Gandersheimer Domfestspiele: „Gefährliche Liebschaften“

„Gefährliche Liebschaften“ – nach dem Briefroman „Les Liaisons dangereuses“ von Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos; Musik: Heiko Lippmann; Lyrics: Christian Doll; Buch: Andreas Gäßler; Inszenierung: Christian Doll; Choreografie: Hartwig „Hardy“ Rudolz; Fechtchoreografie: Christian Ewald; Ausstattung: Cornelia Brey; Dramaturgie: Florian Götz; Musikalische Leitung: Patricia M. Martin. Darsteller: Annika Bruhns (Marquise Isabelle de Merteuil), Dirk Schäfer (Vicomte Sébastien de Valmont), Anna Preckeler (Madame Marie de Tourvel), Julia Hiemer (Cécile de Volanges), Rebecca Simoneit-Barum (Madame de Volanges, Céciles Mutter), Pascal Höwing (Chevalier Raphael Danceny), Christine Dorner (Madame de Rosemonde, Valmonts Tante), Alexander Martin (Azolan, Valmonts Kammerdiener), Franziska Schuster (Emilie, eine Prostituierte/Sophie). Band: Patricia M. Martin, Gela Megrelidze (Keyboards), Frank Conrad (Reeds), Dorothee Pöhl (Cello), Norbert Ruman (Posaune), Martin Werner (Gitarre), Dirk Schmigotzki (Bass), Kristof Hinz (Drums). Uraufführung: 25. Juli 2014, Gandersheimer Domfestspiele, Bad Gandersheim. Besuchte Vorstellung: 9. August 2014.



„Gefährliche Liebschaften“


Musicaluraufführung bei den 56. Gandersheimer Domfestspielen


Annika Bruhns (Marquise Isabelle de Merteuil) und Dirk Schäfer (Vicomte Sébastien de Valmont), © Hillebrecht/Die Foto-Maus

Im wohl berühmtesten Briefroman des 18. Jahrhunderts „Les Liaisons dangereuses“ von Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos vertreiben sich die Marquise Isabelle de Merteuil und der Vicomte Sébastien de Valmont die Zeit in einem Leben des Überflusses damit, ihre Mitmenschen emotional zu zerstören. In immer neuen Affären spielen sie gemeinsam ein Spiel um Leidenschaft, Macht und Sex, nur zur Liebe sind beide unfähig. Um sich an dem Comte de Gercourt zu rächen, der sie verlassen hat und mit der fünfzehnjährigen Klosterschülerin Cécile de Volanges verlobt ist, möchte die Marquise Isabelle de Merteuil den Vicomte Sébastien de Valmont animieren, die unschuldige Cécile de Volanges zu entjungfern. Doch er lehnt zunächst ab, da er Cécile für leichte Beute hält und auf dem Landsitz seiner Tante Madame de Rosmonde auf die junge Madame Marie de Tourvel aufmerksam wurde, die für den routinierten Frauenheld eine äußerst harte Herausforderung darstellt, denn sie ist nicht nur verheiratet, sondern auch noch überaus tugendhaft. Gerade das spornt Valmont und seine nach Herausforderungen lechzende Eroberungssucht aber erst richtig an. Zum Zeitvertreib schließen die Marquise Isabelle de Merteuil und der Vicomte Sébastien de Valmont eine perfide Wette ab: Wenn es Valmont gelingt, die tugendhafte Madame Marie de Tourvel zu verführen, dann winkt ihm als Lohn eine Liebesnacht mit der Marquise Isabelle de Merteuil. Madame de Tourvel versucht alles, um Valmonts unverschämten Annäherungen und ihren eigenen erwachenden Leidenschaften zu widerstehen – dabei scheint sie zugleich die erste Frau zu werden, die das Herz des eiskalten Verführers wirklich berührt. Während Madame de Tourvel allmählich Gefühle für den Vicomte Sébastien de Valmont entwickelt, entjungfert dieser nebenbei noch Cécile de Volanges als Freundschaftsdienst für die Marquise Isabelle de Merteuil. Nachdem sich Madame Marie de Tourvel schließlich auf ein Verhältnis mit dem Vicomte Sébastien de Valmont eingelassen hat, spinnt die Marquise Isabelle de Merteuil weitere Intrigen, indem sie von Valmont verlangt, sich von Madame Marie de Tourvel zu trennen, und sich ihren jungen Geliebten Chevalier Raphael Danceny mit Valmont duellieren lässt. Valmont stürzt sich in dessen Klinge, doch vor seinem Tod übergibt er ihm den Schriftverkehr mit der Marquise Isabelle de Merteuil. Durch deren Veröffentlichung verliert diese ihren guten Ruf und verlässt kurz darauf Paris.

Dirk Schäfer (Vicomte Sébastien de Valmont) und Julia Hiemer (Cécile de Volanges), © Hillebrecht/Die Foto-Maus

Der Stoff lieferte die Grundlage für neun Filme, besonders spektakulär war die mit drei Oscars prämierte Verfilmung von Stephen Frears von 1989, in der eine ganze Reihe von Stars mitgewirkt hat: Zwischen Glenn Close (Marquise Isabelle de Merteuil) und John Malkovich (Vicomte Sébastien de Valmont) entspann sich ein eiskaltes Psychoduell, in den weiteren Rollen spielten u. a. Michelle Pfeiffer (Madame Marie de Tourvel), Keanu Reeves (Chevalier Raphael Danceny) und die junge Uma Thurman als Cécile de Volanges. Für die Generation der heute etwa 30-Jährigen war die Adaption „Eiskalte Engel“ aus dem Jahr 1999 von Roger Kumble stilprägend: Buffy-Darstellerin Sarah Michelle Gellar und Mädchenschwarm Ryan Phillippe lieferten sich darin ein Duell der Intrigen im amerikanischen High-School-Milieu, Reese Witherspoon spielte die jungfräuliche Annette Hargrove. Der Briefroman war bereits von Gisle Kverndokk (Musik) und Øystein Wiik (Buch) als Musical (Uraufführung 31. Dezember 2002, Theater Pforzheim, Regie Philipp Kochheim) vertont worden, nun hat das Erfolgsteam des Musicals „Maria, ihm schmeckt´s nicht!“ eine weitere Musicalfassung für die Gandersheimer Domfestspiele geschrieben. Marc Schubring (Musik) und Wolfgang Adenberg (Buch und Liedtexte) arbeiten im Auftrag des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München ebenfalls an dem Stoff (Premiere 22. Februar 2015, Regie Josef Ernst Köpplinger).

Annika Bruhns (Marquise Isabelle de Merteuil) und Dirk Schäfer (Vicomte Sébastien de Valmont), © Hillebrecht/Die Foto-Maus

Heiko Lippmann (Musik), Christian Doll (Liedtexte) und der Kölner Drehbuchautor Andreas Gäßler (Buch) haben aus dem gesellschaftskritischen Sittengemälde des Ancien Régime vor der Französischen Revolution aus dem Jahr 1782 ein kurzweiliges Musical über Leidenschaft, Liebe und Macht geschaffen, das weniger auf Gesellschaftskritik, aber dafür umso mehr auf Humor und mehrdeutige sexuelle Anspielungen setzt und sich damit von einer ausgesprochen unterhaltsamen Seite zeigt. Die Briefe, von denen es in der Attacke gegen den Hoch- und Hofadel von Choderlos de Laclos immerhin 175 Stück gab, spielen auch in der Inszenierung von Christian Doll eine entscheidende Rolle und tauchen in jeder Szene auf. Durch das Bühnengefecht von Vicomte Sébastien de Valmont und Chevalier Raphael Danceny zu Beginn (Fechtchoreografie Christian Ewald) wird das unausweichliche tödliche Ende vorweggenommen, und der Zuschauer erfährt im Verlauf der 140-minüten Aufführung (bei den Gandersheimer Domfestspielen wird grundsätzlich ohne Pause gespielt), wie es dazu kommt. Bühnen- und Kostümbildnerin Cornelia Brey schafft es mit einfachen Mitteln, die Zuschauer im Halbrund vor dem romanischen Westwerk der Stiftskirche an den jeweiligen Ort des Geschehens zu versetzen: linker Hand symbolisieren drei purpurfarbene Stelen mit stilisiertem Lilienmuster und davor befindliche Hocker im Barockstil die französische Hauptstadt, auf der rechten Seite repräsentieren ein Tisch und vier Stühle auf einem flachen Sockel, auf dem das Gemälde „Pèlerinage à l’île de Cythère“ („Einschiffung nach Kythera“) des französischen Malers Jean-Antoine Watteau zu sehen ist, den Landsitz von Madame de Rosmonde. In der Mitte der Bühne, quasi im Zentrum des Geschehens, ein rundes Podest, das mit Notenständer oder Laken zum Musik- oder Schlafzimmer verwandelt oder einfach als Bühne für die Soli der Inszenierung genutzt wird. Die achtköpfige Band unter der Musikalischen Leitung von Patricia M. Martin ist vor dem Bronze-Portal im Westwerk der Stiftskirche untergebracht und bringt Heiko Lippmanns abwechslungsreiche Partitur mit eingängigen Melodien und Anklängen an French Pop und Nouvelle Chanson mit zwei Keyboards musicaltypisch zu Gehör.

Franziska Schuster (Sophie) und Alexander Martin (Azolan), © Hillebrecht/Die Foto-Maus

Annika Bruhns brilliert in der Hauptrolle der intriganten, von Macht besessenen Marquise Isabelle de Merteuil, in ihrem Solo „Ich bin ich, c´est moi“ beschreibt sie ihren „Werdegang“ und offenbart damit die Zwänge, die sie zu ihrer Rolle getrieben haben. Dirk Schäfer gibt als Vicomte Sébastien de Valmont einen humorvollen, zuweilen auch zynischen Verführer, der sich unversehens in das Objekt seiner Begierde verliebt und letztendlich an den Folgen seines Stolzes als Libertin zugrunde geht. Anna Preckeler besticht als diesjährige Absolventin des Studiengangs Musical an der Folkwang Universität der Künste in der Rolle der Madame Marie de Tourvel, glaubhaft macht sie deren Entwicklung nachvollziehbar: Standhaft und resolut weist sie Valmonts Annäherungsversuche zunächst weit von sich („Man kann“ im Duett mit Dirk Schäfer), langsam aber entwickelt sie Gefühle für ihn und lässt sich dann auf ein Verhältnis mit ihm ein („Ich bin bereit“), um schließlich bitter enttäuscht zu werden. Herrlich unbedarft spielt Julia Hiemer die unschuldige Klosterschülerin Cécile de Volanges, die von Chevalier Raphael Danceny Gesangsunterricht erhält und gar nicht recht weiß, wie ihr geschieht, als sie von Valmont verführt wird: „Was ist geschehen?“ Leider klang ihre Stimme in der besuchten Vorstellung über die neue Tonanlage ein wenig dumpf. Pascal Höwing gibt seinen Chevalier Raphael Danceny einmalig unbeholfen, sein Tanz mit dem Notenständer in feinster Slapstick-Manier sorgt für zusätzliche Lacher. Franziska Schuster ist dagegen in der Doppelrolle der Hausangestellten Sophie und der Prostituierten Emilie stets mit vollem (Körper-) Einsatz bei der Sache und zeigt ganz direkt, dass es in diesem Spiel immer nur um das eine geht, nämlich Sex. Die (gesellschaftliche) Position spielt dabei überhaupt keine Rolle, was sie in ihrem Duett „Unten und oben“ mit Alexander Martin als Valmonts Kammerdiener Azolan eindeutig zweideutig zu verstehen gibt. In weiteren Rollen sind Rebecca Simoneit-Barum als Céciles besorgte Mutter Madame de Volanges und Christine Dorner als Valmonts schräge Tante Madame de Rosemonde zu sehen.

Anna Preckeler (Madame Marie de Tourvel), © Hillebrecht/Die Foto-Maus

Mit „Gefährliche Liebschaften“ ist den Gandersheimer Domfestspielen erneut ein humorvolles, kurzweiliges Stück musikalisches Unterhaltungstheater gelungen. Das Gros der Zuschauer dürfte dies, gemessen am Schlussapplaus, ähnlich empfunden haben. Wer allerdings die Art von Humor nicht mag und am Ende nicht einmal die bemerkenswerte Leistung der Akteure mit dem gebührenden Applaus zu schätzen weiß, der sollte sich vielleicht vorab informieren und kann sich dadurch womöglich eine Enttäuschung ersparen, zumal es sich bei der besuchten Vorstellung um eine Folgevorstellung gehandelt hat. „Gefährliche Liebschaften“ steht nochmals am 16., 21. und letztmalig am 24. August 2014 auf dem Spielplan der 56. Gandersheimer Domfestspiele.

Stiftskirche

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