Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“ am Opernhaus Wuppertal

Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“; Musik, Gesangstexte und Buch: Richard O´Brien; Inszenierung: Sebastian Welker; Choreografie: Amy Share-Kissiov; Bühne: Stephan Prattes; Kostüme: Susanne Hubrich; Musikalische Leitung: Heribert Feckler. Darsteller: Simon Stricker (Erzähler), Dustin Smailes (Brad Majors), Johanna Spantzel (Janet Weiss), Andreas Wolfram/John Davies (Frank´n´Furter), Mark Bowman-Hester (Riff Raff), Kerstin Brix/Anke Fiedler (Magenta), Mariyama Ebel/Sue Lehmann (Columbia), Christian Schöne (Rocky Horror), Eddy Ebeling (Eddie), Sebastian Campione/Aldo Tiziani (Dr. Everett Scott). Transylvanians/Bunnies: Nadine Funk, Alexandra Haar, Patrick Hettenberger, Sylvia Hetze, Nina Jestel, Burkard Kelvin, Maximilian Leuchter, Dieter Linden, Maureen Lomb, Oliver Müller, Jennifer Pahlke, Jerome Schickschneit, Lara-Sophie Sondern, Christoph Speit, Kerstin Trant, Hannah Marie Usemann, Lorena Zdanewitz. United Rock Orchestra: Heribert Feckler (Keyboards), Eberhard Schröder (Bass), Oliver Kerstan (Drums), Roger Schaffrath (Guitar), Matthias Jahner (Saxophon). Uraufführung: 19. Juni 1973, The Royal Court Theatre Upstairs, London. Deutschsprachige Erstaufführung: 20. Januar 1980, Grillo-Theater, Essen. Premiere: 17. Februar 2017, Opernhaus Wuppertal.



Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“


„Don´t dream it, be it“


Sechs Jahre nach „Hair“ (Uraufführung 17. Oktober 1967, Anspacher Theatre, New York) entstand in London die makaber-unkonventionelle Show „The Rocky Horror Show“ – eine irrwitzige Parodie auf Hollywoods B-Movies der 1940er und 1950er Jahre, Transvestiten, kleinbürgerliches Spießbürgertum und Rock´n´Roll-Musik der 1950er und 1960er Jahre. Und obwohl diese stellenweise die Grenzen des guten Geschmacks überschritt, wurde sie nach der Premiere auf der Studiobühne des Royal Court Theatres in London und mehrfachem Theaterwechsel allein in England 2.960 Mal aufgeführt. Am Broadway (Premiere 10. März 1975, Belasco Theatre) geriet das Werk mit nur 45 Vorstellung zu einem veritablen Flop, obwohl es zuvor am Roxy Theatre in Los Angeles (Premiere 24. März 1974) neun Monate erfolgreich gezeigt wurde, entwickelte sich aber seit der Verfilmung als „The Rocky Horror Picture Show“ (1975) zu einem international erfolgreichen Kult-Musical, das Dank seiner unverhohlenen Botschaft und der exzessiv-voyeuristischen Präsentation eine vorwiegend jüngere Fangemeinde gefunden hat. Seine Faszination und Wirkung auf das Publikum sind unvergleichlich. Auch bei Theateraufführungen kommt es immer wieder vor, dass nach ihren Vorbildern bizarr kostümierte und geschminkte Fans mit ihren Kommentaren und Mitmach-Aktionen die Show zu einem übermütigen Bühnen-Spektakel werden lassen.

Dustin Smailes (Brad Majors) und Johanna Spantzel (Janet Weiss)
Foto Jens Großmann, © Wuppertaler Bühnen

Den Wissenschaftler Dr. Frank N. Furter als exzentrisch zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Die Wirkung seiner hemmungslosen Gier nach seelischer und körperlicher Erfüllung erleben die frisch und vorerst glücklich verlobten Brad Majors und Janet Weiss nach einer schicksalhaften Reifenpanne an einem verregneten Herbstabend. In dem Schloss, in dem sie nach Hilfe suchen, erleben sie statt des erhofften Telefongesprächs die Nacht ihres Lebens. Kaum haben sie sich mit der verstörenden Tatsache arrangiert, von Außerirdischen des Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania umgeben zu sein, müssen sie die Geburt des unwiderstehlichen Retortenwesens Rocky miterleben. Im Laufe der folgenden Feierlichkeiten erlebt das Paar Verführungen, die jede Vorstellung sprengen, die ihr Bewusstsein in ungeahnte Galaxien schicken, sie zu neuen Menschen machen. Als der an den Rollstuhl gefesselte Wissenschaftler Dr. Everett Scott auf der Suche nach seinem vermissten Neffen Eddie im Schloss auftaucht, wittert Frank ein Komplott gegen ihn, fesselt die drei Besucher elektronisch an den Boden und inszeniert ein groteskes Bühnen-Happening. Das makabere Geschehen kommt zu einem abrupten Ende, als Riff Raff als Oberhaupt der Außerirdischen und Magenta in Raumanzügen auftauchen und Frank wegen seiner übermäßigen Dekadenz töten. Während die Außerirdischen bereits ins galaktische Transylvanien abheben, können Brad und Janet soeben noch entkommen.

Mariyama Ebel (Columbia), Dustin Smailes (Brad Majors), Ensemble
Foto Jens Großmann, © Wuppertaler Bühnen

Am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken feierte die Inszenierung von Sebastian Welker am 8. Oktober 2011 Premiere, nach mehr als vier Jahren ging dort am 27. Oktober 2015 die 57. Vorstellung als letzte Aufführung über die Bühne. Die Wuppertaler Bühnen haben diese Produktion ab 17. Februar 2017 übernommen, quasi eine erfolgreiche Übernahme von Führungspersonal und Produktion: Opernintendant Berthold Schneider ist von 2006 bis 2012 als Operndirektor am Saarländischen Staatstheater tätig gewesen. Dustin Smailes hat bereits in Saarbrücken die Rolle des Brad Majors verkörpert, John Davies die Rolle des Frank´n´Furter, Sue Lehmann die Rolle der Columbia, Anke Fiedler die Rolle der Magenta, und Aldo Tiziani die Rolle des Dr. Everett Scott. (Wann die genannten Darsteller tatsächlich spielen, entzieht sich meiner Kenntnis.) Weitere Darsteller aus Saarbrücken sind in Wuppertal nicht beteiligt. Neben Simon Stricker (Erzähler), Mark Bowman-Hester (Riff-Raff) und Sebastian Campione (Dr. Everett Scott) aus dem Wuppertaler Ensemble konnte eine ganze Reihe namhafter Gäste für die Wuppertaler Produktion verpflichtet werden, namentlich Dustin Smailes (Brad Majors), Johanna Spantzel (Janet Weiss), Andreas Wolfram (Frank´n´Furter), Anke Fiedler (Magenta), Mariyama Ebel (Columbia), Christian Schöne (Rocky Horror) und Eddy Ebeling (Eddie).

Anke Fiedler (Magenta), Andreas Wolfram (Frank´n´Furter) und Mark Bowman-Hester (Riff Raff)
Foto Jens Großmann, © Wuppertaler Bühnen

Was ist nun das Besondere an der Produktion des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken, die dort über vier Jahre erfolgreich gezeigt wurde und sich nun in Wuppertal ebenfalls anschickt, für ausverkaufte Vorstellungen zu sorgen? Tatsächlich hat Regisseur Sebastian Welker mit seinem Kreativteam seine eigene Handschrift entwickelt und distanziert sich ganz bewusst von der übermächtigen Vorlage des Originals, indem er das rätselhafte Schloss „Frankenstein Place“ in eine Kathedrale verlegt (Bühnenbild Stephan Prattes), in der Frank´n´Furter als Bischof residiert (Kostüme Susanne Hubrich). Dieses Konzept wird konsequent vom Anfang bis zum Ende verfolgt: Noch vor Beginn rufen die Glocken zur Vorstellung, zu Beginn performt Anke Fiedler als Nonne den Song „Science Fiction/Double Feature“ auf der Kanzel, bevor Ralph Hapschatt und Betty Munroe vom Bischof getraut werden, der in dieser Szene allerdings nur von hinten zu sehen und noch nicht als Frank´n´Furter zu erkennen ist. Der barocke Hochaltar erweist sich zum Ende als Raumschiff für Riff-Raff und Magenta, die damit ins galaktische Transylvanien abheben, nachdem Riff-Raff dem dekadenten Treiben von Frank´n´Furter ein Ende gemacht hat, der sich zuvor wie Ikarus mit Flügeln über alle erhoben hat.

Christian Schöne (Rocky Horror) und Johanna Spantzel (Janet Weiss)
Foto Jens Großmann, © Wuppertaler Bühnen

Trotz dieser gelungenen Modifizierungen erscheint das Geschehen vom ersten Augenblick an vertraut, und das Publikum frönt exzessiv dem Anarchismus und verwandelt den Theatersaal planmäßig in einen richtigen „Saustall“. In der Ansage vor Beginn der Vorstellung wird explizit zum Gebrauch von Wasserpistolen und Toilettenpapier aus den Rocky Fan-Tüten aufgefordert, gleichzeitig wird aber vor dem Werfen von schweren Gegenständen wie Schwiegermüttern aus dem Rang gewarnt, da dies zu Verletzungen führen könne. Dass auch schon Reis und Wasser auf der Bühne zu Stürzen führen können, davon kann Herr Schöne nach der Premiere ganz sicher ein Lied singen. Jedenfalls scheint man in Wuppertal keine große Angst um den Theatersaal und die Darsteller zu haben, denn in den Rocky Fan-Tüten befinden sich ganze Rollen Toilettenpapier, die man mit ein wenig Routine durchaus bis auf die Bühne werfen kann. An der ein oder anderen Stelle hapert es zwar ein wenig mit der Mitwirkung des Publikums, aber in den Rocky Fan-Tüten fehlen ja auch Utensilien wie Gummihandschuhe, Partyhut, Ratsche und Spielkarten, deren Verwendung im mitgelieferten „Musical-Knigge“ wohlweißlich nicht erläutert ist. Das tut der Sache aber keinen Abbruch, denn das Publikum hat auch so seinen Spaß, und was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Das United Rock Orchestra unter der Musikalischen Leitung von Heribert Feckler macht seinem Namen alle Ehre und rockt das Haus.

Simon Stricker (Erzähler), Ensemble
Foto Jens Großmann, © Wuppertaler Bühnen

Andreas Wolfram (u. a. Aldolpho in „Hochzeit mit Hindernissen (The Drowsy Chaperone)“, Johannes Faber in „Pop-Oratorium Luther – Das Projekt der tausend Stimmen“, Bill Calhoun/Lucentio in „Kiss me, Kate“, Esel in „Shrek – Das Musical“) ist nach seinen Interpretationen des dekadenten Transvestiten an der Musikalischen Komödie Leipzig (Regie Anna Christine Haffter), am Opernhaus Dortmund (Regie Anna Christine Haffter), am Staatstheater Kassel (Regie Thomas Dietrich) sowie bei den Bad Hersfelder Festspielen 1997 (Regie Peter Heinrich) nun auch an den Wuppertaler Bühnen als Frank´n´Furter in glitzernden Dessous zu erleben, hier legt er die Rolle weniger schrill als als Tim Curry, eher sinnlich verführerisch. Christian Schöne (u. a. Loth von Orkney in „Artus – Excalibur“, Monty in „Saturday Night Fever“, Freilichtspiele Tecklenburg, Deutschland sucht den Superstar, Anastasius in „Die Päpstin – Das Musical“, Heinrich Raspe in „Elisabeth – Die Legende einer Heiligen“, Gewilip in „Bonifatius – Das Musical“) sieht in der Rolle des Rocky Horror als goldener Adonis nicht nur ausgesprochen gut aus, da weiß man, wofür die Schinderei im Sportstudio gut ist, dafür dürften wohl mehr als sieben Tage Training nötig sein („In just seven days I can make you a man“), sondern kann – anders als Peter Hinwood, der Darsteller des Rocky in der „Rocky Horror Picture Show“, dessen Part vom australischen Sänger Trevor White synchronisiert wurde – auch gesanglich in seiner Rolle überzeugen. Dustin Smailes (u. a. Henry in „Next to Normal (Fast normal)“, Jose Rodriguez/Innere Göttin in „49½ Shades! Die Musical Parodie“) in der Rolle des spießigen Brad Majors und Johanna Spantzel (u. a. Anne Egermann in „A Little Night Music (Das Lächeln einer Sommernacht)“, Mädchen am Feuer in „Jesus Christ Superstar“ und Sabine in „The Stairways to Heaven“, Freilichtspiele Schwäbisch Hall, Brenda Strong in „Catch me if you can“, Lisa Houseman in „Dirty Dancing – Das Original live on Stage“) als komisch-unbedarfte Janet Weiss geben ein herrliches, zunächst glücklich verlobtes Paar ab, doch Janet ist vom ersten Augenblick an von Rocky angetan, lange bevor sie von Frank zum allerersten Mal verführt wird. Nachdem Janet vom Erzähler den Schlüssel für Rockys Keuschheitsgürtel bekommen hat, kommt es zwischen beiden zu nicht enden wollenden Ausschweifungen im Beichtstuhl, die Brad in rasender Eifersucht diesen mit Benzin übergießen lassen, um ihn dann aber doch nicht in Brand zu setzen. Mariyama Ebel (u. a. Dionne in „Hair“, Lucy in „Avenue Q“) kann zwar nicht in eben jener Stepptanz-Nummer im „Time Warp“ glänzen, in der Columbia solistisch im Vordergrund steht, denn auch die Choreografie von Amy Share-Kissiov setzt sich von der Kinofassung „The Rocky Horror Picture Show“ ab, stattdessen liefert sie sich mit Johanna Spantzel nach Janets sexueller Befreiung einen Stepptanz-Battle. Mark Bowman-Hester und Anke Fiedler (u. a. Titania/Hippolyta im „Sommernachtstraum“, Gartentheater Hannover, Maureen in „Rent“, Schlossfestspiele Ettlingen, Gesangssolistin in „Qi“, Friedrichstadtpalast Berlin) glänzen als sonderbares Geschwisterpaar Riff Raff und Magenta, Lieferant Eddie Scott kommt nicht etwa auf dem Motorrad in die Kirche gefahren, sondern dessen Darsteller Eddy Ebeling („King Eddy“) erinnert mich auch in dieser Rolle eher ein wenig an Elvis Presley. Sebastian Campione (Dr. Everett Scott) und Simon Stricker, der sich als Erzähler von den „Boring“/„Langweilig“-Rufen aus dem Publikum nicht beirren lässt, sollen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

Mark Bowman-Hester (Riff Raff) und Anke Fiedler (Magenta)
Foto Jens Großmann, © Wuppertaler Bühnen

Das Premierenpublikum feierte Darsteller, Musiker und Kreative nach etwa zweieinviertelstündiger Aufführung begeistert mit Stehapplaus, Sebastian Welkers Inszenierung überzeugt das Publikum wie schon in Saarbrücken auch in Wuppertal. Die Stimmung im Auditorium war ausgelassen, und bei den Zugaben war der „Time Warp“ gleich zweimal vertreten. Richard O´Brien´s „The Rocky Horror Show“ steht am Opernhaus Wuppertal mit insgesamt 11 Vorstellungen bis 20. Juni 2017 auf dem Spielplan, da dürfte die Nachfrage bedeutend größer sein als das Angebot. Man darf gespannt sein, ob es in der Spielzeit 2017/18 eine Wiederaufnahme geben wird.

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