Ich war noch niemals in New York

„Ich war noch niemals in New York“ – mit den Songs von Udo Jürgens; Buch: Gabriel Barylli, Christian Struppeck; Regie: Carline Brouwer; Choreografie: Kim Duddy; Bühne: David Gallo; Kostüme: Yan Tax; Licht: Andy Voller, Richard G. Jones; Orchestrierung und Musical Supervisor: Michael Reed; Musikalische Leitung: Martin Gallery. Darsteller: Charlotte Heinke (Lisa Wartberg), Karim Khawatmi (Axel Staudach), Gisela Kraft (Maria Wartberg), Ernst Wilhelm Lenik (Otto Staudach), Uli Scherbel (Fred Hoffmann), Vladimir Korneev (Costa Antonidis), Nico Felix Zoll (Florian), Markus Düllmann (Kapitän), Eric Minsk (Steward), Cemile Bakanyildiz (Frau Menzel), Susanna Panzner (Frau Alteisen), Nina Janke, Esther Mink, Alison J. Norwell, Jennifer Pöll, Tara Randell, Máté Gyenei, Nic Ineson, Patrick John Rebullida, Patrick Schenk, Marc Schlapp, Florian Theiler, Tobias Weis. Uraufführung: 2. Dezember 2007, Operettenhaus Hamburg. Premiere: 5. Dezember 2012, Stage Metronom Theater am CentrO Oberhausen.



„Ich war noch niemals in New York“


Das Musical-Traumschiff hat am Rhein-Herne-Kanal festgemacht


Als „Ich war noch niemals in New York“ im Dezember 2007 in St. Pauli vom Stapel lief, sollte das Musical auf alle Fälle ein Erfolg werden, war es doch schließlich die erste Eigen­produktion der Stage Entertainment in Deutschland. Schaut man sich die weitere Fahrtroute an, so scheint die Rechnung bisher aufgegangen zu sein. Immerhin blieb es bis September 2010 in Hamburg vor Anker liegen, während ein Schwester­schiff bereits im März 2010 an der Donau in Wien vor Anker ging und die Vereinigten Bühnen Wien dort bis Juni 2012 das Kommando übernahmen. Knapp zwei Monate nach Beendigung der Liegezeit in Hamburg ging man im November 2010 für annähernd zwei Jahre bis Oktober 2012 am Neckar in Stuttgart vor Anker, das Schwesterschiff aus Wien machte sich im Anschluss auf den Weg zur Limmat nach Zürich, wo im November 2012 Premiere gefeiert wurde. In der Zwischenzeit war sogar ein zweites Schwesterschiff in Fernost vom Stapel gelaufen, vom 29. Oktober bis 20. November 2011 brachte Toho Co. Ltd. Aufführungen in japanischer Sprache im Imperial Garden Theater in Tokio auf die Bühne. Am 5. Dezember 2012 hat das musicalische Traumschiff nun am Rhein-Herne-Kanal in Oberhausen festgemacht, eine ganze Reihe von Besatzungs­mitgliedern aus Stuttgart (Charlotte Heinke, Karim Khawatmi, Ernst Wilhelm Lenik, Uli Scherbel u. a.) sind gleich an Bord geblieben.

Der österreichische Dramatiker Gabriel Barylli hat mit Koautor Christian Struppeck die auf einer Idee von Hera Lind basierende Geschichte weiterentwickelt und unter Einbeziehung von 20 der bekanntesten Songs von Udo Jürgens das Buch zu dem Jukebox-Musical „Ich war noch niemals in New York“ geschrieben. Der toughen Fernseh­moderatorin Lisa Wartberg geht nichts über ihre Karriere, ein nicht näher bezeichneter deutscher Fernsehpreis ist das Ziel ihrer Träume. Da bleibt natürlich keine Zeit für ihre Mutter Maria, die im Seniorenheim lebt und dort Otto Staudach kennengelernt hat. Beide möchten sich ihren Lebenstraum erfüllen und unter der Freiheitsstatue in New York heiraten. Kurzentschlossen machen sich die älteren Herrschaften auf den Weg und besteigen in Triest das Kreuzfahrtschiff „MS Atlantik“ nach Amerika. Natürlich fällt das Verschwinden im Seniorenheim auf, und so droht die Leiterin damit, die beiden Plätze anderweitig zu vergeben, sollten Maria und Otto nicht innerhalb von einer Woche wieder zurück sein. Gezwungener­maßen nehmen Lisa Wartberg, Ottos Sohn Axel und dessen Junior Florian die Verfolgung auf, wobei sie die „MS Atlantik“ in Triest natürlich verpassen. Statt mit dem Auto auf direktem Wege nach Genua zu fahren, einer weiteren Station des Kreuzfahrtschiffes auf dem Weg nach Amerika, verlassen sie sich lieber auf ein Navigationssystem, dass sie prompt zunächst nach Oberhausen führt, eh es wieder Richtung Süden nach Ligurien geht. In letzter Minute erreichen Lisa, Axel und Florian die „MS Atlantik“ in Triest, woraufhin es an Bord zu temperamentvollen Verwicklungen kommt, denn auch Lisa und Axel verlieben sich ineinander. Auch Lisa Wartbergs bester Freund, Vertrauter und Stylist Fred Hoffmann und dessen Lover und Aufnahmeleiter Costa Antonidis sind mit an Bord und sollen Lisa dort abholen. Maria und Otto schaffen es zunächst, in der Menge unter­zu­tauchen, doch Florian gelingt es schließlich, die beiden ausfindig zu machen. Nach langer Zeit sprechen sich Maria und ihre Tochter Lisa sowie Otto und sein Sohn Axel offen miteinander aus. Lisa scheint am Ziel ihrer Träume angekommen zu sein, als sie die Nachricht erhält, dass ihr in Köln der deutsche Fernsehpreis überreicht werden soll. Sie packt ihre Koffer und lässt Axel enttäuscht zurück. Doch als sich alle zur Fernsehübertragung der Preisverleihung zusammengefunden haben, taucht Lisa ebenfalls persönlich auf, sie hat inzwischen erkannt, „was wichtig ist“.

„Ich war noch niemals in New York“ ist offensichtlich kein biografisches Musical, dennoch gibt es eine Parallele zur Biografie des österreichischen Komponisten und Sängers: Udo Jürgens hat am 4. Juli 1999 – dem Independence Day in den Vereinigten Staaten von Amerika – in New York Corinna Reinhold geheiratet. In Oberhausen kommt die überarbeitete Wiener Fassung in der Regie von Carline Brouwer zur Aufführung, in der die Südsee-Sequenz im Reisebüro durch eine Traum-Sequenz in New York City ersetzt wurde. Die Handlung des Compilation-Musicals ist ziemlich vorhersehbar, und gerade im zweiten Akt reihen sich die Songs von Udo Jürgens nahezu nahtlos aneinander, lediglich von knappen Dialogen unterbrochen. Doch genau dies ist der stärkere Teil des Abends, hier finden sich die großen Hits wieder, die in den Arrangements von Michael Reed einfach für gute Laune sorgen und die Handlung in den Hintergrund treten lassen. Da zu fast jedem Song auch noch das Tanzensemble auf der Bildfläche erscheint (Choreografie Kim Duddy), bekommt das Ganze eher Showcharakter. Die Figuren sind allesamt klischeehaft gezeichnet, wenn nicht überzeichnet. Auf zwei Nebenfiguren, die den Aufführung in Hamburg, Stuttgart, Wien, Zürich und nun Oberhausen das entsprechende Lokalkolorit verleihen sollen, möchte ich noch gesondert eingehen. Wer kennt sie im Ruhrgebiet nicht, die Bühnenfigur Adolf Tegtmeier des unvergessenen Jürgen von Manger, der die Sprache des Ruhrgebiets-Bürgers bis ins Komische überzeichnete, so dass man sich fast nicht vorstellen kann, auf seine Darstellung noch „eine Schippe draufzulegen“. Frau Alteisen, die Leiterin des Altenheims, wurde aber genau dazu „verdonnert“. Frau Menzel, die Angestellte des Reisebüros, spricht dagegen derart radebrechend Deutsch, dass sie wahrscheinlich nicht einmal einen Einbürgerungstest bestanden hätte. Beide Figuren werden dadurch der Lächerlichkeit preisgegeben, bei ihnen geht mir die Überspitzung einfach zu weit. Das Bühnenbild von David Gallo ist auch auf der kleinen Bühne des Metronom Theaters in Oberhausen üppig ausgefallen, wenngleich das Sonnendeck der „MS Atlantik“ etwas kleiner erscheint als in vorherigen Inszenierungen. Die namensgebende „MS Atlantik“ hat es wirklich gegeben, das Frachtmotorschiff wurde 1952 von den Kieler Howaldtswerken gebaut und im Januar 1979 in La Spezia abgewrackt. In den anfänglichen Szenen im ersten Akt werden die Essener Skyline (RWE-Turm und der Firmensitz der Evonik Industries AG) sowie der Gasometer Oberhausen auf die Hintergrundprospekte projiziert (Video-Design Arjen Klerkx und Coen Bouman).

Charlotte Heinke als prominente Fernsehmoderatorin Lisa Wartberg und Karim Khawatmi als charmanter Wild­tier­fotograf Axel Staudach geben ein glänzendes Paar ab. Charlotte Heinke verleiht der knallharten Karrierefrau, die mehr Ihrem Verstand als Ihrem Instinkt vertraut, den entsprechenden Biss. Indem sie auch ihren weichen Kern durchblicken lässt, versucht sie, Lisas 180-Grad-Kehrtwende möglichst glaubwürdig und plausibel erscheinen zu lassen. Karim Khawatmi genießt als alleinerziehender Sympathieträger Axel nach einer gescheiterten Ehe ein abwechslungsreiches Singledasein, möchte aber dennoch eine neue Bindung eingehen und beweist im verbalen Schlagabtausch mit Lisa viel Sinn für Humor und Selbstironie. Mit Gisela Kraft als Lisas Mutter und rüstige Seniorin Maria Wartberg und Ernst Wilhelm Lenik als Axels Vater Otto Staudach stehen in Oberhausen zwei Schauspieler auf der Bühne, die dem verliebten Seniorenpärchen humorvoll Gestalt verleihen. Auch wenn ihre gesanglichen Leistung denen der jüngeren Musical-Darsteller nicht ebenbürtig sind, so machen sie diese leichte Schwäche durch die glaubhaft gespielte Liebesbeziehung wieder wett. Uli Scherbel zieht als Lisas bester Freund und Stylist Fred Hoffmann durch seine extrovertierte Haltung die Aufmerksamkeit auf sich, Vladimir Korneev als Lisas Aufnahmeleiter und Freds Lover Costa Antonidis bedient das Klischee des „schönen Griechen“ vortrefflich. Als schwules Paar räumen sie mit ihren beiden Songs „Ein ehrenwertes Haus“ und „Griechischer Wein“ mächtig ab. Nico Felix Zoll durfte am Premierenabend als jüngstes Ensemblemitglied und Axel Staudachs schlagfertiger, cooler Sohn Florian den Song „Mit 66 Jahren“ performen, doch leider ging sein Gesang nach den ersten Zeilen im Ensemble unter, auch nach der Erweiterung der Tonanlage im Metronom Theater scheint die Tonabmischung noch nicht auf allen Plätzen unter der Zeltdachkonstruktion wirklich optimal zu sein. Eric Minsk hat in der Nebenrolle des überdrehten Stewards durch seinen übertriebenen Arbeitseifer die Lacher auf seiner Seite. Susanna Panzner als Leiterin des Seniorenheims Frau Alteisen und Cemile Bakanyildiz als Angestellte eines Reisebüros Frau Menzel sind wie bereits beschrieben mit unsäglich übertriebenem Ruhrgebiets-Deutsch bzw. lückenhaften Deutsch-Kenntnissen gestraft. Da beide Figuren im weiteren Verlauf der Handlung nicht mehr auftauchen, wäre bei ihnen weniger einfach mehr gewesen. Ein insgesamt versiertes, spielfreudiges Ensemble sorgt in Oberhausen souverän für gute Laune.

Udo Jürgens äußerte sich nach der Premiere euphorisch: „Eine der besten Vorstellungen, die ich je gesehen habe.“ Auch das übrige Premierenpublikum war begeistert und feierte nach der Vorstellung beschwingt weiter. Ein kleiner Wermutstropfen bleibt am Ende aber doch. Ob sich nämlich Tickets der Preiskategorie 1 zum Normalpreis von knapp 127 Euro am Samstagabend in dieser Region problemlos absetzen lassen, halte ich für fragwürdig: Nach dem jüngst veröffentlichten Bericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist das Ruhrgebiet besonders von Armut bedroht, im fünftgrößten Ballungsgebiet Europas gibt es sehr hohe Armutsquoten mit seit Jahren steigender Tendenz. Der Rhein-Herne-Kanal mag zwar nicht besonders tief sein, aber auch hier sind schon Schiffe gesunken.

Eisbombe nach der „Kollision“ mit dem Premierenpublikum

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