Sunset Boulevard

„Sunset Boulevard“ – basierend auf dem gleichnamigen Billy Wilder-Film von 1950; Musik: Andrew Lloyd Webber; Lyrics und Buch: Don Black, Christopher Hampton; Buch: Ken Ludwig; Deutsche Bearbeitung: Michael Kunze; Regie: Gil Mehmert; Choreografie: Melissa King; Ausstattung: Heike Meixner; Musikalischer Leiter: Heiko Lippmann. Darsteller: Cornelia Drese (Norma Desmond), Oliver Arno (Joe Gillis), Hartwig „Hardy“ Rudolz (Max von Mayerling), Julia Lißel (Betty Schaefer), Reinhard Brussmann (Cecil B. DeMille/Sheldrake), Manuel Mairhofer (Artie Green/Morino), Claus Dam (Manfred/Myron/Polizist/Hog Eye), Arne David (Sammy/Polizist/Verkäufer), Ulrike Figgener (Mary), Andreas Gräbe (Schuldeneintreiber/Verkäufer), Alice Susan Hanimyan (Jean/Harem Girl), Marco Herse Foti (Cliff/Polizist/Verkäufer/Victor Mature), Adrian Hochstrasser (Jonesy/Schulden­ein­treiber/Polizist/Verkäufer), Johannes Kiesler (John/Polizist/Verkäufer), Mandy-Marie Mahrenholz (Lisa/Heather/Hedy Lamarr), Anna Preckeler (Joanna/Astrologin), Christian Stadlhofer (Wunderkind/Polizist/Verkäufer), Nadja Weise (Katherine), Antonia Welke (Ursula/Harem Girl). Uraufführung: September 1992, Sydmonton Festival, Sydmonton Court, Hampshire. West End Premiere: 12. Juli 1993, Adelphi Theatre, London. Deutschsprachige Erstaufführung: 8. Dezember 1995, Rhein-Main-Theater, Niedernhausen. Premiere: 17. Oktober 2014, Stadttheater Fürth. Besuchte Vorstellung: 13. November 2014, Theater der Stadt Marl.



„Sunset Boulevard“


Das Schicksal der Stummfilm-Diva als Musical am Theater der Stadt Marl


„La Tortuga“ von Wolf Vostell (1987), auf den Kopf gestellte Lokomotive 52 2751 mit Schlepptender vor dem Theater der Stadt Marl

„Sunset Boulevard“ ist zunächst ein amerikanisches Filmdrama von Billy Wilder aus dem Jahr 1950, das die Geschichte der fatalen Begegnung zwischen der alternden Stummfilmdiva Norma Desmond und dem jungen Drehbuchautor Joe Gillis erzählt, der auf der Flucht vor Geldeintreibern zufällig in Normas Villa am Sunset Blvd. landet. Das verwilderte Anwesen stand in Wirklichkeit an der Ecke Crenshaw Street und Wilshire Boulevard. Es wurde 1924 für William O. Jenkins, einen amerikanischen Konsul, gebaut und kostete die stolze Summe von 250.000 Dollar. Der so genannte Zuckerbaron, der der reichste Mann Mexikos war, richtete die 14 Zimmer des Hauses mit allerhand Kostbarkeiten ein, importierte Kacheln aus dem Ausland und beeindruckte seine Gäste mit dem schwarzen Treppenhaus, das in einem drei Meter breiten Vestibül endete. Als Billy Wilder darauf aufmerksam wurde, befand sich das Anwesen im Besitz einer der früheren Ehefrauen des Multimillionärs J. Paul Getty. Sie war einverstanden mit den Dreharbeiten, bestand aber darauf, dass der für den Film in den Erdboden eingelassene Pool nach den Dreharbeiten wieder entfernt werden würde, falls er ihr nicht gefiele. Der Pool blieb und wurde später noch einmal für eine Szene in dem Film „Rebel Without A Cause“ genutzt. Zusätzlich zum Pool wurde das Anwesen noch mit fleckigen Glasfenstern, Palmen, stoffbezogenen Möbeln, staubigen Samtvorhängen und Orgelpfeifen ausstaffiert. Außerdem wurde eine 250.000 Dollar teure, mit Leopardenfellpolsterung und einem vergoldeten Telefon ausgestattete Isotta Fraschini Tipo 8A-Limousine in der Auffahrt geparkt. Billy Wilder und Charles Brackett versuchten mit ihrem Co-Autor Donald M. Marshman, Jr., die Handlung so lange wie möglich geheim zu halten und versahen ihre Drehbücher sorgsam mit falschen Titeln. Einer der legendären Fake-Titel war „A Can of Beans“, aber nach und nach begannen Details durchzusickern, prekäre Details, denn der Stoff zeigte das schillernde Hollywood in keinem guten Licht. Gloria Swanson und William Holden verkörperten die Rollen von Norma Desmond und Joe Gillis, Swansons Karriere weist starke Ähnlichkeit zu der der Filmfigur Norma Desmond auf. Obwohl der Film bei seiner Premiere am 10. August 1950 in der Radio City Music Hall kein Riesenerfolg war, kam er bei den Kritikern gut weg. Bei der Oscar-Verleihung 1950 wurde „Sunset Boulevard“ als Bester Film, für die Beste Regie, die Beste Hauptdarstellerin, die Beste Nebendarstellerin (Nancy Olson) und die Beste Schwarzweiß-Kamera (John F. Seitz) nominiert und in den Kategorien Bestes Szenenbild (Hans Dreier, John Meehan, Sam Comer und Ray Moyer), Beste Musik (Franz Waxman) und Bestes Originaldrehbuch ausgezeichnet.

1989 begann Andrew Lloyd Webber an der Partitur für das Musical zu arbeiten, das im September 1992 beim Sydmonton Festival mit Patti LuPone (Norma Desmond) und Kevin Anderson (Joe Gillis) erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde und am 12. Juli 1993 im Adelphi Theatre in London mit Patti LuPone (Norma Desmond), Kevin Anderson (Joe Gillis), Meredith Braun (Betty Schaefer) und Daniel Benzali (Max von Mayerling) West End Premiere feierte. In Amerika wurde eine überarbeitete Fassung erstmals am 9. Dezember 1993 am Shubert Theatre in Los Angeles mit Glenn Close (Norma Desmond) und Alan Campbell (Joe Gillis) gezeigt, die ihre Rollen auch in der Broadway-Pemiere am 17. November 1994 am Minskoff Theatre spielten. 1995 wurde „Sunset Boulevard“ mit sieben Tony Awards ausgezeichnet, u. a. als bestes Musical, für die beste Originalmusik und das beste Musicallibretto. Am 8. Dezember 1995 fand im Rhein-Main-Theater in Niedernhausen die deutschsprachige Erstaufführung mit Helen Schneider (Norma Desmond), Uwe Kröger (Joe Gillis), Norbert Lamla (Max von Mayerling) und Barbara Wallner (Betty Schaefer) statt, nachdem sich „The Really Useful Group“ von den vermeintlichen Vorteilen eines Theaters mit eigener Autobahnanschlussstelle irgendwo im Nirgendwo hatte überzeugen lassen. Das Ende am 5. Mai 1998 nach 992 Aufführungen war eher unrühmlich, nach dem letzten Vorhang begannen die Gläubiger bereits mit dem Ausbau der Beleuchtungsanlage, im September 2001 wurde schließlich der Fundus öffentlich und meistbietend versteigert. Seit 2010 darf das Musical auch an Stadttheatern gespielt werden, das Theater Magdeburg zeigte am 13. November 2010 die Premiere einer Inszenierung von Stefan Huber. Regisseur Gil Mehmert hat das Musical bereits bei den Bad Hersfelder Festspielen 2011 (Premiere 21. Juni 2011) mit Helen Schneider (Norma Desmond), Rasmus Borkowski (Joe Gillis), Wietske van Tongeren (Betty Schaefer) und Helmut Baumann (Max von Mayerling) inszeniert, wie bei der neuerlichen Produktion des Stadttheaters Fürth/EURO-STUDIO Landgraf (Premiere 17. Oktober 2014, Stadttheater Fürth) gehörten auch schon 2011 Heiko Lippmann (Musikalische Leitung), Melissa King (Choreografie) und Heike Meixner (Ausstattung) zum Kreativteam.

Reinhard Brussmann (Cecil B. DeMille) und Cornelia Drese (Norma Desmond); © Bernd Böhner

Zum Inhalt:
Der junge Drehbuchautor Joe Gillis landet auf der Flucht vor Geldeintreibern zufällig in Normas Villa am Sunset Boulevard. Norma Desmond engagiert Joe Gillis als Ghostwriter für ihr Skript zu „Salome“, das ihr zu einem Comeback im Tonfilm verhelfen soll. Joe willigt nach anfänglichen Bedenken ein und läßt sich bald auch von Norma aushalten, er ersetzt quasi den Schimpansen, den er bei seiner Ankunft beerdigen sollte. Von der eigens von Norma nur für sich und Joe inszenierten Sylvesterparty flüchtet er zu seinen Freunden und der jungen Autorin Betty Schaefer, um abermals zu Norma zurückzukehren, als er von ihrem Selbstmordversuch erfährt. Die Vorkommnisse spitzen sich zu, als Norma Desmond von Joes Sympathie zu Betty Schaefer erfährt und ihn bei ihr als Gigolo denunziert. Als Joe Norma verlassen will, erschießt ihn die völlig konfuse Filmdiva, um sich schließlich, als Reporter eintreffen und ihre Kameras aufstellen, um über den Vorfall zu berichten, in Dreharbeiten zu „Salome“ zu wähnen. „Sunset Boulevard“ ist gleichzeitig eine sarkastische Parodie auf die Traumfabrik Hollywood, was besonders in der absurden Schlussszene deutlich wird. Andrew Lloyd Webber rekonstruierte den Filmklassiker beinahe akribisch, Joes sarkastische Abrechnung mit der verlogenen Traumwelt Hollywoods ist als Titelsong der Höhepunkt des Musicals.

Oliver Arno (Joe Gillis) und Julia Lißel (Betty Schaefer); © Bernd Böhner

Wer „Sunset Boulevard“ bei den Bad Hersfelder Festspielen 2011 in der Inszenierung von Gil Mehmert gesehen hat, wird sich bei der neuerlichen Produktion des Stadttheaters Fürth/EURO-STUDIO Landgraf auf Anhieb „zu Hause“ fühlen, womöglich ist dieser Eindruck bei den Vorstellungen im Stadttheater Fürth, in denen Helen Schneider die alternden Stummfilmdiva Norma Desmond spielt, sogar noch ausgeprägter. Bei den meisten Tourneeterminen spielt Cornelia Drese (Grizabella in der Hamburger „Cats“-Produktion) diese Rolle, so auch in der besuchten Vorstellung am Theater der Stadt Marl. Cornelia Drese stand bereits am Staatstheater Braunschweig (Premiere 1. Dezember 2012, Regie Hardy Rudolz) als Norma Desmond auf der Bühne, glaubhaft zeichnet sie das vehemente Bemühen des exzentrischen Stummfilmstars um ein Comeback nach, das in der Schlussszene des zweiten Aktes seinen Höhepunkt findet, in der Norma gänzlich dem Wahnsinn verfallen zu sein scheint und sich wie in einer bizarren Stummfilmszene in Filmaufnahmen zu „Salome“ wähnt. Gesanglich gestaltet die Mezzo-Sopranistin „Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt“ zu ihrem Höhepunkt. Ihr zur Seite steht ein hervorragendes Ensemble: Oliver Arno ist als erfolgloser Drehbuchautor Joe Gillis zu sehen, der allmählich Gefallen am Leben in Reichtum findet und sich von Norma Desmond aushalten lässt. Gesanglich meistert der Bariton seinen Part mit Bravour, harmonisch gerät auch sein Duett „Viel zu sehr“ mit Julia Lißel als Produktionsassistentin Betty Schaefer, obschon er seine aus der erfolgreichen Zusammenarbeit an dem Drehbuch zu „Das blinde Fenster“ erwachende Liebe ein wenig offenkundiger vermitteln könnte. Musical-Legende Hartwig „Hardy“ Rudolz, der seit 35 Jahren auf den Brettern steht, die die Welt bedeuten, stellt den gegenwärtig treu ergebenen Butler, früheren Regisseur und Normas ersten Ehemann Max von Mayerling als ebenfalls gealterten Mann dar, der jederzeit um das Normas Wohlergehen besorgt ist. Bewegend bringt er seine Ergebenheit gegenüber Norma in seinem Song „Kein Star wird jemals größer sein“ zum Ausdruck. In weiteren Rollen sind Reinhard Brussmann als Regisseur Cecil B. DeMille/Produzent Sheldrake und Claus Dam (Kaiser Franz Joseph in „Rudolf – Affaire Mayerling“, Wilhelm Karcher in „Kolpings Traum“) als Manfred/Myron/Hog Eye zu erwähnen, Claus Dam hat auch bereits in der Produktion der Bad Hersfelder Festspiele 2011 als Manfred/Myron mitgewirkt.

Cornelia Drese (Norma Desmond), Ensemble; © Bernd Böhner

Natürlich gibt es bei der Produktion des Stadttheaters Fürth/EURO-STUDIO Landgraf keine pompöse Ausstattung wie beispielsweise in Niedernhausen zu sehen, dennoch hat Heike Meixner – wie schon in Bad Hersfeld – ein reichhaltiges und trotzdem tourneetaugliches Bühnenbild geschaffen: Links die obligatorische Treppe in Normas Villa, rechts ein drehbares Gerüst, das mal als Beleuchtungsturm im Filmstudio fungiert, dann als Joes Zimmer über der Garage, oder aber als Orgel in Normas Villa. In der Mitte befindet sich ein rundes Podest, das wiederum vielseitig als Swimmingpool, geflieste Tanzfläche oder mit ausklappbaren Polstern auch als Sitzgelegenheit genutzt wird. Besonders einfallsreich setzen die Mitglieder des Ensembles auf diesem Podest auch in Windeseile aus Einzelteilen Normas „Isotta Fraschini“ zusammen, um sie nach der Vorfahrt bei Paramount Pictures als Kulissenteile durch das Studio wieder hinauszutragen. Ebenso einfallsreich hat Gil Mehmert Joes Flucht vor seinen Gläubigern im erst Akt inszeniert, bei der Joe und die Schuldeneintreiber lediglich eine Stange mit zwei daran befestigten Scheinwerfern durch den Bühnennebel vor sich her tragen, wodurch die Illusion einer wilden Autoverfolgungsjagd über den Sunset Blvd. entsteht. Ein weiteres Highlight ist Mehmerts Interpretation der Szene, als Norma ins Paramount Studio zurückkehrt und vollkommen den Blick für die Realität aus den Augen verloren hat („Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt“), verdeutlicht durch die zeitlupenartigen Bewegungsabläufe der Filmcrew. Die Sinfonieorchestermusiker des Nationalen Akademischen Bolschoi Opern- und Ballett-Theaters der Republik Belarus unter der Musikalischen Leitung von Heiko Lippmann bringen Andrew Lloyd Webbers Partitur fulminant zu Gehör, und auch die Tonabstimmung war für mein Empfinden bei der Vorstellung im Theater der Stadt Marl für eine Tourneeproduktion recht ordentlich, man konnte alle Darsteller mühelos verstehen.

Die Produktion wurde vom Publikum im Theater der Stadt Marl ausgesprochen positiv aufgenommen, es bedankte sich begeistert mit Stehapplaus für einen kurzweiligen, unterhaltsamen Musiktheaterabend auf hohem Niveau. Die Produktion ist noch bis zum 31. Dezember 2014 im deutschsprachigen Raum zu sehen, die jeweiligen Veranstaltungsorte können der Ankündigung entnommen werden.

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