„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“

Sonderausstellung im LWL-Museum für Archäologie Herne

Von Schliemanns „Schatz des Priamos“ bis hin zu Kujaus „Hitler-Tagebüchern“: Mit über 200 Exponaten deckt die Sonderausstellung „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ im Archäologiemuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Herne ab Freitag, 23. März 2018 spektakuläre Fehlurteile und Betrugsfälle in ganz Europa, Ägypten und dem Nahen Osten auf.

Ausstellungsplakat „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“. Foto: LWL

Zahlreiche interaktive Medienstationen laden bis zum 9. September 2018 zum Entdecken und Ausprobieren ein. Dass Irrtümer und Fälschungen auch in Zukunft noch möglich sind, macht die humoristische Inszenierung des preisgekrönten US-amerikanischen Autors und Grafikers David Macaulay deutlich, der eigens zur Eröffnung angereist ist.

emissionsfreier Streetscooter (Irrtum)

„Die Ausstellung „Irrtümer & Fälschungen“ ist der garantiert echte Startschuss zu unserem Themenjahr „Fakt oder Fake““, erklärte LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger. „Drei Austellungen in unseren Museen greifen die brisante und hochaktuelle Frage in diesem und im kommenden Jahr auf.“ Neben Irrtümern und Fälschungen stünden Verschwörungstheorien sowie „unerlaubter Wissenstransfer“ in der Wirtschaft auf dem Programm. Rüschoff-Parzinger: „Das Thema „Fakt oder Fake“ trifft den Zeitgeist – in Westfalen-Lippe genauso wie weltweit."

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Fundstücke „Motel der Mysterien“, Innereien- und Cerebrum-Eimer, kurz: ICE, David Macaulay 2018

Mit einem Blick auf die Zukunft und Archäologie 4022 nach Christus beginnt die Sonderausstellung „Irrtümer & Fälschungen“. In Anlehnung an David Macaulays Grafik-Novelle „Motel der Mysterien“ begegnet der Besucher vertrauten Alltagsgegenständen – nur sind diese um 2.000 Jahre gealtert. „Dass wir den renommierten US-amerikanischen Autor David Macaulay für das Projekt gewinnen konnten, war ein echter Coup“, so Museumsleiter Dr. Josef Mühlenbrock. „Er bereichert unsere Ausstellung durch seinen ganz eigenen Blick auf Archäologie und stimmt mit modernen Mitteln auf die realen Irrtümer und Fälschungen der kommenden Räume ein.“

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Wandzeichnung von David Macaulay

Auch David Macaulay zeigte sich begeistert: „Tatsächlich freue ich mich über jede Reaktion meiner Leser auf meine Bücher. Doch wenn sie eine transatlantische Brücke zwischen meinem kleinen Atelier in Vermont und einem Ort schlagen, den ich zuvor noch nicht kannte, bin ich überglücklich.“ Das sei schließlich Aufgabe von Kunst und Humor.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Eimer mit Zierbeschlägen, 6. Jh. n. Chr., Rodenkirchen-Godorf, Stadt Köln

„Wenn beeindruckende archäologische Funde wie die Tiara, die Kopfbedeckung des Saitaphernes im weltberühmten Pariser Museum Louvre sich als Täuschung entpuppen, weiß man, es kann jeden treffen. Uns hat es schon einmal erwischt“, erklärte Dr. Josef Mühlenbrock. So zeigt das LWL-Museum in Herne zum einen Irrtümer und Fälschungen, die international für Aufsehen sorgten, zum anderen aber auch regionale Fälle.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Blick in die Ausstellung

Einige vermeintlich ägyptische Reliefs und Statuen des Berliner Meisterfälschers Oxan Aslanian, dessen Fälschungen auch das Archäologiemuseum ausstellt, dürften bis heute noch als Originale in Museen und Sammlungen weltweit zu sehen sein. Heinrich Schliemanns Irrtum zum „Schatz des Priamos“ oder die „Hitler-Tagebücher“ von Konrad Kujau wurden hingegen längst enttarnt.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Tiara des Saitaphernes (Fälschung), vorgetäuscht 3. Jh. v. Chr., tatsächlich Ende 19. Jh., vorgetäuscht Olbia (Ukraine), tatsächlich Odessa (Ukraine)

Daneben kommen auch westfälische Irrtümer in der Ausstellung zur Geltung. Die Herkunft eines ursprünglich als altamerikanisch eingeordneten Beils aus Dorsten konnte bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden, es stammt aber vermutlich doch aus Westfalen. Der Fund steinzeitlicher Feuersteine in Herten hingegen entpuppte sich eindeutig als pfiffige Marketing-Idee eines hiesigen Wurstfabrikanten. Das Material der Werkzeuge und Waffen könnte allerdings zum Teil echt steinzeitlich sein. Leider sind sie verschollen.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Nachschöpfung eines Segments der Tiara des Saitaphernes, angefertigt von Israel Roukhomovsky, 6. Juni 1903, Paris, Musée du Louvre

Der „Älteste Westfale“ nach Reiner Protsch aber ist ganz sicher nicht 27.400 Jahre alt. Das LWL-Museum für Archäologie wollte dem „Urwestfalen“ 2003 einen zentralen Platz in seiner neuen Dauerausstellung widmen. „Stattdessen wurden wir Opfer eines der spektuakulärsten Betrugsfälle Westfalens“, meinte Dr. Josef Mühlenbrock. Reiner Protsch, seinerzeit ein anerkannter Experte, wurde mit der Analyse des Paderborner Schädels betraut. Bei der erneuten Untersuchung durch andere Forscher aber stellte sich heraus, dass der Experte nicht nur wissenschaftliche Daten, sondern auch den eigenen Lebensweg gefälscht hatte.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Bronzestatuette eines springenden Einforns (Nachbildung), 2017, Original: vor 1589, Hannover, Original: Augsburg

Ob Fakt oder Fake, ist nicht immer eindeutig auseinanderzuhalten. Am eigenen Leib können dies die BesucherInnen der Sonderausstellung an zahlreichen interaktiven Medienstationen erfahren. So lädt ein Prüfgerät dazu ein, das eigene Bargeld auf seine Echtheit zu prüfen. Aus einer Vielzahl „falscher“ Knochen soll ein echtes Skelett und nicht etwa ein fabelhaftes Einhorn zusammengesetzt werden. Ein „Entdeckerheft“ führt anhand verschiedener Aufgaben durch die Themenräume. Am Ende gilt es, ein Lösungswort zu finden, das mit der Ausstellung in Verbindung steht.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Modell des Einhorns von Quedlinburg, 1998, St. Gallen

Das Begleitprogramm

Darüber hinaus bietet das LWL-Museum für Archäologie zur Sonderausstellung „Irrtümer & Fälschungen“ ein Rahmenprogramm an. Auf der Tagesordnung stehen: Führungen, Kreativseminare, ein spezielles Osterferienprogramm, Familiensonntage, kostenlose Vorträge – darunter einer von David Macaulay zum „Making of „Motel of Mysteries““ am Samstag, 24. März 2018 – und eine große „Nacht der Irrtümer & Fälschungen“ am Gründonnerstag, 29. März 2018 anlässlich des 15. Geburtstags des Museums.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Porträt-Büste Heinrich Schliemanns (Kopie), 1986, Original: 1895, Schwerin, Hugo Bergwald (1863-1937)

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Grabstele der Paramythion, um 380-370 v. Chr., an der „Heiligen Straße“ nach Eleusis, Daphni bei Athen

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Weihealtar für Silvanus (Fälschung), vorgetäuscht 2.-3. Jh. n. Chr., tatsächlich 1. Hälfte des 19. Jhs., Rheinzabern, Johann Michael Kaufmann (1791-1861)

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Statuettengruppe mit Reiter und „Gigantin“ (Fälschung), vorgetäuscht 2.-3. Jh. n Chr., tatsächlich vor 1842, Rheinzabern, Johann Michael Kaufmann (1791-1861)

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Statuette des Gottes Amun, möglicherweise Neues Reich, 19./20. Dynastie (um 1200 v. Chr.), Fundort unbekannt

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Schwebender Eros (Fälschung bzw. modern), modern, ägyptischer Kunsthandel, Ende 19. Jh.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ ist vom 23. März 2018 bis 9. September 2018 im LWL-Museum für Archäologie in Herne zu sehen. Die Ausstellung ist Dienstag, Mittwoch und Freitag von 9 bis 17 Uhr geöffnet, Donnerstag von 9 bis 19 Uhr, Samstag, Sonntag sowie an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt in die Sonderausstellung beträgt für Erwachsene 5 €, ermäßigt 3 €, Kinder, Jugendliche bis einschl. 17 Jahre, Schülerinnen und Schüler zahlen 2 €.

Mehr Informationen unter www.irrtuemer-ausstellung.lwl.org oder www.lwl-landesmuseum-herne.de.


Der Katalog

Der von Josef Mühlenbrock und Tobias Esch herausgegebene Begleitband „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ zur gleichnamigen Ausstellung im LWL-Museum für Archäologie Herne und im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim beleuchtet populäre, aber überholte Thesen zu vergangenen Epochen und ihren Artefakten, betrachtet spektakuläre Betrugsfälle, perfide Täuschungen und stellt gleichzeitig archäologische Arbeitsmethoden vor.

Dabei wird gezeigt, dass gerade Archäologen und Historiker aufgrund der lückenhaften Überlieferung trotz modernster auch naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden bestenfalls eine Annäherung an geschichtliche Wahrheiten erzielen können und dabei auch heute noch bei aller Sorgfalt der Forschung von Fehldeutungen nicht verschont bleiben. Denn Irren ist menschlich!

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“
Nünnerich-Asmus Verlag, Mainz
352 Seiten, 430 Abbildungen
24 × 30 cm, gebunden
ISBN: 978-3-961760-30-5
€ 29,90 (D) / sFr 29,90 / € 30,80 (A)


David Macaulay zeigt Archäologie im Jahr 4022

Die Grafik-Novelle „Motel der Mysterien“, die nun in vollständiger Neuübersetzung vorliegt, zeigt die nicht immer eindeutigen kulturellen Fingerabdrücke unserer Zivilisation. Archäologische Hinterlassenschaften lassen zwar Rückschlüsse auf Alltag oder Kultur einer Zivilisation zu. Doch ihre häufig lückenhafte Überlieferung erschwert eine „realistische“ Rekonstruktion und lässt oftmals weite Interpretationsspielräume entstehen, die die archäologische Wissenschaft durch Analogieschlüsse aus weiten Erfahrungshorizonten und unter Zuhilfenahme anderer Disziplinen zu sichern sucht. So geschehen im Jahr 4022 n. Chr., als der bis dahin eher bedeutungslose Archäologe Howard Carson (Ähnlichkeiten zu Howard Carter, dem legendären Entdecker des Grabes des Tutanchamun sind keineswegs zufällig!) zum Protagonisten einer sensationellen Ausgrabung rätselhafter Ruinen wird – ein Bauwerk voller unerklärlicher Objekte – Alltag oder Götterkult? Da wird ein amerikanisches Motel des 21. Jahrhunderts schnell zu einem rituellen Grab- und Kultkomplex, eine Kommode mit Fernseher zu einem großen Altar, eine Toilettenschüssel zu einer heiligen Urne, eine Badewanne zum Sarkophag und eine Toilettenbürste zu einem Weihwasserwedel. Die Erzählung in den detailreichen Zeichnungen des Autors ist amüsant, aber mehr noch, sie zeigt: Irren ist menschlich und auch die Zukunft ist vor Trugschlüssen und Fehldeutungen komplexer Sachverhalte nicht gefeit.

David Macaulay

Der Autor David Macaulay ist Architekt, Kunsthistoriker und Grafiker. In seinen zahlreichen Büchern erklärt er bildhaft geschichtliche Themen. Seine in zwölf Sprachen übersetzten Werke wurden zum Teil für das Fernsehen verfilmt (Cathedral, City, Pyramid und Castle). Darüber hinaus wurden seine Bücher mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, u. a. dem deutschen Jugendliteraturpreis. Das Buch ist eine vollständig neu übersetzte deutsche Ausgabe des amerikanischen Originals „Motel of the Mysteries“.

„Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“, Harriet Burton aus „Motel der Mysterien“, David Macaulay

Die Zeichnungen aus „Motel der Mysterien“ bilden das Intro der Sonderausstellung „Irrtümer & Fälschungen der Archäologie“ im LWL-Museum für Archäologie Herne.

David Macaulay, „Motel der Mysterien“. © 2018 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH, Mainz

David Macaulay, „Motel der Mysterien“
Aus dem Amerikanischen von Cornelius Hartz
Nünnerich-Asmus Verlag, Mainz
96 Seiten, 45 Abbildungen
21 × 29,7 cm, gebunden
ISBN: 978-3-961760-38-1
€ 19,90 (D) / sFr 19,90 / € 20,50 (A)

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