„Reformhaus Lutter“ am Musiktheater im Revier

„Reformhaus Lutter“ – eine Revue von und mit Dominique Horwitz. Konzept: Dominique Horwitz und Berthold Warnecke; Inzenierung: Dominique Horwitz; Ausstattung: Anja Dublanka; Choreinstudierung: Alexander Eberle; Musikalische Leitung: Rasmus Baumann. Darsteller: Dominique Horwitz (Jörg Lutter), Petra Schmidt (Leonie Lutter, seine Frau). Opernchor des MiR, Chorsoli: Seong-Jun Cheon, Georg Hansen, Apostolos Kanaris, Artavazd Zakaryan. Neue Philharmonie Westfalen. Uraufführung: 6. Oktober 2017, Parktheater Iserlohn. Besuchte Vorstellung: 5. November 2017, Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen.



„Reformhaus Lutter“


500 Jahre Reformation und kein Ende


Am 31. Oktober 1517 soll Martin Luther (* 10. November 1483 in Eisleben, † 18. Februar 1546 in Eisleben) seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses am Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen haben. Der Tag gilt bis heute als der Beginn der Reformation. Am 31. Oktober 2017 jährte sich der Thesenanschlag zum 500. Mal, weshalb der Reformationstag 2017 einmalig ein bundeseinheitlicher Feiertag war. Die Stiftung Creative Kirche in Kooperation mit der Evangelischen Kirche in Deutschland brachte im Rahmen des Reformationsjubiläums das Pop-Oratorium „Luther“ von Dieter Falk (Musik) und Michael Kunze (Libretto) als Chorprojekt zur Aufführung, das am 31. Oktober 2015 in der Dortmunder Westfalenhalle 1 mit einem Symphonieorchester, einer Band, Musicaldarstellern und einem Chor aus 3.000 Sängerinnen und Sängern uraufgeführt und zum Abschluss des Reformationsjubiläums in einer von Eckart von Hirschhausen moderierten Aufzeichnung aus der Berliner Mercedes-Benz Arena vom ZDF ausgestrahlt wurde. Dem setzen Schauspieler, Sänger und Schriftsteller Dominique Horwitz (Charly Wiesner in „Der große Bellheim“, Regie Dieter Wedel; Obergefreiter Fritz Reiser in „Stalingrad“, Regie Joseph Vilsmaier) und Berthold Warnecke (seit der Spielzeit 2016/2017 Operndirektor am Mainfranken Theater Würzburg) die Revue „Reformhaus Lutter“ entgegen, in der Dominique Horwitz mit einem völlig anderen, eher intellektuellen Ansatz einen 100-minütigen Parforceritt durch 500 Jahre Reformationsgeschichte unternimmt, gespickt mit jeder Menge Zitate aus der Musik- und Zeitgeschichte.

Lutherstadt Wittenberg, Lutherdenkmal von Johann Gottfried Schadow

Ursprünglich mit der griechischen Sopranistin Ilia Papandreou, dem WDR Rundfunkchor Köln und dem WDR Funkhausorchester Köln unter der Leitung von Rasmus Baumann am Parktheater Iserlohn (6. Oktober 2017) sowie im Funkhaus am Wallrafplatz in Köln (7. Oktober 2017) und in der Rudolf-Oetker-Halle in Bielefeld (8. Oktober 2017) aufgeführt, bekommt das Publikum in den drei Vorstellungen von „Reformhaus Lutter“ am Musiktheater im Revier Petra Schmidt als Lutters Frau Leonie, den Opernchor des MiR und die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Rasmus Baumann zu sehen und zu hören.

„Reformhaus Lutter“, Dominique Horwitz (Jörg Lutter). © Christoph Müller-Girod

Zum Inhalt:
Jörg Lutter steht als Krämer und Inhaber eines Reformhauses finanziell das Wasser bis zum Hals, nach dem Hinweis seines Finanzberaters Dr. Philipp muss er feststellen, dass „unterm Strich ein Fehlbetrag“ klafft („Fehlbilanz (Zuwenig und zuviel)“ von Udo Jürgens), was auch fatale Folgen für das Eheleben mit seiner Frau Leonie mit sich bringt. Da kommt ihm der rettende Gedanke: Er möchte expandieren und seinen Ideen weltweit zum Erfolg verhelfen („Make Reformhaus great again“), koste es was es wolle. Die Angelegenheit gewinnt sehr schnell an unkontrollierbarer Eigendynamik: Von Dr. Philipp bekommt er den Rat, seine Ideen in den neuen Medien zu verbreiten, und Thomas Müntzer setzt womöglich eine konkurrierende Schlecker-Filiale in bester Lage in Brand („Fire“ von Arthur Brown, Vincent Crane, Mike Finesilver und Peter Ker), wodurch sich die Möglichkeit böte, die Räumlichkeiten vor Ort erheblich zu erweitern. Schon bald ist Jörg Lutter wie vom Teufel besessen, seine Frau Leonie weiß sich keinen Rat mehr und verlässt ihren Mann, doch der konstatiert schließlich nur, „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“

Lutherstadt Wittenberg, Denkmal Philipp Melanchthons von Friedrich Drake

Während der Name Jörg Lutter sowohl an den Reformator Martin Luther selbst als auch an dessen Pseudonym „Junker Jörg“ während dessen Aufenthalts auf der Wartburg erinnert, wo er im Herbst 1521 auf Anraten Philipp Melanchthons das Neue Testament übersetzte, ist Lutters Freund und Finanzberater Dr. Philipp an den Reformator Philipp Melanchthon (* 16. Februar 1497 in Bretten, † 19. April 1560 in Wittenberg) angelehnt, der neben Martin Luther eine treibende Kraft der deutschen und europäischen kirchenpolitischen Reformation war. Der „Brandstifter“ Thomas Müntzer ist an den gleichnamigen Theologen, Reformator und Revolutionär in der Zeit des Bauernkrieges angelehnt, und Jörg Lutters Ehefrau Leonie möglicherweise an Papst Leo X. (* 11. Dezember 1475 in Florenz, † 1. Dezember 1521 in Rom), in dessen Pontifikat vom 11. März 1513 bis 1. Dezember 1521 der Beginn der Reformation fiel und der Martin Luther am 3. Januar 1521 exkommunizierte, doch auch Bulle und Kirchenbann konnten die Reformation nicht aufhalten.

„Reformhaus Lutter“, Dominique Horwitz (Jörg Lutter). © Christoph Müller-Girod

Im hinteren Teil des Konzertzimmers im Musiktheater im Revier ist die Neue Philharmonie Westfalen untergebracht, die die Musik aus den unterschiedlichsten Stilrichtungen vom Musical („Money“ aus „Cabaret“ von John Kander, „I feel pretty“ aus „West Side Story“ von Leonard Bernstein) über Klassisches von Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Alfredo Catalani, Bedřich Smetana, Giuseppe Verdi, Richard Wagner und Carl Maria von Weber, Operette („Weißt du es noch“ aus „Die Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán) und Filmmusik („Robin Hood: Prince of Thieves“ von Michael Arnold Kamen) bis hin zum Schlager („Fehlbilanz (Zuwenig und zuviel)“ von Udo Jürgens, „Bora Bora“ von Tony Marshall) und Psychedelic Rock („Fire“ von Arthur Brown, Vincent Crane, Mike Finesilver und Peter Ker) unter der Musikalischen Leitung von GMD Rasmus Baumann fulminant zu Gehör bringt. Davor sind die Mitglieder des Opernchores ständig präsent und unterstützen das Geschehen zuweilen gestisch, während sie die Kantaten glänzend und mit vielstimmigem sauberem Chorklang darbieten (Choreinstudierung: Alexander Eberle), und im vorderen Teil der Bühne ist das Einheitsbühnenbild (Ausstattung: Anja Dublanka) für das „Reformhaus Lutter“ mit seinen Verkaufsregalen und dem Stehpult samt Fernsprechtischapparat FeTAp 611 untergebracht, in dem Dominique Horwitz als Krämer Jörg Lutter und Petra Schmidt als seine Frau Leonie agieren. Sopranistin Petra Schmidt weiß in ihren Parts gesanglich vollkommen zu überzeugen, beispielhaft sei an dieser Stelle die Arie „Ebben? Ne andrò lontana“ der Wally aus „La Wally“ von Alfredo Catalani angeführt, wohingegen Dominique Horwitz mit starker Bühnenpräsenz geradezu besticht.

Das Publikum im gut besuchten Großen Haus bedachte alle an der Produktion Beteiligten mit langanhaltendem Applaus. „Reformhaus Lutter“ steht nochmals am 19. November und 9. Dezember 2017 am Musiktheater im Revier auf dem Spielplan.

Kommentare