Theater Magdeburg: „West Side Story“

„West Side Story“ – nach einer Idee von Jerome Robbins und nach Shakespeares „Romeo and Julia“; Musik: Leonard Bernstein; Liedtexte: Stephen Sondheim; Buch: Arthur Laurents; Deutsche Fassung: Frank Tannhäuser, Nico Rabenald (mit englischen Songs und deutschen Dialogen); Inszenierung: Gil Mehmert; Choreografie: Jonathan Huor; Bühne: Jens Kilian; Kostüme: Falk Bauer; Dramaturgie: Ulrike Schröder; Musikalische Leitung: GMD Kimbo Ishii. Darsteller: Anton Zetterholm/Philipp Büttner (Tony), Iréna Flury/Sybille Lambrich (Maria), Andrea Sanchez del Solar (Anita), Markus Schneider (Riff), Dennis Weißert (Action, Cover Riff), Robin Koger (A-Rab), Jan Rogler (Baby John), Alexander Sasanowitsch (Snow Boy), Peter Diebschlag (Big Deal), Daniel Ojeda (Diesel), Yael Shervashidze (Gee-Tar), Pawel Stanislawow (Mouthpiece), Daniel Smith (Tiger), Leander Rebholz (Jet Boy), Karen Müller (Graziella), Eva Zamostny (Velma), Sophie Allnatt (Minnie), Audrey Becker (Clarice), Christina Salamon Lama (Pauline), Vera Weichel (Anybodys), Sascha Luder (Bernardo), Benjamin Cox (Chino), Alejandro Muñoz Castillo (Pepe), Yong Hoon Cho (Indio), Raúl Pita Caballero (Luis), Adam Reist (Anxious), Elio Clavel (Nibbles), Pavel Kuzmin (Juano), Adrián Román Ventura (Toro), Liam White (Moose), Andreas Loos (Shark Boy), Nedime Ince (Rosalia), Lara de Toscano (Consuela), Jenny Stark/Uta Zierenberg (Teresita), Bo Mi Lee (Francisca), Ilka Hesse (Estella), Katrin Haase (Margarita), Meryem-Josephine Cil, Tatiana de Sousa, Amanda Mata, Antanina Maksimovich (Shark Girls), Leah Allen (Swing Jet Girls/Shark Girls, Dance Captain), Peter Wittig (Doc), Frank Heinrich (Lt. Schrank), Bartek Bukowski (Officer Krupke), Thomas Matz (Glad Hand). Broadway-Premiere: 26. September 1957, Winter Garden Theatre, New York. West-End-Premiere: 12. Dezember 1958, Her Majesty’s Theatre, London. Deutsche Erstaufführung: 16. Juni 1961, Deutsches Theater, München. Deutschsprachige Erstaufführung: 25. Februar 1968, Volksoper, Wien. Premiere: 16. Juni 2017, Domplatz, Magdeburg.



„West Side Story“


Das Erfolgsmusical beim DomplatzOpenAir in Magdeburg


„West Side Story“, DomplatzOpenAir, Anton Zetterholm (Tony). © Andreas Lander

Die „West Side Story“, nicht nur die bekannteste Vertonung von William Shakespeares „Romeo und Julia“, sondern auch eines der größten Werke des amerikanischen Musiktheaters, behandelt am Beispiel zweier rivalisierender Jugendbanden die Schwierigkeiten und Gegensätze zwischen den ein­ge­wan­derten Puertoricanern (‚Sharks’) und den Einheimischen der New Yorker West Side (‚Jets’) um 1955. Aus diesen rivalisierenden Banden verlieben sich Tony und Maria ineinander, doch angesichts der Feindseligkeiten ist ihre Liebe zum Scheitern verurteilt. Die Produktion erlebte am 26. September 1957 ihre Broadway Premiere am Winter Garden Theatre und wurde mit zwei Tony Awards ausgezeichnet, Jerome Robbins erhielt die Auszeichnung für seine Choreografie, und Oliver Smith für das Bühnenbild. Nach 732 Vorstellungen und einer daran anschließenden Tournee kehrte das Stück am 27. April 1960 für weitere 249 Aufführungen an den Broadway zurück. Es gab bisher zwei weitere Broadway Revivals, 1980 wurde die „West Side Story“ vom 14. Februar bis 30. November am Minskoff Theatre gezeigt, und die Neuinszenierung von Arthur Laurents am Palace Theatre wurde in 748 Vorstellungen vom 19. März 2009 bis 2. Januar 2011 gespielt. Das Stück wurde 1961 verfilmt; der Film wurde für elf Oscars nominiert, wovon er immerhin zehn tatsächlich erhalten hat.

„West Side Story“, DomplatzOpenAir, Ensemble „Jets“. © Andreas Lander

Bei der „West Side Story“ verschmelzen Musik, Schauspiel und Tanz in nahezu unübertrefflicher Form, und die in der von Robert E. Griffith und Harold S. Prince produzierten Uraufführung von Jerome Robbins choreographierten Tanzsequenzen gerieten zum beinahe wichtigsten Stilmittel. Robbins erarbeitete mit jedem Tänzer ein individuelles Repertoire an Gesten und schuf damit ein stilisiertes Tanztheater, das die bedrohlichen Auseinandersetzungen der Jugendlichen überzeugender auf die Bühne brachte als jede realistische Darstellung.

„West Side Story“, DomplatzOpenAir, im Vordergrund: Andrea Sanchez del Solar (Anita), Sascha Luder
(Bernardo), Nedime Ince (Rosalia), Ben Cox (Chino), im Hintergrund: Ensemble „Sharks“. © Andreas Lander

Allein in der laufenden Spielzeit steht/stand die „West Side Story“ an diversen deutschsprachigen Theatern auf dem Spielplan: Musikfestival Steyr (Premiere 27. Juli 2017, Regie Susanne Sommer), Macklenburgisches Staatstheater, Schlossfestspiele Schwerin (Premiere 30. Juni 2017, Regie Simon Eichenberger), Vereinigte Bühnen Bozen (Premiere 13. Mai 2017, Regie Rudolf Frey), Landestheater Schleswig-Holstein, Stadttheater Flensburg (Premiere 3. Dezember 2016, Regie Markus Hertel), Theater Erfurt (Premiere 15. Oktober 2016, Regie Pascale-Sabine Chevroton), Saarländisches Staatstheater, Saarbrücken (Premiere 1. Oktober 2016, Regie Stijn Celis), Salzburger Pfingstfestspiele, Felsenreitschule Salzburg (Premiere 13. Mai 2016 Regie Philip William McKinley). Und dann gibt es auch noch die Tourneeproduktion der BB Promotion GmbH, die „alle Jahre wieder“ nicht nur durch die deutschsprachigen Lande tourt.

„West Side Story“, DomplatzOpenAir, Ensemble „Jets“. © Andreas Lander

Was zeichnet nun die „West Side Story“ beim DomplatzOpenAir in Magdeburg aus, warum sollte man diese gesehen haben? Um ehrlich zu sein, kann man diese Frage erst beantworten und weiß die Magdeburger Produktion entsprechend zu schätzen, nachdem man bereits einige Inszenierungen gesehen hat. Natürlich unterscheidet sich die Handlung in Magdeburg nicht von der anderer Inszenierungen, hier geht es nicht etwa um Kurden und Muslime, auch hier kämpfen die Einheimischen der New Yorker West Side (‚Jets’) gegen die ein­ge­wan­derten Puertoricaner (‚Sharks’) um die Vorherrschaft in ihrem Block. Auch hier tötet Bernardo in einem Kampf Tonys besten Freund Riff, woraufhin Tony Bernardo tötet und, nachdem er von Marias vermeintlichem Tod erfahren hat, seinen eigenen Tod öffentlich herausfordert. Das Unverständnis zwischen den Generationen und Migrationskonflikte sind die zentralen, zeitlosen Themen der „West Side Story“, immer und überall.

„West Side Story“, DomplatzOpenAir, Iréna Flury (Maria, Premiere), Anton Zetterholm (Tony). © Andreas Lander

Der Domplatz wartet mit einer etwa 900 m² Spielfläche vor der 1.274 Zuschauer fassenden Tribüne auf, das Ganze vor der mächtigen Kulisse des Doms zu Magdeburg St. Mauritius und Katharina. Das bietet viel Raum für Action, da kann Regisseur Gil Mehmert („Goethe! Auf Liebe und Tod“, Tryout Premiere 4. April 2017, Folkwang Universität der Künste Essen, Neue Aula; „Das Wunder von Bern“, Uraufführung 23. November 2014, Theater an der Elbe, Hamburg; „Les Misérables, Premiere 21. Juni 2013, DomplatzOpenAir Magdeburg) groß denken und nicht nur den weißen Pontiac Firebird (Baujahr 1991) der ‚Jets’ und den schwarzen Oldsmobile Regency 98 (Baujahr 1978) der ‚Sharks’ zwischen und vor den beiden als rechte und linke Bühnenbegrenzung fungierenden Brownstones mit den Darstellern heranbrausen lassen, sondern gleich auch noch ein Schrottfahrzeug in der rechten hinteren Bühnenecke in Flammen aufgehen lassen. Das alles sind nicht etwa ein paar nette Gimmicks, sondern das sind die „Potenz- und Protzmittel“ zur Selbstdarstellung der verfeindeten Gangs, die sich völlig schlüssig in das Gesamtkonzept einfügen. Für das an Detailgenauigkeit beinahe nicht zu überbietende Bühnenbild zeichnet Jens Kilian verantwortlich, mit dem Gil Mehmert bereits bei „Les Misérables“ beim DomplatzOpenAir 2013 und bei „Das Wunder von Bern“ zusammengearbeitet hat. Um schnelle Szenenwechsel zu ermöglichen, hat er ein „Tankstellen-UFO“ (Zitat Gil Mehmert im Interview mit Ulrike Schneider, Programmheft Theater Magdeburg) entwickelt, das mit Muskelkraft von der linken Seite auf die Bühne geschoben werden und um die zentrale Achse gedreht werden kann, um sich so dem Zuschauer als Tankstelle, Werkstatt, Toilette und Brautmodengeschäft zu präsentieren. Die Kostümentwürfe von Falk Bauer („Cabaret“, Bad Hersfelder Festspiele, Premiere 19. Juni 2015, Regie Gil Mehmert) reichen von heutigen „Alltagsklamotten“ bis hin zu ein wenig nostalgisch anmutenden roten Rüschenkleidern der Puertoricanerinnen. Leonard Bernsteins facettenreiche Partitur mit den bekannten und unvergesslichen Melodien „Maria“, „America“, „Somewhere“, „Tonight“ u. a. ist bei der Magdeburgischen Philharmonie unter der Musikalischen Leitung von GMD Kimbo Ishii bestens aufgehoben, die man mit zunehmender Dunkelheit im zweiten Akt hinter dem rückwärtigen Bühnenprospekt auch optisch erahnen kann.

„West Side Story“, DomplatzOpenAir, Sybille Lambrich (Maria), Anton Zetterholm (Tony). © Andreas Lander

Für die Magdeburger Produktion wurde eine recht junge 50-köpfige Darstellerriege mit einer Menge toller Gäste, die teilweise erst vor Kurzem ihre Musicalausbildung abgeschlossen haben, sowie Sängern aus dem Magdeburger Opernchor und Tänzerinnen aus dem Ballett Magdeburg gecastet, die den dar­zu­stellen­den Charakteren eine natürliche Authentizität verleihen. Da ist eine Gang aufgrund ihrer zahlenmäßigen Größe auch wirklich eine Gang, vor der man vorsichtshalber auf die andere Straßenseite wechselt, wenn man ihr alleine begegnete. Die 45 in jeder Vorstellung agierenden DarstellerInnen überzeugen vom getanzten Prolog bis zum Finale, von Beginn an wird klar, dass auch in dieser Inszenierung – wie in der von Jerome Robbins choreografierten Uraufführung – besonderer Wert auf die Tanzsequenzen gelegt wird, die Jonathan Huor („Tanz der Vampire“, Theater St. Gallen, Premiere 18. Februar 2017, Regie Ulrich Wiggers; „Avenue Q“, Theater St. Gallen, Premiere 26. Februar 2011, Regie Dominik Flaschka und Nationaltheater Mannheim, Premiere 19. April 2012, Regie Dominik Flaschka) einstudiert hat und die mit beeindruckender Synchronität und Leichtigkeit umgesetzt werden. Anton Zetterholm und Iréna Flury spielten in der Premiere die Rollen des jungen Liebespaares, wobei die Rolle der Maria mit Iréna Flury und Sybille Lambrich doppelt besetzt ist. Beide Darstellerinnen werden 9 der 18 disponierten Vorstellungen spielen.

„West Side Story“, DomplatzOpenAir, Ensemble, im Vordergrund: Anton Zetterholm (Tony), Markus Schneider (Riff), Daniel Ojeda (Diesel), Sascha Luder (Bernardo). © Andreas Lander

Anton Zetterholm, der seine Gesangskarriere mit 17 Jahren als Baby John in einer schwedischen Produktion der „West Side Story“ begann und mit seinem Sieg in der Casting-Show „Ich Tarzan, Du Jane!“ zu den bekanntesten Musicaldarstellern im deutschsprachigen Raum gehört, ist ohne Zweifel einer der herausragenden Darsteller dieser Produktion. Als jugendlicher Träumer fühlt er sich inzwischen zu alt für die ‚Jets’ und möchte mit „seiner“ Maria in Frieden leben, ein Traum, der in einer Welt ohne Toleranz zum Scheitern verurteilt ist. Iréna Flury ist als österreichisch-schweizerische Darstellerin eher auf Österreicher und Schweizer Bühnen anzutreffen, bei der Uraufführung von „I am from Austria“ (Premiere 16. September 2017, Regie Andreas Gergen) am Wiener Raimund Theater wird sie als internationaler Filmstar und Oscar-Preisträgerin Emma Carter zu erleben sein. Charmant berührt sie als Auswanderermädchen Maria das Publikum und harmoniert auch sehr gut mit Anton Zetterholm. Ihre Freundin Anita wird von Andrea Sanchez del Solar dargestellt, die Marias Bruder Bernardo von den Vorzügen des Lebens in Amerika überzeugen möchte und sowohl in humorvollen als auch in den dramatischen Szenen wie der „Taunting Scene“ glaubhaft über die Rampe kommt. Markus Schneider (Riff) und Sascha Luder (Bernardo) lassen Führungsqualitäten als aggressive Gegenspieler bei den ‚Jets’ bzw. ‚ Sharks’ erkennen. Vera Weichel ist als Herumgestoßene Anybodys beinahe ständig auf einem High-Riser (Bonanzarad) – mit einem Fuchsschwanz „verschönert“ – unterwegs, ihr einziger Song „Somewhere“ im zweiten Akt wird allerdings durch ein Megafon erheblich verzerrt. Insgesamt machte das Ensemble bei der Premiere bereits einen recht geschlossenen Eindruck, auch wenn die Generalprobe tags zuvor dem „Open-Air Roulette“ zum Opfer gefallen war und wegen Unwetter abgebrochen werden musste.

„West Side Story“, DomplatzOpenAir, Nedime Ince (Rosalia), Lara de Toscano (Consuelo), Iréna Flury (Maria, Premiere), Bo Mi Lee (Francisca). © Andreas Lander

Dafür ging die Premiere reibungslos bei trockenem Wetter über die Bühne der Domplatzes. Das Publikum war begeistert und feierte Darsteller und Kreativteam mit langanhaltendem Applaus. Die „West Side Story“ steht noch bis zum 9. Juli 2017 auf dem Spielplan des DomplatzOpenAir in Magdeburg. Im nächsten Jahr wird vom 15. Juni bis 8. Juli „Jesus Christ Superstar“ in einer Inszenierung von Sebastian Ritschel auf dem Domplatz gezeigt.

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