Festspiele Röttingen: „Romeo & Julia“

„Romeo & Julia“ – nach dem gleichnamigen Drama von William Shakespeare; Musik, Libretto: Christian Brandauer; Inszenierung: Renate Kastelik; Choreografie: Marvin Dietmann; Musikalische Leitung: Christian Brandauer; Bühne: Helmut Mühlbacher; Kostüme: Lilli Lena/Heike Portisch. Darsteller: Marvin Dietmann (Romeo), Barbara Endl (Julia), Tobias Eiselt (Mercutio), Georg Leskovich (Tybalt), Thomas Weissengruber (Benvolio), Raimund Stangl (Herr Capulet), Frederike Faust (Frau Capulet), Martin Muliar/Nikolaus Raspotnik (Herr Montague), Rita Nikodim (Amme), Bruno Thost (Pater Lorenzo), Nikolaus Raspotnik/Martin Muliar (Gregorio), Raimund Stangl (Simson), Christian Brandauer (Erzähler/Gitarrist/Bruder Johannes), Bernadette Kizik, Ina Rehda (Bürgerinnen von Verona), Thomas Rehda, Georg Todter (Bürger von Verona) sowie die Weltklassefechter des Fecht-Clubs Tauberbischofsheim e. V. Uraufführung: 5. Juli 2012, Festspiele Röttingen, Freilichttheater im Hof der Burg Brattenstein.



„Romeo & Julia“


Die berühmteste Liebesgeschichte der Weltliteratur als modernes Musical im Hof der Burg Brattenstein


Wer kennt sie nicht, die berühmteste, tragisch endende Liebesgeschichte der Weltliteratur um das junge Liebespaar Romeo und Julia, die zwei verfeindeten Familien in Verona angehören. Diese erkennen erst im Tod ihrer Kinder ihre Mitschuld am tragischen Ende und versöhnen sich an deren Grab. Zahlreiche Aufführungen und Verfilmungen zeugen von der Popularität des Stoffes, Baz Luhrmann verfilmte den Stoff 1996 mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes in den Hauptrollen, Gérard Presgurvic schrieb das Buch und die Musik zu dem französischen Musical „Roméo et Juliette: de la Haine à l´Amour“ (Premiere: 19. Januar 2001 im Palais des Congrès, Paris), welches später in der Deutschen Übersetzung von Michaela Ronzoni am Raimund Theater in Wien (Premiere: 24. Februar 2005) mit Lukas Perman und Marjan Shaki zu sehen war.

Burg Brattenstein

Christian Brandauer – der Sohn des österreichischen Schauspielers und Regisseurs Klaus Maria Brandauer und Filmregisseurin und Drehbuchautorin Karin Brandauer – hat sich nunmehr des Stoffes angenommen und Buch, Liedtexte und Musik zu einem modernen Musical verfasst, bei dem er verschiedene Musikstile wie Rock, Pop und Reggae in seine Kompositionen einfließen lässt. Brandauers Texte beruhen auf der deutschen Übersetzung des Shakespeare-Dramas von Erich Fried (1968), die Inszenierung war als anspruchsvolle Mischung aus Sprache, Schauspiel und Gesang angekündigt, die sich klar von „Mainstream“ Musicals abheben soll. Das tut sie dann auch … aber der Reihe nach.

Burg Brattenstein

Schon beim Betreten des Burghofes von Burg Brattenstein trifft der Zuschauer auf zwei dunkelgrau gewandete, auf einem Hubpodium aufgebahrte Verstorbene – augenscheinlich die Leichen von Romeo und Julia. An der rückwärtigen Traversenkonstruktion ein ebenfalls in Grautönen gehaltenes modernes Bild – mit Phantasie könnte man durchaus einen Totenkopf darin erkennen. Die Kulisse nimmt quasi das tragische Ende der beiden Liebenden vorweg, auch der Prolog, zu dem die handelnden Personen die Bühne betreten, greift der Versöhnung der beiden verfeindeten Familien Montague und Capulet vor. Alle Beteiligten sind grau bekleidet (Kostüme: Lilli Lena, Heike Portisch), eine farbliche Unterscheidung der Familien wird nicht vorgenommen, und so erfährt der Zuschauer erst durch die Handlung, wer welcher Familie angehört. Nachdem das Hubpodium mit den aufgebahrten Toten abgesenkt ist, fokussiert die Handlung auf den unglücklich in Rosalinde verliebten Romeo, anderen Herren scheint es dagegen wichtiger zu sein, „ihren Mann stehen zu können“, derbe Sprache und Darstellung mit zwischen den Beinen aufgerichtetem Florett gehen weit über kleine Andeutungen hinaus. Frau Capulet bittet Julias Amme, ihre Tochter zu holen, um ihr die beabsichtigte Hochzeit mit einem Herrn Paris mitzuteilen. Die Amme versucht Julia den von ihren Eltern auserwählten Gatten schmackhaft zu machen, doch auch da ist nicht von großer Liebe die Rede, sondern eher von seinen männlichen Vorzügen und den resultierenden Vergnügungen in der Hochzeitsnacht. Nachdem Romeo und sein Vetter Benvolio von einem des Lesens unkundigen Pagen aus einer Einladung von einem Maskenball bei den Capulets erfahren haben und Mercutio versucht hat, Romeo durch die Schilderung der Vorzüge anderer Mädchen aus seiner Melancholie zu befreien, gehen die drei Freunde maskiert zum Ball. Romeo wird von Tybalt erkannt, doch Herr Capulet hält seinen aggressiven Neffen von einem Kampf ab. Romeo und Julia begegnen sich beim Tanz das erste Mal und verlieben sich unsterblich ineinander. Dass sie verfeindeten Familien angehören und dies auch gewahr werden, macht die Sache nicht unbedingt einfacher.

Auf dem Balkon verabreden Romeo und Julia, sich heimlich trauen zu lassen, die Amme lässt Julia als Mittlerin zwischen beiden Ort und Zeit der Trauung wissen. Pater Lorenzo traut die beiden, in der Hoffnung, damit zur Versöhnung der beiden Familien beitragen zu können. Doch als Tybalt auf Romeo trifft, fordert er diesen zum Duell. An dessen Stelle beginnt Mercutio ein Gefecht mit Tybalt … nach den ersten Hieben friert die Szene ein und vier Mitglieder des Fecht-Clubs Tauberbischofsheim e. V. tragen stellvertretend das Gefecht aus. Im Anschluss vollenden Mercutio und Tybalt ihren Kampf, wobei Tybalt seinem Gegner einen tödlichen Treffer beibringt. Rasend vor Wut ersticht Romeo daraufhin Tybalt und wird zur Strafe aus Verona verbannt. Romeo und Julia verbringen eine einzige gemeinsame Nacht – ihre Hochzeitsnacht, bevor er sich nach Mantua in die Verbannung begibt. Um der nunmehr kurzfristig von den Eltern anberaumten Hochzeit mit Paris zu entgehen, erhält Julia von Pater Lorenzo einen Schlaftrunk, der sie für 42 Stunden in einen todesähnlichen Schlaf versetzen soll. Romeo soll durch einen Brief von dem Plan in Kenntnis gesetzt werden, doch Lorenzos Mitbruder Johannes stellt diesen Brief wegen Ansteckungsgefahr nicht zu. Romeo erfährt vom vermeintlichen Tod seiner Angetrauten, und tatsächlich findet er bei seiner Ankunft in Verona die scheinbar tote Julia in der Gruft der Capulets. In seiner Trauer und Ausweglosigkeit bringt er sich neben Julia mit Gift um. Diese erwacht kurze Zeit später und tötet sich aus Verzweiflung ebenfalls. Schließlich wiederholt sich die Szene aus dem Prolog, die verfeindeten Familien Montague und Capulet versöhnen sich am Grab ihrer Kinder.

Renate Kastelik möchte Shakespeares Original in ihrer modernen Inszenierung in die heutige Zeit übertragen, dabei entwirft sie ein Bild der Familie Capulet, das die typischen Klischees einer kaputten Familie aufgreift. Frau Capulet erträgt ihre Situation nur noch unter Alkoholeinfluss und greift daher ständig zum „Flachmann“, Herr Capulet ist seiner Frau längst überdrüssig geworden und verschafft sich anderweitig Befriedigung. Das Duell von Tybalt und Mercutio, welches stellvertretend von vier namentlich nicht genannten Mitgliedern des Fecht-Clubs Tauberbischofsheim e. V. in weißer Fechtkleidung mit Fechtmaske ausgetragen wird, ist zwar sicherlich ein schönes Alleinstellungsmerkmal der Aufführung, aber zum einen sind Details des Gefechts durch die stroboskopartige Beleuchtung in dieser Zeit nicht genau zu erkennen, und da sich Georg Leskovich und Tobias Eiselt anschließend noch ein Bühnengefecht auf Leben und Tod liefern – im Gegensatz zum vorher gesehenen Sportfechten, bringt es die Handlung auch nicht voran. Christian Brandauers Partitur mit Elementen aus Rock, Pop, Reggae und diversen Balladen wird von Werner Goldbach (Keyboard), Haiko Heinz (Gitarre), Chris Reiss (Bass-Gitarre) und Alexander „Aggi“ Berger (Schlagzeug) in einem wettergeschützten Anbau am Rand des Burghofes unter der musikalischen Leitung des Komponisten zu Gehör gebracht. Christian Brandauer tritt selbst auch auf der Bühne in Erscheinung, als Erzähler, Pianist und Gitarrist, und in einem kleinen Auftritt als Bruder Johannes, der die Übermittlung des Briefes von Pater Lorenzo an Romeo „vermasselt“ hat. Brandauers Libretto ist für mein Empfinden an einigen Stellen für ein Musical recht textlastig ausgefallen, in einigen Szenen durch Instrumentalmusik unterstützt, so dass tatsächlich eine Mischung aus Sprache, Schauspiel und Gesang dabei herauskommt. Das mag jeder für sich individuell entscheiden, der Schauspielliebhaber ist in dieser Aufführung sicher ebenso gut aufgehoben. „Denn größeres Leid geschah wohl nirgendwo als Julia hier und ihrem Romeo.“ Diesen letzten berühmten Satz in der Übersetzung von Erich Fried bekommt der Shakespeare-Kenner aber dennoch nicht zu hören, wurde doch die Figur des Fürsten von Verona sowie Graf Paris gänzlich gestrichen. Helmut Mühlbacher (Bühnenbild) verwandelt die Bühne im Hof der Burg Brattenstein mit drei Traversenkonstruktionen und einem hydraulisch angetriebenem Hubpodium treffend in die Gruft der Capulets, einen Festsaal mit gedecktem Tisch, Julias Balkon, oder mit einem roten Neonkreuz (Beleuchtung: Daniel Schühl) in die Franziskanerkapelle, in der Pater Lorenzo Romeo und Julia traut.

Auch in diesem Jahr konnte sich das Publikum in Röttingen auf einige bekannte Gesichter aus den Vorjahren freuen, und vor allem, die Festspiele Röttingen sind fest in „Wiener Hand“, wen wundert´s … Marvin Dietmann und Barbara Endl harmonieren als Romeo und Julia bestens miteinander, beide können mit ihrer jugendlichen Erscheinung die ersten aufkeimenden Liebesgefühle glaubhaft vermitteln. Nach Barbara Endls gefühlvoll interpretierter Ballade „Oh Romeo“ harrte das Publikum noch gespannt der Dinge, die da kommen … bis eine Stimme aus dem Off „Pause“ verkündete. Rita Nikodim schildert Julia als geschwätzige Amme die Vorzüge des von den Eltern auserwählten Gatten in einer dramatischen Opernarie, wobei sich womöglich nicht nur für Julia angesichts der Details wahre Abgründe auftun. Frederike Faust und Raimund Stangl als Frau und Herr Capulet stellen als Ehepaar sicher nicht das Idealbild der großen Liebe dar, sondern man hat sich eher arrangiert, dennoch wollen sie für ihre Tochter nur das Beste – zumindest aus ihrer Sicht. In seinem Solo „Wie die Glieder einer Kette“ lässt Raimund Stangl keinen Zweifel an seinem Anspruch als Familienoberhaupt aufkommen. Frederike Faust hat sich als Frau Capulet in ihre Lage gefügt, die sich nur noch mit Alkohol ertragen lässt. Tobias Eiselt gefällt als Page und Romeos unbändiger Freund Mercutio, sein rockiger Song „Liebe macht blind“ im ersten Akt, in den Marvin Dietmann und Thomas Weissengruber mit einstimmen, hat durchaus Ohrwurmpotential. Thomas Weissengruber versucht als Romeos besonnener Vetter Benvolio Gewalt aus dem Weg zu gehen, doch auch er kann das Duell zwischen Mercutio und Tybalt nicht verhindern. Dem von Georg Leskovich dargestellten Tybalt steht der Hass auf die Montagues bereits ins Gesicht geschrieben, sein ausdrucksstark dargebotenes Solo „Solang´ die Erde sich noch dreht“ lässt zusammen mit rot aufblinkenden Burgfenstern drohendes Unheil vorausahnen. Bruno Thost ist als Pater Lorenzo bestrebt, zu helfen, wo er nur kann, in der Hoffnung, damit endlich Frieden zwischen den verfeindeten Familien zu stiften, wobei er schließlich verzweifelt erkennt, für den Tod der Liebenden mitverantwortlich zu sein. In weiteren kleinen Rollen sind Martin Muliar (Herr Montague), Nikolaus Raspotnik (Gregorio), Raimund Stangl (Simson), Bernadette Kizik und Ina Rheda als Bürgerinnen von Verona sowie Thomas Rheda und Georg Todter als Bürger Veronas zu sehen.

Christian Brandauers „Romeo & Julia“ ist noch bis 9. August 2012 im Hof der Burg Brattenstein zu sehen und stellt als Uraufführung eine interessante Bereicherung der diesjährigen Openair Saison dar. Als Goodie bekommt der Zuschauer eine in die Inszenierung integrierte Fechteinlage mit Sportlern des Fecht-Clubs Tauberbischofsheim e. V. zu sehen, über deren Relevanz für die Handlung man sich wohl keine zu großen Gedanken machen sollte. Bei schönem Wetter lädt das idyllische Ambiente im Hof der Burg Brattenstein die Besucher ein, an den Tischen auch kleinere Speisen und Getränke zu genießen, ohne jedoch in „Picknick-Theater“ auszuarten. Sehenswert!

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