„Pina“ – tanzt, tanzt sonst sind wir verloren

„Pina“, Deutschlandpremiere 21. Februar 2011; Frankreich, Deutschland, 2010; 100 Minuten; Drehbuch, Regie, Produktion: Wim Wenders; Choreographie: Pina Bausch; mit dem Ensemble des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch; FSK ohne Altersbeschränkung; FBW Auszeichnung: Prädikat besonders wertvoll



Pina

Ein abendfüllender Tanzfilm in 3D-Technologie

„Pina“ ist ein Film von Wim Wenders für Pina Bausch, eine Hommage an eine der bedeutendsten Choreographinnen des 20. Jahrhunderts, mit den noch gemeinsam mit ihr ausgesuchten Choreographien „Le Sacre du Printemps“ („Das Frühlingsopfer“, Uraufführung 3. Dezember 1975), „Vollmond“ (Uraufführung 11. Mai 2006), „Café Müller“ (Uraufführung 20. Mai 1978) und „Kontakthof“ (Uraufführung 9. Dezember 1978), und wenigen Bildern und Tondokumenten aus ihrem Leben. „Pina“ wurde bei den 61. Internationalen Filmfestspielen Berlin am 13. Februar 2011 im Berlinale Palast als Welturaufführung außer Konkurrenz gezeigt, die Deutsch­land-Pre­mie­re fand am 21. Fe­bru­ar 2011 in der Es­se­ner Lichtburg in Anwesenheit des Regisseurs Wim Wenders und des Ensembles des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch statt.

Wim Wenders und das Ensemble des Tanztheaters Wuppertal
Pina Bausch (zum Vergrößern anklicken)


Pina Bausch (* 27. Juli 1940 in Solingen, † 30. Juni 2009 in Wuppertal) begann bereits mit 14 Jahren ihr Bühnentanz- und Tanzpädagogik-Studium an der Essener Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprechen (heute Folkwang Universität der Künste), u.a. bei dem Choreografen Kurt Jooss. Sie wurde zur Spielzeit 1973/74 von Intendant Arno Wüstenhöfer als Leiterin der Ballettsparte der Wuppertaler Bühnen engagiert, der trotz anfänglichen Widerstandes gegen das moderne Tanztheater zu ihr hielt. Sie entwickelte mit den Jahren eine Mischung aus Tanz und Theater, verband erstmals Tanz mit Gesang, Pantomime, Artistik und Schauspiel zu einer neuen Kunstform. Pinas Art, neue Stücke vorzubereiten, bestand aus „Fragen“ und „Suchen“, ihr ging es darum, „etwas zu finden, was keiner Frage bedarf“. In Fachkreisen gilt sie als die bedeutendste Choreografin der Gegenwart. Wim Wenders war seit Beginn seiner über 20 Jahre währenden Freundschaft mit Pina Bausch von der Ausdruckskraft ihres innovativen Tanztheaters fasziniert, aber erst mit den Mitteln der 3D-Technologie hatte er eine Möglichkeit gefunden, diese auch auf die Kinoleinwand zu bringen. Nachdem Wim Wenders Pina Bauschs Frage nach dem gemeinsamen Film „Und, willst du es jetzt machen, Wim?“ lange Zeit mit „Ich weiß immer noch nicht, wie, Pina!“ verneint hatte, kam ihm im Mai 2007 bei den 60. Internationalen Filmfestspielen von Cannes bei „U2 3D“ die zündende Idee, woraufhin er Pina noch aus dem Kino angerufen und ihr gesagt hat: „Ich weiß jetzt, wie es geht, Pina.“ Wim Wenders hatte nach dem plötzlichen Tod der Hauptfigur nicht mehr die Chance, mit Pina selbst vor der Kamera zu drehen, aber in „Pina“ wurden Möglichkeiten gefunden, Dokumentarmaterial und zweidimensionale Bilder in das 3D-Projekt einzubauen.

Das ehemalige „Café Müller“ in Solingen, in dessen Umgebung Pina Bausch aufwuchs, präsentierte sie auf der Bühne zur Musik von Henry Purcell als düsteren Raum, der mit Holztischen und -stühlen vollgestellt ist. Das Stück handelt vom Aufeinander zugehen und sich trennen. Igor Strawinski komponierte die Musik zu „Le Sacre du Printemps“ für die „Ballets Russes“ von Sergei Djagilew. Das Ballet handelt von einem Frühlingsopfer im heidnischen Russland, in dessen Verlauf eine auserwählte Jungfrau in einem Ritual dem Frühlingsgott zur Versöhnung geopfert wird. Pina Bausch hat 1975 eine eigene Choreografie herausgebracht. Die Bühne ist zentimeterdick mit Torf bedeckt, den die Tänzer in wilder Ekstase aufwirbeln. Mit „Vollmond“ ging Pina Bausch 2006 im wörtlichen Sinn baden, Wasser kommt fast pausenlos als Regen vom Bühnenhimmel, ein dunkler Bach durchzieht den schwarzen Raum, ein großer Fels beherrscht die Szenerie, und am Ende liefern sich die Tänzer eine große Wasserschlacht. In „Kontakthof“ geht es um die Suche nach Liebe und Zärtlichkeit mit all den dazugehörigen Ängsten, Sehnsüchten und Zweifeln, aber auch die damit verbundenen Enttäuschungen und Aggressionen. Kontakthof bezeichnet aber auch den Raum eines Bordells, an dem der Körper zum Kauf dargeboten wird. Am 9. Dezember 1978 wurde das Stück vom Tanztheater Wuppertal uraufgeführt, am 25. Februar 2000 dann erstmals in einer neuen Inszenierung mit Laien als „Kontakthof – Mit Damen und Herren ab 65“ aufgeführt. Für eine dritte Version mit Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren startete Pina Bausch ein Projekt für Wuppertaler SchülerInnen, das am 7. November 2008 als „Kontakthof – Mit Teenagern ab 14“ im Wuppertaler Schauspielhaus auf die Bühne kam. Eine Dokumentation zu dem Projekt von Anne Linsel kam am 18. März 2010 unter dem Titel „Tanzträume – Jugendliche tanzen Kontakthof von Pina Bausch“ in die deutschen Kinos.

Die Filmaufnahmen zu „Café Müller“, „Das Frühlingsopfer“ und „Vollmond“ sind bereits im Herbst 2009 entstanden, zum größten Teil während öffentlicher Aufführungen der Stücke auf der Bühne des Wuppertaler Opernhauses. Im April 2010 folgten die Aufnahmen zu „Kontakthof“ im Wuppertaler Schauspielhaus (diesmal ohne Publikum), in dessen Anschluss an öffentlichen Plätzen in Wuppertal und NRW gedreht wurde. An bekannten Plätzen wie der Wuppertaler Schwebebahn, der Müngstener Brücke oder Welterbe Zollverein erzählen einzelne Tänzer des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch tänzerisch von ihren ganz persönlichen Erfahrungen in der Arbeit mit Pina Bausch. Bei den während ausverkaufter Publikumsvorstellungen aufgezeichneten Szenen kam ein Teleskop-Kamerakran zum Einsatz, mit dem unglaublich nahe und dynamische Aufnahmen entstanden sind, die dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, mit den Tänzern mitten im Geschehen auf der Bühne zu stehen und nicht nur als Zuschauer bei einer Vorstellung dabei zu sein. Als perfekte Ergänzung zu den Tanzstücken auf der Bühne sind spektakuläre Tanzszenen als Soli der Tänzer außerhalb des Theaterraums aufgenommen worden, die von der Tiefenwirkung der 3D-Technologie ungemein profitieren. „Pina“ zeichnet sich durch eine ruhige Kameraführung aus, hier wird niemand Hals über Kopf in eine Schlucht gestürzt. Für technisch interessierte Leser: Bei „Pina“ kommt für die 3D-Projektion die so genannte Shuttertechnik zum Einsatz, bei der die für das linke und rechte Auge bestimmten Bilder nacheinander an die Leinwand projiziert werden. Die Kinobesucher tragen durch Infrarot-Licht gesteuerte LCD-Shutterbrillen, die dafür sorgen, dass jedes Auge nur die für sich bestimmten Bilder sieht. Das Verfahren bietet hohe Farbtreue und eine hervorragende Trennung der Bilder für das linke und rechte Auge.

Die Faszination von „Pina“ besteht aus einer gelungenen Symbiose aus digitaler 3D-Technologie und künstlerischem Inhalt. Wer keine ausgeprägte Abneigung gegen Tanztheater hat und anspruchsvolles Kino mag, sollte „Pina“ auf gar keinen Fall versäumen.


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