschlossen, in dem Grizabella natürlich nach ihrem Song „Erinnerung“ in den sphärischen Raum „entschwindet“. Wirklich überzeugend ist „Growltigers letzte Schlacht“ umgesetzt, für die Stephan Siegfried als Asparagus mithilfe einer vollbeweglichen Katzenpuppe (Puppenbau Ingo Mewes), vergleichbar mit den Puppen von Kostümdesignerin Julie Taymor aus Disneys Der König der Löwen, in die Rolle von Growltiger schlüpft und die Szene gemeinsam mit Myriam Rossbach als Griddlebone – ebenfalls als Puppe – spielt, während ihnen Christoph Maria Kaiser und Julia Steingaß ihre Stimmen leihen. Die beiden Puppen sehen einfach toll aus und das realistische Puppenspiel ist ein wahrer Genuss. Auch die von Anett Göhre choreografierten Tanzsequenzen sind wahrlich sehenswert und werden von den Tänzern mit großer Präzision umgesetzt. Das 18-köpfige „72-Pfoten-Orchester“ unter der Musikalischen Leitung von Karsten Huschke lässt de facto keine Wünsche offen und bringt Andrew Lloyd Webbers Partitur fulminant zu Gehör, ein weiteres Highlight dieser Aufführung.

Anette Antal (Exotica), Léa Périchon (Cassandra), Raphaela Crossey (Rumpleteazer), Mario Mariano (Mungojerrie), Julia Steingaß (Jemima), Lisa Gottwik (Elektra), Irina Golovatskaia (Jennyanydots), Klaus Philipp (Munkustrap), Charlotte Irene Thompson (Demeter) und Jana Gwosdek (Etcetera); Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Das 24-köpfige Koblenzer Ensemble agiert auf durchgängig hohem Niveau, es besteht zum großen Teil aus fest am Theater Koblenz engagierten Kräften. Hier stehen SchauspielerInnen (Raphaela Crossey als Rumpleteazer, Jana Gwosdek als Etcetera, Marcel Hoffmann als Skimbleshanks, Isabel Mascarenhas als Bombalurina, Ian McMillan als Alonzo, Klaus Philipp als Munkustrap), klassisch ausgebildete SängerInnen (Monika Maria Staszak als Grizabella, Jongmin Lim als Old Deuteronomy), Musical-DarstellerInnen (Adrian Becker als Rum Tum Tugger, Christof Maria Kaiser als Bustopher Jones, Mario Mariano als Mungojerry, Julia Steingaß als Jemima, Charlotte Irene Thompson als Demeter), BalletttänzerInnen (Anette Antal als Exotica, Tom Bergman als Macavity, Pierre Doncq als Tumblebrutus, Irina Golovatskaia als Jennyanydots, Lisa Gottwik als Electra, Asuka Inoue als Victoria, Alexey Lukashevich als Mr. Mistoffelees, Léa Périchon als Cassandra, Nathaniel Yelton als Plato) und sogar PuppenspielerInnen (Myriam Rossbach als Jellylorum/Griddlebone und Stephan Siegfried als Asparagus/Growltiger) gemeinsam auf der Bühne, und dank geschickter Aufgabenverteilung funktioniert das ganz hervorragend. Herausheben möchte ich Monika Maria Staszak als Grizabella, die mit „Erinnerung“, dem wohl bekanntesten Musical-Hit aller Zeiten, die Zuschauer verzaubert und dafür euphorisch akklamiert wurde. Adrian Becker kann mit seiner verführerischen Art als Rum Tum Tugger die Zuschauer auf Anhieb für sich gewinnen, und bei den Tänzern sticht Alexey Lukashevich als magischer Mr. Mistoffelees ins Auge.

Nach etwa zweieinhalbstündiger Premiere hielt es keinen der über 1.000 Zuschauer auf seinem Sitz und es gab verdient langanhaltenden Stehapplaus für Darsteller und Kreative. Auf der Festung Ehrenbreitstein stehen bis 12. Juli 2015 insgesamt 5 ½ Vorstellungen auf dem Spielplan (die Vorstellung am 5. Juli wurde wegen einer Unwetterwarnung nach dem ersten Akt abgebrochen), am 19., 26., 27. und 30. Dezember 2015 stehen weitere Vorstellungen im Großen Haus am Deinhardplatz auf dem Spielplan. Übrigens, die überarbeitete Originalinszenierung von Trevor Nunn wird am 23. Oktober 2015 im London Palladium Theatre wiederaufgenommen und wird dort für 10 Wochen bis 2. Januar 2016 zu sehen sein. Im Sommer 2016 wird das Theater Koblenz „Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice auf der Festung Ehrenbreitstein zeigen.

Festung Ehrenbreitstein, Contregarde/Saillant links

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