Theater und Konzerthaus Solingen: „Evita“

„Evita“ – nach der Lebensgeschichte von Eva Perón; Musik: Andrew Lloyd Webber, Lyrics, Buch: Tim Rice; Inszenierung, Choreografie: Aurelia Eggers; Choreografie Tango Argentino: Doña Piedra, Bühne: Jürgen Lier; Kostüme: Veronika Lindner; Musikalische Leitung: Tobias Deutschmann. Darsteller: Patrick Stanke (Che), Banu Böke (Eva Perón), Olaf Heye (Juan Perón), Annika Boos (Mistress, Peróns Geliebte vor Eva), Boris Leisenheimer (Agustín Magaldi) u. a. Uraufführung: 21. Juni 1978, Prince Edward Theatre, London. Broadway Premiere: 25. September 1979, Broadway Theatre, New York City. Deutschsprachige Erstaufführung: 20. Januar 1981, Theater an der Wien, Wien. Premiere: Theater und Konzerthaus Solingen, 24. Mai 2013.



„Evita“


Eva Peróns Biographie als Rock-Oper


Schon zu Lebzeiten eine schillernde Legende, erlangte María Eva Duarte de Perón (* 7. Mai 1919 in Los Toldos, Argentinien, † 26. Juli 1952 in Buenos Aires) nach ihrem tragisch frühen Ende Kultstatus. Aus ärmlichsten Verhältnissen arbeitete sie sich durch die Hochzeit mit Juan Domingo Perón (* 8. Oktober 1895 in Lobos, † 1. Juli 1974 in Olivos, Buenos Aires) in märchenhafter, aber ebenso rücksichtloser Art und Weise zur Primera Dama („First Lady“) Argentiniens empor. Als Kämpferin für die Rechte des einfachen Volkes wurde sie verehrt wie eine Heilige. Retrospektiv ab ihrem Sterbetag am 26. Juli 1952 betrachtet der junge Student Che Guevara Evitas Leben: Nach einer ärmlichen Kindheit in Junín überredet die 15-jährige Eva Duarte den Tangosänger Agustín Magaldi (* 1. Dezember 1898 in Casilda, Provinz Santa Fe, † 8. September 1928 in Buenos Aires), sie mit nach Buenos Aires zu nehmen. Dort angekommen wirft sich die schöne junge Frau ins Stadtleben und verfolgt beharrlich ihr Ziel, Schauspielerin zu werden. Ihre zahlreichen Liebhaber ermöglichen ihr den gesellschaftlichen Aufstieg, bis sie am 22. Januar 1944 bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung auf General Juan Perón trifft. Schnell erkennen die beiden, dass sie sich in vielerlei Hinsicht ideal ergänzen. Eva wirft Peróns junge Geliebte aus seinem Haus und verlegt ihre Ambitionen von der Bühne auf die Politik, was von Militär und Feudalaristokratie höchst misstrauisch beobachtet wird. Nach der Hochzeit überzeugt Eva ihren Mann, dass nur er die sozialen Probleme des Landes lösen kann, und damit der ideale Regierungschef ist. Durch die Unterstützung von Arbeitern, Bauern und Gewerkschaften gelingt Perón am 4. Juni 1946 der Wahlsieg und Eva ist am Ziel ihrer Wünsche. Auf ihrer Goodwill-Tour durch Europa (der berühmten „Rainbow Tour“) lässt sie sich als argentinische First Lady feiern und gründet nach ihrer Rückkehr in Argentinien am 8. Juli 1948 die „Fundación María Eva Duarte de Perón“. Von den Armen wird sie als Engel der Nation gefeiert, die Spendengelder fließen reichlich für die Wünsche mittelloser Bittsteller – aber auch dubiose Kanäle. Im Militär wächst der Widerstand gegen Eva, wirtschaftliche und soziale Spannungen verursachen Kritik an Peróns Politik und Aufruhr im Land, und Eva erfährt, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt ist. Trotzdem ist sie entschlossen, als Vizepräsidentin zu kandidieren, doch letztendlich zwingt die Krankheit sie zum Verzicht. In einer Rundfunkansprache verkündet sie ihre Entscheidung und erringt damit einen letzten Triumph. Sterbend schwört Eva ewige Liebe zu Argentinien.

Andrew Lloyd Webber und Tim Rice machten Eva Perón in ihrem Musical mit Nummern wie „Don´t cry for me, Argentina“, „Buenos Aires“ oder „High flying, adored“ unsterblich. 1974 begannen der Komponist und sein Librettist, die schon 1971 mit „Jesus Christ Superstar“ einen Welterfolg erzielt hatten, mit der Arbeit an dem Musical. Bereits vor der Londoner Premiere präsentierten sie 1976 die durchkomponierte, moderne Rockoper zunächst als Konzeptalbum der Öffentlichkeit. Am 21. Juni 1978 feierte „Evita“ mit Elaine Paige in der Titelrolle und David Essex als Che in der Regie von Herold Prince seine umjubelte Uraufführung am Prince Edward Theatre in London, und nur ein Jahr später am 8. Mai 1979 folgte die amerikanische Erstaufführung im Dorothy Chandler Pavilion des Los Angeles Music Center, am 25. September 1979 die Broadway Premiere am Broadway Theatre mit Patti LuPone als Eva und Mandy Patinkin als Che. Die Produktion wurde 1980 mit sieben Tony Awards ausgezeichnet, unter anderem als erste britische Produktion als bestes Musical. Am 20. Januar 1981 folgte die deutschsprachige Erstaufführung in der assoziationsgetreuen Bearbeitung von Michael Kunze mit Isabel Weicken in der Titelrolle und Alexander Goebel als Che in der Regie von George Martin am Theater an der Wien, und die erste deutsche Produktion ging am 19. Mai 1986 am Theater Oberhausen mit Olivia Molina als Eva Perón in der Inszenierung von Fritzdieter Gerhards über die Bühne. Der grandiose Kunstgriff, die Figur des international bekannten Revolutionärs Ernesto „Che“ Guevara (* 14. Mai 1928 in Rosario, Argentinien, † 9. Oktober 1967 in La Higuera, Bolivien) als Erzähler einzubauen, der Evas Leben und Sterben subjektiv und kritisch kommentiert, obwohl sich die beiden im realen Leben niemals begegnet sind, schafft den perfekten dramaturgischen Rahmen um die Biographie der argentinischen Polit-Legende Eva Perón. Che verleiht dem demokratischen Widerspruch einer gesichtslosen Masse als Vertreter des Volkes ein konkretes Gesicht.

Mit Ausnahme von Patrick Stanke als junger Student Che Guevara sind alle tragenden Rollen aus dem festen Opernensemble der Wuppertaler Bühnen besetzt. Doch gerade die klassisch ausgebildeten Sänger bedienen Andrew Lloyd Webbers Kompositionen mit einer Mischung aus Rock, Pop, Oper und lateinamerikanischen Rhythmen nicht immer so, wie man es in einer Rock-Oper erwartet. Besonders auffällig war dies bei „Another suitcase in another hall“. Patrick Stanke ist als Kommentator und Chronist beinahe ständig auf der Bühne und liefert sowohl gesanglich als auch darstellerisch eine herausragende, durchweg überzeugende Leistung ab, mit seinen teilweise sarkastischen Kommentaren rückt er das Bild der glorifizierten Polit-Legende Eva Perón zurecht. Banu Böke versucht in der Rolle der Eva Perón, möglichst viele Facetten der zweitklassigen Schauspielerin zu zeigen, die aus bitterster Armut zur Frau des mächtigen argentinischen Diktators aufsteigt und von den „Descamisados“ als Heilige verehrt wird, um am Ende von ihrem Krebsleiden gezeichnet aus dem Leben zu scheiden. Die übrigen Rollen im Stück sind eher als klein und oberflächlich zu bezeichnen, als dass sich die Darsteller wirklich nachdrücklich ins Gedächtnis der Zuschauer spielen könnten. Olaf Heye kann als Juan Perón in „She is a Diamond“ auf sich aufmerksam machen, Annika Boos legt in ihrem Auftritt als Juan Peróns Geliebte „Another suitcase in another hall“ für mein Empfinden zu klassisch an, doch das ist Geschmacksache. Ihre gesangliche Leistung war nämlich in jedem Fall einwandfrei. Opern-, Extra-, Kinderchor und Statisterie der Wuppertaler Bühnen stellen das zahlenmäßig starke Ensemble.

Aurelia Eggers, die für Regie und Choreografie verantwort­lich zeichnet, verzichtet in ihrer kinematographischen Inszenierung auf Experimente und stellt stattdessen die biografischen Aspekte des Musicals heraus, die in ihrer Authentizität durch das Bühnenbild von Jürgen Lier unterstützt wird, das sich bisweilen in einen historisch anmutenden Kinosaal verwandelt, in dem Schwarzweißfilme die Ereignisse dokumentieren. In Solingen wurde die englische Originalfassung mit deutschen Übertiteln gezeigt, wodurch auch die des Englischen nicht so mächtigen Zuschauer dem Geschehen auf der Bühne gut folgen können. Veronika Lindner hat die authentischen Kostüme im Look der 1930er bis 1950er Jahre entworfen, die auch Eva Perón häufig als Frau des einfachen Volkes zeigen. Die aus anderen Inszenierungen bekannte luxuriös weiße Robe bei „Don´t cry for me, Argentina“ sucht man hier vergeblich. In einer lateinamerikanischen Choreografie mit dem großen Ensemble schildert Aurelia Eggers in „Buenos Aires“ schwungvoll das pulsierende Leben in der argentinischen Hauptstadt, und was läge näher, da die Zeit zwischen 1935 und 1955 auch als das Goldene Zeitalter des Tangos bezeichnet wird, mit zusätzlicher Unterstützung von TänzerInnen des „Estudio de Tango“ auch einen Tango Argentino in der Choreografie von dessen Leiterin Doña Piedra zu zeigen. Die zahlenmäßig mit etwa 30 Musikern im Orchestergraben stark besetzten Bergischen Symphoniker brachten Andrew Lloyd Webbers Partitur unter der Musikalischen Leitung von Tobias Deutschmann opulent zu Gehör.

Das Premierenpublikum im Pina-Bausch-Saal des Theater und Konzerthauses Solingen war begeistert und bedachte die Leistung von Darstellern, Musikern und Kreativen mit langanhaltendem Applaus. Am 5. Oktober 2013 wird das Musical mit dem Sinfonieorchester Wuppertal am Opernhaus Wuppertal seine Premiere feiern.

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