Anhaltisches Theater Dessau: „Casanova“

„Casanova“ – nach der Geschichte des Venezianers Giacomo Casanova; Musik: Stephan Kanyar; Lyrics, Buch: Andreas Hillger; Inszenierung: Christian von Götz; Choreografie: Carlos Matos; Kampfchoreografie: Sebastian Müller-Szahl; Bühne, Kostüme: Ulrich Schulz; Dramaturgie: Felix Losert; Musikalische Leitung: Daniel Carlberg. Darsteller: Patrick Stanke (Casanova), Roberta Valentini/Karen Helbing (Henriette), Karen Helbing/Anne Weinkauf (Constanze, Henriettes Tochter), Adam Fenger (Conte Querini), André Eckert (Leporello, Casanovas Diener), Alexander Dubnov (Vater einer Geliebten Casanovas), Alexandra Joel, Anne Weinkauf (Nonnen), Kristina Baran, Grażyna Fenger (Schwestern), Constanze Wilhelm (Die Alte), Gerit Ada Hammer (Braut), Ines Peter (Brautmutter), Stephan Biener (Koch), Jeannette Spexárd, Noriko Kishida (Zofen), Christian Most (Graf), Opernchor, Ballett und Statisterie des Anhaltischen Theaters Dessau. Uraufführung: 4. Juli 2014, Anhaltisches Theater Dessau.



„Casanova“


Uraufführung am Anhaltischen Theater Dessau


Patrick Stanke (Casanova); © Claudia Heysel

Bis heute steht der Name „Casanova“ für Liebesabenteuer, waghalsige Affären und spannende Mantel- und Degen-Geschichten in jener Zeit, als man noch mit dem Degen in der Hand um seine Ehre kämpfte, als Liebhaber noch Stil hatten und Frauen noch wie Königinnen umworben wurden. Der Lebemann Giacomo Casanova (* 2. April 1725 in Venedig, † 4. Juni 1798 auf Schloss Duchcov (Dux) im Königreich Böhmen), der aus den berüchtigten Bleikammern seiner Heimatstadt Venedig entkam und nach Reisen durch ganz Europa schließlich auf Schloss Duchcov im Norden Tschechiens seinen Altersruhesitz fand, wurde vor allem durch seine zahlreichen Affären mit Frauen jeden Alters und Standes zur Legende. Die Frauen verehrten Casanova, obwohl er seine Geliebten am Ende immer verließ. Komponist Stephan Kanyar, der bereits die Musicals „Frankenstein“ (Uraufführung 5. Dezember 2004, Stadttheater Ingolstadt, Regie Pierre Wyss), „Lulu – Das Musical“ (Uraufführung 15. Mai 2010, Tiroler Landestheater, Innsbruck, Regie Pierre Wyss), „Shylock!“ (Uraufführung 5. Mai 2012, Tiroler Landestheater, Innsbruck, Regie Pierre Wyss) und „Die Erschaffung der Welt – Das Musical“ (Uraufführung 15. Dezember 2012, Grillo-Theater, Essen, Regie Caroline Stolz) und Soundtracks für Bühne und Fernsehen komponiert hat, unterstrich im Vorfeld der Uraufführung gemeinsam mit dem Textautor Andreas Hillger das besondere Privileg, dieses Werk mit einem großen Orchester wie der Anhaltischen Philharmonie realisieren zu können.

Roberta Valentini (Henriette); © Claudia Heysel

Zum Inhalt:
Als Giacomo Casanova seinen Liebesabenteuern nachgeht, wird er vom Vater einer seiner Geliebten entdeckt, der ihn zum Duell herausfordert und dabei im Kampf stirbt, nicht ohne Casanova zuvor zu verfluchen. Dieser stürzt sich in die Freuden des venezianischen Karnevals und wird von Frauen jedes Standes und jeden Alters umschwärmt. Als die Büttel der venezianischen Inquisition mit ihrem Inquisitor Conte Querini versuchen, den vermeintlichen Störer der öffentlichen Ordnung gefangen zu nehmen, tritt dem bedrängten Helden ein junger Mann zur Seite und kämpft ihn mit dem Degen frei – wie sich herausstellt, ist es eine junge Frau, die von Casanova Henriette genannt werden möchte und ihm niemals verraten wird, dass sie die Gräfin Querini ist. Casanova verliebt sich, doch nach einer Affäre verlässt ihn die schöne Henriette. Casanova gibt sich erneut allen sinnlichen Genüssen hin und wird diesmal verhaftet. Er muss seine Strafe in den gefürchteten Bleikammern verbüßen. Ein letztes Mal besucht ihn Henriette hier, um sich von ihm zu verabschieden und ihm zur Flucht zu verhelfen. Viele Jahre später begegnet der alt gewordene Casanova auf Schloss Dux, wo er sich als Bibliothekar verdingt, einer jungen Frau aus seiner Vergangenheit. Die mysteriöse Dame überbringt ihm einen Brief der längst verstorbenen großen Geliebten. Als Casonava begreift, dass Constanze seine Tochter ist und Henriette nicht mehr lebt, verlässt auch ihn jeder Lebenswille. In einer Vision erscheint dem Sterbenden die Gestalt des Vaters einer Geliebten, den er im Duell tötete, als Bote der Hölle, und so muss Casanova für seine Schuld büßen, die er einst auf sich lud.

Joshua Swain und Patrick Stanke (Casanova); © Claudia Heysel

Im Musical „Casanova“ verbinden sich historische Fakten und Fiktion zu einem poetisch-fantasievollen Spiel um die historische Gestalt des venezianischen Schriftstellers und Abenteurers Giacomo Casanova, im Zentrum des Geschehens steht die große Liebe zu einer Französin namens Henriette. Die Begegnung mit dieser Frau, die ihm in Männerkleidung über den Weg lief und offenbar ein großes Geheimnis hütete, schilderte der legendäre Frauenheld in seinen Memoiren – ebenso wie die schmerzliche Trennung nach einer wunderbaren Affäre. Dass er in diesem Fall verlassen wurde, statt das Ende selbst bestimmen zu können, ist ebenso authentisch wie die Auseinandersetzung mit der Inquisition oder seine verbitterten Jahre als Bibliothekar auf Schloss Dux. Eine Erfindung der Autoren ist hingegen Henriettes Rolle bei Casanovas Flucht aus den Bleikammern. Ob auf Schloss Dux tatsächlich eine Tochter namens Constanze auftauchte, Giacomo Casanova hatte eine unbestimmte Zahl eigener Kinder, von denen er nur teilweise wusste, darf hingegen als Möglichkeit angenommen werden: Casanovas Memoiren, die zur Weltliteratur zählen und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden, brechen mit der Rückkehr des 49-jährigen Casanova nach Venedig im Jahr 1774 ab. Das Musical zieht zudem eine Parallele zu einem der berühmtesten Werke der Operngeschichte, das Casanova tatsächlich gekannt hat: Mozarts „Don Giovanni“ taucht sowohl in der Gestalt des Dieners Leporello als auch in der Figur des ermordeten Vaters einer Geliebten Casanovas auf und motiviert schließlich das große Finale.

Patrick Stanke (Casanova), Opernchor und Ballettensemble des Anhaltischen Theaters; © Claudia Heysel

André Bücker, Generalintendant des Anhaltischen Theaters, sieht das deutsche Stadttheater für die Entwicklung neuer Werke jenseits der normalen Repertoire-Pflege in der Verantwortung, weshalb das Anhaltische Theater das Musical „Casanova“ bei den Autoren in Auftrag gegeben hat. Doch neue Werke erfordern Mut… und Geld, wo doch die Politik unlängst die Schließung von Ballett und Schauspiel am Anhaltischen Theater gefordert hatte, was durch das solidarische Verhalten der betroffenen Mitarbeiter abgewendet werden konnte. Neben all den Blumenmädchen namens Eliza Doolittle, Präsidenten­gattinen namens Eva Perón und Ex-Frauen namens Lilli Vanessi, die im „Stück im Stück“ die widerspenstige Katharine Minola geben, ist dem Anhaltischen Theater mit „Casanova“ auf der deutschsprachigen Musicalbühne sicher eine außergewöhnliche Produktion gelungen, dafür bürgen allein schon die 50 Darsteller auf der Bühne und 48 Musiker im Orchestergraben, die dem Zuschauer sowohl optisch als auch akustisch jede Menge zu bieten haben. Bei den opulenten, zum größten Teil historischen Kostümen und phantasievollen Bühnenbildern von Bühnen- und Kostümbildner Ulrich Schulz bekommt der Zuschauer den passenden Kontext geboten, der Karneval in Venedig und die Collage aus verschneiter Gebirgslandschaft, Friedhof und Bibliothek im Schloss Dux zum Finale, bei dem der im Duell getötete Vater einer Geliebten Casanovas auf dem stilisierten Degen als Bote der Hölle in das Szenario tritt – der Tod auf der Feile lässt schön grüßen – geben ein beredtes Beispiel für die Möglichkeiten der Stadttheaterproduktion, die glücklicherweise nicht in häufig bei kommerziellen Produktionen anzutreffenden „Ausstattungsorgien“ untergeht, sondern den Fokus auf die Darsteller richtet. Die Anhaltische Philharmonie Dessau unter der Musikalischen Leitung von Daniel Carlberg bringt Stephan Kanyars abwechslungsreiche Partitur mit Chorsätzen, berührenden Balladen und Up-tempo-Songs opulent besetzt und wohlklingend zu Gehör, erfreulicherweise geraten dabei die Singstimmen nicht ins Hintertreffen.

Roberta Valentini (Henriette) und Patrick Stanke (Casanova); © Claudia Heysel

Mit Patrick Stanke und Roberta Valentini in den Hauptrollen stehen in Dessau zwei gefragte und erfolgreiche Musical­dar­steller auf der Bühne, die aus der deutschsprachigen Musicalszene nicht mehr wegzudenken sind. Nicht zum ersten Mal stehen die beiden als Liebespaar auf der Bühne, bereits im Musical „Marie Antoinette“ konnten sie als Königin von Frankreich und Graf Axel von Fersen nicht zusammen kommen. Mit lang herabhängendem Haarschopf und einer Vorliebe für rote Bekleidung ist Patrick Stanke in der Rolle des lebenslustigen Frauenhelden zu sehen, der sich im venezianischen Karneval vor Verehrerinnen kaum retten kann, darunter sogar lüsterne Nonnen in Strapsen, aber eigentlich eher auf der Flucht vor genau diesen und vor sich selbst ist, bis er Henriette, der Liebe seines Lebens begegnet, gespielt von Roberta Valentini, in die er sich auf der Stelle leidenschaftlich verliebt. Ganz große Gefühle kommen zum Ausdruck, wenn Patrick Stanke Henriette mit „Schenk mir eine Stunde Dein Leben“ seine Liebe erklärt und sie für immer für sich gewinnen möchte, und nicht weniger pathetisch lässt Roberta Valentini Casanova mit „Ich darf Dich nicht lieben“ wissen, dass er seine Freiheit für sie nicht aufgeben darf. Als weitere Musicaldarstellerin ist Karen Helbing (aktuell Schwester Mary Kitty in „Sister Act – Das Broadway-Musical“) als Newcomerin in der Rolle von Henriettes Tochter Constanze zu sehen, die mit „Schenk mir noch einmal mein Leben“ im Duett mit Patrick Stanke nachhaltig auf sich aufmerksam machen kann.

Karen Helbing (Constanze, Henriettes Tochter) und Patrick Stanke (Casanova); © Claudia Heysel

In den übrigen Rollen sind Solisten sowie Mitglieder des Opernchores des Anhaltischen Theaters zu erleben: Bassist André Eckert, ab der Spielzeit 2014/15 festes Ensemblemitglied, kommt als Casanovas Diener Leporello optisch mit schwarzer Sonnenbrille eher als Altrocker daher, sein klassischer Hintergrund ist aber unüberhörbar. Adam Fenger verkörpert Casanovas Gegenspieler, den Inquisitor Conte Querini, überzeugend sittenstreng, was das Verhältnis seiner Gattin mit Casanova beinahe folgerichtig erscheinen lässt. Nicht zu vergessen Alexander Dubnov als Vater einer Geliebten Casanovas, auch wenn dieser – im Duell mit selbigem bereits schwer verwundet – im Sterben liegend frisch wie der junge Morgen seinen Fluch über Casanova schmettert.

Patrick Stanke (Casanova) und Karen Helbing (Constanze, Henriettes Tochter); © Claudia Heysel

Das Premierenpublikum bedankte sich nach knapp zwei­ein­halb­stündiger Aufführung mit begeistertem, minuten­langem Stehapplaus für eine kurzweiligen, ansprechenden Abend. „Casanova“ wird in der Spielzeit 2014/15 am 12. September 2014 wiederaufgenommen und steht bis 24. Mai 2015 auf dem Spielplan. Zur Wiederaufnahme soll auch die Castaufnahme im Anhaltischen Theater erhältlich sein.

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