„Musical Academy“ im Capitol Theater Düsseldorf

Ein Projekt zur Förderung des besonders talentierten Musical-Nachwuchses

Nachwuchsförderung im Bereich Musical scheint im deutschsprachigen Raum ein recht schwieriges Kapitel zu sein: Der 1966 gegründete und seit 1979 jährlich ausgeschriebene Bundeswettbewerb Gesang Berlin hat sich die Förderung des Nachwuchses und das Auffinden stimmlich, musikalisch und darstellerisch überdurchschnittlicher Begabungen zum Ziel gesetzt. Die Karrieren von Preisträgern wie David Arnsperger, Adrian Becker, Katja Berg, Vera Bolten, Isabel Dörfler, Andreas Gergen, Frederike Haas, Milica Jovanović, Karim Khawatmi, Katharine Mehrling, Bettina Mönch, Max Raabe, Veit Schäfermeier, Uli Scherbel, Anke Sieloff, Christian Struppeck und Bodo Wartke – um nur einige bekannte Namen zu nennen – haben durch die Teilnahme am Bundeswettbewerb Gesang Berlin entscheidende Impulse bekommen. Übrigens, der Anmeldezeitraum für den 46. Bundeswettbewerb Gesang Berlin in den Sparten Musical/Chanson läuft noch bis 1. September 2017. Seit 1994 gab es den Jugend kulturell Förderpreis der HypoVereinsbank zur individuellen Förderung für besonders talentierte Nachwuchskünstler, der abwechselnd in einer der vier Kategorien „A cappella“, „Musical“, „Kabarett & Co.“ und „Popmusik“ verliehen wurde, letztmalig 2016 in der Kategorie „Acoustic Pop“. Daneben gibt es verschiedenste Formen der Nachwuchsförderung wie Stipendien oder auch Engagements, die Außenstehende womöglich gar nicht als solche wahrnehmen. Auf der anderen Seite stellt bereits die Ausbildung an einer staatlichen Hochschule eine nicht unerhebliche Förderung dar: Beispielsweise zahlen die Studierenden an der Folkwang Universität der Künste in Essen pro Semester für Sozialbeitrag und Semesterticket „nur“ 293,38 €, an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien sind 319,20 € an Semesterbeitrag und Studierendenbeitrag zu zahlen, obwohl die Kosten für einen Studienplatz im Durchschnitt ca. 19.000 € jährlich betragen. Die Studienbeiträge liegen deutlich unter denjenigen vergleichbarer nationaler und internationaler Institute. Die Stage School Hamburg – um ebenfalls ein Beispiel zu nennen – erhebt einen Voraus­zahlungs­betrag von jährlich 7.800 € und einen Stundungsbetrag von 2.750 € pro Studienjahr, zahlbar nach Beendigung der Ausbildung. Hinzu kommt eine jährliche Verwaltungsgebühr in Höhe von 350 €, macht summa summarum 10.900 € jährlich. Nicht ohne Grund versuchen viele Studienplatzanwärter zunächst, einen der begehrten Studienplätze an den fünf staatlichen Hochschulen im deutschsprachigen Raum zu ergattern.

Die Initiative UPTEMPO e. V. hat es sich zum Ziel gesetzt, die künstlerische Entwicklung des überdurchschnittlich begabten Musical-Nachwuchses nachhaltig zu fördern. Dafür hat UPTEMPO e. V. das Projekt „Musical Academy“ initiiert, bei dem jeweils zwei von den staatlichen Hochschulen nominierte Musical-Absolvent/innen unter professioneller Anleitung von Regisseur Stefan Huber, Hardy Rudolz, Lior Kretzer (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) und Christian Stadlhofer in einem Workshop vom 22. bis 26. August 2017 im Düsseldorfer Capitol Theater ihre künstlerischen Fähigkeiten in Gesang, Schauspiel und Tanz vervollkommnen konnten. Als Paten und Coach wurden sie von Lisa Antoni, David Arnsperger, Milica Jovanović und Bettina Mönch unterstützt. Höhepunkt des Projekts war die öffentliche Bühnenshow „Musical Academy – Die Show der Rising Stars“ am Samstag, 26. August 2017 im Club des Capitol Theaters, inszeniert von Christian Stadlhofer und unter der Musikalischen Leitung von Lior Kretzer, bei der die 10 für das Projekt nominierten Musical-Absolvent/innen gemeinsam mit Lisa Antoni, David Arnsperger, Milica Jovanović, Bettina Mönch und Hardy Rudolz auf der Bühne standen.

Folgende Musical-Absolvent/innen wurden von ihren Hochschulen für die „Musical Academy“ nominiert:

Universität der Künste Berlin, Studiengang Musical/Show:
Adrian Burri (Boris in „Kopfkino“, Neuköllner Oper, Berlin)
Katharina Beatrice Hierl (Gisela Geiß in „Grimm! Die wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf“, Sommerfestival im Admiralspalast, Berlin, und Neuköllner Oper, Berlin)

Folkwang Universität der Künste Essen, Studiengang Musical:
Karen Müller (Wendy Jo in „Footloose“, Staatstheater Darmstadt, Premiere 30. September 2017; Graziella in „West Side Story“, DomplatzOpenAir Magdeburg)
Philipp Nowicki (Masterstudium an der Royal Academy of Music, London, 2017 bis 2018; Harry Frommermann in „Jetzt oder nie – Die Comedian Harmonists Teil 2“ und Joey in „Saturday Night Fever“, 59. Gandersheimer Domfestspiele; Martin Luther im „Pop-Oratorium Luther“, Maschinenhalle Zweckel)

Bayerische Theaterakademie August Everding München, Studiengang Musical:
Matias Lavall (Petrus in „Jesus Christ Superstar“, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Premiere 3. September 2017; Baby John in „West Side Story“, Stadttheater Bozen)
Laura Pfister (Swing, Cover Lauren, Cover Nicola in „Kinky Boots – Das Musical“, Operettenhaus Hamburg, DSE 3. Dezember 2017; „3 Musketiere Das Musical“, Freilichtbühne Altusried)

Hochschule Osnabrück, Institut für Musik, Studiengang Musical/Vokalpädagogik:
Maurice Daniel Ernst (Otto/Dieter in „Frühlings Erwachen (Spring Awakening)“, Theater für Niedersachsen, Hildesheim, Premiere 7. Oktober 2017; „3 Musketiere Das Musical“, Freilichtbühne Altusried; Fector in „Ein hässliches Spiel (Dogfight)“, Theater für Niedersachsen, Hildesheim, WA 18. November 2017; „Blues Brothers“, Theater Hagen, WA 24. September 2017)
Kara Kemeny (Nina Rosario in „In den Heights von New York“, Theater Hagen, Premiere 16. September 2017; „The Addams Family“, Theater Osnabrück, Vorstellungen bis 28. Oktober 2017)

Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, Studiengang Musikalisches Unterhaltungstheater:
Nicolas Huart („Ein Käfig voller Narren/La Cage aux Folles“, Stadttheater der Bühne Baden, Premiere 17. Februar 2018; „Grand Hotel (Menschen im Hotel)“, Stadttheater der Bühne Baden, Vorstellungen bis 9. September 2017; „Mozart!“, Theater am Marientor, Duisburg und Shanghai Culture Square Theatre, Shanghai)
Cornelia Mooswalder (Nachtigall in „Birdland. Das Glück is a Vogerl“, Sommerspiele Melk, Vorstellungen bis 14. August 2017; Sophie als Special Guest in „Mamma Mia! – Das Musical“, Raimund Theater Wien; Gewinnerin der ORF-Castingshow „Helden von Morgen“, 2010/2011)

Das Programm wurde für diesen Abend extra zusammengestellt und ebenfalls im Rahmen des einwöchigen Workshops erarbeitet. Die Songs von Lisa Antoni („Vertrau in uns“, Mary Baroness Vetsera), David Arnsperger („Musik der Nacht“, Phantom der Oper), Milica Jovanović („Mein Lied“, Eleonore Schikaneder), Bettina Mönch („Cabaret“, Sally Bowles) und Hardy Rudolz stammten zum größten Teil aus dessen Repertoire, wobei Hardy Rudolz IMHO noch nie den Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“ gespielt hat. Für die Künstlerische Leitung zeichnete der gebürtige Österreicher Christian Stadlhofer (* 26. Juli 1980 in Stanz im Mürztal) verantwortlich, der seine Ausbildung 1999 zunächst an den Performing Arts Studios Vienna begonnen hatte, 2000 kam er an die Folkwang Hochschule (heute Folkwang Universität der Künste) nach Essen und schloss sein Musicalstudium 2004 mit dem Diplom ab. Konzertbesucher aus der Metropolregion Rhein-Ruhr kennen ihn womöglich aus den Produktionen „Fame“ am Musiktheater im Revier Gelesenkirchen (Premiere 7. Mai 2005, Regie Ricarda Regina Ludigkeit) und „Tanz der Vampire“ am Metronom Theater in Oberhausen, in denen er als Nick Piazza bzw. Swing und Cover Professor Ambronsius zu sehen war. In letzter Zeit assistierte er Gil Mehmert bei „Goethe! Auf Liebe und Tod“ in Essen und Hardy Rudolz bei „Cats“ in Wunsiedel.

Für die Show „Musical Academy – Die Show der Rising Stars“ hatte sich Christian Stadlhofer als eine Art Rahmenhandlung die Ausbildung an einer fiktiven Musicalschule ersonnen, die Musical-Absolvent/innen sollten die Schüler/innen darstellen, Hardy Rudolz den Schulleiter, und Lisa Antoni, David Arnsperger, Milica Jovanović und Bettina Mönch die teilweise mehrfach promovierten Lehrkräfte. Auf dem Stundenplan standen Fächer wie „Uptempo Song“ mit Bettina Mönch, „Drama“ mit Hardy Rudolz, „Helden“ mit David Arnsperger oder „Heldinnen“ mit Milica Jovanović. Es gab aber keine verbindenden Dialoge zwischen den einzelnen Songs, und die Rahmenhandlung war dementsprechend oberflächlich. Überhaupt wurden die 19 Songs des Abends ohne jegliche Moderation aneinander­gereiht, so dass der mit der Eröffnungsnummer „Türen“ aus der Musicalrevue „Closer than ever“ begonnene Abend bereits nach eindreiviertel Stunde einschließlich Pause mit der Verleihung der Abschlussurkunden und dem Song „You will be found“ aus „Dear Evan Hansen“ sein Ende fand. Sieben der zehn Absolvent/innen konnten sich lediglich mit einem einzigen Song solistisch präsentieren, Kara Kemeny wurde bei „Satisfied“ von Maurice Daniel Ernst und dem gesamten Ensemble unterstützt, Katharina Beatrice Hierl und Cornelia Mooswalder hatten mit „Wie ich bin“ als zweitem Song zumindest noch ein gemeinsames Duett. Die Bandbreite der präsentierten Songs reichte von der eher klassischen „West Side Story“ bis hin zu dem von Hip-Hop und R&B geprägten „Hamilton“ von Lin-Manuel Miranda:

Teil 1:
  • Ensemble: „Türen“ aus „Closer than ever“ von David Shire (Musik) und Richard Maltby, Jr. (Gesangstext)
  • Adrain Burri: „What kind of fool am I?“ aus „Stop the World – I Want to Get Off“ von Leslie Bricusse und Anthony Newley
  • Lisa Antoni: „Vertrau in uns“ aus „Rudolf – Affaire Mayerling“ von Frank Wildhorn (Musik) und Jack Murphy (Gesangstext)
  • Matias Lavall: „Surprise, Surprise“ aus dem Film „A Chorus Line“ von Marvin Hamlisch (Musik) und Edward Kleban (Gesangstext)
  • Kara Kemeny, Maurice Daniel Ernst und Ensemble: „Satisfied“ aus „Hamilton“ von Lin-Manuel Miranda
  • Bettina Mönch: „Cabaret“ aus „Cabaret“ von John Kander (Musik) und Fred Ebb (Gesangstext)
  • Karen Müller: „Losing my Mind“ aus „Follies“ von Stephen Sondheim
  • Cornelia Mooswalder, Katharina Beatrice Hierl: „Wie ich bin“ aus „Wicked – Die Hexen von Oz“ von Stephen Schwartz
  • Hardy Rudolz: „Unstillbare Gier“ aus „Tanz der Vampire“ von Jim Steinman (Musik) und Michael Kunze (Gesangstext)
Teil 2:
  • Lisa Antoni und Hardy Krüger: „Das Phantom der Oper“ aus „Das Phantom der Oper“ von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Charles Hart, Richard Stilgoe, Mike Batt (Gesangstext), Michael Kunze (Deutscher Gesangstext)
  • Philipp Nowicki: „Heut’ Nacht um Acht“ aus „She Loves Me“ von Jerry Bock (Musik) und Sheldon Harnick (Gesangstext)
  • Laura Pfister: „Vanille-Eiscreme“ aus „She Loves Me“ von Jerry Bock (Musik) und Sheldon Harnick (Gesangstext)
  • Katharina Beatrice Hierl: „Big Spender“ aus „Sweet Charity“ von Cy Coleman (Musik) und Dorothy Fields (Gesangstext)
  • David Arnsperger: „Musik der Nacht“ aus „Das Phantom der Oper“ von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Charles Hart, Richard Stilgoe, Mike Batt (Gesangstext), Michael Kunze (Deutscher Gesangstext)
  • Maurice Dabiel Ernst: „Something’s Coming“ aus „West Side Story“ von Leonard Bernstein (Musik) und Stephen Sondheim (Gesangstext)
  • Nicolas Huart: „Zieh die Schuh aus“ (Roger Cicero) von Matthias Haß (Musik) und Frank Ramond (Gesangstext)
  • Milica Jovanović: „Mein Lied“ aus „Schikaneder“ von Stephen Schwartz (Musik, Gesangstext), Michael Kunze (Deutscher Gesangstext)
  • Cornelia Mooswalder: „They Just Keep Moving the Line“ aus „Bombshell“ von Marc Shaiman und Scott Wittman
  • Ensemble: „You will be found“ aus „Dear Evan Hansen“ von Benj Pasek und Justin Paul

IMHO ist es heutzutage nahezu unmöglich, die gesamte Bandbreite der in Musicals verwendeten Musikstile in lediglich 19 Songs abzudecken, mir fallen da auf Anhieb bekannte Komponisten wie
Irving Berlin („Annie Get Your Gun“, „Miss Liberty“, „Call Me Madam“),
Elton John („Aida“, „Der König der Löwen“, „Billy Elliot“),
Jerome Kern („Sally“, „Sunny“, „Show Boat“, „Roberta“),
Tom Kitt („High Fidelity“, „Next to Normal“, „If/Then“),
Jonathan Larson („Tick, Tick… BOOM!“, „Rent“),
Alan Lerner und Frederick Loewe („Brigadoon“, „Paint Your Wagon“, „My Fair Lady“, „Camelot“, „Gigi“),
Sylvester Levay („Elisabeth“, „Mozart!“, „Rebecca“, „Marie Antoinette“, „Lady Bess“),
Galt MacDermot („Hair“),
Alan Menken („Der kleine Horrorladen“, „Die Schöne und das Biest“, „Der Glöckner von Notre Dame“, „The Little Mermaid“, „Sister Act“, „Newsies“, „Aladdin“),
Cole Porter („Gay Divorce“, „Anything Goes“, „Kiss Me, Kate“, „Can-Can“, „Silk Stockings“),
Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II. („Oklahoma!“, „Carousel“, „South Pacific“, „The King and I“, „Cinderella“, „The Sound of Music“) oder
Claude-Michel Schönberg („Les Misérables“, „Miss Saigon“, „Martin Guerre“, „The Pirate Queen“)
ein, man könnte die Liste womöglich beliebig fortsetzen, von denen an diesem Abend kein einziger Song gespielt wurde. Von daher dürfte jede wie auch immer geartete Präsentation des „Genres Musical“ höchst unvollständig bleiben. Ganz sicher könnten alle 10 Workshop-Teilnehmer mit anderen als den ausgewählten Songs völlig andere Facetten ihres Könnens präsentieren. So kam mir persönlich beispielsweise bei der Veranstaltung „Musical Academy – Die Show der Rising Stars“ die im Studiengang Musical neben Gesang und Schauspiel gelehrte Disziplin Tanz entschieden zu kurz. Und welche Erfahrungen und Impulse die Teilnehmer aus dem Workshop für ihre weiteren Engagements mitnehmen, danach müsste man die Teilnehmer schon selbst befragen, das erfährt man nämlich nicht in einem eindreiviertelstündigen Konzert. Das würde mich nämlich interessieren…

Die Zuschauer im Club des Capitol Theaters hatten ganz offensichtlich ihre helle Freude an dem präsentierten Programm und den gezeigten Leistung und bedankten sich mit langanhaltendem Stehapplaus. Eine Zugabe war aber offensichtlich nicht vorgesehen und auch nicht einstudiert, auch wenn diese vom Publikum erwartet wurde.

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