Warum die Sisi immer noch nicht munter untergeht

„Elisabeth“ – Musik: Silvester Levay; Buch, Lyrics: Michael Kunze; Regie: Harry Kupfer; Choreografie: Dennis Callahan; Bühne: Hans Schavernoch; Kostüme: Yan Tax; Lichtdesign: Hans Toelstede; Sounddesign: Thomas Strebel; Videodesign: Thomas Reimer; Musikalische Leitung: Koen Schoots. Darsteller: Annemieke van Dam (Elisabeth), Mark Seibert (Der Tod), Kurosch Abbasi (Luigi Lucheni), Franziskus Hartenstein (Kaiser Franz Joseph), Daniela Ziegler (Erzherzogin Sophie), Anton Zetterholm (Kronprinz Rudolf), Carin Filipčić (Herzogin Ludovika/Frau Wolf), Christian Peter Hauser (Herzog Max in Bayern), Aeneas Hollweg (Rudolf als Kind), Alice Macura (Mary Vetsera), Janneke Ivankova (Helene von Wittelsbach), Jörn Felix Alt (Fürst Schwarzenberg), Wolfgang Postlbauer (Professor), Karsten Kammeier (Kardinal Rauscher), Riccardo Greco (Maximilian von Mexiko), Linda Konrad (Hofdame), Gernot Romic (Baron Hübner), Marle Martens (Fanny Feifalik), Katrin Mersch (Gouvernante), Jakob Semotan (Baron Kempen), Rory Six (Ungarischer Adeliger), Caroline Sommer (Gräfin Esterhazy-Lichtenstein), Dean Welterlen (Ludwig Graf Grünne), Anja Backus (Gräfin Sztaray), Sonja Schatz (Fräulein Windisch), Emma Hunter, Stefan Mosonyi, Barbara Schmid, Niran Straub, Katharina Strohmayer und Johan Vandamme (Todesengel). Uraufführung: 3. September 1992, Theater an der Wien. Premiere: 5. September 2012, Raimund Theater, Wien.



„Elisabeth“


Premiere des Musicals anlässlich seines 20. Jubiläums im Wiener Raimund Theater am 5. September 2012

von Gregor-Anatol Bockstefl

„Munter geht die Sisi unter“ betitelte am 5. September 1992 Franz Endler im „Kurier“ seine vernichtende Kritik über die zwei Tage zuvor stattgefundene Welt-Urauffühung des Musicals „Elisabeth“ im Theater an der Wien. Wer hätte damals gedacht, dass die vom Wiener Feuilleton durchwegs verrissene Produktion länger als ein, zwei Spielzeiten durchhalten würde? Wer hätte damals zu träumen gewagt, dass das Stück noch zwanzig Jahre später am Spielplan einer Wiener Bühne steht?

Mark Seibert (Der Tod) und Ensemble
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Für so manchen Kritiker von damals ist es wohl nach wie vor undenkbar, dass nun just wieder am 5. September, aber 20 Jahre später, „Elisabeth“ im Wiener Raimund Theater seine umjubelte Wiederaufnahmepremiere feierte. Längst hat dieses Musical Theatergeschichte geschrieben, erlebte in seiner ersten Wiener Spielserie knapp 1.300 Aufführungen und wurde – eigentlich als Stück speziell für Wien geschrieben – wider Erwarten auch international zum Erfolg: Mit Aufführungen in Japan, Ungarn, den Niederlanden, Deutschland, Schweden, Finnland, Belgien, Italien und jüngstens sogar Korea erreichte das Musical eine Gesamtbesucherzahl von knapp 9 Millionen. Grund genug, das Stück nach seiner vorläufigen Absetzung im Elisabeth-Gedenkjahr 1998 von 2003 bis 2005 im Theater an der Wien wieder aufzunehmen.

Franziskus Hartenstein (Kaiser Franz Joseph) und Daniela Ziegler (Erzherzogin Sophie)
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Und nur logisch, dass das Erfolgsmusical nun anlässlich seines 20. Bühnenjubiläums wieder in Wien zu sehen sein sollte. Dass die Messlatte für diese Jubiläumsproduktion entsprechend hoch sein würde, versteht sich von selbst, gilt nicht nur die Wiener Originalproduktion in der Inszenierung von Harry Kupfer als legendär, sondern erlebten auch die jeweiligen RolleninterpretInnen und deren NachfolgerInnen wie Pia Douwes, Uwe Kröger, Andreas Bieber, Maya Hakvoort oder Thomas Borchert ihren künstlerischen Durchbruch und genießen seitdem bei ihren Fans oftmals kultische Verehrung. Wie hoch tatsächlich die Messlatte für diese Premiere war, beweisen nicht zuletzt die teilweise äußerst kritischen bis hämischen Kommentare zur Auswahl der drei Hauptdarsteller, die man aus der letzten Besetzung der „Elisabeth“-Tour 2011/12 rekrutierte, wobei sich bei den Auditions für die Jubiläumsproduktion angeblich 1200 Künstler beworben hatten.

Ensemble
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Auch zum 20. Jubiläum entschieden sich die VBW nicht für eine Neuinszenierung, sondern für die Wiederaufnahme der Originalproduktion unter der bewährten Regie von Harry Kupfer mit den Bühnenbildern von Hans Schavernoch und der Choreographie von Dennis Callahan. Einzig die Kostüme stammen nicht vom originalen Kostümbildner Reinhard Heinrich (er verstarb 2006), sondern wurden von Yan Tax entworfen, mit dem das Leading-Team bereits bei „Mozart!“ sowie bei der schon erwähnten „Elisabeth“-Tour erfolgreich zusammengearbeitet hat.

Franziskus Hartenstein (Kaiser Franz Joseph) und Annemieke van Dam (Elisabeth)
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Nun gab es erst mal ein technisches Problem zu lösen: Seit der Beendigung der zweiten „Elisabeth“-Spielserie im Theater an der Wien 2005 wird dieses traditionsreiche Haus, in dem unter anderem „Fidelio“ und „Die Fledermaus“ uraufgeführt wurden, ausschließlich als Opernhaus genutzt und steht für eine Musical-Ensuite-Produktion nicht mehr zu Verfügung. So findet nun die Neuproduktion von „Elisabeth“ im Raimund Theater statt. Dazu ist zu sagen, dass das originale Bühnenbild von Hans Schavernoch mit seinen ausgeklügelten hydraulischen Effekten eigentlich für die besondere Bühnentechnik des Theaters an der Wien konzipiert war und nicht als übertragbar auf ein anderes Haus galt. Umso erstaunlicher, dass es Hans Schavernoch nun dennoch gelungen ist, die Unterbühnenkonstruktion mit ihrer Kombination aus Drehbühne und Hubpodien auf das Raimund Theater zu übertragen. Dass diese Übertragung nicht 1:1 gelungen ist und sich die Darsteller – schon aufgrund des schmäleren Drehzylinders – vor allem beim Prolog oder bei der Totenklage auf den Hubpodien zusammendrängen müssen, während rundherum aufgrund der größeren Bühnenbreite als im Theater an der Wien luftig mehr Platz ist, muss dabei in Kauf genommen werden, wird aber wahrscheinlich nur guten Kennern der Originalproduktion ein Dorn im Auge sein. Dass das „Deck der sinkenden Welt“ gegen Schluss des 2. Aktes nach wie vor eindrucksvoll ist, ist umso erfreulicher. Ansonsten wurde das nach 20 Jahren immer noch zeitlose Bühnenbild behutsam modernisiert, der eine oder andere Prospekt bzw. das eine oder andere Bühnenelement ausgetauscht oder durch stimmungsvolle Projektionen ergänzt.

Ensemble
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Die Stückfassung hält sich an die als seitdem gültig zu bezeichnende Fassung der „Jubiläumsfassung 2003“ mit einer kleinen Änderung: Bei Elisabeths ersten Begegnung mit dem Tod nach einem Sturz infolge einer Zirkuseinlage wurde „Schwarzer Prinz“ gestrichen und durch den für Ungarn bzw. Japan geschriebenen Song „Kein Kommen ohne Geh’n“ ersetzt, eigentlich ein Solo des Todes, diesmal als Duett zwischen Elisabeth und dem Tod. Ein netter, wenn auch nicht gerade innovativer Einfall für eine solche Jubiläumsproduktion.

Kurosch Abbasi (Luigi Lucheni)
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Ansonsten bleibt Harry Kupfers Inszenierung weitgehend am Original und erzählt die tragische Geschichte um das Leben, Lieben und Leiden der österreichischen Kaiserin Elisabeth in symbolgeladenen, starken Bildern als Gratwanderung zwischen großer Oper, Sentimentalität und Kitsch. Eine „Gegen-Sisi“, als Kontrapunkt zum süßlichen Sissi-Bild einer Romy Schneider, wollte man vor 20 Jahren schaffen. Ob das Bild der unglücklichen, todessehnsüchtigen Kaiserin nicht schon selbst wieder zum Klischee geworden ist, soll dahingestellt bleiben. Schön jedenfalls, dass die originale, teilweise sehr düstere Lichtregie von Hans Toelstede wieder zum Einsatz kommt, Andrew Vollers Licht bei der Wiederaufnahme 2003 – 05 wirkte dagegen allzu kitschig. Yan Tax’ Kostüme beruhen großteils auf den Entwürfen für die niederländische „Elisabeth“ und die anschließenden deutschen Produktionen (Essen/Stuttgart sowie Tournee). Für die Wiener Produktion 2012 hat er diese nochmals überarbeitet und vor allem für den Tod sehr moderne, zeitgemäße und männliche Kostüme entworfen – von der ursprünglich angelegten Androgynität keine Spur mehr. Nicht alle Kostüme kommen an Reinhard Heinrichs Originalentwürfe heran (obwohl sich an dessen berühmten „Schimmelfäden“ ja seit jeher die Geister scheiden), aber insgesamt passen sie stimmig ins Ausstattungs- und Lichtkonzept.

Annemieke van Dam (Elisabeth) und Kurosch Abbasi (Luigi Lucheni)
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Nun zur Besetzung der Jubiläumsfassung: Nach prominenten Rollenvorgängerinnen wie Pia Douwes und Maya Hakvoort ist es natürlich für jede neue Elisabeth-Darstellerin eine große Herausforderung, sich dem verwöhnten Wiener Publikum zu stellen: Für die 29-jährige Annemieke van Dam ist die Rolle der Elisabeth durchaus kein Neuland mehr, spielte sie die Rolle doch schon als Zweitbesetzung in Stuttgart, als alternierende Besetzung neben Pia Douwes in Berlin und schließlich als Hauptbesetzung in der „Elisabeth“-Tour. Umso erstaunlicher, dass sie am Premierenabend noch keine souveräne Leistung erbringen konnte; nach zaghaftem Beginn steigert sie sich nach einem sehr guten „Ich gehör nur mir“ eigentlich erst im Laufe des zweiten Aktes und wächst erst nach und nach in ihre Rolle hinein. Zu einem Höhepunkt wird jedoch ihre Interpretation der Irrenhaus-Ballade „Nichts, nichts, gar nichts“, in der sie eindrucksvoll und glaubhaft Elisabeths innere Zerrissenheit zwischen Pflichtbewusstsein und der Möglichkeit der Flucht in den Wahnsinn schildert. Nur hier verspürt man für einen kurzen Moment eine Innerlichkeit, die ihrer Rolleninterpretation ansonsten abgeht. Vielleicht wird ihre Darstellung im Laufe der Spielzeit noch an Intensität gewinnen. Stimmlich souverän und ohne Probleme in den Höhen wirkt ihr Gesang trotz allem manchmal etwas schrill und spitz.

Annemieke van Dam (Elisabeth)
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Auch Mark Seibert hat die Rolle des Todes schon auf der „Elisabeth“-Tournee verkörpert. Optisch ein Bild von einem Mann, scheint er prädestiniert für die Rolle des Todes, der nach der Idee von Michael Kunze kein Knochenmann ist, sondern ein attraktiver junger Mann mit Ähnlichkeiten zum jungen Heinrich Heine, den die historische Elisabeth bekanntlich vergötterte. Im Gegensatz zu Uwe Kröger, der die Rolle in der Uraufführung kreiert hat, ist Mark Seibert jedoch kein androgyner langhaariger Jüngling mehr, sondern ein attraktiver männlicher Popstar der Gegenwart. In seiner Darstellung statisch und unterkühlt wirkt er weniger „menschelnd“ als sein Wiener Vorgänger Maté Kamaras. Stimmlich hat er bei der Rolle des Todes keinerlei Probleme, obwohl die Textverständlichkeit manchmal etwas zu wünschen übrig lässt. Dass er mit dieser Rolle zum Wiener Publikumsliebling werden wird, scheint indes gewiss.

Anton Zetterholm (Kronprinz Rudolf) und Mark Seibert (Der Tod)
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Der dritte im Bunde, der bereits bei der „Elisabeth“-Tour mit von der Partie war, ist Kurosch Abbasi als Lucheni. Die bisweilen clowneske Rolle des Attentäters von Elisabeth, der als eine Art Conférencier das verbindende Glied zwischen den einzelnen Szenen ist, liegt dem jungen deutschen Musicaldarsteller, der für die „Elisabeth“-Tour als Neuentdeckung quasi von der Schule wegengagiert wurde. Auch dürfte er seit der Tournee nochmals an seiner Rollen- bzw. gesanglichen Interpretation gearbeitet haben und liefert nun eine solide Leistung ab. Allerdings bleibt er insgesamt etwas farblos und hinter seinen prominenten Rollenvorgängern wie Ethan Freeman, Thomas Borchert und Serkan Kaya zurück.

Annemieke van Dam (Elisabeth) und Mark Seibert (Der Tod)
© VBW / Ralf Brinkhoff & Birgit Mögenburg


Die restlichen Hauptdarsteller wurden gänzlich neu gecastet und es gibt zwei wirkliche Entdeckungen: Franziskus Hartenstein kann als fescher Kaiser Franz Joseph sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugen, der Schwede Anton Zetterholm, der als „Tarzan“ in Hamburg bekannt geworden ist, brilliert in der kleinen Rolle des Kronprinzen Rudolf mit intensivem Spiel und großem Ausdruck. Hinter den Erwartungen zurück bleibt hingegen die aus Film und Fernsehen bekannte Schauspielerin und Musicaldarstellerin Daniela Ziegler als Erzherzogin Sophie. Im Spiel zurückhaltend und manchmal fast zerbrechlich wirkend, die Stimme in der Höhe etwas operettenhaft, nimmt man ihr die Darstellung der resoluten Mutter von Kaiser Franz Joseph, die eigentlich als „einziger Mann bei Hofe“ ihre Kamarilla im Zaum halten sollte, keinesfalls ab. Nur ihre Darstellung der alternden, von ihrem Sohn enttäuschten Sophie, die verzweifelt an der Tradition festhält, gelingt ihr in „Bellaria“ überzeugend. Insoweit freut man sich schon auf das Rollendebüt der alternierenden Besetzung Dagmar Hellberg am nächsten Sonntag. Etwas blass bleibt auch Christian Peter Hauser als Herzog Max in Bayern, eigentlich zu jung für die Rolle, dem etwas mehr Erdigkeit in der Rollengestaltung nicht schaden würde.

Mark Seibert, Annemieke van Dam, Pia Douwes und Uwe Kröger
© Karl Schöndorfer


Ansonsten zeichnet sich das restliche Ensemble durch großen Einsatz und Spielfreude aus, aus dem neben Carin Filipčić in der Doppelrolle der Herzogin Ludovika/Frau Wolf auch Karsten Kammeier als ungewöhnlich komischer Kardinalerzbischof Rauscher herausragt. Paradox, dass gerade „Hass!“, eine Szene, in der die Autoren einen Vorgriff auf den Faschismus des 20. Jahrhunderts geben, in einer ungemein synchronen und homogenen Choreographie im Stechschritt zu einer der stärksten Ensembleszenen des ganzen Abends wird – hier ist „Elisabeth“ wahrlich zu einem Menetekel jenseits allen kommerziellen Unterhaltungswertes angekommen und beweist, dass es zu einem der Meisterwerke des modernen Musicals zählt.

Annemieke van Dam und Pia Douwes
© Karl Schöndorfer


Wenn vielleicht am Premierenabend auch noch nicht alles rund gelaufen ist, dürfte „Elisabeth“ auch in der 3. Spielserie ein anhaltender Erfolg sicher sein, wie der frenetische und warmherzige Schlussapplaus des Publikums bewiesen hat.

Viktor Gernot, Kurosch Abbasi und Ethan Freeman
© Karl Schöndorfer


An und für sich eine schöne Geste des neuen VBW-In­ten­danten Christian Struppeck, nach überstandener Premiere dem Ensemble, dem Leading-Team sowie den restlichen Verantwortlichen zu danken und neben den beiden Autoren Michael Kunze und Sylvester Levay auch die Darsteller der Uraufführung auf die Bühne zu bitten. Allerdings fiel Struppecks Rede etwas langatmig und geschwätzig aus, seltsam auch die Aufforderung an die Darsteller, ihre Rolle zu nennen, die sie vor 20 Jahren gespielt hatten – die Rollen waren dem Premierenpublikum hinreichend bekannt. Ein Aha-Erlebnis gab es nur beim Darsteller des ersten kleinen Rudolf Felix Purzner, der den „ehemals“ großen Rudolf Andreas Bieber nun um gut einen Kopf überragt.

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