„Jedermann – Die Rockoper“

„Jedermann – Die Rockoper“ – nach dem Theaterstück „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ von Hugo von Hofmannsthal; Musik: Wolfgang Böhmer; Text: Peter Lund nach Hugo von Hofmannsthal; Inszenierung: Peter Lund; Choreografie: Cedric Lee Bradley; Bühne: Hank Irwin Kittel; Kostüme: Ulrike Reinhard; Licht: Stefan Winkler; Dramaturgie: Arne Langer; Musikalische Leitung: Jürgen Grimm. Darsteller: Andreas Lichtenberger (Jedermann), Brigitte Oelke (Der Tod), Nadja Mchantaf/Caterina Maler (Die Liebste), Katja Bildt (Die Mutter), Robert Wörle/Nils Stäfe (Gott/Gärtner), Jörg Rathmann (Der gute Gesell), Marysol Ximénez-Carrillo (Werke/Schuldners Frau), Máté Sólyom-Nagy (Der Schuldner/Mammon), Martin Schäffner (Der Teufel), Stefan Voigt (Der Vogt), Keren Trüger (Die Köchin), Matthias Knaab (Der Knecht), Maciej Salamon (Der dicke Vetter), Andres Esteban (Der dünne Vetter), Teresa Scherhag/Tina Schöltzke (Die Base), Verena Jakupov (Fräulein), Philipp Cremer/Cornelius Joseph (Jedermann als Kind), Emilia Blokdijk/Franziska Joseph (Werke als Kind), Opernchor und Statisterie des Theaters Erfurt. Uraufführung: 10. Juli 2014, DomStufen-Festspiele, Erfurt. Besuchte Vorstellung: 16. Juli 2014.



„Jedermann – Die Rockoper“


Uraufführung bei den 21. DomStufen-Festspielen in Erfurt


Domberg: Mariendom und Severikirche

Zum zweiten Mal in der langjährigen Geschichte der Festspiele – nach „Martin L. – Das Musical“ von Gisle Kverndokk (Musik) und Øystein Wiik (Buch) (Uraufführung 5. Juli 2008, Regie Matthias Davids) – bringt das Theater Erfurt eine Uraufführung auf die Domstufen: „Jedermann – Die Rockoper“ ist eine musikalische Version des 1911 uraufgeführten Theaterstücks von Hugo von Hofmannsthal. „Von der Kunst, das rechte Sterben zu lernen“ – das ist einer der Untertitel, den der mittelalterliche Theaterstoff „Everyman. A Morality Play“ erhielt, bevor er in der Fassung von Hugo von Hofmannsthal literarischen Weltruhm erlangte. Dieses Motto steht auch über der musikalischen Neuinterpretation von Wolfgang Böhmer und Peter Lund. Auf der Basis des durch die Aufführungen vor dem Salzburger Dom, wo das Spiel vom Sterben des reichen Mannes in diesem Jahr vom 19. Juli bis 29. August mit Cornelius Obonya in der Titelrolle wieder­auf­genommen wird, und nicht zuletzt in Erfurt durch die Inszenierung auf den Erfurter Domstufen 2000 bekannten Textes von Hugo von Hofmannsthal entstand im Auftrag des Theaters Erfurt eine neue Lesart der Geschichte. Der Text für diese Rockoper stammt von dem renommierten Berliner Theaterautor und Regisseur Peter Lund. In der Verbindung von sinfonischem Orchesterklang und dem Sound einer Rockband schuf Komponist Wolfgang Böhmer eine Musik, die die Grenzen zwischen Oper und Musical vergessen lässt.

Andreas Lichtenberger (Jedermann) und Nadja Mchantaf (Die Liebste)
Foto Lutz Edelhoff

Der Tod hat entschieden, Jedermann soll sterben. Damit hat Jedermann nicht gerechnet – in der Blüte seiner Jahre, erfolgreich, wohlhabend und gesellschaftlich geachtet. Hat er denn nicht alles richtig gemacht? Hat er seine Stellung und seinen Besitz nicht hart erarbeitet? Wie kann der Tod es wagen, ihm all das zu nehmen? Vielleicht hätte er gütiger sein sollen, einen säumigen Schuldner hatte er gedankenlos seinem Schicksal überlassen und seiner Liebsten stattdessen ein silbernes Paradies geschenkt. Selbst seine Mutter mahnt ihn vergeblich, an Nachwuchs zu denken. Als Jedermann wegen einer Lappalie seinen alten Gärtner entlässt, erscheint der Teufel und verspottet den alten Mann obendrein, in dem niemand den Lieben Gott erkennt. Doch auch der Teufel macht sich Sorgen um seine Zukunft, denn den Menschen fehlt der rechte Glaube. Der Tod beruhigt die Allegorien, das Sterben werde Jedermann schon zurück zum Glauben bringen. Auf einem Fest im Haus der Liebsten kündigt der Tod Jedermanns nahes Ende an, auf dessen Flehen gewährt er nur einen kurzen Aufschub. Doch das Sterben hat Jedermann nicht gelernt, nur dass das letzte Hemd wirklich keine Taschen hat – das lernt Jedermann schneller als ihm lieb ist. Seine Bediensteten und seine Familie verteilen bereits vorausschauend das Erbe, und auch seine Reichtümer in Person des Mammons erklären sich nicht bereit, mit ihm zu gehen. In seiner Wut über seine Liebste, die ihn vergeblich davon zu überzeugen versucht, seinen Frieden mit seinem Schicksal zu machen, wendet sich Jedermann auch von ihr ab und verstößt sie. Wer also wird Jedermann auf seiner letzten Reise begleiten? Da erscheint Werke. Die eine gute Tat, die Jedermann in seinem Leben beging, wird ihn auf seiner letzten Reise begleiten. Doch wohin diese geht, das weiß nur der Tod, und der verrät es nicht an – Jedermann.

Brigitte Oelke (Der Tod) und Andreas Lichtenberger (Jedermann)
Foto Lutz Edelhoff

Hugo von Hofmannsthal hat sich 1910 nach einer Begegnung mit Max Reinhardt zu einer Neukonzeption der bisherigen Übersetzung des Jedermann entschlossen, in der er eine Reihe von Details aus der „Comedi vom sterbend reichen Menschen“ von Hans Sachs (1549) verwendete. Peter Lund, der regelmäßig als Autor der Produktionen für die Absolventen des Studiengangs Musical/Show an der Universität der Künste Berlin wie „Schwestern im Geiste“ (Musik Thomas Zaufke, Uraufführung 13. März 2014 in der Neuköllner Oper), „Stimmen im Kopf“ (Musik Wolfgang Böhmer, Uraufführung 21. März 2013 in der Neuköllner Oper), „Frau Zucker will die Weltherrschaft“ (Musik Wolfgag Böhmer, Uraufführung 13. Oktober 2011 in der Neuköllner Oper), „Mein Avatar und ich“ (Musik Thomas Zaufke, Uraufführung 25. November 2010) u. v. m. verantwortlich zeichnet und in Erfurt auch Regie führt, hat nun Hofmannsthals Konzept bearbeitet, dabei ist eine zeitgemäße Version entstanden, in der der Tod alle Fäden in der Hand hält. Dementsprechend beginnt das Stück auch mit dem Tod, denn „ob es den Lieben Gott gibt, wissen wir nicht. Dass es den Tod gibt, wissen wir ganz sicher. Jeder muss sterben. Der Tod ist der Herrscher der Welt“, so erläutert Peter Lund seine Bearbeitung. Konsequenterweise lässt er dem Lieben Gott als „größte menschliche Erfindung, um der Angst vor dem Tode Herr zu werden,“ die Rolle des alten Gärtners zukommen, der von Jedermann wegen einer Lappalie entlassen wird und sich durch den golden aufleuchtenden Heiligenschein an seinem Hut für das Publikum zu erkennen geben kann. Geld regiert die Welt, wir alle sind Diener des schnöden Mammon und ergeben uns freiwillig der Macht des Geldes, dem eigentlichen Götzen im Spiel vom Sterben des reichen Mannes. Jedermann muss im Verlauf der Handlung lernen, das Geben seliger ist denn Nehmen, um aus seinem Leben ein gutes Leben zu machen. Dabei versucht ihm seine Liebste zu helfen, bei Hofmannsthal geringschätzig als „Buhlschaft“ bezeichnet, in Peter Lunds Fassung als Idealbeispiel für ein richtiges Leben in Gestalt der Aufklärung entsprechend aufgewertet, die weder an Gott noch an Geld glaubt, doch auch sie scheitert und endet folglich auf dem Scheiterhaufen.

Andreas Lichtenberger (Jedermann), Ensemble
Foto Lutz Edelhoff

Komponist Wolfgang Böhmer hat die Partitur zu dem facettenreichen Stück musikalischen Unterhaltungstheaters geschrieben, das sich als Crossover einer Kategorisierung entzieht, die Bandbreite reicht von Opernarie bis Softrock, auf Hardrock wie beispielsweise in den Rockopern „The Who’s Tommy“ oder „Jesus Christ Superstar“ wurde allerdings verzichtet. Das Philharmonische Orchester Erfurt und die aus Weimar stammende Rockband Lidenbrock bringen die stilistische Vielfalt unter der Musikalischen Leitung von Jürgen Grimm fulminant zu Gehör, wobei das Orchester in einem Zelt linker Hand der Domstufen untergebracht ist, die Rockband in einer der Kavaten, dem markanten Unterbau für den Hohen Chor des Erfurter Doms. Domstufen und das Ensemble von Erfurter Dom und Severikirche bilden die eindrucksvolle Kulisse für die Aufführung, die von Stefan Winkler unter Einbeziehung des Doms in sein aufwendiges Lichtdesign gekonnt ins rechte Licht gesetzt wurde und von Bühnenbildner Hank Irwin Kittel behutsam um einige Podeste auf den Domstufen erweitert wurde, um dort ebene Spielflächen zu schaffen, die genügend Platz beispielsweise für das „silberne Paradies“ zu schaffen, welches ebenfalls in den Kavaten auf seinen Einsatz wartet. Ulrike Reinhard bedient sich bei ihren farbenfrohen Kostümen ebenfalls einer stilistischen Vielfalt mit Anleihen bei der italienischen Commedia dell’arte und den von HR Giger geschaffenen Aliens. Wenn swingende Nonnen mit dem Teufel oder Mammon als Transvestit auf den Domstufen tanzen (Choreografie Cedric Lee Bradley), so fühlt sich der geneigte Musicalbesucher zwar zwangsläufig an „Sister Act“ und „The Rocky Horror Show“ erinnert, aber das tut der Sache keinen Abbruch, und erlaubt ist bekanntlich, was gefällt.

„Jedermann – Die Rockoper“ vor der Kulisse von Mariendom und Severikirche; Foto Lutz Edelhoff

Das Cross-over, das Genreüberschreitende der Produktion findet sich auch in der Besetzung wieder: Mit Andreas Lichtenberger ist die Figur des Jedermann mit einem charismatische Musicaldarsteller besetzt, anfänglich arrogant, lernt er es in seiner letzten Stunde gerade noch rechtzeitig, zu geben. Die Sopranistin Nadja Mchantaf aus dem festen Ensemble der Semperoper Dresden als Liebste beeindruckt nicht nur gesanglich, sondern kann als selbstbewusste Frau auch darstellerisch überzeugen, entrüstet weist sie Jedermanns Heiratsantrag zurück. Brigitte Oelke, bekannt als die Killer Queen in bisher allen deutschsprachigen Produktionen von „We Will Rock You“, ist auf den Domstufen optisch als Verschmelzung von Domina mit knallender Peitsche, Wuchtbrumme und Alien ausstaffiert und überzeugt in der zentralen Rolle des Todes sowohl gesanglich als auch darstellerisch bravourös. Die Allegorien sind teilweise mit klassisch ausgebildeten Gesangssolisten besetzt, Mezzosopranistin Katja Bildt als Mutter, Bariton Nils Stäfe in der besuchten Vorstellung am 16. Juli 2014 als Gott und Bariton Máté Sólyom-Nagy als Mammon, Martin Schäffner als Teufel hat dagegen wie Marysol Ximenéz-Carrillo als Werke an der Universität der Künste Berlin den Studiengang Musical/Show absolviert. Das übrige ambitionierte Tanz- und Gesangsensemble kommt ebenfalls aus dem Musicalbereich. Katja Bildt mahnt in Begleitung kirchlicher Würdenträger in Vorahnung ihres eigenen Todes zu Ehe und Familie und mutiert dabei eindrucksvoll zum Erstaunen Jedermanns zur Rockröhre. Während sich die Allegorien noch um die Zukunft sorgen, kann Marysol Ximenéz-Carrillo Jedermann schließlich doch noch mit „Leicht soll es sein“ dazu bewegen, seinen Reichtum herzugeben.

Marysol Ximénez-Carrillo (Werke) und Andreas Lichtenberger (Jedermann); Foto Lutz Edelhoff

Wenn dann auch noch das Wetter in Erfurt mitspielt, wie dies bei der besuchten Vorstellung der Fall war, dann kann man „Jedermann – Die Rockoper“ auf den Domstufen wirklich genießen, in der Fassung von Wolfgang Böhmer und Peter Lund bietet das Stück hohen Unterhaltungswert und Humor mit Tiefgang, was will man mehr!? Erfreulich ist auch die Tatsache, dass das Theater Erfurt einen Querschnitt der Uraufführung auf CD veröffentlicht hat – und zwar rechtzeitig zu den Aufführungen auf den Domstufen.

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