Schlosstheater Fulda: „Die Päpstin – Das Musical“

„Die Päpstin – Das Musical“ – nach dem historischen Roman der amerikanischen Schriftstellerin Donna Woolfolk Cross aus dem Jahr 1996; Musik, Liedtexte und Libretto: Dennis Martin; Produktionsleitung & Musikalische Leitung: Peter Scholz; Libretto, Dramaturgie & Liedtexte: Christoph Jilo; Regie: Stanislav Moša; Choreographie: Julia Poulet; Bühnenbild: Christoph Weyers; Kostüme & Maske: Andrea Kučerová; Lichtdesign: David Kachlír. Darsteller: u. a. Sabrina Weckerlin (Johanna/Johannes Anglicus/Papst Johannes), Christian Schöne (Anastasius), Mathias Edenborn (Markgraf Gerold), Isabel Dörfler (Gudrun, Johannas Mutter/Kurtisane Marioza), Norbert W. Conrads (Dorfpriester, Johannas Vater/Papst Sergius II.), Marcus G. Kulp (Kaiser Lothar I./Thomas), Dietmar Ziegler (Abt Rabanus/Bischof Fulgentius von Dorstadt), Jogi Kaiser (Arsenius), Eveline Suter (Gerolds eifersüchtige Ehefrau Richild), Daniele Nonnis (Aeskulapius aus Byzanz), Nikolas Gerdell (Zweitbesetzung für die männlichen Hauptrollen). Uraufführung: 3. Juni 2011, Schlosstheater Fulda. Abweichende Abendbesetzung am 10. Juli 2011: Eveline Suter (Johanna/Johannes Anglicus/Papst Johannes), Alexandra Farkic (Gerolds eifersüchtige Ehefrau Richild).



„Die Päpstin – Das Musical“


Die Legende der Päpstin Johanna auf der Musicalbühne


Nach „Bonifatius – Das Musical“ (Uraufführung am 3. Juni 2004 im Schlosstheater Fulda) und „Elisabeth – Die Legende einer Heiligen“ (Uraufführung am 7. Juli 2007 im Landestheater Eisenach) bringt die spotlight Musicalproduktion GmbH in diesem Jahr erneut einen Stoff aus dem kirchenhistorischen Umfeld als Musicalumsetzung auf die Bühne, den bereits Sönke Wortmann 2008 mit Johanna Wokalek in der Titelrolle verfilmt hatte. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass es sich bei Bonifatius und Elisabeth von Thüringen um reale Personen handelt, während der Großteil des Romans „Pope Joan“ der amerikanischen Schriftstellerin Donna Woolfolk Cross jedoch aus einer auf Grundlage historischer Ereignisse erfundenen Geschichte besteht. Die Legende um eine Päpstin ist seit dem 13. Jahrhundert überliefert. Die Kenntnis des Romans oder des Spielfilms ist zum Verständnis des Musicals nicht zwingend erforderlich, erleichtert den Zugang aber ungemein.

Isabel Dörfler (Gudrun, Johannas Mutter) und Doreen Sommer (Johanna als Kind)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Gudrun, eine Heidin aus Sachsen, die von Johannas Vater, dem Dorfpriester, nach Ingelheim verschleppt wurde, erzählt ihrer kleinen Tochter in einer stürmischen Gewitternacht von den nordischen Gottheiten, in ihrer Phantasie nehmen die Figuren aus den Geschichten der Mutter in Form der beiden Raben Hugin und Munin konkrete Gestalt an. Fortan werden sie diese in bedrohlichen Situationen beschützen. Daneben ist die Heilige Katharina ihr geheimes Vorbild, wie Johanna konnte sie als Frau Lesen und Schreiben, was in patriarchalischen Strukturen im 9. Jahrhundert undenkbar war. Parallel dazu erfährt man von den Intrigenspielen des Adelsstandes in Rom, wo Arsenius seinen Sohn Anastasius aufgrund des Machtanspruchs seiner Familie eines Tages auf dem Papstthron sehen möchte. Als der Gelehrte Aeskulapius Johannas Talent entdeckt, wird sie von ihrem Vater brutal geschlagen, woraufhin sie mit ihrem Bruder Johannes nachts flieht und sich Aeskulapius anschließt, der sie nach Dorstadt bringt und ihr zur Aufnahme an die Domschule verhelfen möchte. Hier treffen Johanna und Anastasius erstmals aufeinander, durch ihre Intelligenz gelingt es ihr, Anastasius von der versammelten Festgesellschaft bloßzustellen. Bischof Fulgentius nimmt Johanna daraufhin an der Domschule auf. Markgraf Gerold nimmt sich ihrer an, was seiner eifersüchtigen Ehefrau Richild missfällt.

Sabrina Weckerlin (Johanna) und Mathias Edenborn (Markgraf Gerold)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Zwischen Gerold und Johanna entwickelt sich mehr als nur Freundschaft, und als Gerold schließlich die kaiserlichen Truppen befehligt, nutzt Richild die Gelegenheit, um sich durch eine Zwangsheirat von Johanna mit dem Sohn des Dorfschmieds ihrer zu entledigen. Während der Hochzeitsfeier fallen Normannen über die Gemeinde her und ermorden beinahe alle, auch Johannas Bruder Johannes. Johanna nimmt die Identität ihres Bruders an und wird unerkannt am Kloster Fulda aufgenommen, wo sie sich mit viel Interesse mit der Medizin vertraut macht. Unterdessen treibt Anastasius in Rom seine Ambitionen weiter voran, mit Hilfe der Kurtisane Marioza erlangt er eine Stellung in unmittelbarer Nähe des Papstes.

Isabel Dörfler (Kurtisane Marioza)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Als Johannas Geheimnis um ihre Identität im Kloster Fulda entdeckt wird, schickt sie Abt Rabanus als Pilger nach Rom, wo sie nach einiger Zeit als Arzt Fuß fassen kann. Als ihr ehemaliger Lehrer Aeskulapius sie in seiner Stellung als päpstlicher Haushofmeister an das Krankenbett von Papst Sergius rufen lässt, trifft sie erneut Anastasius, der inzwischen als Kardinal die Geschichte zu seinem eigenen Vorteil zu lenken versucht. Gegen seinen Willen übernimmt sie die Pflege von Papst Sergius und wird zu seinem Leibarzt. Als Kaiser Lothar mit seinen Truppen in Rom einmarschiert, treffen sich auch Johanna und Gerold wieder, der sie von seiner Zuneigung überzeugen kann.

Sabrina Weckerlin (Bruder Johannes)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Nachdem Arsenius Papst Sergius vergiften und Johanna im Kerker festsetzen lässt, wähnen sich Arsenius und Anastasius als Sieger, doch Johanna wird vom römischen Volk zum Papst gewählt. Gerold rät ihr ab, das Amt anzutreten, führt aber entgegen seiner Bedenken ihre Beziehung im Geheimen fort. Während der Osterprozession ermordet Anastasius Gerold eigenhändig und Johanna erleidet infolge ihres Schocks eine Fehlgeburt, an dessen Folgen sie auf den Stufen des Petersdoms verstirbt. So erfährt schließlich ganz Rom von ihrer Identität. Die reale Person Anastasius Bibliothecarius († 879) schloss später die erste Ausgabe des Liber Pontificalis ab, eine chronologisch geordnete Sammlung von päpstlichen Biographien, die keinen Beleg für die Existenz einer Päpstin Johanna enthält.

Sabrina Weckerlin (Papst Johannes)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Bereits im Vorfeld war Kritik an dem Musical laut geworden, dass es sich nicht um eine historisch korrekte Wiedergabe der Ereignisse handele. Wie bereits betont, erhebt „Die Päpstin – Das Musical“ diesen Anspruch auch gar nicht. Die Romanvorlage ist schlüssig erzählt, und die Musicalaufführung folgt mit diversen dramaturgischen Änderungen der Romanvorlage. Die Romanvorlage ist allerdings so umfangreich, dass sich das Musical mit einer Aufführungsdauer von 3 Stunden 10 Minuten auf bestimmte Aspekte beschränken muss. Ein wenig problematisch wird die Sache dadurch, dass im Musical insbesondere die Figur des Anastasius, aber auch der Kurtisane Marioza einen größeren Stellenwert erhalten als im Roman, was womöglich den jeweiligen Darstellern geschuldet ist, wodurch sich aber gerade im zweiten Akt der Fortgang der Ereignisse um Johanna auf ihrem Weg vom Kloster Fulda bis auf den Papstthron auf wenige Schlüsselszenen beschränken muss. Aufgrund der im Prolog vorweggenommenen Ernennung Johannas zum Papst und der daran anschließenden Rückblende in Johannas Kindheit – analog zur Verfilmung von Sönke Wortmann – ist der Weg aber klar vorgezeichnet. Der Gelehrte Aeskulapius führt als Erzähler durch die Handlung und wird gleichzeitig zum Beschützer für Johanna. Irgendwann sind derartig viele Personen in die Geschehnisse verwickelt, dass man schon einmal den Überblick verlieren kann, zumal in der Fuldaer Inszenierung die Hauptdarsteller teilweise zwei Figuren verkörpern.

Daniele Nonnis (Aeskulapius) und Sabrina Weckerlin (Papst Johannes)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Die spotlight Musicalproduktion GmbH hat – wie schon bei „Bonifatius – Das Musical“ und „Elisabeth – Die Legende einer Heiligen“ – auch für „Die Päpstin – Das Musical“ bekannte und beliebte Darsteller engagiert, allen voran Sabrina Weckerlin als Johanna/Johannes Anglicus/Papst Johannes. In der besuchten Abendvorstellung am 10. Juli 2011 spielte Eveline Suter die Titelfigur, da Sabrina Weckerlin wegen ihres Auftritts bei der „Sommernacht des Musicals XIII“ in Dinslaken am Vortag nicht zur Verfügung stand. Womöglich wurden einige Songs Sabrina Weckerlin „auf den Leib“ geschrieben, ihre Interpretation von „Einsames Gewand“ durfte ich tags zuvor in Dinslaken erleben, aber auch bei Eveline Suter hatte ich zu keiner Zeit den Eindruck, Abstriche machen zu müssen. Ihre Darstellung der/des Johanna/Johannes Anglicus/Papst Johannes war jederzeit überzeugend, schon allein durch ihre Mimik und Gestik vermittelt sie mühelos die jeweilige Stimmung, und auch ihr Gesang war tadellos. Eveline Suter hat eine dunklere Stimme als Sabrina Weckerlin, was gut zur Rolle von Johannes Anglicus/Papst Johannes passt, da auch in der Romanvorlage erwähnt wird, dass Johanna eine tiefe Stimme hat. Mathias Edenborn verkörpert als Gerold, Markgraf von Villaris, Johannas Förderer im weltlichen Bereich und später auch ihren Liebhaber. Dabei ist er mit seiner warmen Stimme als väterlicher Beschützer und als Geliebter besonders glaubwürdig besetzt. Isabel Dörfler ist zu Beginn als Johannas Mutter Gudrun zu sehen, die von ihrem gewalttätigen Gatten als sächsische Heidin nach Ingelheim verschleppt wurde und mit ihrer Tochter als Verbündete in liebevoller Zuwendung die Geschichten der nordischen Mythologie teilt. Im 2. Akt weiß sie als Kurtisane Marioza das Intrigenspiel der Herrschenden gewinnbringend für sich zu nutzen. In beiden Rollen weiß sie ihre Stimmgewalt gekonnt einzusetzen. Daniele Nonnis verkörpert die Rolle des Gelehrten Aeskulapius, der gleichzeitig als Erzähler und Kommentator fungiert und damit die Aufgabe von Bischof Arnaldo aus Sönke Wortmanns Film übernimmt. Norbert W. Conrads ist ebenfalls in einer Doppelrolle zu sehen, als Johannas Vater setzt er als Dorfpriester seine Vorstellung vom Patriarchat mit brutaler Gewalt durch, als Papst Sergius II. erkennt er zwar den scharfen Verstand Johannas, aber nicht ihre wahre Identität. Niklas-Philipp Gertl und Yasuko Kayamori spielen die beiden Raben Odins in der nordischen Mythologie, Hugin und Munin („der Gedanke“ und „die Erinnerung“), dessen Auftauchen in der Bühnenfassung zumeist mit Unheil verbunden ist, und die Johanna in bedrohlichen Situationen beschützen. Das zahlenmäßig üppig besetzte Ensemble agiert mit viel Spielfreude, einzelne Darsteller übernehmen auch kleinere Nebenrollen, beispielsweise verkörpert Matthias Bollwerk die Rolle von Johannas Bruder Johannes und eines Quacksalbers, oder Evita Komb die Rolle der Heiligen Katharina.

Mathias Edenborn (Markgraf Gerold), Sabrina Weckerlin (Papst Johannes), Dennis Henschel und Christian Schöne (Anastasius)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Gegenüber den vorherigen Produktionen der spotlight Musicalproduktion GmbH ist das Bühnenbild (Christoph Weyers) mit Drehbühne, Treppenelementen und Prospekten erfreulich aufwändig gestaltet. In den Umbauphasen zwischen den Szenen hätte ich mir allerdings eine Zwischenmusik gewünscht, stattdessen ist es im Saal mucksmäuschenstill und die Drehbühne bewegt sich knarrenderweise in ihre neue Position. Dies ist sicherlich mit zugespielter Musik sorgfältiger zu planen als mit Live-Orchester, sollte aber dennoch kein Problem darstellen. Bei „Die Päpstin – Das Musical“ wird die vorproduzierte Musik zugespielt, der Orchestergraben im Schlosstheater Fulda ist mit zusätzlichen Sitzreihen geschlossen, was sicherlich auch aus Kostengründen geschehen sein dürfte. Die Musik mit eingängigen Up-tempo-Nummern und Balladen lässt deutlich die Handschrift von Dennis Martin erkennen und knüpft nahezu nahtlos an die Vorgängerproduktionen an. Das Lichtdesign (David Kachlír) erinnert mich teilweise zu stark an die Vorgängerproduktionen, die Beleuchtung hätte bei dem vorhandenen, aufwändig gestalteten Bühnenbild teilweise dezenter und weniger bunt ausfallen dürfen. Die Kostüme (Andrea Kučerová) unterstreichen den visuellen Eindruck vom eher dunklen frühmittelalterlichen Frankenreich und dem prächtig leuchtenden Rom vortrefflich. Weniger „bunt“ hätten jedoch einige der Choreografien (Julia Poulet) ausfallen dürfen, die allesamt sehr modern daherkommen und auch ansprechend vom Ensemble umgesetzt werden. Bei Mönchen in Kutten wirken die Aerobic-Choreografien jedoch unpassend.

Daniele Nonnis (Aeskulapius) und Sabrina Weckerlin (Papst Johannes)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Eine Kuriosität sei noch am Rande erwähnt: Matthias Bollwerk rezitiert in einer seiner kleineren Rollen als Quacksalber lateinische Verse („litora, multum ille et terris iactatus et alto …“), die er bereits für „Frühlings Erwachen“ auswendig lernen musste. Die teilweise vertauschten Zeilen stammen aus Vergils „Aeneis“, die von der Flucht des Aeneas aus dem brennenden Troja und seinen Irrfahrten handelt, also einen der Gründungsmythen des Römischen Reiches erzählt.

Sabrina Weckerlin (Johannes Anglicus)
© spotlight Musicalproduktion GmbH


Im Endeffekt zählt das „Gesamtpaket“, und hier kann „Die Päpstin – Das Musical“ mit einer hervorragenden Darstellerriege und ansprechender Ausstattung auf alle Fälle überzeugen. Das dürften wohl viele Besucher ähnlich empfinden, denn anders lassen sich auch bis zu 12 Vorstellungen pro Woche mit 680 möglichen Zuschauern pro Vorstellung im Schlosstheater nicht erklären. „Die Päpstin – Das Musical“ wird noch bis zum 14. August 2011 im Schlosstheater gespielt, und nach dem Erfolg in diesem Jahr wird das Stück sicherlich auch in den kommenden Jahren in Fulda zu sehen sein. Regisseur Stanislav Moša, Intendant des Stadttheaters in Brno (Tschechien), möchte das Stück 2012 auch in Brno aufführen, mit Svetlana Slovakova als Johanna und Petr Gadzik als Gerold. Wie einem Interview der Fuldaer Zeitung zu entnehmen war, wird in Brno ein Orchester die Musik live spielen, und niemand soll doppelt besetzt werden. 2012 wird die spotlight Musicalproduktion GmbH als neuen Stoff das Musical „Friedrich – Mythos und Tragödie“ um den großen Preußenkönig in Potsdam auf die Bühne bringen, am 1. Juni 2012 wird die Uraufführung in der Metropolis Halle stattfinden.